Michael Henke ist so etwas wie der geborene Co-Trainer. Er arbeitete bei Borussia Dortmund und beim FC Bayern München viele Jahre an der Seite von Ottmar Hitzfeld - auch beim Champions-League-Sieg des BVB 1997 gegen Juventus Turin. Vor der Neuauflage des Duells (Di., 20.45 Uhr im LIVE-TICKER) spricht der derzeit beim FC Ingolstadt beschäftigte Henke im Interview über großzügige Geschenke an BVB-Arbeitstier Paul Lambert, einen vereitelten Swimmingpool-Besuch um 7 Uhr morgens und Profis, die sich bei Vorständen ausweinten.
SPOX: Herr Henke, am Dienstag spielt der BVB das Achtelfinalhinspiel bei Juventus Turin. Beide Mannschaften standen sich 1997 im Champions-League-Finale gegenüber, die Borussia gewann mit 3:1 und Sie waren damals Co-Trainer von Ottmar Hitzfeld. Wie weit ist dieses Ereignis gefühlt für Sie entfernt?
Michael Henke: Es ist schon wirklich sehr lange her. Da es aber ein absolutes Highlight meiner Karriere - und da habe ich ja auch schon einiges mitgemacht - bleibt, ist mir dieses Spiel noch immer relativ präsent. Ich habe auch gleich nach der Auslosung im Dezember Dortmunds Organisationsdirektor Dr. Christian Hockenjos angerufen und nach einer Karte gefragt, weil ich mir das Spiel aus Nostalgiegründen gerne vor Ort angesehen hätte (lacht). Leider habe ich jetzt aber vermutlich doch keine Zeit.
SPOX: Dortmund war damals klarer Außenseiter. Es war schon erstaunlich genug, dass es das Team überhaupt bis ins Finale schaffte.
Henke: Obwohl wir in Deutschland zu diesem Zeitpunkt schon eine Größe waren, hatte Juventus eindeutig die Favoritenrolle inne. Es war eine absolute Überraschung - wie wenn beispielsweise Hannover 96 jetzt Champions-League-Sieger würde. Turin war eine Spitzenmannschaft in Europa, der italienische Fußball das Nonplusultra. Wenn wir damals gegen sie fünf Spiele gespielt hätten, wären vier mit Sicherheit verloren gegangen. Es hat glückliche Umstände gebraucht, um sie in München zu schlagen. Normal war das nicht.
SPOX: Welche glücklichen Umstände meinen Sie?
Henke: Das Finale fand an einem Mittwoch statt. Juventus musste am Samstag zuvor bei Atalanta Bergamo gewinnen, um italienischer Meister zu werden. Das haben sie auch geschafft. Ich war damals vor Ort, um sie zu beobachten. Ich glaube heute noch, dass dies ganz entscheidend für unseren Sieg war. Die Turiner haben anschließend gefeiert und waren euphorisiert. Sie waren sich in meinen Augen sehr sicher, dass sie gegen ein No-Name-Team wie Dortmund gewinnen würden. Von dieser leichten Überheblichkeit haben wir gerade in der ersten halben Stunde profitiert.
SPOX: In dieser Phase hat Karl-Heinz Riedle zwei Mal eingenetzt. In die Fußballgeschichte eingegangen ist aber das entscheidende 3:1 des zehn Sekunden zuvor eingewechselten Lars Ricken. Wie kam es zu seiner Hereinnahme?
Henke: Lars kam damals trotz seiner 18 Jahre schon relativ häufig zum Einsatz, auch in der Champions League. Er hatte bewiesen, enorm torgefährlich zu sein und häufig zum richtigen Zeitpunkt an der richtigen Stelle zu stehen. Lars war ein Spieler, bei dem du nie genau wusstest, was im nächsten Moment passieren würde. Als es nur noch 2:1 stand und Juventus immer stärker wurde, haben wir auf der Bank gespürt, dass wir das Ding so nicht gewinnen werden. Wir brauchten noch ein Tor. Stephane Chapuisat ging raus, weil er sich in der italienischen Abwehr einfach abgenutzt hatte. Dann war es logisch, dass Lars die erste Alternative darstellte.
SPOX: Von der Tribüne zuschauen musste dagegen Wolfgang Feiersinger, der überraschend aus dem Kader flog, obwohl er in der Königsklasse mehrere starke Leistungen ablieferte. Der rechtzeitig genesene Matthias Sammer verdrängte ihn. War diese Entscheidung ein Alleingang von Hitzfeld?
Henke: Nein, es war wie immer zwischen Co- und Cheftrainer: Wir haben zusammen diskutiert und unsere Auffassungen ausgetauscht. Am Ende traf Ottmar die finale Entscheidung. Er hat es ja schon selbst oft bestätigt und es war ihm auch damals schon anzumerken: es war eine der härtesten Entscheidungen seiner Trainerkarriere.
SPOX: Wie hätten denn Sie als Cheftrainer entschieden?
Henke: Ich habe das damals natürlich voll mitgetragen. Die Wahl war auch absolut nachvollziehbar. Es war eine sachlich wie fachlich überlegte Entscheidung, die nur dem Zweck diente, maximalen Erfolg zu haben. Wenn man logisch überlegt, wäre ich wahrscheinlich auch zu diesem Entschluss gekommen - allerdings mit dem gleichen Unbehagen.
SPOX: Der CL-Triumph ist bis heute der größte der Dortmunder Vereinsgeschichte. Wie wild ging es anschließend auf der Party zu?
Henke: Es hat erst einmal ziemlich lange gedauert, bis wir überhaupt aus dem Stadion kamen. Wir stießen erst um 1 Uhr nachts zu den anderen Gästen, die Feier war schon in vollem Gange. Wir haben den Alkohol aber natürlich schon in der Kabine ausgepackt und dann ausgelassen gefeiert. Es hat sich niemand zurückgenommen. Ich weiß noch, wie ich morgens um 7 mit meiner Frau im Hotel ankam und noch in den Swimmingpool gehen wollte. Da war aber alles abgeschlossen (lacht).
SPOX: An welche Anekdote dieser Saison erinnern Sie sich heute noch am liebsten?
Henke: An die mit Paul Lamberts Uhren. Er war unser Arbeitstier und absolvierte als einziger Spieler alle elf Partien in der Königsklasse. Paul war ein unauffälliger Spieler, aber enorm wichtig für das Team - das wusste die Mannschaft auch. Dieser sehr bescheidene Junge aus Schottland guckte immer etwas neidisch auf die dicken Uhren seiner Mitspieler. Vor dem Finale hatten ihm einige Spieler deshalb gesagt: "Paul, du kriegst meine Uhr, wenn wir die Champions League gewinnen." Und so kam es dann auch tatsächlich: Direkt nach dem Finale trug er plötzlich vier, fünf teure Uhren um sein Handgelenk - und ist dann auch so bei der Party eingelaufen.
SPOX: Dieser Teamgeist zog sich aber offenbar nicht durch die gesamte Spielzeit. Es war ein offenes Geheimnis, dass es innerhalb des Vereins einige Meinungsverschiedenheiten gab.
Henke: Zunächst muss ich sagen, dass man im Vorfeld des Endspiels sehr kritische Berichte in den Zeitungen lesen konnte. Es wurde versucht, das Verhältnis zwischen Vorstand und Trainer und auch das innerhalb der Mannschaft aufzurollen. Als man das las, hatte man nicht den Eindruck, dass der Verein vor dem größten Erfolg seiner Geschichte steht, sondern sich im Abstiegskampf befindet. Das war schon ziemlich verrückt.
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SPOX: Aber dass nicht alles rosig war, ist doch korrekt, oder?
Henke: Ja, es gab Unruhe im Verein - wobei ich mir die ehrlich gesagt bis heute nicht so richtig erklären kann. Denn eigentlich lief alles gut: Wir waren Dritter, standen im Champions-League-Finale und gewannen in den beiden Jahren zuvor jeweils die deutsche Meisterschaft.
SPOX: Doch in der Bundesliga kassierte man als amtierender deutscher Meister neun Niederlagen, sechs davon in den Monaten vor dem Finale. Es war die schlechteste Rückrunde in der sechsjährigen Amtszeit von Ottmar Hitzfeld. Das reichte offenbar aus, damit der Vorstand ihn kritisch sieht.
Henke: Ich sage es mal so und das gilt auch heute noch: Der Trainer muss immer der stärkste Mann im Verein sein. Der Vorstand und der gesamte Klub müssen alles dafür tun, um den Trainer zu stärken. Wenn aber Spieler die Möglichkeit haben, sich hinter dem Rücken des Trainers zu welchen Themen auch immer bei Vorständen auszuweinen, dann ist das schlecht und schwächt den Trainer. Diese Dinge gab es damals in Dortmund. Womit das zusammenhing, weiß ich nicht. Vielleicht damit, dass andere Vereine damals große Anstrengungen unternommen, um Spieler des BVB zu bekommen.
SPOX: Waren diese Strömungen dem Trainerteam bewusst?
Henke: Natürlich. Wir haben nicht alles, aber einiges mitgekriegt. Man konnte merken, dass der gesamte Verein nicht mehr wie in den Jahren zuvor an einem Strang zog. Um wieder einigermaßen Ruhe hinein zu bekommen, ist für ein Trainerteam unter solchen Bedingungen Erfolg die einzige Hilfe. Die größte Chance dazu war für uns die Champions League. Es spricht auch für Ottmar, dass er diese Geschichte damals so gut gemanagt hat.
SPOX: Nach dem Gewinn des Henkelpotts erklärte Hitzfeld seinen Rücktritt als Trainer und wurde Sportdirektor. Wann wurde ihm klar, dass er als Coach nicht mehr weitermacht?
Henke: Ich kann keinen genauen Zeitpunkt nennen. Die Arbeit der letzten Jahre hatte ihn in jedem Fall viel Kraft gekostet, er wollte eine Erholungsphase einlegen. Wir hatten nach dem Finale noch ein Bundesligaspiel. An diesem Wochenende stand in Dortmund eine letzte mannschaftsinterne Feier an. Ottmar hat mich dort dann zur Seite genommen und mir mitgeteilt, dass er ziemlich leer sei und wir in dieser Konstellation keinen Erfolg mehr haben könnten.
SPOX: Als Sportdirektor hat es Hitzfeld nicht lange ausgehalten. War Ihnen das schon zuvor klar?
Henke: Man konnte ihm mit der Zeit anmerken, dass der Sportdirektor-Posten nicht gerade sein Traumberuf war. Ich war in der Folge ja Co-Trainer von Nevio Scala und tauschte mich noch regelmäßig mit ihm in seinem Büro aus. Er sah sich nach wie vor als Trainer und hatte gewissermaßen eine Park-Position inne, in der er sich zunächst sicherlich nicht unwohl gefühlt hat. Ihm war es wichtig, den Druck der täglichen Trainerarbeit nicht mehr zu spüren und in vorderster Front kämpfen zu müssen.
SPOX: Im Anschluss an Ihre Dortmunder Zeit bildeten Sie mit Hitzfeld auch beim FC Bayern ein sehr erfolgreiches Gespann. Hitzfeld und Henke in München - das hatte sich 1997 auch nicht jeder Dortmunder vorstellen können.
Henke: Wir hatten beim BVB das Maximum erreicht. Ottmar lag damals eine Anfrage von Real Madrid vor, aber er wollte zu dem Zeitpunkt nicht ins Ausland gehen. Dann kam in Deutschland nur der FC Bayern in Frage. Ottmar kam im Frühjahr zu mir und sagte, er habe ein Angebot aus München bekommen. Er wollte wissen, ob ich mir vorstellen könne, ihn zu begleiten. Das habe ich relativ schnell bejaht, da ich selbst auch merkte, dass mir eine neue Herausforderung gut tun würde.
SPOX: Stichwort Herausforderung: Das ist auch die aktuelle Saison für die Borussia. Der Verein hat sich mit drei Siegen in Folge zwar erholt, der Klassenerhalt bleibt aber das bestimmende Thema. Nun trifft man in einem anderen Wettbewerb auf einen hochklassigen Gegner. Wie wird das Team von Jürgen Klopp Ihrer Meinung nach damit umgehen?
Henke: Ich denke, dass es eine Befreiung für den BVB und die Spieler wird. Die Champions League ist die gewohnte Umgebung, der eigentliche Status. Es steht ein hoch interessantes Spiel gegen einen renommierten Gegner an. Ich bin davon überzeugt, dass sie voll konzentriert zu Werke gehen werden. Es ist auch für die Bundesliga nicht schlecht, da ein paar Tage später gleich das Derby gegen Schalke ansteht. Da dürfte man die Spannung halten können.
SPOX: Ist der BVB nach dieser schwachen Spielzeit gefordert, sich neu aufzustellen und auf die sportliche Talfahrt zu reagieren?
Henke: Man wird sicher nicht alles umkrempeln müssen, da man in ähnlicher personeller Konstellation große Erfolge gefeiert hat. Die Verantwortlichen werden sich die Geschehnisse in dieser Saison auf jeden Fall genau anschauen und kritisch bewerten. Sie haben eine Delle abbekommen, doch insgesamt gesehen ist die Personallage sowie das Zusammenwirken zwischen Trainer und Mannschaft so gut, dass man nicht grundsätzlich alles in Frage stellen muss.
SPOX: Fast 18 Jahre danach: Setzt sich der BVB auch dieses Mal gegen Juventus durch?
Henke: Sie sind in der Lage, in Turin ein Tor zu schießen. Wenn das gelingt, kommen sie auch weiter.
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