Arne Friedrich gilt als erster Kandidat für den Posten des zweiten Innenverteidigers neben Per Mertesacker. Im SPOX-Interview spricht der Noch-Berliner über Stinkstiefel, sein angekratztes Image, schmerzhafte Stunden mit der Hertha und seinen möglichen Wechsel nach der WM.
SPOX: Herr Friedrich, können Sie eigentlich auch im defensiven Mittelfeld spielen?
Arne Friedrich: Ich habe die Position noch nie gespielt. Die Frage kann ich so also nicht beantworten. Aber wir haben noch Spieler, die auf der Position zu Hause sind. Die Verletzung von Christian Träsch ist unglaublich bitter, gerade für ihn persönlich. Ich habe ihn Montagabend noch kurz gesehen, da war er schon sehr niedergeschlagen. Das ist für einen jungen Spieler wie ihn kurz vor seinem ersten großen Turnier sehr schwer. Es tut mir sehr leid für ihn. Ich hoffe, dass er das gut verkraftet.
SPOX: Diese Woche soll der Nachfolger von Michael Ballack als Kapitän bestimmt werden. Kommen Sie dafür in Frage?
Friedrich: Davon gehe ich nicht aus. Spieler wie Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger, die ähnlich viele Länderspiele gespielt haben wie ich und mit den Bayern unheimlich viel internationale Erfahrung gesammelt haben, oder eben Miro Klose als Routinier im Team, kommen dafür in erster Linie in Frage. Auf der anderen Seite muss man nicht unbedingt die Kapitänsbinde tragen, um Verantwortung zu übernehmen. Wir haben eine sehr junge Mannschaft, da ist es gerade an den älteren Spielern, voranzugehen.
SPOX: Wie sieht das in der Praxis aus?
Friedrich: Man muss Präsenz auf dem Platz zeigen, außerdem verbal aktiv sein, auch außerhalb des Platzes mit Mitspielern sprechen. Das sind die Aufgaben, die ein Kapitän zu erledigen hat. Da versuche ich, meine Aufgaben zu erfüllen.
SPOX: Sie sind zusammen mit Miro Klose der einzige Feldspieler aus den 70er Jahrgängen. Wie nehmen Sie diese andere, deutlich jüngere Generation in der Mannschaft wahr?
Friedrich: Es ist der Lauf der Zeit, dass man älter wird. Auf der einen Seite ist das natürlich schade für einen persönlich. Auf der anderen Seite aber auch eine Herausforderung. Man übernimmt Verantwortung und das macht auch Spaß. Wir haben zwar eine junge, aber eben auch sehr talentierte Mannschaft. Ich hoffe, dass wir das bei der WM schon zeigen können.
SPOX: Was glauben Sie, wie viele Hiobsbotschaften diese junge Mannschaft noch vertragen kann?
Friedrich: Wir hoffen, dass es damit endgültig vorbei ist. Wir brauchen die Qualität in der Mannschaft. Aber es gibt auch andere Nationen, die die gleichen Probleme haben. Letztlich können wir das nicht beeinflussen. Es kann in jedem Training und in jedem Spiel etwas passieren. Wir können aus den Verletzungen aber auch etwas Positives ziehen: Wir sind eine eingeschworene Truppe und werden jetzt noch enger zusammenrücken. Ich bin überzeugt, dass wir trotz der Ausfälle ein super Turnier spielen.
SPOX: Sie haben sehr lange rechter Verteidiger gespielt, obwohl Sie sich eher als Innenverteidiger sehen. Wie schafft man es, dass man auch auf einer eher ungeliebten Position trotzdem immer Stammspieler bleibt?
Friedrich: Ich denke, dass mir die Position des Innenverteidigers eher entgegenkommt. Ich bin ein Spieler, der seine Stärken in der Defensive hat. Das Spiel des Außenverteidigers hat sich auch sehr verändert. Schauen Sie sich Philipp Lahm oder Ashley Cole an - das sind kleine, wendige Spieler, die immer hoch und runter marschieren können. Das ist nicht mein Spiel. Ich habe als Rechtsverteidiger meine besten Spiele gemacht, wenn ich einen direkten Gegenspieler hatte, zum Beispiel gegen Portugal oder Argentinien. Ich fühle mich in der Innenverteidigung mittlerweile sehr wohl und bei der Nationalmannschaft auch als einer der Kandidaten, die um die Plätze dort kämpfen.
SPOX: Ist es ein Problem, sich immer wieder auf eine andere Position umzustellen?
Friedrich: Überhaupt nicht. Jeder weiß, welche Position welche Anforderungen hat. Theoretisch weiß man, was man zu tun hat. Das Einspielen ist da von entscheidender Bedeutung. Gerade in der Abwehrkette muss man immer schauen, was der andere macht. Man darf nicht nur nach dem Ball oder dem Gegenspieler schauen, sondern muss eben auch darauf achten, dass die Räume eng sind und die Abstände stimmen, dass auf die Kommandos alle reagieren. Das ist das Entscheidende.
SPOX: Zum Einspielen bleibt nun aber nur noch sehr wenig Zeit.
Friedrich: Das können wir nicht ändern. Aber andererseits sieht man bei der Nationalmannschaft schon immer sehr viele Fortschritte, wenn wir über einen längeren Zeitraum zusammen sind und viel trainieren können. Das ist das, was uns bei einigen Freundschaftsspielen fehlt. Wenn man nur ein-, zweimal trainieren kann, fehlt uns die Konstanz, dann fehlt das ständige Wiederholen. Wir merken jetzt in den Einheiten, dass es schon sehr gut läuft.
SPOX: Einige Spieler haben nur eine mittelmäßige Saison gespielt, Sie mit der Hertha letztlich vergebens gegen den Abstieg gekämpft. Warum mussten Sie oder Lukas Podolski nie um ihre WM-Teilnahme zittern?
Friedrich: Es ist nicht so, dass wir mit hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen konnten, auf jeden Fall dabei zu sein. Ich hatte jedoch immer ein positives Gefühl. Außerdem sind wir Spieler, die auch schon lange dabei sind und drei Turniere gespielt haben. Klar hätte man auch andere Spieler nominieren können. Aber der Bundestrainer weiß, was er an uns hat. Wir wollen das mit guten Leistungen zurückzahlen. Natürlich hatte jeder auch seine eigenen Probleme und schwierige Situationen, aber man kann daraus auch lernen. Ich glaube, dass ich aus diesem Jahr sehr viel gelernt habe und dass es manchmal gar nicht so schlecht ist, wenn man Gegenwind bekommt. Das macht einen sehr viel stärker.
SPOX: Können Sie versprechen, dass Sie kein Stinkstiefel werden, wenn Sie nicht spielen?
Friedrich: Ich habe bei der letzten EM gezeigt, dass ich kein Stinkstiefel bin, sondern mich absolut in den Dienst der Mannschaft gestellt habe. Das werde ich auch diesmal wieder tun. Ich musste zuletzt im Zusammenhang mit Hertha sehr viel über mich lesen, auch, dass ich eine Ich-AG wäre. Das finde ich ziemlich enttäuschend. Keine Ahnung, wie so etwas immer in die Welt kommt. Da wird so getan, als wäre ich ein Stinkstiefel. Da können Sie andere Leute fragen, gerade hier bei der Nationalmannschaft, die können Ihnen dann dazu etwas erzählen.
SPOX: Sie kennen den Bundestrainer seit knapp sechs Jahren. Wie erleben Sie ihn derzeit, nach all den Tiefschlägen zuletzt?
Friedrich: Er ist im Laufe der Zeit, vom ersten Turnier an bis heute, immer souveräner geworden. Er ist sehr fokussiert und hat eine sehr gute Ausstrahlung, das Training ist perfekt abgestimmt, seine Ansprachen sind super. Er ist definitiv nicht ängstlich, weil einige Spieler ausfallen. Natürlich ist es für ihn auch nicht einfach, er hätte die Spieler gerne dabei. Aber er ist kämpferisch und das zeigt er uns auch. Er ist davon überzeugt, dass wir ein gutes Turnier spielen und wir sind es auch.
SPOX: Das klingt fast nach einem kleinen Plädoyer.
Friedrich: Ich bin begeistert von der Arbeit, die er leistet. Das Training und das ganze Drumherum sind einfach unglaublich professionell, es macht riesig Spaß, hier zu arbeiten. Und da bin ich nicht der einzige, der das sagt.
SPOX: Stichwort soziale Kompetenz: Das WM-Quartier in Pretoria ist sehr abgelegen. Wie wichtig wird es sein, dass man da keinen Lagerkoller bekommt?
Friedrich: Das wird sehr wichtig. Vor vier Jahren in Berlin hatten wir ganz andere Möglichkeiten, auch wenn wir nicht immer raus sind. In Südafrika wird das schon anders sein und mit Sicherheit nicht einfach. Natürlich kommen Phasen, die auch zäh sind. Aber man hat auch eine gewisse Grundspannung, man spielt alle vier Tage, dann kommen vielleicht die Frauen und Kinder mal dazu. Dann hat man schon Abwechslung. Wir sind ein eingeschworenes Team, sitzen auch außerhalb viel zusammen, trinken etwas, man redet, macht Quatsch. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir einen Lagerkoller bekommen.
SPOX: Torsten Frings und Michael Ballack sind Spieler, die salopp gesagt auch mal einen Gegner umgehauen haben, um ein Zeichen zu setzen. Ist diese Mannschaft jetzt zu lieb?
Friedrich: Wir haben mittlerweile ein anderes Anforderungsprofil. Wir sind taktisch anders geschult, der Trainer will unnütze Fouls nicht mehr sehen. Uns wurde gezeigt, dass ein Großteil der Tore durch Standardsituationen nach unnützen Foulspielen entsteht. Natürlich ist es wichtig, ab und zu auch mal ein Zeichen zu setzen. Aber Standardsituationen entscheiden immer mehr Spiele - da sollte man dumme Foulspiele schon vermeiden.
SPOX: Die Mannschaft scheint sehr unbekümmert. Wie unbekümmert sind Sie noch?
Friedrich: Ich versuche, die wunderschöne Zeit zu genießen. Nicht jeder hat das Privileg, ein Turnier zu spielen. Nehmen Sie Sebastian Deisler, der nur ein Turnier spielen konnte, obwohl er mit das größte Potenzial hatte. Man gewinnt neue Eindrücke und ich bin sehr dankbar, dass ich das erleben darf. Deswegen mache ich mir auch keinen negativen Druck.
SPOX: Sie halten immer noch den Rekord für die meisten Länderspiele ohne Tor...
Friedrich: Das ist doch auch schon was. Ich kann darüber nur schmunzeln. Aber immerhin eine Statistik, die ich anführe. Und ein Eigentor hab ich auch schon. In der Bundesliga habe ich schon einige Tore erzielt, nur hier soll es irgendwie nicht klappen. Für mich ist wichtig, dass wir gewinnen. Dann bin ich glücklich.
SPOX: Woher nehmen Sie Ihre Gelassenheit?
Friedrich: Ich habe jetzt 70 Länderspiele und gehe in mein viertes Turnier. Das lernt man abzuwägen. Eigentlich ist es schon Wahnsinn, dass ich immer noch nicht getroffen habe. Aber ich kann es jetzt nicht ändern. Doch vielleicht habe ich ja das Glück und schieße in einem entscheidenden WM-Spiel ein Tor.
SPOX: Was hängt Ihnen eigentlich vom Abstieg mit Hertha BSC noch in den Kleidern?
Friedrich: Das Thema ist für mich noch nicht ganz abgeschlossen, es bleibt immer etwas im Kopf hängen. Aber ich denke schon, dass ich einen Schnitt machen konnte. Vom ersten Tag an bei der Nationalmannschaft herrschte eine andere Atmosphäre - wobei hier natürlich auch immer eine Art Aufbruchstimmung herrscht mit so einem großen Turnier vor der Brust. Man freut sich auf die Aufgaben. Jetzt habe ich etwas Neues vor Augen, die WM. Vergangenes kann man nicht mehr ändern, deshalb ist das für mich jetzt abgehakt.
SPOX: Inwiefern ist ein gutes Turnier für Sie persönlich bedeutsam für einen guten, neuen Vertrag?
Friedrich: Gerade nach so einer Saison, in der man abgestiegen ist, wäre es Balsam auf die Wunden, die man in dem Jahr mitgenommen hat. Ich bin sehr optimistisch und glaube, dass wir richtig weit kommen werden.
SPOX: Was macht Sie da so sicher?
Friedrich: Die Gesamtatmosphäre. Man muss nicht immer die besten Einzelspieler haben, sondern muss taktisch gut geschult sein und einen Zusammenhalt innerhalb der Mannschaft haben. Und was noch dazu kommt: Die Spieler aus München nehmen den Schub aus der Saison mit und sind in ihrer Persönlichkeit gewachsen. Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger haben einen großen Schritt gemacht seit 2006. Das bringt uns enorm weiter.
SPOX: Sie hatten davon gesprochen, in der Seele verletzt worden zu sein in dieser Saison. Was war das verletzende?
Friedrich: Wenn man auf der Mitgliederversammlung ausgepfiffen wird, ist es nur menschlich, dass man auch gekränkt ist. Ich bin seit acht Jahren in Berlin, habe die zweitmeisten Bundesligaspiele für Berlin gemacht - da finde ich das nicht gerechtfertigt. Ich hätte mir ein anderes Jahr und andere Reaktionen gewünscht. Aber da muss man durch. Ich finde es okay, wenn man für seine Leistung kritisiert wird. Es gab vor allem in der Hinrunde einige Spiele, da konnte ich mein Leistungsvermögen nicht abrufen. Aber es waren Dinge dabei, die subjektiv waren und das muss nicht unbedingt sein.
SPOX: Hat der Bundestrainer mit Ihnen mal darüber gesprochen?
Friedrich: Mit ihm und Oliver Bierhoff hatte ich immer Kontakt und wir haben auch über die Situation gesprochen. Die Leute aus der Nationalmannschaft stehen dann auch zu einem. In solchen Situationen merkt man, auf wen man sich verlassen kann und auf wen nicht.
SPOX: Können Sie schon sagen, ob Sie nach Wolfsburg oder zum HSV wechseln?
Friedrich: Das steht noch nicht fest. Es sind alle Optionen offen. Auch, dass ich weiter bei Hertha spiele. Ich habe schon sehr viele Berichte gelesen, nach denen ich schon in Wolfsburg oder Hamburg unterschrieben hätte. Das sind die üblichen Spekulationen. Stand ist, dass ich keine Einigung mit irgendeinem Verein habe. Natürlich laufen Gespräche, aber es steht bisher nichts fest.
SPOX: Haben Sie noch Kontakt zu ihrem Ex-Mitspieler und neuen HSV-Sportchef Bastian Reinhardt?
Friedrich: Wir haben zwar in Bielefeld zusammengespielt, aber ich habe keinen Kontakt zu ihm.
SPOX: Die ungeklärte Lage ist für Sie auch keine Belastung? Immerhin wohnen Sie seit vielen Jahren schon in Berlin und müssten einiges aufgeben.
Friedrich: Nehmen wir mal an, ich würde Hertha verlassen - was natürlich eine Option ist - dann würde mir das sehr schwer fallen. Meine Freundin und ich fühlen uns unglaublich wohl in Berlin, wir lieben die Stadt. Bis auf das letzte Jahr haben wir eine sehr schöne Zeit erlebt. Nochmals: Ich weiß selbst nicht, wie es für mich weitergeht. Eine Tür wird geschlossen, eine andere geht auf. Vielleicht bleibe ich auch bei Hertha. Es ist alles möglich.