Wie wird das ewige Spannungsfeld bei der Jugendförderung gelöst? Baut der DFB für 35 Millionen Euro ein neues Herzstück? Warum sind Mario Götze und Andre Schürrle extrem? DFB-Sportdirektor Robin Dutt, seit dem August Nachfolger von Matthias Sammer, über seine Ansichten und Ansätze.
Wie ist die Leistungsstärke der DFB-Nachwuchsteams?
2009 hatte sich Einmaliges zugetragen: Die DFB-Jugend regierte Europa. Exakt 47 Tage lang war Deutschland zur gleichen Zeit Europameister bei der U 17, U 19 und U 21.
Eine herausragende Leistung, der allerdings eine Phase der Ernüchterung folgte.
Der Nachwuchs enttäuschte nicht vollends, doch abgesehen vom U-17-Jahrgang 2010 und 2011 (beide Male Vize-Europameister) wurden alle Großturniere verpasst.
Die U 17 fehlte bei der EM 2010. Die U 19 war seit dem EM-Sieg 2008 gar bei drei Europameisterschaften in Folge (2009 bis 2011) abwesend - was gravierendere Auswirkungen hatte, weil so automatisch die U 20 an zwei Weltmeisterschaften nicht teilnehmen konnte (2011, 2013).
Der U 21, damals ebenfalls amtierender Europameister, unterlief 2011 eine Peinlichkeit, als mit einem 1:4 in Island bereits zwei Spieltage vor Ende der Qualifikationsgruppe das Verpassen der EM feststand. Die Qualifikation der deutschen U 21 für die EM 2013 ist immerhin die Andeutung einer Wende zurück zum Guten.
DFB-Sportdirektor Robin Dutt betont jedoch gegenüber SPOX, dass er eine Nachwuchs-Nationalmannschaft nicht nur unter dem Aspekt beurteilt, ob Titel gewonnen werden: "Die entscheidende Frage lautet: 'Wie schaffen wir die Balance aus Tagesergebnis und Ausbildung?'"
Es sei nicht zielführend, wenn nur des Erfolgs willen ein 17-Jähriger mit einer Größe von 1,90 Metern gefördert wird, weil dieser den Gleichaltrigen körperlich überlegen ist.
"Mit so einem Spieler würde man im Jetzt Spiele gewinnen. Wenn der Spieler aber vier Jahre später von den anderen technisch überholt wird, verliert man im Morgen genau die gleichen Spiele", sagt Dutt.
Das Gebot der Nachwuchsforderung: "Die Ausbildung ist erst abgeschlossen, wenn es ein Spieler in die Bundesliga oder sogar Nationalmannschaft schafft. Im Zweifel sind wir bereit, das Tagesergebnis zu riskieren, um die Ausbildung zu fördern."
Frage 2: Sind Veränderungen im Trainerstab zu erwarten?
Frage 3: Welche fußballerischen Aspekte sollen gestärkt werden?
Frage 4: Werden neue Wege der Talentsichtung beschritten?
Frage 5: Wird ein nationales Leistungszentrum gebaut?
Sind Veränderungen im Trainerstab zu erwarten?
Seit vier Monaten ist Robin Dutt der Sportdirektor des DFB. Vier Monate, in denen er sich vor allem informierte und Gespräche mit vielen Beteiligten des deutschen Fußballs führte. Doch die Zeit der Evaluierung sei langsam vorbei: "Ich will viele Akzente setzen", sagt Dutt, um zugleich klarzustellen: "Die Akzente sollen aber nicht in Widerspruch zu Matthias Sammer stehen."
Ein weiteres Dutt-Zitat aus dem Sommer: "Es kann nicht meine Aufgabe sein, irgendwelche Konzepte in Frage zu stellen."
Entsprechend ist es nicht zu erwarten, dass Dutt übereilt Änderungen am Trainerstab vornimmt, solange nichts Außerordentliches geschieht.
U-21-Trainer Rainer Adrion hatte wegen der verpassten EM-Qualifikation 2011 die Entlassung gedroht - und war dieser womöglich nur umgangen, weil Sammer anders als jetzt Dutt nicht über die U 21 weisungsbefugt war. Mittlerweile verbesserte Adrion sein Standing mit der erfolgten EM-Qualifikation 2013.
Chef-Trainerausbilder Frank Wormuth verbindet bei der U 20 erfolgreich Theorie mit Praxis (8 Siege in 13 Spielen). Christian Ziege ist erst seit dem Mai 2011 beim Verband und dürfte sich weiter bewähren. Und U-17-Coach Stefan Böger erreichte mit den beiden Vize-EM-Titeln die einzigen Erfolge der jüngeren Vergangenheit.
Ausgerechnet dem Trainer einer vermeintlich unwichtigeren Junioren-Nationalmannschaft widmete die "FAZ" Ende November einen ausführlichen Artikel. Dabei ging es um die Grundsatzfrage, ob Horst Hrubesch bei der U 18 nicht verschenkt sei, da in diesem Jahrgang keine EM und WM stattfinden. Vielmehr solle Hrubesch die höheren Jahrgänge betreuen, immerhin habe er 2011 mit dem EM-Titel bei der U 21 (als Interimscoach) und ein Jahr zuvor mit der U 19 seine Befähigung nachgewiesen. Die Überschrift: "Der Mann, der kann's."
Dutt selbst gibt sich unverbindlich bei Fragen nach dem Stab. Mit der Äußerung, dass "der Erfolg nicht zulasten der Ausbildung gehen darf", deutet er jedoch eine graduelle Verschiebung der Prioritäten an: Sammer forderte von seinen Trainern ein erfolgreiches Abschneiden bei Großturnieren, weil nur so gewährleistet sei, dass Jugendspieler einen Siegeswillen entwickeln.
"Die Ausbildung eines Talents ist erst abgeschlossen, wenn er es in die Bundesliga oder sogar die A-Nationalmannschaft schafft. Tagesaktuelle Ergebnisse haben dem Ziel zurückzustehen", sagt hingegen Dutt. Wobei der Sportdirektor betont: "Gleichzeitig darf man ein Ergebnis nicht komplett außen vorlassen und die Ausbildung darf kein Alibi sein. Wenn Ergebnisse keine Rolle mehr spielen, geht irgendwann die Mentalität verloren, unbedingt den Erfolg zu wollen."
Daher sei es eine der wichtigsten Aufgaben, die "richtige" Balance zu finden. Etwa dann, sollte die U 21 bei der für die Außenwirkung so wichtigen EM 2013 früh ausscheiden. Stützt er Adrion, der sich als reiner Ausbilder versteht? Oder folgt er Sammers Doktrin des maximalen Erfolgs? Entscheidungen wie diese werden Dutts Profil definieren.
Frage 1: Wie ist die Leistungsstärke der DFB-Nachwuchsteams?
Frage 3: Welche fußballerischen Aspekte sollen gestärkt werden?
Frage 4: Werden neue Wege der Talentsichtung beschritten?
Frage 5: Wird ein nationales Leistungszentrum gebaut?
Welche fußballerischen Aspekte sollen gestärkt werden?
Er könnte so etwas wie der Pionier des neuen Fußball-Geists in Deutschland sein: Max Meyer. Der 17-jährige wurde bei der U-17-EM 2012 Torschützenkönig und trainiert bereits bei den Schalker Profis mit. Daran so bemerkenswert: Meyer wäre aufgrund seiner schmächtigen Statur vor 15, 20 Jahren niemals vom DFB gefördert worden.
Selbst Schalke diskutierte intern lange darüber, ob Meyer verpflichtet werden soll, weil er nicht den körperlichen Mindestanforderungen erfüllen würde. Jetzt ist Meyer das vielleicht größte Offensivtalent des Landes. Ein Beispiel, das viele folgen sollen.
ges-sportfotoDutt erklärt: "Auf den Angriffspositionen sind klein gewachsene Spieler im Vorteil, die früher vielleicht durch das Raster gefallen wären. Sie haben auf ihre athletischen Defizite eine technische Lösung parat. Technisch versierte Spieler wie Lionel Messi oder Andres Iniesta garantieren in der Offensive 20 Prozent mehr Ballbesitz, woraus mehr Tore resultieren als bei einem klassischen Stürmer."
Daher sei der angebliche Mangel an echten Neunern in Deutschland gar kein Malus: "Im Vordergrund steht nicht die Größe eines Spielers sondern die Fähigkeit, beidfüßig zu sein, den Raum zu erkennen und zu beherrschen, im engen Raum bei verstärktem Pressing des Gegners spielerische Lösungen zu finden."
Im SPOX-Interview erklärte Dutt, warum ihm die technische Ausbildung so wichtig ist und dies immer wieder akzentuiert: "Andere Dinge sind leichter zu kaschieren als eine fehlende oder unzureichende Technik. Ein langsamer Spieler kann seine Schnelligkeitsdefizite durch Antizipationsfähigkeit kompensieren. Ein Spieler, der nicht ausdauernd ist, kann das durch ökonomische Spielweise kompensieren. Ein Spieler, der individualtaktisch nicht so gut ist, kann durch Kampfgeist einiges wettmachen."
Auf der Linksverteidiger-Position teilt Dutt hingegen die Meinung, wonach der deutsche Fußball zu wenige Spezialisten für diese Position hervorbringt und daher ein systematischer Fehler vorliegen könnte. Sein Vorschlag: Um der langfristigen Perspektive willen ist es denkenswert, dass die Nachwuchs-Mannschaften des DFB "gelegentlich Linksfüßer hinten links aufstellen, die vielleicht noch nicht so weit entwickelt sind wie ein Rechtsfüßer auf der Position." Mit der Zeit würden sich die Linksfüßer ans Niveau anpassen und im optimalen Fall anheben.
Dutts Kalkül: Der DFB geht voran und motiviert die Klubs zur Nachahmung. "Wir als Verband wollen die Aufstellungshoheit der Vereine nicht in Frage stellen. Aber wir wollen unserer Vorbildfunktion gerecht werden, Denkanstöße anbieten und diese vorleben."
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Frage 2: Sind Veränderungen im Trainerstab zu erwarten?
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Frage 5: Wird ein nationales Leistungszentrum gebaut?
Werden neue Wege der Talentsichtung beschritten?
Neben der Technikausbildung auffällig bei Dutt: Er betont die Notwendigkeit, dass sich der DFB nicht nur mit den Top-Klubs, sondern auch mit den kleineren Vereinen austauscht. Denn nur im Dialog mit der Basis könne der Verband auf Talente aufmerksam werden, die früher nicht entdeckt worden wären.
Zur Verdeutlichung nennt er zwei Extrembeispiele: "Mario Götze ist seit der U 15 fester Teil des DFB und hat sich immer auf höchstem Niveau bewährt. Andre Schürrle ist aber genauso bemerkenswert: Er spielte lange in Ludwigshafen, bevor er in die Nachwuchsabteilung von Mainz ging. Und jetzt sind beide Nationalspieler. Es gibt bestimmt noch mehr Schürrles."
spoxUnd um diese ausfindig zu machen, will er den Kontakt zum Klub-Fußball intensivieren. "Das Verhältnis zu den Vereinen wird ein Steckenpferd von mir."
Dabei soll ihm seine Vergangenheit im Amateurfußball helfen. Er habe zwar nicht die Strahlkraft eines ehemaligen Weltstars wie Matthias Sammer, dafür "sammelte ich auf allen Ebenen des Fußballs Erfahrung, von der Kreisliga bis zur Champions League. Dieses Wissen ist mein Plus", sagt Dutt.
Frage 1: Wie ist die Leistungsstärke der DFB-Nachwuchsteams?
Frage 2: Sind Veränderungen im Trainerstab zu erwarten?
Frage 3: Welche fußballerischen Aspekte sollen gestärkt werden?
Frage 5: Wird ein nationales Leistungszentrum gebaut?
Wird ein nationales Leistungszentrum gebaut?
Seit Jahren wird über die Umsetzung des selbst für den DFB gigantischen Projekts gegrübelt: Soll der Verband für 35 Millionen Euro ein nationales Leistungszentrum bauen?
Die meisten Top-Nationen Europas verfügen über ein derartiges Kompex, wo neben der Trainerausbildung auch die Nachwuchsförderung zentral gebündelt wird: Spanien (Ciudad del Futbol), Frankreich (Clairefontaine), Italien (Coverciano), die Niederlande (KNVB Academy), neuerdings auch England (St. George's Park).
In Deutschland flammt die Diskussion gelegentlich auf und kühlt wieder ab, vor einer endgültigen Entscheidung ziert sich der DFB.
Als Verfechter eines Leistungszentrums gilt Teammanager Oliver Bierhoff, der verschiedene Szenarien entwarf. Im Falle einer Zustimmung gelten Köln, Frankfurt oder Duisburg als mögliche Standorte.
Die Idee ist jedoch umstritten: Der deutsche Fußball ist analog zum politischen System föderal und dezentral aufgebaut, weswegen sich die Landesverbände übergangen und entmachtet fühlen würden. Entsprechend vorsichtig äußert sich Dutt.
Dass er aber die jetzige Struktur in Deutschland besonders positiv hervorhebt, ist eine Andeutung dessen, dass die Errichtung eines Leistungszentrums erst einmal nicht zur Disposition steht.
"Zuallererst muss man über Inhalte sprechen. Wenn die Inhalte ergeben, dass man ein Zentrum braucht, ist das in Ordnung", sagt Dutt.
Und fügt an: "Ich finde generell: In Deutschland besitzen wir eine auf der Welt einmalige Struktur. Dieses Zusammenspiel zwischen Landesverbänden, Vereinen, Eliteschulen, DFB-Stützpunkten und dem DFB mit den U-Nationalmannschaften ist einzigartig. Diese Konstruktion gibt es kein zweites Mal auf der Erde."
Frage 1: Wie ist die Leistungsstärke der DFB-Nachwuchsteams?
Frage 2: Sind Veränderungen im Trainerstab zu erwarten?
Frage 3: Welche fußballerischen Aspekte sollen gestärkt werden?