Die Krankheit ist tückisch. Wenige Tage zuvor war David Addy erst aus seiner ghanaischen Heimat nach Dänemark gereist und wollte bei Randers FC, seinem ersten europäischen Verein, sofort durchstarten. Doch dann stoppte den damals 18-Jährigen das Gelbfieber, nicht umsonst auch bekannt als das Schwarze Erbrechen.
In den folgenden zwei, drei Monaten war an Fußball nicht zu denken, die meiste Zeit verbrachte er daher im Bett. "Wir haben uns Sorgen gemacht, es war eine ernste Angelegenheit", erzählt Randers' Direktor Jacob Nielsen bei SPOX von den Ereignissen im Sommer 2008.
"Aber es gab auch einen positiven Aspekt: David blieb diszipliniert und setzte alles daran, so schnell wie möglich gesund zu werden. Spätestens da wussten wir, dass seine Verpflichtung richtig war."
Eine Saison benötigte Addy schließlich, um sich an den europäischen Ligabetrieb und an die dänischen Temperaturen zu gewöhnen. Doch nach dem von Randers eingeplanten Eingewöhnungsjahr gehört Addy zu den hoffnungsvollsten afrikanischen Talenten überhaupt.
Ghana sorgt für Furore
Bei der derzeit stattfindenden U-20-WM in Ägypten holte Addy, in Randers mittlerweile Stammspieler, mit der ghanaischen Nationalmannschaft den Titel. Der Linksverteidiger ist einer der Leistungsträger - auch wenn die Schlagzeilen dem überragenden Sturm-Duo Dominic Adiyiah und Ransford Osei gehören
Osei, zweitbester Torjäger der U-17-WM 2007, erzielte bereits vier Tore. Die Sensation ist jedoch sein Partner Adiyiah.
Vor dem Turnier ähnlich wie Addy nahezu unbekannt und mit dem norwegischen Fredrikstad ebenfalls bei einem skandinavischen Klub unter Vertrag, wurde er dank acht Toren in sieben Spielen zum wertvollsten Spieler der WM gewählt. Und das beim bedeutendsten Jugendturnier überhaupt - Welttitelkämpfe für die U-21-Junioren gibt es schließlich keine.
Wenn sich der dynamische Adiyiah nur ansatzweise bei den Senioren durchsetzt wie seine MVP-Vorgänger, die beiden Argentinier Kun Agüero und Lionel Messi, kann sich Fredrikstad auf einen kommenden Fußball-Star freuen - und auf eine millionenschwere Ablöse, sollte Adiyiahs wie zu erwarten zeitnah in eine der großen Ligen wechseln.
Adiyiah in Norwegen: kein Zufall
Dass mit Adiyiah und Addy zwei Entdeckungen der WM in Skandinavien spielen, mag ein Zufall sein. Oder aber: Es illustriert eine Entwicklung, die bereits seit mehreren Jahren in Gang ist - aber von der deutschen Öffentlichkeit fast gänzlich unbeachtet blieb.
Vor allem die norwegischen und dänischen Klubs haben seit Sommer 2004 ihre Politik modifiziert. Um dem umkämpften und kostenintensiven europäischen und südamerikanischen Transfermarkt teilweise zu entfliehen, intensivierten die Skandinavier das Scouting in Afrika, vor allem im Westen mit den Kern-Fußballnationen wie Ghana, Senegal, Kamerun und der Elfenbeinküste.
Die Früchte der Arbeit sind Adiyiah und Addy, aber auch John Obi Mikel, Chinedu Obasi, Mame Diouf oder Odenses Djiby Fall, der sich im März 2009 für stolze 4,7 Millionen Euro Lokomotive Moskau anschloss.
Lyn Oslo kassiert 15 Millionen
Sinnbildlich für den Umschwung steht Lyn Oslo. Seit 2004 verpflichtete der Verein sieben Nigerianer, allesamt 21 Jahre oder jünger, einige waren zum Zeitpunkt des Wechsels sogar minderjährig. Der nebulöse Transfer von Mikel zum FC Chelsea (siehe Infokasten links) sowie die Abgänge von Obasi (nach Hoffenheim) und Jude Ighalo (nach Udine) brachten Lyn geschätzte 15 Millionen Euro ein.
Eine ähnliche Philosophie verfolgt der dänische Verein Midtjylland. Billig in Afrika verpflichten, vorspielen lassen, teuer weiterveräußern. Eine Praktik, die von Menschenrechtsorganisationen und der Spielergewerkschaft FIFPro kritisiert wird, vor allem weil Midtjylland - entgegen der Richtlinien - auch Spieler unter 18 Jahren verpflichtet hat.
Anders als Lyn gelang es dem schwarzen Schaf des dänischen Fußballs jedoch nicht, einen Coup wie mit Mikel einzufädeln. Der lukrativste Verkauf war der Wechsel von Mittelfeldspieler Femi für 3,3 Millionen Euro nach Groningen.
Skandinavien besetzt Nische
Nichtsdestotrotz bleibt es dabei: Junge afrikanische Spieler stehen für eine gewisse fußballerische Qualität - und versprechen im Optimalfall mit die höchsten Renditen.
Norwegens Erstligist Molde etwa entdeckte im Senegal die beiden Offensivspieler Mame Biram Diouf sowie Namensvetter Pape Pate Diouf. Ersterer wurde in diesem Sommer für 4,5 Millionen Euro an Manchester United abgegeben und wieder zurück ausgeliehen. In Norwegen bilden die beiden Dioufs mit 23 Toren (14 und 9) den gefährlichsten Sturm der Liga - und das für einen Spottpreis.
Es benötigte zwar etwas Glück und Cleverness, so Randers-Direktor Nielsen, trotzdem haben sich Vereine aus Norwegen und Dänemark einen kleinen, aber wichtigen Wettbewerbsvorteil erarbeiten.
"Frankreich hat dank der Kolonialvergangenheit einen Vorsprung in Afrika, genauso die Premier League wegen der Sprache und der Präsenz der Liga. Zudem interessieren sich die Vereine aus dem Mittleren Osten für Afrika", erklärt Nielsen. "Aber wir haben einen Nischenmarkt erkannt und gleich besetzt."
Wo bleibt die Bundesliga?
Dass deutsche Vereine von wenigen Ausnahmen abgesehen (Hoffenheims Isaac Vorsah oder der nach Karlsruhe ausgeliehene Hamburger Macauley Chrisantus) den afrikanischen Markt fast völlig außer Acht lassen, hat laut Nielsen mehrere Gründe.
Einerseits sei die sportliche Integration schwer, da es in Deutschland nicht erlaubt ist, Nicht-EU-Bürger in den zweiten Mannschaften zum Einsatz kommen zu lassen.
"Andererseits fehlt den Vereinen die Geduld. Addy hat ein Jahr keine Rolle gespielt, jetzt steht er im U-20-WM-Finale. Das sagt doch alles", so Nielsen. Zudem sei die Bundesliga dafür bekannt, sich auf den osteuropäischen Markt zu konzentrieren.
Jens Todt: "Schlichte Unkenntnis der Märkte"
Der ehemalige deutsche Nationalspieler Jens Todt reiste eigens nach Ghana, Nigeria, Mali, Burkina Faso, Senegal und in die Elfenbeinküste, um die Grundfrage zu beantworten: Warum finden so wenige afrikanische Talente den direkten Weg in die Bundesliga?
Sein Fazit: "In Deutschland herrscht eine riesige Unsicherheit. Den Vereinen fällt es sehr schwer, die Zustände in den Ländern richtig einzuschätzen. Deswegen kaufen die Bundesligisten aus schlichter Unkenntnis der Märkte bevorzugt afrikanische Spieler, die sich in Europa schon einmal durchgesetzt haben." Auch auf die Gefahr hin, dass diese wesentlich kostspieliger sind.
"Eine langfristige Afrika-Strategie benötigt einen langen Atem und Hingabe. Bisher war kein deutscher Verein dazu bereit", sagt Todt im SPOX-Interview.
Lyn ein abschreckendes Beispiel?
Randers FC hingegen baute bereits früh ein großes Scouting-Netzwerk auf, knüpfte Verbindungen und spezialisierte sich auf den westafrikanischen Markt. Nielsen: "Wir waren einer der ersten Klubs, die damit angefangen haben. Es ist aber wesentlich schwieriger geworden, denn mittlerweile fährt fast jeder nach Afrika."
Dass der Weg mit afrikanischen Spielern nicht zwangsläufig der richtige Weg sein muss, beweist derzeit jedoch ausgerechnet Lyn Oslo. Drei Jahre nach Mikels Verkauf zum FC Chelsea rangiert der Verein auf dem letzten Tabellenplatz, mit zehn Punkten Rückstand auf den Vorletzten.
Dabei stehen drei Talente aus Nigeria und zwei Ivorer im Kader. Gelbfieber hat zwar keiner, ihre Qualifikation für die norwegische Liga haben sie trotzdem nur sporadisch unter Beweis gestellt.
Die norwegische Liga im Überblick: Alle Teams, alle Spieler