Seit zehn Jahren ist die Familie Glazer im Besitz von Manchester United. Das Entsetzen der Fans und einzelner Wirtschaftsgrößen war immens: Die US-Investoren verstünden nichts von Fußball und würden den Verein kommerziell ausbeuten, so die Befürchtung. Der Erfolg unter Alex Ferguson ließ einen Teil der Kritiker verstummen, doch trotz Millionen-Investitionen blieb der Erfolg danach aus. Nun könnten die Stimmen gegen die stummen Eigentümer wieder lauter werden.
12. Mai 2005. Trainer Sir Alex Ferguson bereitete sein Team auf das letzte Saisonspiel gegen Southampton und das FA-Cup-Finale gegen Arsenal vor. Der Morgen begann mit einer Hiobsbotschaft. Wunschkandidat John Obi Mikel sagte ab und heuerte stattdessen bei Chelsea an. Eine bittere Pille, ging United doch ein begehrtes Mittelfeld-Talente jener Zeit durch die Lappen.
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Was allerdings am Nachmittag zu erfahren war, musste selbst den stoisch wirkenden Ferguson aus den Angeln gerissen haben. Die amerikanische Investorenfamilie Glazer, mit gut 30 Prozent bereits Großaktionär bei den Red Devils, hatte weitere 27,9 Prozent der Pferdemagnaten J.P. McManus und John Magnier erworben. Möglicher Hintergrund für den plötzlichen Aktienverkauf war ein persönlicher Disput zwischen den Pferdezüchtern und Cheftrainer Ferguson. Die Zuchtrechte am Vollblut-Hengst Rock of Gibraltar waren unklar zwischen Magniers Frau und Ferguson geregelt.
"Glazer, see you in Hell"
Mit Glazer als Alleinherrscher - er bezahlte am 28. Juni die letzten Kleinaktionäre aus - war die Empörung bei den United-Fans groß. "Glazer, see you in Hell", fasste die Meinung eines nicht geringen Teils der Fangemeinde zusammen, der sich aus Wut über die Übernahme vor dem Old Trafford versammelte. Die Red Devils wünschten Malcolm Glazer und seinen Kindern die Hölle und klebten Sticker mit der Aufschrift "Hate Glazer, Love United" an die Laternenpfähle der Stadt.
Sie sahen die Identität und die wirtschaftliche Gesundheit des Klubs in Gefahr. Zu undurchsichtig schien der Finanzplan der US-amerikanischen Geschäftsleute, die seit den 1950er in eine Vielzahl von Branchen investiert hatte - darunter Ölgesellschaften, TV-Stationen, Lebensmittelfirmen sowie Aktien-und Bankunternehmen. Der Clan nahm bei dubiosen Geldgebern Kredite auf, um sich mit geschätzten 970 Millionen Euro einzukaufen. Rund 400 Millionen Euro Schulden wurden auf den Verein abgewälzt, unter den irischen Rennsport-Unternehmern war United schuldenfrei.
Protestklub und grün-goldene Schals
Im Zuge des "Glazer-Putches" (ESPN) gaben Fans ihre Jahrestickets ab und blieben beim Boykott weiter kreativ. Die enttäuschte Anhängerschaft gründete einen eigenen Verein. Der Zuspruch für den Protestklub war enorm. Gut 900 Bewerber spielten beim FC United of Manchester vor, 17 schafften es in die Auswahl. Der Klub stieg letzte Saison in die sechste Liga auf.
Klub-Ikone David Beckham zeigte sich solidarisch, indem er wie die Supporter beim Milan-Gastspiel im Old Trafford 2010 einen grün-goldenen Schal trug. Die Farben erinnerten an die Gründung des Vereins als Werksmannschaft der Lancashire and Yorkshire Railway im Jahre 1878.
Nicht nur ein Teil der Supporter und der Stars standen im Widerstand, auch die Führungsetage zeigte sich entzürnt. So mussten Vorsitzender Roy Gardner und Jim O'Neill ihre Posten räumen. Im Gegenzug installierte Oberhaupt Malcolm Glazer seine Söhne Avram, Bryan und Joel. United-CEO David Gill warnte bereits 2004 vor der Vorgehensweise der unliebsamen Eigentümer: "Schulden sind der Weg in den Ruin". Joel Glazer, Sohn des Vorstand Malcolm Glazers, entgegnete im Klubfernsehen MUTV nonchalant, dass viele Geschäftsmänner Schulden machen und kein Grund zur Sorge bestehe.
Der Kampf der roten Ritter
Sorgen machten sich ab 2010 vor allem bekannte Persönlichkeiten aus der britischen Wirtschaft, die sich zu den "Red Knights" zusammenschlossen. Der geschasste Banker Jim O'Neill (Chef der Goldman Sachs), Anwalt Mark Rawlinson und Richard Heytner (damaliger Präsident des Manchester United Supporters Trust, kurz MUST) kämpften gegen die Übernahme eines Großaktionärs. Rawlinson hatte schon eine Offerte von Rupert Murdochs BskyB 1998 erfolgreich abgewehrt.
Dieses Konsortium der roten Ritter setzte sich 2010 zum Ziel, die Glazer-Söhne - Vater Malcolm erlitt 2007 einen Schlaganfall - mit einem Millionenangebot vom Hof zu jagen. Sie verstünden nichts vom Fußball, sondern hegen nur wirtschaftliche Interessen, so die Begründung.
Neill und Co. nutzten ihre guten Kontakte zur bürgerlich-wohlhabenden Elite Manchesters, die zwei Drittel der von Glazer geforderten Summe stemmen sollte. Der Rest sollte durch Fundraising generiert werden. Ein Unterfangen, das später an den finanziellen Möglichkeiten scheiterte, weil sich Uniteds Marktwert in den Glazer-Jahren durch eine beispiellose Durchkommerzionalisierung und durch Alex Fergusons Erfolge zwischen 2007 und 2013 gesteigerte hatte.
Kommerz bis zur Schmerzgrenze
Vor allem die Geldgier der Glazer ist MUST ein Dorn im Auge. Der Vorsitzende Duncan Drasdo formulierte es drastisch: "Haben sie mehr Geld gegeben oder genommen? Sie haben mehr als eine Milliarde genommen. Kein Besitzer in der Geschichte des Fußballs hat einen Verein je so ausgelaugt. Zudem sind wir von ihren schlechten 20-Millionen-Transfers genervt."
Die Finanzgeschäfte hatten in der Tat eine Schattenseite: Besonders problematisch waren die Gerüchte um einen Veräußerung von United-Aktien auf dem südostasiatischen Markt 2011. Das Ziel: Die Erwirtschaftung weiterer 600 Millionen Euro. Als sich dort wenig tat, verschoben die Gebrüder Glazer durch ihre Holdings Red Football Limited Partnership und Red Football General Partner Inc. Aktien an die Wall Street. Der Verein ist offiziell auf den Kaiman-Inseln registriert. Das Finanzplus ging nicht in die Schuldentilgung, sondern in die Tasche der Unternehmer - ohne Körperschaftssteuer, versteht sich.
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Glazer erhöhte aber gleichzeitig den Marktwert: United verkaufte nicht nur alles - es gibt offizielle Wein-, Nudel- und Chips-Partner - sondern auch mehrfach: Zwölf verschiedene Mobilfunkfirmen in verschiedenen Regionen dürfen mit dem Klub werben. Zudem hatte es Vorgänger David Gill schon im April 2005 geschafft, die Namensrechte am Trainingsplatz in Carrington ("AON Training Complex") sowie Werbung auf der Trainingskleidung für knapp 22 Millionen Euro im Jahr zu verkaufen, danach folgten neue Deals mit Aeroflot, Apollo (Reifen aus Indien) und Federal Corporation (Reifen aus Taiwan).
Zuletzt sorgte der Wechsel zu Sportausrüster Adidas für einen finanziellen Höhepunkt. Über 100 Millionen Euro pro Jahr garantieren die Herzogenauracher über die nächsten 13 Jahre. Diese Saison steht United erneut an der Spitze der wertvollsten Fußballmarken - vor Bayern, Real und den Citizens.
Doch die Glazer fungieren nicht nur als Geldförderer, sie locken unbewusst auch anderen US-Investoren an. Seit ihrer Machtübernahme 2005 steckten Randy Lerner (Aston Villa, 2006-2014), Stan Kroenke (Arsenal) und John W. Henry (Liverpool) Geld in traditionsreiche Premier-League-Vereine.
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Glazers sind "echte Sportfans"
Der ehemalige Sprecher der Glazers widersprach dem Vorwurf, die Amerikaner wollen United ausbeuten. "Die Familie Glazer passt hervorragend zu einem geradlinigen Klub, der zugleich ein großes Prestige genießt, dabei aber Wert auf seine Privatsphäre legt", sagte Tehsin Nayani in seinem Buch "The Glazer Gatekeeper: Six Years' Speakingfor Manchester United's Silent Owners".
"Wenige haben die Familie wirklich kennen gelernt. Sie sind sensible und gemäßigte Geschäftsleute, echte Sportfans und keine zynischen, rücksichtslosen Opportunisten." Dies beweise das Engagement bei den Tampa Bay Buccaneers in der NFL. Acht Jahre nach dem Kauf gewannen die Bucs den Super-Bowl 2002, seitdem lief jedoch wenig zusammen.
Und auch Trainer-Legende Ferguson verstand sich angeblich prächtig mit der neuen Chefetage. "Keine Frage, ich finde die Besitzer exzellent. Sie haben mich 100 Prozent unterstützt. Ich hatte nie ein Problem mit ihnen und sie haben mir alles Geld zur Verfügung gestellt", so der heutige Vorstandsvorsitzende. Gerüchte wonach er sich bei den "Red Knights" beteiligte, schmetterte er als "absoluten Blödsinn" ab.
Fergusons Erfolg rettet die ungeliebten Geldgeber
Sir Alex wurde unfreiwillig zum einem Schutzpatron der Glazers. Die Erfolge ließen den Protest verstummen. Im goldenen Herbst der Ferguson-Ära gewann Manchester United fünf englische Meisterschaften und stieg damit zum Rekordchampion auf. Es folgten drei Ligapokale und die Krönung mit dem Champions-League Titel 2008 gegen Chelsea. Trotz des Verlusts von Cristiano Ronaldo 2009 nach Madrid, gepaart mit ausbleibenden Reinvestitionen in den Kader und dem verlorenem CL-Finale gegen den FC Barcelona 2011, blieb Manchester United die Nummer eins auf der Insel.
Mit dem Abschied der Trainer-Ikone nach 27 Jahren wendete sich das Blatt. Die Verpflichtung von David Moyes im Sommer 2013 vom FC Everton entpuppte sich als Fehlgriff. Teure Zugänge wie Juan Mata (Chelsea) und Marouane Fellaini (Everton) zündeten nicht und ManUtd verpasste erstmals seit 1995 das europäische Geschäft. Der unbeliebte, aber von Ferguson protegierte Schotte Moyes musste im April 2014 gehen, Spieler-Legende Ryan Giggs führte die Saison unaufgeregt zu Ende.
Joel und Avram Glazer waren zum Handeln gezwungen. Nach dem missglückten Experiment Moyes verpflichteten die Brüder Erfolgsgarant Louis van Gaal.
Kein Erfolg trotz teurer Shopping-Tour
Wie Moyes durfte auch der Niederländer mit knappen 200 Millionen Euro auf Shoppingtour gehen, um Lokalrivale ManCity sowie Arsenal, Chelsea und Liverpool wieder Beine zu machen. Es folgte der 75-Millionen-Deal mit Angel di Maria von Real Madrid. Der argentinische Vizeweltmeister konnte aber die hohen Erwartungen nicht immer erfüllen. Super-Talent Luke Shaw vom FC Southampton war meist verletzt, der ausgeliehene Radamel Falcao wurde zwischenzeitlich sogar zur zweiten Mannschaft abgeschoben und ist inzwischen zum FC Chelsea weiter gezogen. Dennoch verbesserte sich United auf Rang vier und kann im Sommer standesgemäß in die Königsklasse zurückkehren.
An Geld wird es abermals nicht fehlen. Mit Memphis Depay verstärkt einer der begehrtesten Jungspunde Europas den Kader zur neuen Saison. Der Offensivallrounder kam für 27,5 Millionen Euro vom PSV Eindhoven.
Funkstille zwischen Glazers und United-Fans
Den Fans wird es egal sein, wie viel Millionen das Glazer-Konto verlassen werden, für sie stehen der sportliche Erfolg und die Integrität des Klubs im Vordergrund. Viel entscheidender scheint es jedoch, eine Kommunikation zwischen den Eigentümern und den Fans aufzubauen.
"Es ist extrem wichtig, mit den Fans zu sprechen. Ich kann es nicht genug betonen, die Fans sind das Lebenselixier des Vereins. Die Leute wollen wissen, wo die Reise hingeht und werden das kommunizieren", hatte Joel Glazer vor zehn Jahren noch betont. Ein offenes Gespräch fand bisher nicht statt. Die Investoren operieren schweigsam im Hintergrund. Ein Novum ist das nicht, werden Fans von Paris St. Germain, Manchester City und 1860 München sagen. Solange der Erfolg anhält, ist das kein Problem. Wird die Königsklasse nicht erreicht, haben die Glazers keine guten Argumente für teure Tickets, undurchsichtiges Wirtschaften und fehlender Kommunikation. Manchester United befände sich dann wieder im Besitz des Feindes.
Manchester United im Überblick