Der FC Bayern baut im Norden Münchens ein neues Nachwuchszentrum. Der neue Komplex soll eine neue Ära im Jugendbereich der Münchener einleiten. Im SPOX-Interview erklärt U23-Trainer und Jugendleiter Heiko Vogel die Pläne des Rekordmeisters. Der 39-Jährige spricht auch über den nächsten David Alaba, Roger Federer als "Mentaltrainer" und die Trophäe Thomas Müller.
SPOX: Herr Vogel, wie fiel denn das erste Feedbackgespräch des sportlichen Leiters Heiko Vogel mit dem U23-Trainer Heiko Vogel aus? Ist er zufrieden mit dem Start?
Heiko Vogel: Die beiden haben sich noch gar nicht groß miteinander auseinandergesetzt. Sie haben sich relativ viel Freiraum gegeben. So eine Personalunion ist ja nie so ganz einfach: Ich spreche da lieber immer über das Ganze und daher nicht nur von der U23, sondern vom gesamten Junior Team und ich denke, dass uns der Start gut gelungen ist. Wir haben einige Stellschrauben, die sofort zu verstellen waren, angefasst. Wir haben Spieler hochgezogen, was sich jetzt schon bewährt hat. Aber da spricht der sportliche Leiter Heiko Vogel.
SPOX: Was sagt er zum Trainer, der in zehn Spielen sieben Siege und zwei Remis geholt hat?
Vogel: Das lässt er ihm durchgehen. (lacht) Nein, der Trainer hatte einen holprigen Start, weil Spiele verlegt worden sind. Wir sind mit zwei Unentschieden gestartet, haben aber dann in die Spur gefunden. Es ist aber noch in allen Bereichen Luft nach oben und vor allem viel Arbeit.
SPOX: Gerade im Juniorenbereich heißt es, nicht immer nur an Ergebnissen zu messen. Der FC Bayern will mit der U23 aber mit aller Macht in die 3. Liga. Wie kriegen Sie das unter einen Hut?
Vogel: Das ist gar nicht so schwierig. Häufig werden diese Ziele nebeneinander gestellt, ich sehe sie aber miteinander. Wir sollten definitiv in die 3. Liga aufsteigen, aber das geht nicht ohne Entwicklung der Spieler. Umgekehrt ist es aber vielleicht möglich, trotz einer guten Entwicklung, den Aufstieg zu verpassen. Denn selbst wenn man die Liga gegen ein immens starkes Jahn Regensburg gewinnt, gibt es immer noch die Relegation und was da passieren kann, hat man in der Vergangenheit erlebt.
SPOX: Im Juniorenbereich gibt es in der Regel für jede Altersgruppe eine Art Lehrplan, in der eine bestimmte Gewichtung in der Ausbildung grob definiert wird. Müssen Sie den U23-Spielern des FC Bayern vor allem das unbedingte Siegen beibringen?
Vogel: Siegen lernen muss hier niemand. Viele Jungs sind schon sehr lange im Verein. Wenn man den FC Bayern als Spieler oder Trainer über die Jahre erlebt, wird es einfach erwartet, dass man gewinnt. Die Mentalität des Klubs erlaubt keine Aussetzer und an der Mentalität kann man jeden Tag arbeiten. Was am Ende herauskommt, ist die viel zitierte Siegermentalität des FC Bayern.
SPOX: Welche Rolle nehmen Sie als Trainer bei der Entwicklung eines Youngsters zum "Mia san Mia"-Aspiranten ein?
Vogel: Wir können steuern, welche Mittel wir einsetzen, um zu gewinnen. Auch ob wir alles daran setzen, um zu gewinnen oder auch mal sagen: Nein, jetzt nicht. Da komme ich auf Ihre Eingangsfrage zurück: Vielleicht setzen wir an der einen oder anderen Stelle auch mal auf die Entwicklung und lassen einen Sieg passieren.
SPOX: Sie wurden vom U19-Trainer zum U23-Trainer befördert. Sie forderten mehr Kompetenzen ein und bekamen die Leiter-Rolle dazu. Wie viel mehr Arbeit ist es nun für Sie?
Vogel: Ich habe mir darüber noch nie Gedanken gemacht, weil mich der Fußball permanent begleitet. Ideen, Konzepte, Gedankenblitze - das kann ich nicht beeinflussen, die sind einfach da. Habe ich eine Idee, schreibe ich sie sofort auf, auch wenn ich da gerade beim Essen bin. Aber das hat damit nichts zu tun, ob ich eine Doppelfunktion habe oder nicht: Das war vorher genauso. Diesen positiven Fanatismus muss man einfach haben. Was anders als früher ist: Ich nehme mir jetzt bewusster Auszeiten, um Abstand zu gewinnen.
SPOX: Was machen Sie dann?
Vogel: Der Fußball wird ersetzt. Das ist die Auszeit. Mal durch Tischtennis oder Mountainbike-Fahren. Aber das Spiel an sich bleibt immer in zentraler Rolle: Ich spiele gern. Auch Brettspiele.
SPOX: Welche spielen Sie am liebsten?
spoxVogel: Spiele, bei denen der Glücksfaktor nicht ganz oben steht. Also von Schach bis Risiko alles. Siedler von Catan haben wir früher bis zum Umfallen gespielt und jetzt wieder belebt.
SPOX: Bei Siedler von Catan muss eine Strategie entwickelt werden. Da sind Sie ja schon wieder beim Job.
Vogel: Ja, da probiere ich, ob es funktionieren würde. (lacht)
SPOX: Strategisches Denken ist ein wichtiger Bestandteil Ihrer neuen Rolle, zumal Sie auch mehr Kompetenzen beim FC Bayern eingefordert haben. Wie sieht denn Ihr Einfluss nun aus?
Vogel: Dieser konzentriert sich vorwiegend auf sportliche Inhalte. Dabei geht es nicht um Vorgaben von Trainingsinhalten. Der sportliche Leiter Heiko Vogel wird einem U15-, U16-, U17-Trainer niemals vorschreiben, was er zu machen hat: weder bei der Aufstellung, noch im Training. Aber ich möchte meinen Einfluss dahingehend geltend machen, dass ich moderieren kann. Ich glaube, dass ich durch Überzeugung alle mit ins Boot hole. Daraus resultiert ein Wir. Wenn wir nicht gleich, aber einheitlich denken, dann haben wir viel gewonnen. Das ist der eine Bereich...
SPOX: ...und der andere?
Vogel: Es geht auch darum, Bindeglied zu den Profis zu sein, zumal sie speziell trainieren. Hier geht es darum, dieses Spezielle auf unsere Jugendarbeit zu transformieren. Es geht auch darum, Einfluss auf die Spieler zu haben, die gefördert werden. Schon bei der Frage, wer gefördert wird.
SPOX: Wer die U23 spielen sieht, erkennt die taktische Variationen beziehungsweise Muster der Profis: Mal spielt sie in der Dreierkette, mal Viererkette, aber diese dann auch sehr flexibel. Sehen Sie sich gefordert, die Spielidee der Profis früh zu injizieren?
Vogel: Es ist wichtig zu wissen, wie eine Mannschaft, die das Trikot des FC Bayern trägt, zum Erfolg kommen will. Natürlich hängt das auch immer von der Qualität der Gegner ab: Betrachtet man die U19- oder U17-Bundesligen, aber auch die Regionalliga, hat man da Schwergewichte zu schlagen. Die Spielidee sollte dennoch immer klar ersichtlich sein. Es geht dabei aber nicht primär um Dinge wie Gegenpressing: Das ist für mich die Basis, das muss nach Ballverlust einfach passieren. Es geht darum, wie man es organisiert. Der Erfolg des Gegenpressings hängt davon ab, wie ich meinen Ballbesitz organisiere. Da gibt es wichtige Nuancen, die definieren: Das ist Bayern München, das sieht mehr nach Borussia Dortmund aus, das könnte Hoffenheim oder Leipzig sein.
SPOX: Was machen Sie konkret, um beim "Bayern-Weg" zu bleiben und nicht zum Beispiel in den Leipziger Stil abzudriften?
Vogel: Wir haben eine klare Vorstellung, die wir unserer Mannschaft vermitteln wollen. Auch im Hinblick auf den Pool der Spieler, die für die Profis in Frage kommen, gleiche ich inhaltlich Trainingspläne an, damit der Sprung nach oben von den Inhalten ein relativer kleiner ist. Von der Qualität ist er ohnehin groß genug.
SPOX: Matthias Sammer ist der Sportvorstand, Wolfgang Dremmler ist der Abteilungsleiter, Sebastian Dremmler leitet den Spielbetrieb. Sie sind von der U23 bis zur U17 in der Verantwortung, Michael Tarnat und Timon Pauls bei den Altersstufen darunter. Es gibt den Cheftrainer, Hermann Gerland und natürlich Uli Hoeneß, der sich den Nachwuchsbereich auf die Fahne geschrieben hat. Provokant gefragt: Blicken Sie da durch?
Vogel: Das Organigramm spielt bei uns keine Rolle. Damit kann ich etwas wunderbar formulieren, aber entscheidend ist, wie die Personen in einem Organigramm miteinander können und das ist bei uns top. Wir haben einen fließenden Austausch, die Kommunikation steht. Es gibt natürlich im Zusammenleben mit Menschen immer Eitelkeiten, es darf bei uns auch kontrovers diskutiert werden, aber wichtig ist, dass es immer offen und straight bleibt. Wo ich bei diesem Konstrukt stehe, ist nicht das Allerwichtigste.
SPOX: Sie sind mit der Beförderung zur U23 näher an die Profis gerückt. Wie sind die Drähte zu Pep Guardiola?
Vogel: Da ich auch mal in seiner Position war und weiß, wie viel Stress man da hat und wie wenig Zeit zur Verfügung steht, tue ich mein Bestes, um ihn zu unterstützen. Der Austausch ist da, aber der funktioniert federführend über Hermann Gerland. Er ist für mich das wichtigste Bindeglied zwischen Jugendabteilung und Profis. Man muss da aber auch Domenec Torrent herausstellen. Er ist sensationell. Pep hat hervorragendes Personal nach München mitgebracht.
SPOX: Pep war selbst lange Zeit Jugendtrainer. Hören Sie diesen bei ihm manchmal noch raus oder ist er komplett auf die Profis fokussiert?
Vogel: Ich glaube, dass das gar nicht so relevant ist. Er denkt 24 Stunden am Tag über Fußball nach, er ist unfassbar akribisch und immer auf Suche nach Lösungen. Das ist faszinierend.
SPOX: Macht das nicht den FC Bayern aus? Immer nach Lösungen zu suchen? Idealerweise nach schnellen Lösungen...
Vogel: Wenn man das Rad immer in Bewegung hält, kommt man nie zum Stillstand. Und Stillstand wird immer bestraft. Losgelöst vom Fußball und vom FC Bayern: Das ist die Triebfeder jeden Erfolgs.
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SPOX: Ihr Erfolg lässt sich für die Öffentlichkeit daran messen, dass Sie zum einen Ergebnisse liefern und zum anderen Spieler fördern, die es zu den Profis schaffen. Sagen Sie etwa im Fall Fabian Benko, dass er eine Granate ist und eine Chance bei den Profis verdient oder wissen Guardiola, Gerland und Co. schon längst das, was Sie wissen?
Vogel: Im Fall von Fabian war es so, dass ich gesagt habe: ‚Tiger, schaut euch den mal persönlich an. Der hat Dinge drauf, die machen Freude!' Und dann ist es einfach positiv, dass Pep keine Rücksicht auf das Alter nimmt: Das kann auch mal ein 15- oder 16-Jähriger sein. Er sagt dann: 'Bring mir den!' Das Schönste ist, wie auch bei Fabian Benko geschehen, dass man über so einen Spieler dann auch immer einheitlich denkt.
SPOX: Man lechzt nach dem nächsten Bayern-Talent, das den Durchmarsch nach oben schafft. David Alaba war der Letzte, der sich wirklich oben durchgesetzt hat, wobei dieser wohl einige Alleinstellungsmerkmale hatte. Dennoch: Ist Benko der Nächste?
Vogel: Man muss auch immer die Position berücksichtigen. Fabian ist ein Offensivspieler mit einem sehr sensiblen und feinen Fuß. Ich denke, dass es mehr Zeit braucht, sich auf einer offensiven Position oben zu etablieren als vielleicht als Linksverteidiger oder Rechtsverteidiger. Sie haben aber richtig gesagt: Alaba, aber auch Philipp Lahm, sind herausragende Talente auf der Welt. Fabian hat hervorragende Anlagen, aber es muss noch Vieles dazukommen, damit er diesen Schritt schaffen kann. Die Vision ist auf jeden Fall da.
SPOX: Ich versetze mich in die Lage eines Junioren-Spielers. Ich will Erfolg mit der Mannschaft, aber ich möchte vor allem selbst nach oben kommen. Das ist auch sicher für Sie immer wieder eine gern genommene Motivationsspritze. Gehen die Argumente aber dann aus, wenn Sinan Kurt, Julian Green und Gianluca Gaudino zurückgestuft werden?
Vogel: Was diese Talente verbindet, ist ihre Liebe zum Fußball. Sie differenzieren das schon im Kopf. Ich denke nicht, dass es eine Degradierung war, sondern eine andere Möglichkeit, ihnen die Chance zu geben, sich zu zeigen. Es gibt kein Talent ohne Mannschaft. Sie wissen alle, dass sie auch als herausragendes Talent in einer nicht funktionierenden Mannschaft scheitern können. Der Reifeprozess beinhaltet auch, das zu begreifen.
SPOX: Sinan Kurt ist ein Rohdiamant, ein genialer Spieler. Aber hat er auch die mentale Reife, um das so klar zu analysieren?
Vogel: Das Schöne an meiner Arbeit ist, dass ich mit tollen, ambitionierten und talentierten Fußballern arbeite, die sich von vielen anderen unterscheiden, aber auf der anderen Seite noch den Feinschliff brauchen. Ganz oben muss man dafür sorgen, dass alles passt, dass sich das Rad dreht, aber ich habe in meiner Rolle eine andere Sicht und nehme die Entwicklung deutlich mehr wahr. Deswegen verliere ich auch nie den Glauben, dass die großen Talente es bei uns auch schaffen.
SPOX: Es hilft sicher nicht weiter, wenn sich Maurizio Gaudino öffentlich darüber echauffiert, dass sein Sohn zur U23 muss...
Vogel: Das sind Dinge, die ich nicht beeinflussen kann. Das ist die Sache von Familie und Berater und nicht meine. Ich nehme Gianni wahr. Er ist derjenige, der mich interessiert. Wenn ich sehe, mit welcher Freude er im Training mit dem Ball umgeht, dann ist es das, was für mich zählt. Sobald er das zeigt, mache ich mir keine Sorgen um ihn.
SPOX: Noch trainieren Gaudino, Kurt und alle anderen Jugendspieler auf den Nebenplätzen der Säbener Straße. 2017 zieht dann der komplette Nachwuchs in das eigene Zentrum im Münchener Norden. Ist es zu romantisch gedacht, dass der Blick eines jungen Burschen rüber zu den Profis dadurch verloren geht?
Vogel: Das Romantische hat was. Das hat in der Tat einen tollen Flair, wenn alle zusammen sind, aber leider Gottes hat sich der aktuelle Fußball so weiterentwickelt, dass wir infrastrukturell reagieren müssen. Wir brauchen einfach mehr Platz, um unsere jungen Talente optimal zu fördern. Das ist an der Säbener Straße möglich, aber nicht in dem Ausmaß, in dem wir es gerne hätten.
SPOX: Kann der Bau allein die Nachwuchsförderung des FC Bayern verbessern, weil man mehr Platz hat?
Vogel: Es ist ein Impuls und sollte einen Antrieb geben, aber der Bau allein entwickelt keinen jungen Spieler. Entscheidend ist, was wir daraus machen, mit welchen Inhalten wir das angehen.
SPOX: Im Herrenbereich gehört der FC Bayern zur Weltelite. Im Nachwuchsbereich hinkt man der internationalen Konkurrenz hinterher. Ist das der größte Antrieb, den Anschluss herzustellen?
Vogel: Ich sehe das anders. Ich erinnere gerne daran, dass 2014 die Jugendarbeit des FC Bayern entscheidenden Einfluss auf den Weltmeister-Titel hatte. Das sollte man auch mal erwähnen dürfen. Fakt ist aber auch, dass die letzten Jahre nicht das gebracht haben, was die Erwartung intern und extern gewesen ist. Ich meine da auch nicht unbedingt die fehlenden Titel, sondern die Spieler, die es nach oben geschafft haben. Thomas Müller ist ein riesen Titel. Thomas Müller als Trophäe ist mir wichtiger als der Gewinn der Youth League.
SPOX: Man kann dem aber entgegnen, dass Thomas Müller sein Profidebüt schon 2008 gegeben hat. Danach ist nicht mehr viel gekommen.
Vogel: Ja. Mir ist natürlich bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit höher sein kann, dass ein neuer Müller rausspringt, wenn man die Youth League gewinnt. Philipp Lahm war A-Jugend-Meister, Toni Kroos und Holger Badstuber standen im Endspiel.
SPOX: Sie werden im neuen Nachwuchsleistungszentrum mehr Platz haben, auch im Internat. Wird der FC Bayern offensiver bei Jugendtransfers oder bleibt man bei der Absicht, vorwiegend Spielern aus der Umgebung eine Chance zu geben?
Vogel: Es ist ganz klar, dass wir finanziell mehr in qualitativ hochwertige Spieler investieren wollen. Es muss aber alles im sinnvollen Rahmen stattfinden. Der FC Bayern will sicher nicht den Weg der englischen Klubs gehen, die nicht wissen, wohin sie das viele Geld stecken sollen und inflationäre Ablösesummen für Talente zahlen, die es letztendlich doch nicht schaffen.
SPOX: Die Basis soll aber dennoch das Talent aus der Umgebung sein, oder? Und wenn ein Martin Ödegaard auftaucht, bemüht man sich um ihn?
Vogel: Richtig. Oder eben auch ein Toni Kroos, der damals aus Rostock geholt wurde. Oder wie jetzt Timothy Tillman. Wir verstärken uns lieber punktuell, anstatt jedes Jahr zehn Spieler zu holen, weil die Wahrscheinlichkeit einfach nicht hoch ist, dass es jedes Jahr so viele Talente schaffen.
SPOX: Klubs wie Barcelona, Stichwort La Masia, aber auch Manchester United haben Wiedererkennungsmerkmale in ihrer Jugendarbeit. Für was soll der FC Bayern künftig stehen?
Vogel: Wir können es uns gar nicht aussuchen, wie wir sein wollen. Wir müssen Erfolg haben und dem gerecht werden, was von uns erwartet wird. Das ist eine wunderschöne Verantwortung, eine tolle Aufgabe, aber eben auch eine schwierige. Wir können und wollen beim FC Bayern kein Mittelmaß vertreten. Es geht darum, elitär zu sein und die Weltspitze anzugreifen. Und mit unserem "mia san mia" sind wir identifikationsstiftend, wenn wir unsere jungen Talente nach oben bringen.
SPOX: Auch die nationale Konkurrenz schläft nicht. Stuttgart, Wolfsburg, jetzt auch Leipzig. Überall wird erfolgreich gearbeitet. Wie sieht Ihr Struktur-Scouting aus?
Vogel: Wir brauchen einen sehr großen Tellerrand. Die Impulse hole ich mir überall her - nicht nur aus dem Fußball. Über meinen Co-Trainer bin ich an das Buch "Die Psychologie des Überzeugens" gekommen. Das kommt aus der Wirtschaft. Da gibt es ja auch Dinge, die wichtig sind: Wie nimmt man Menschen mit, wie baut man etwas auf? Auch im Basketball oder im American Football gibt es super Ansätze, die nicht eins zu eins umzusetzen sind, aber als Idee adaptiert werden können. Das Scouting endet nicht in Deutschland und nicht beim Fußball.
SPOX: Jürgen Klinsmann wurde damals belächelt, als er Bernhard Peters aus dem Hockey zum Fußball holte. Inzwischen ist Peters ein fester Bestandteil der Bundesliga.
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Vogel: Ja, absolut. Man darf nicht so borniert sein zu sagen, der Fußball hat seine eigenen Gesetze und ich lasse von außen nichts zu. Dann sind wir wieder beim Thema Stillstand und sie werden überholt. Wenn die Spanier auf Nationalmannschafts- und Klubebene erfolgreich sind, haben sie was verändert. Etwas, das vorher nicht da war. Dann schaut man schon hin. Warum ist ein Roger Federer so erfolgreich? Vielleicht kann man da ja gewisse Parallelen entdecken mit erfolgreichen Sportlern wie Philipp Lahm, Thomas Müller oder Michael Jordan? Wenn man in die Materie eintaucht, dann kommt es häufig zu Aussagen, die sich decken, weil sie sinngemäß auch von anderen getroffen wurden.
SPOX: Würden Sie einem Ihrer jungen Spieler die Biografie von Roger Federer in die Hand geben, wenn Sie das Gefühl hätten, dass sie ihn weiterbringen könnte?
Vogel: Wenn ich der Meinung wäre, dass das eine Möglichkeit ist, seinen Horizont zu erweitern, würde ich das machen. Das ist eine Art von Mentalitätsbildung. Vielleicht sagt sich der Spieler hinterher: ‚Oh, das habe ich so gar nicht gesehen.' Aber es muss Sinn ergeben: Wenn ich der Meinung bin, dass das Zeitverschwendung ist, muss ich einen anderen Weg finden, an seine Mentalität ranzukommen.
SPOX: Sind die Spieler der heutigen Generation für derartige Impulse empfänglicher als früher?
Vogel: Die Welt hat sich verändert. Die Jugendlichen von heute sind in einem ganz anderen Kontext groß geworden als vor 20 Jahren. Ich habe 1996 beim FC Bayern angefangen, da kamen die ersten Handys auf den Markt. Riesenteile! Jetzt sind sie, was die Technik angeht, hoch überlegen. Was schon mal gedacht ist, kann ich nicht zurücknehmen. Und genauso muss ich die Jugend behandeln. Das Schöne ist, dass die Jugend offen für Information ist. Sie will verstehen, warum etwas gemacht wird. Früher wurde gesagt: 'Du machst es, weil...' Heute wollen sie den Hintergrund erfahren, weil sie wissbegieriger sind. Das finde ich wunderbar anspruchsvoll.
SPOX: Es bleibt manchmal nicht nur dabei, nach dem Grund zu fragen. Dennis Schröder hat bei der Basketball-EM seinen Trainer Chris Fleming öffentlich kritisiert, weil dieser foulen ließ, anstatt - wie von Schröder gefordert - der Defense zu trauen.
Vogel: Und Dirk Nowitzki hat dazu gesagt: 'In der NBA wird das nicht so gemacht, aber in der Europa ist das Gang und Gäbe.'
SPOX: Wollen Sie so mündige Spieler wie Dennis Schröder?
Vogel: Ich forciere sie immer. Ich kann als Trainer nicht alle Situationen richtig begreifen und bin auf mündige Spieler angewiesen, die sagen: 'Hey, hier bin ich und regle das jetzt im Sinne der Mannschaft!' Ich als Trainer kann Ratschläge erteilen. Auf dem Platz bin ich aber darauf angewiesen, dass meine Spieler selbstbewusst genug sind, das Richtige zu machen. Natürlich würde ich am nächsten Tag in der Zeitung nicht lesen wollen, was ich falsch gemacht habe. Aber unter vier Augen jederzeit.
SPOX: Man hört bei Ihnen die Begeisterung für den Sport heraus. Wenn in der Ingolstädter Straße irgendwann der Komplex steht, kann es dann sein, dass Sie das Ganze nur aus der administrativen Perspektive betrachten oder soll der Trainerjob immer ein Part Ihrer Arbeit bleiben?
Vogel: Darüber habe ich mir noch überhaupt keine Gedanken gemacht. Ich lebe im Jetzt und versuche das, was in der Vergangenheit war, in die Zukunft mitzunehmen. Die Aufgabe, so wie sie jetzt ist, macht mir Spaß. Wenn ich eine Anekdote von einem Spieler aus der U17 erzählen darf...
SPOX: Sehr gerne...
Vogel: Er hat einen Fehler gemacht, danach war sein Spiel ungewohnt fehlerbehaftet. Ich habe ihn gefragt: 'Was war da los?' Er hat gesagt: 'Nach dem Fehler war ich unsicher.' Ich habe erneut gefragt: 'Was ist passiert?' Er gab die gleiche Antwort. 'Aber das Ergebnis war doch das selbe, oder? Hast du ein Eigentor geschossen? Nein! Es ist doch nichts passiert.' Er hat das bejaht und war glücklich. Das zeigt, wie mein Tagesablauf so aussieht. Es ist sehr spannend.
SPOX: Sie haben sehr offen mit dem jungen Spieler gesprochen. Louis van Gaal hat mal gesagt, dass die Einschätzungen seiner Spieler zu bestimmten Situationen wenig bringen, weil sie es in der Theorie eh nie so gut verstehen würden. Mit Ausnahme von Thomas Müller, sagte er. Wie sehen Sie das?
Vogel: Ich weiß nicht, in welchem Kontext Louis van Gaal das gesagt hat, aber das wäre für die Spielerzunft ja ein Armutszeugnis, wenn es so wäre. Verhaltensänderung heißt Lernen. Und Lernen heißt, dass man etwas macht, was man vorher nicht gemacht hat oder ich unterlasse etwas, was ich vorher gemacht habe. Stichwort: Heiße Herdplatte. Ich glaube, dass dieser Effekt in beide Richtungen größer ist, wenn die Spieler wissen, warum auch etwas passiert. Ein Beispiel...
SPOX: Gerne.
Vogel: Der Spieler zeigt in Situation A Reaktion B. Ich lobe ihn daraufhin. Zwei Minuten später kommt Situation A wieder, er macht wieder B. Diesmal sage ich nichts. Drei Minuten später kommt wieder Situation A und er macht diesmal C. Warum hat er beim zweiten Mal B gemacht? Nur weil ich ihn gelobt habe. Ich will, dass er es versteht. Dann ist es auch eine Waffe. Ich will Zufälle minimieren und das geht, indem ich Verständnis erzeuge.
SPOX: Herr Vogel, Ihre Jungs wollen alle irgendwann Bayern-Profi werden...
Vogel: Alles klar, Frage verstanden. Nochmal: Ich lebe im Jetzt. (lacht)
SPOX: Ich wollte die Frage so formulieren, dass es überraschend wäre, wenn Sie als Kind des Klubs nicht irgendwann den wichtigsten Trainerposten haben wollen würden...
Vogel: Es kommt immer auf die Situation an. Ich bin Angestellter des Vereins und die Verantwortlichen wissen bestens, wie sie mich einsetzen. Ich bin total happy.
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