Heribert Bruchhagen arbeitet seit Dezember 2003 bei Eintracht Frankfurt. Im Interview spricht der 63-Jährige über die vergangenen Monate seit dem Abstieg, das Engagement von Chrstoph Daum, die Causa Michael Ballack und das Thema Ultra-Kultur.
SPOX: Herr Bruchhagen, stimmt es eigentlich, dass Sie weiterhin keines dieser neuartigen Handys besitzen?
Heribert Bruchhagen: Ich habe noch das alte Nokia-Handy aus HSV-Zeiten. Das habe ich immer in der Tasche. Ich nenne mittlerweile aber auch ein "iPhone" mein Eigen, um mich über Sportergebnisse oder die neuesten Blitzer zu informieren.
SPOX: Was halten Sie denn von "Facebook" oder "Twitter"?
Bruchhagen: Das scheint für manche ja durchaus sinnvoll zu sein. Mir wäre es in der Vergangenheit lieber gewesen, wenn beispielsweise Maik Franz lieber zusätzlich Defensivkopfbälle geübt hätte statt viele Stunden zu twittern und Journalistengespräche zu führen.
SPOX: Wie beobachten Sie das immense Wachstum des Internets?
Bruchhagen: Das Internet ist für mich natürlich auch eine enorme Hilfe, gerade was Korrespondenz oder das Zeitmanagement angeht. Was sich dort jedoch nachts an psychosomatischen Schicksalen abspielt, ist ein anderes Thema. Die Flucht in die paranoide Anonymität ist sicherlich etwas Problematisches.
SPOX: Inwiefern war es denn für Sie problematisch, nach acht Jahren wieder einen sportlichen Leiter an Ihrer Seite zu haben? Unterscheidet sich Ihre tägliche Arbeit mit Bruno Hübner als Sportdirektor an Ihrer Seite im Vergleich zu den Jahren zuvor?
Bruchhagen: Am heutigen Tag beispielsweise entscheidend. Heute Morgen hatte ich noch zwei Besprechungen mit Armin Veh und Bruno Hübner und jetzt sitze ich hier und kann mit Ihnen sprechen. Wenn ich noch die Managerfunktion inne hätte, würde das in der Reihenfolge nicht klappen. Zeitlich gesehen ist es eine große Hilfe, wenn man all die Berater-Gespräche oder organisatorischen Dinge an Bruno delegiert hat. Das schaufelt mich für andere wichtige Termine frei. Ich kann mich nun intensiver ums Marketing kümmern, auch für die innerbetriebliche Geschäftsführung ist der Spielraum größer geworden.
SPOX: Seitdem halten Sie sich noch mehr im Hintergrund auf als früher. Haben Sie daran auch einen Gefallen gefunden?
Bruchhagen: Es gibt viele Dinge, die mir an der neuen Rolle gefallen. Ich muss mit 63 Jahren ja auch nicht mehr jedes Wochenende in den Mannschaftsbus steigen. Wobei ich sagen muss, dass die Grundsatzentscheidung dazu nach dem Abstieg nicht von mir, sondern vom Aufsichtsrat kam. Ein bisschen mehr Zeit hat man jetzt aber schon.
SPOX: Ihre Familie wird sich darüber sicherlich freuen.
Bruchhagen: Bestimmt. Niemand hat mich gezwungen, im Fußballgeschäft tätig zu werden. Ich hätte ja aber auch zum Finanzamt gehen können, habe mich jedoch für den Fußball entschieden. Ich habe meine Frau mit 15 kennen gelernt, daher habe ich natürlich auch den Anspruch, genug Zeit mit ihr zu verbringen. Ich wundere mich aber immer, wenn das jemand reklamiert. Wer im Fußball tätig ist, hat keinen Anspruch auf ein großartiges Privatleben.
spoxSPOX: Hatten Sie nach dem Abstieg nicht auch einmal den Gedanken, alles hinzuschmeißen?
Bruchhagen: Nein. Es war mein Ehrgeiz, diesen überraschenden Abstieg verantwortlich wieder zu reparieren. Darum habe ich mich auch bemüht. Es hätte natürlich sein können, dass der Aufsichtsrat beschließt, Personal auszutauschen. Das wäre auch völlig legitim gewesen.
SPOX: Mittlerweile sind über acht Monate vergangen. Haben Sie das bisher überhaupt verdauen können? Die 2. Liga startete ja recht früh in die neue Saison.
Bruchhagen: Ich hatte ja überhaupt keine Zeit, das alles sacken zu lassen. Die Fragestellung 'Warum, wieso, weshalb" steht ständig noch im Raum. Als wir abgestiegen sind, musste ich nach der Aufsichtsratssitzung innerhalb von drei Tagen einen Manager einstellen. Dann musste ich mit dem Manager zusammen einen Trainer einstellen. Dazu ist die Hälfte der Spieler gegangen und es kamen neue. Und eine Woche später war schon wieder Trainingsauftakt.
SPOX: Ist es Ihnen zu negativ formuliert, wenn man sagt, dass durch die sportliche Talfahrt zwischen Januar und Mai 2011 alles vernichtet worden ist, was sich der Verein und damit auch Sie sich über die Jahre mühsam aufgebaut haben?
Bruchhagen: Vernichtet worden ist nichts. Wir sind völlig unerwartet sportlich abgestiegen und haben nicht damit gerechnet, dass es zu einem solchen Rückschlag kommen kann. Die Mannschaft war sehr gefestigt. Wir sind mit Spielern abgestiegen, die schon seit fünf, sechs Jahren bei uns waren. Halil Altintop hat in 41 Spielen in Folge nicht getroffen. Die Verunsicherung durchzog den gesamten Verein, von der Mannschaft über den Trainer bis zum Vorstand. Im Nachhinein ist die Eigendynamik des Misserfolgs sehr schwer zu analysieren.
SPOX: In unserem letzten Interview sagten Sie, Funktionäre würden die größten Fehler in der Euphorie und in der Depression begehen. Stimmen Sie zu, dass das mit der Verpflichtung von Christoph Daum nun auch auf Sie zutrifft?
Bruchhagen: Das ist hypothetisch. Die Motive, weshalb wir Christoph Daum ausgewählt haben, zählen immer noch. Ich kann ihm in keinster Weise irgendeinen Vorwurf machen. Er hat sich dieser Aufgabe mit großer Akribie, mit Leidenschaft und voller Konzentration gestellt.
SPOX: Wie weit sind Sie denn in der Analyse, warum es dann trotzdem nicht geklappt hat?
Bruchhagen: Ich habe dazu nicht die journalistische Gabe.
SPOX: Brauchen Sie die dazu?
Bruchhagen: Ein Journalist hat die Gabe, die Dinge benennen zu können. Bei mir ist es immer sehr hypothetisch. Ich bin mir in meinen Einschätzungen nicht so sicher.
SPOX: Können Sie sagen, wie zumindest Ihre Gedankengänge dabei aussehen?
Bruchhagen: Ich frage mich, ob ich eine Brandrede vor der Mannschaft hätte halten müssen. Das habe ich aber noch nie getan, um die Autorität des Trainers nicht zu untergraben. Hätte ich den Trainer eher entlassen müssen? Hätte ich die Nachverpflichtung von Altintop und Theofanis Gekas für drei Millionen Euro, die Michael Skibbe eingefordert hat, um den nächsten Schritt und damit Platz sechs zu erreichen, ablehnen müssen? Das sind alles Fragestellungen, die man nur sehr schwer beantworten kann. Ich gehe an solche Problemstellungen dialektisch heran. Der Journalist kann montags analysieren und schreiben, wie es gewesen ist oder hätte sein sollen. Das ist ein großer Vorteil.
Seite 2: Bruchhagen über Daum, Ballack und die Ultra-Bewegung
SPOX: Für Sie war es ja recht ungewöhnlich, mitten in der Saison einen neuen Trainer zu verpflichten. Wie kamen Sie denn auf die Idee mit Daum?
Bruchhagen: Ich hatte festgestellt, dass das Selbstbewusstsein nicht besonders ausgeprägt war. Zehn unserer Spieler haben in den vier, fünf Jahren zuvor ja immer Platz neun bis zwölf in der Bundesliga belegt. Ich dachte, dass Christoph Daum geeignet ist, das fehlende Selbstbewusstsein und die Deprimiertheit um die Mannschaft herum zu lösen.
SPOX: War es schwer, ihn von dieser Aufgabe zu überzeugen?
Bruchhagen: Ich habe vehement auf ihn eingeredet und ihm das feste Versprechen gegeben, dass wir nicht absteigen. Es musste ja schnell gehen. Zwei Stunden später hat er zugesagt. Im Nachhinein ist mir das ihm gegenüber schon ein bisschen peinlich. Er hat auch Schaden genommen. Das tut mir ausgesprochen leid, das hat er nicht verdient.
SPOX: Angenommen, die Eintracht steigt wieder auf: Wie lange müsste man dann in der Bundesliga spielen, um wieder den Stellenwert von Anfang 2011 zu besitzen?
Bruchhagen: Auch das ist hypothetisch. Die TV-Gelder entscheiden auch über das sportliche Ranking. Da müssten wir uns wieder brav hinten anstellen. Wir müssten uns mit Augenmaß und Konzentration Schritt für Schritt nach vorne entwickeln. Wie die Schritte im Einzelnen aussehen, das ist nicht zu prognostizieren. Ich weiß ja auch nicht, was Leverkusen, Wolfsburg und Hoffenheim machen werden. Diese drei Vereine sind von mittleren Traditionsvereinen wie Hannover, Nürnberg oder Gladbach überhaupt nicht zu erreichen.
SPOX: Trainer Armin Veh kritisierte zuletzt die Stimmung. Es fehle ihm im Umfeld die Leidenschaft, um das Ziel Wiederaufstieg zu packen.
Bruchhagen: Armin Veh steht für nüchterne Analyse. Deshalb haben wir ihn als Trainer ausgewählt. Seine Wahrnehmung, was die Stimmung betrifft, teile ich nicht, die ist in unserem Stadion großartig.
SPOX: Fehlt Ihnen die Leidenschaft?
Bruchhagen: Worin sollte denn die Leidenschaft im Aufsichts- oder Verwaltungsrat bestehen? Ein Vorstand oder Aufsichtsrat ist nicht für Leidenschaft oder Stimmung zuständig, sondern die muss sich in der Mannschaft und im Trainerteam selbst entwickeln. Das Umfeld ist identisch mit der Leidenschaft von Armin Veh und verkörpert die gleiche Emotion. Und deshalb passt er sehr gut zu uns.
SPOX: Veh knüpft seinen Verbleib an den Aufstieg. Gelingt der nicht, ist er weg. Lässt sich mit einer solchen Konstellation überhaupt zweigleisig planen?
Bruchhagen: Was wollen Sie mit dieser Fragestellung erreichen? Was wissen Sie von den Zukunftsplänen von Armin Veh? Im Mai ist die Saison zu Ende und wir werden sehen, welches Ergebnis wir erzielt haben. Dann nehmen wir die Planungen auf - für die erste oder die zweite Liga.
SPOX: Muss das nicht deutlich früher geschehen?
Bruchhagen: Nein. Bruno Hübner hat schon den einen oder anderen Spieler angesprochen, der sowohl für die erste als auch für die zweite Liga interessant ist.
SPOX: Aber der will doch wissen, wie der Trainer heißt.
Bruchhagen: Nein, das will er nicht wissen. Spieler wollen das nicht wissen. Die wollen wissen, in welcher Liga sie spielen und was sie verdienen.
SPOX: Was ist, wenn ein Spieler bereits gute oder eben schlechte Erfahrungen mit Veh gemacht hat?
Bruchhagen: Dann muss er damit leben, dass Veh bleibt oder Veh geht. Ich habe in 24 Jahren noch nie einen Spieler erlebt, der zu mir gekommen ist und gesagt hat: 'Hier ist mein Vertrag, ich möchte auch kein Geld mehr, weil der Trainer gegangen ist.' Wenn Armin Veh geht, kommt ein Neuer.
SPOX: Unsicher wie Vehs Zukunft ist auch das künftige Vorgehen gegen gewalttätige Fans. Sie sagten, dass oft die Bürokratie im Wege stünde. Wie meinten Sie das?
Bruchhagen: Die Staatsanwaltschaft stellt doch jedes Verfahren ein. Für die Gewalttäter ist das ein El Dorado. Ort, Zeitpunkt, Zeuge, Geschädigter - all das muss für die Beweisführung benannt werden. Das gelingt nur in den seltensten Fällen.
SPOX: Es gibt Ordnerdienste und Fanprojekte, dennoch gelten die Frankfurter Ultras als besonders gewalttätig. Warum?
Bruchhagen: Das Thema Ultra-Kultur ist zu schwierig. Das versteht weder Theo Zwanziger oder Reinhard Rauball noch der eine oder andere Innenminister.
SPOX: Wie verstehen Sie es?
Bruchhagen: Das ist eine Jugendkultur, die sich in beispielloser Art und Weise selbst verehrt, sich konspirativ trifft, schwarz gekleidet, ihre eigene Philosophie ohne Hierarchien entwickelt und den Kommerz ablehnt. Die Stadionverbotler werden berühmt, da genießen 15-jährige Pennäler höchstes Ansehen. Das ist eine gesellschaftliche Entwicklung, die nur ganz schwer zu lösen sein wird - und schon gar nicht mit Hau-drauf-Vorschlägen. Da kommt man mit Strafen nicht weiter.
spoxSPOX: Wie dann?
Bruchhagen: Ich habe keine Ahnung. Ich habe vielfach versucht - auch privat - Gespräche mit Ultra-Köpfen zu führen. Das ist nur möglich, wenn man sie alleine vor sich hat. In der Gruppe ist das nicht zu machen. Es ist auch im Ansatz falsch, den Politikern oder Behörden einen Vorwurf zu machen. Das ist eine neuere Entwicklung, die man erst einmal verstehen muss. Wenn man sie verstanden hat, was schwer genug ist, hat man aber noch lange keine Lösung.
SPOX: Haben Sie eine Lösung zum aktuellen Dauerthema in der Bundesliga: Michael Ballack und Bayer Leverkusen?
Bruchhagen: Das war doch bei Pal Csernai und Gerd Müller oder Günter Netzer und Hennes Weisweiler genauso. Bei einem 35-jährigen Profi, der am Ende seiner Laufbahn steht, kommt es immer zu solchen Rivalitäten. Das weiß man und ist ganz normal.
SPOX: Macht auch Ballack Fehler?
Bruchhagen: Das kann ich nicht beurteilen. Was Wolfgang Holzhäuser von sich gibt, wirkt ja sehr provokativ. Ich habe den Eindruck, dass Rudi Völler nicht mehr mit Ballack plant und Wolfgang Holzhäuser abgesprochen den advocatus diaboli spielt.
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