"Beim VfB pfiff mich niemand aus"

Jan Höfling
15. September 201517:05
Tamas Hajnal spielte in der Bundesliga für Schalke, Karlsruhe, Dortmund und Stuttgartgetty
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Tamas Hajnal hat 149 Bundesligapartien und 59 Länderspiele für Ungarn auf dem Buckel. Derzeit spielt der 33-Jährige für den FC Ingolstadt in der 2. Liga. Im Interview spricht Hajnal über seine Anfänge in Deutschland beim FC Schalke 04, sein Verhältnis zu BVB-Trainer Jürgen Klopp und den vermeintlichen Fan-Ärger beim VfB Stuttgart.

SPOX: Herr Hajnal, Sie sind im Alter von 16 Jahren aus Ungarn nach Deutschland zum FC Schalke 04 gekommen. Wie schwer fiel es Ihnen damals, Ihre Heimat zu verlassen?

Hajnal: Darüber habe ich mir keine großen Gedanken gemacht. In meinem Kopf waren vor allem die Erfolge präsent: Deutschland wurde 1996 Europameister, Borussia Dortmund gewann ein Jahr später die Champions League und Schalke den UEFA-Cup. Als ich dann die Möglichkeit hatte, zu einem dieser großen Vereine zu wechseln - wenn auch nur in die Jugend -, wollte ich diese Chance unbedingt nutzen. In Ungarn spielte ich ja bereits in der ersten Liga.

SPOX: Wie wichtig war es, Ungarn zu verlassen, um im Profifußball wirklich Fuß fassen zu können?

Hajnal: Das stand nicht unbedingt im Mittelpunkt, dafür war das Profigeschäft für mich noch zu weit weg. Ausschlaggebend war auch die Mentalität in Deutschland. Sie wird in Ungarn sehr bewundert und ich wollte das unbedingt kennenlernen.

SPOX: Welche Form der Unterstützung erhielten Sie nach dem Wechsel?

Hajnal: Meine Familie hat mir natürlich immer sehr geholfen. Allerdings bin ich bereits als Zwölfjähriger nach Budapest gezogen und habe zwei Jahre bei Gastfamilien gelebt. Danach ging es in ein Internat. Ich bin also relativ früh erwachsen geworden. Natürlich gab es auch schwierige Phasen, doch nach dem Wechsel nach Deutschland war die Unterstützung auf Schalke ebenfalls sehr gut.

SPOX: Wie lief es anfangs mit der Sprache?

Hajnal: Ich hatte bereits in der Grundschule Deutschunterricht, der war aber nicht besonders effektiv und ich musste nachbessern. Das war etwas umständlicher, da es damals noch nicht die klassischen Fußballinternate in Deutschland gab wie heutzutage. Schalke hat uns eine Deutschlehrerin an die Seite gestellt, mit ihr habe ich dreimal in der Woche gelernt.

SPOX: Sie waren insgesamt sieben Jahre in Gelsenkirchen, der Sprung zu den Profis blieb Ihnen jedoch verwehrt. Waren damals die Vorbehalte, junge Spieler ins kalte Wasser zu werfen, das Problem?

Hajnal: Definitiv. Die Zeit war einfach eine vollkommen andere. Man galt mit 22 noch als Talent, heute wäre das undenkbar. Auch bei mir war es so: Mir wurde stets gepredigt, ich hätte noch Zeit.

SPOX: Und Sie hatten starke Konkurrenz.

Hajnal: Ich kam am Schalker Idol Marc Wilmots, der mich im weiteren Verlauf meiner Karriere sehr unterstützt und unter anderem als mein Berater fungiert hat, sowie an Andreas Möller nicht vorbei. Mir gelang der Durchbruch erst nach einem Umweg.

SPOX: Dieser führte Sie nach Belgien. Auf Schalke war dadurch Schluss.

Hajnal: Ich habe natürlich immer gehofft, dass es dort noch klappt. Irgendwann wollte ich nicht länger warten. Marc Wilmots hat sich dann glücklicherweise an mich erinnert und holte mich zu St. Truiden.

SPOX: Klang das für Sie im ersten Moment nicht wie ein Rückschritt?

Hajnal: Nein, die belgische Liga war eine sehr gute Schule. Ich habe mich dort nachhaltig für die Nationalmannschaft empfehlen können. Dieser Schritt hat mir körperlich und sportlich bei meiner Rückkehr nach Deutschland sehr weitergeholfen.

SPOX: Bei Ihrem zweiten Anlauf in Deutschland lief es von Beginn an sehr gut für Sie. Beim 1. FC Kaiserslautern und anschließend beim Karlsruher SC blieben Sie aber trotzdem nur ein Jahr. Warum? SPOX

Hajnal: Es gab jeweils den Versuch, mich längerfristig zu binden. Am Ende sind wir aber einfach nicht übereingekommen. Es war nie meine Absicht, nur so kurz zu bleiben. Ich habe meine Karriere immer Schritt für Schritt gesehen. Mein Ziel war es bei allen Teams, mich sportlich weiter zu entwickeln. Der Wechsel nach Dortmund war dann ein logischer Schritt.

SPOX: Interessant am Transfer zum BVB war, dass Thomas Doll ihn eingefädelt hat. Bei Ihrer Ankunft war jedoch Jürgen Klopp Trainer. War dies für Sie problematisch?

Hajnal: Nein. Doll wollte mich zwar unbedingt haben, aber es waren ja auch Michael Zorc und Hans-Joachim Watzke involviert und von mir überzeugt. Ich hätte gerne unter Doll trainiert, aber ich war auch gespannt auf Klopp.

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SPOX: Waren die Dimensionen in Dortmund andere, als Sie sie von Ihren vorherigen Vereinen kannten?

Hajnal: Nicht unbedingt. Der Verein ging durch eine schwere Zeit, daher war die Erwartungshaltung nicht so immens. Mit Klopp hielt eine neue Philosophie Einzug und die Erwartungen nach außen wurden bewusst gering gehalten. Wir haben von Spiel zu Spiel gedacht und uns realistische Ziele gesetzt.

SPOX: Doll plante mit Ihnen als klassischen Spielmacher, unter Klopp kamen Sie zunächst auf der Acht zum Einsatz. Wie schwer war die Anpassung?

Hajnal: Ich habe anfangs etwas gebraucht, um in die neue Rolle zu finden. Allerdings hat Klopp das System auch relativ schnell wieder geändert. Wir haben dann 4-4-2 mit Raute gespielt, das kam mir deutlich mehr entgegen. Unter dem Strich würde ich sagen, dass es eine beidseitige Anpassung war. Ich habe in Dortmund viel mit dem Trainer gesprochen und einiges gelernt.

SPOX: Es hieß zwischenzeitlich, Sie fühlten sich falsch eingesetzt. SPOX

Hajnal: Man stellt beim BVB keine Ansprüche, das war mir von Anfang an klar. Der Trainer wusste, wo meine Qualitäten liegen. Er wollte zunächst jedoch seine Vorstellungen austesten. Nach der Kennenlernphase hat eigentlich alles sehr gut funktioniert.

SPOX: 2009 warf Sie ein Bänderriss weit zurück. Denken Sie, Ihre Zeit in Dortmund wäre ohne diese Verletzung anders verlaufen?

Hajnal: Schwer zu sagen, aber ich denke schon. Ich war in den ersten beiden Jahren Stammspieler und Leistungsträger. Dann kam die Verletzung, die mich mehrere Monate kostete. Danach lief es nicht mehr so gut wie zuvor.

SPOX: Für den BVB aber schon, Dortmund wurde 2011 Meister. Sie standen in dieser Spielzeit allerdings keine Minute auf dem Platz. Wie fühlt man sich da?

Hajnal: Ich habe bis zu diesem Zeitpunkt die gesamte Entwicklung ab 2008 miterlebt und auf sowie neben dem Platz vieles zur Renaissance des Klubs beitragen können. Natürlich fühle ich mich dann auch als Meister. Wäre ich nicht im letzten Halbjahr nach Stuttgart gegangen, hätte ich sicherlich auch noch ein paar Einsatzminuten bekommen.

SPOX: Sie ließen sich zum VfB ausleihen, der gegen den Abstieg spielte. Dort blühten Sie richtiggehend auf.

Hajnal: Stuttgart war in gewissem Maße wie eine Befreiung für mich.Ich wusste selbst nicht, ob es auf Anhieb so gut klappen würde, ich hatte ja lange nicht gespielt. Ich habe aber irgendwie nie eine lange Anlaufzeit bei meinen Vereinen benötigt. Es tat sehr gut, dem VfB so schnell helfen zu können.

SPOX: Sie wurden dann fest verpflichtet, das Ende Ihrer Zeit am Wasen war aber bitter: Die Fans pfiffen Sie aus, Trainer Bruno Labbadia wollte Sie unter diesen Umständen nicht mehr einsetzen.

Hajnal: Das alles stimmt so überhaupt nicht. Ich habe schon oft versucht, die damalige Situation zurechtzurücken. Das wurde vom Boulevard immer wieder befeuert. Ich musste dann leider einsehen, dass die eigenen Mittel sehr begrenzt sind, um dagegen vorzugehen.

SPOX: Wie stellte sich die Situation denn für Sie dar?

Hajnal: Ich habe damals nicht gespielt. Beim VfB pfiff mich aber niemand aus, das haben mir auch die Fans persönlich bestätigt. Ich wurde von der Presse ohne wahren Hintergrund herausgepickt. Das war für mich unerklärlich. Aber wenn so etwas erst einmal seinen Lauf nimmt, ist es nicht mehr aufzuhalten.

SPOX: Wie sind Sie dann damit umgegangen?

Hajnal: Das ging natürlich nicht spurlos an mir vorbei, weil es eben schlicht und ergreifend nicht der Wahrheit entsprach. Ich wurde ohne jeglichen Grund in eine Position gebracht, die mir sehr geschadet hat. Ich habe versucht, mich zu wehren, hatte damit aber keinen Erfolg.

SPOX: Seit dem Sommer spielen Sie nun für den FC Ingolstadt in der 2. Liga. Auch aufgrund von Verletzungen kamen Sie aber bislang nur selten zum Einsatz. Wie bewerten Sie Ihre aktuelle Situation?

Hajnal: Die Lage ist unabhängig von meinen Verletzungen alles andere als zufriedenstellend. Ich befinde mich aufgrund eines Rippenbruchs gerade in der Reha. Ich werde alles geben, damit ich schnell wieder fit bin. Was die Zukunft dann bringt wird man sehen. SPOX

SPOX: Ihren Karriereaufschwung erlebten Sie als klassischer Zehner. Glauben Sie, dass der Spielmacher an sich nach und nach aussterben wird?

Hajnal: Der ursprünglichen Definition nach ist das sicher richtig. Das gesamte Spiel hat sich enorm verändert. Man muss sehr flexibel sein, auch die Bedeutung der körperlichen Komponente hat deutlich zugenommen. Die Aufgabenfelder der Spieler sind eben sehr variabel geworden. Dennoch stehen jetzt viel mehr Kreativspieler auf dem Platz als früher. Damals war ja einer völlig ausreichend (lacht).

SPOX: Wie sehen denn Ihre Planungen für die Zeit nach der Karriere aus?

Hajnal: Ich möchte im Fußballgeschäft bleiben. In Ungarn habe ich bereits meine A-Lizenz als Trainer erworben. Das könnte ein erster kleiner Schritt sein.

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Tamas Hajnal im Steckbrief