"Ich bin sicher kein Alleinherrscher"

Jochen Tittmar
13. Juli 201513:10
Ralf Rangnick arbeitete lange hinter den Kulissen in Leipzig und SalzburgRedBull
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Nach vier Jahren Pause steht Ralf Rangnick wieder als Trainer an der Seitenlinie. Beim ambitionierten Zweitligisten RB Leipzig ist er nun Chefcoach und Sportdirektor in Personalunion. Rangnick spricht im Interview über die erfolglose Trainersuche, seinen Ruf als Kontrollfreak und die sportlichen Ziele des Klubs.

SPOX: Herr Rangnick, Sie sind als neuer Cheftrainer von RB Leipzig erst nach dem offiziellen Trainingsauftakt zur Mannschaft gestoßen, weil Sie noch Urlaub in Italien gemacht haben. Es hieß, man musste Sie zu dieser Auszeit überreden.

Ralf Rangnick: Es ist darüber komischerweise viel geschrieben worden, das meiste davon hatte allerdings wenig mit der Realität zu tun. Die Vereinsführung hat mir den Urlaub nicht verordnet, sondern er war schon lange gebucht und geplant. Wir haben uns dann gemeinsam abgestimmt, dass ich zum Start nicht dabei bin, weil es eben zuvor schon viel Arbeit für mich war und es nun auch nicht weniger wird.

SPOX: Konnten Sie dabei abschalten oder bimmelte das Handy dann doch permanent?

Rangnick: Ich habe den Urlaub sehr genießen können, da wir zu diesem Zeitpunkt mit der Kaderplanung glücklicherweise schon sehr weit waren. Wir wussten genau, was wir suchten. Es hat sich dann letztlich bestätigt: Wir haben all diese Spieler auch bekommen. Daher war auch das Handy die meiste Zeit ausgeschaltet.

SPOX: Um wie viel Geld hätten Sie denn noch vor einem halben Jahr gewettet, dass Sie nicht Trainer in Leipzig werden würden?

Rangnick: Ich wette grundsätzlich nicht um Geld.

SPOX: Dann anders: Hätten Sie es vor sechs Monaten für möglich gehalten?

Rangnick: So weit brauchen Sie gar zurück zu gehen: Ich hätte das noch vor sechs Wochen ausgeschlossen.

SPOX: Vorstandschef Oliver Mintzlaff sprach bei Ihrer Präsentation über Sie als die 1A-Lösung auf der Trainerposition. Sie hatten sich zuvor eigentlich immer gegenteilig geäußert. Weshalb ist es jetzt doch gut, dass Sie das Amt übernommen haben?

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar traf Leipzigs Cheftrainer Ralf Rangnick im Trainingslager in LeogangspoxRangnick: Das muss man im Kontext mit den Gesprächen sehen, die in den Monaten zuvor stattgefunden haben. Wir haben sehr intensiv und bedacht mit mehreren Trainerkandidaten Gespräche geführt. Aus unterschiedlichen Gründen haben diese allerdings nicht zum Ziel geführt. Sei es, weil sich der eine oder andere am Ende doch nicht vorstellen konnte, in der 2. Liga tätig zu sein oder er seinen aktuellen Verein nicht verlassen wollte. Als vor fünf Wochen der letzte Trainerkandidat, bei dem wir uns relativ sicher waren, dass es richtig gut passen könnte, abgesagt hat, stand die Frage im Raum: Wie geht es jetzt weiter?

SPOX: Mit Ihnen.

Rangnick: Irgendwo war der Pool an für uns in Frage kommende Trainer endlich, das muss man klar sagen. Für uns ist es wichtig, dass ein Trainer schon gewisse Erfahrungen mit dieser Art von Fußball, wie wir ihn spielen wollen, gesammelt hat. Nach viel Nachdenken und einer letzten Nacht darüber schlafen ist uns dann klar geworden, dass es jetzt wahrscheinlich in dieser Situation wirklich besser ist, wenn ich es selbst mache.

SPOX: Was waren dafür die ausschlaggebenden Gründe?

Rangnick: Es ist zum einen kein richtiger Trainerwechsel. Ich kenne die Mannschaft mit am besten - sowohl die Spieler, die schon da waren, als auch diejenigen, die wir jetzt geholt haben. Zum anderen konnten wir, wie sich im Nachhinein auch bestätigt hat, Spieler holen, die wir sonst wohl nicht bekommen hätten. Wir haben nun einen Kader beisammen, wie wir ihn uns gewünscht haben. Damit sind wir aber noch nicht aufgestiegen. Jetzt geht es darum, daraus eine richtige Truppe zu formen, die zusammen durch dick und dünn geht und vor allem auch taktisch auf hohem Niveau spielt.

SPOX: Sie haben es schon angedeutet: Als Cheftrainer und Sportdirektor in Personalunion wird der Stress nun wieder sehr groß werden.

Rangnick: Gegenüber den letzten drei Jahren wird die reine Arbeitszeit wahrscheinlich weniger. Verändern wird sich vor allem der Fokus: ich kümmere mich jetzt natürlich verstärkt um die Mannschaft und die Aufgaben, die damit verbunden sind. Das bedeutet wiederum, dass ich einige andere Dinge nun weniger intensiv begleiten werde als zuvor.

SPOX: Um welche Dinge geht es da?

Rangnick: Beispielsweise um noch regelmäßigere Termine mit unserer Scouting- und Videoanalysenabteilung oder um die Aus- und Weiterbildung unserer Nachwuchstrainer. Ich habe mich bisher auch immer als Coach für die Coaches gesehen. Da ich nun nach Leipzig ziehe, hätte ich dafür noch mehr Zeit als sonst aufwenden können. All dies wird in der Prioritätenliste zugunsten der Arbeit mit der Mannschaft künftig ein wenig hinten anstehen. Das macht mir aber keine großen Sorgen. Wir haben den Kader jetzt so stehen, wie wir ihn uns gewünscht haben. Daher glaube ich nicht, dass wir im nächsten Jahr allzu große Umbaumaßnahmen vor der Tür stehen haben. Für ein Jahr ist das somit kein Problem.

SPOX: Top-Kandidat für den Trainerposten war lange Zeit Thomas Tuchel, der Ihr Spieler in Ulm war und den Sie einst beim VfB Stuttgart als Nachwuchscoach engagiert haben. Wieso hat es bei ihm und anderen Kandidaten so lange gedauert, bis sie zu der Erkenntnis kamen, doch nicht in die 2. Liga gehen zu wollen?

Rangnick: Bei Thomas war es beispielsweise so, dass er auch mit anderen Vereinen gesprochen hat. Zum Zeitpunkt der Gespräche, die er mit dem Hamburger SV geführt hat, wusste er ja aber auch noch nicht, in welcher Liga der HSV künftig spielen würde. Von daher kann ich Ihnen die Frage nicht konkret beantworten. Unsere Gespräche haben sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt und wir haben dann auch für uns festgestellt, dass das Thema Thomas Tuchel zu unsicher war. Daher haben wir uns relativ frühzeitig von dem Gedanken verabschiedet.

SPOX: Es wurde bisweilen als Niederlage interpretiert, dass Sie sich bei der monatelangen Trainersuche letztlich selbst gefunden haben. Ist das für Sie nachvollziehbar?

Rangnick: Nein, das ist keine Niederlage. Weshalb denn auch? Wir haben von Anfang an gesagt, dass der Pool von in Frage kommenden Trainern relativ klein ist. Er war nachher sogar etwas größer, als ich zum damaligen Zeitpunkt annahm. Aber es ist eben auch immer eine Frage des Timings: Ist es in dem Moment der richtige Zeitpunkt, passt es zusammen? So war es beispielsweise bei einigen Kandidaten, die ihren jetzigen Arbeitgeber momentan nicht verlassen wollten. Am Ende trage ich in Leipzig so oder so die Verantwortung.

SPOX: Sie sind ja letztlich auch kein Unbekannter auf diesem Posten.

Rangnick: Richtig, ich verfüge über langjährige Erfahrung in diesem Amt. Es ist für mich kein Problem, dass ich jetzt wieder Trainer bin. Nach den Begebenheiten war es im Endeffekt auch der logische Schluss. Ich glaube allerdings weiterhin, dass es mittel- und langfristig für die Entwicklung unserer Ziele besser wäre, wenn ich wieder in meine ursprüngliche Rolle schlüpfe und diesen Gesamtüberblick hätte. Das wird aller Voraussicht nach in einem Jahr auch der Fall sein.

SPOX: Sind Sie sich da sicher?

Rangnick: Stand jetzt gehe ich davon aus, ja.

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SPOX: Andererseits: In Ulm und Hoffenheim gelang jeweils der Durchmarsch, als ausschließlich Sie die Zügel in den Händen hielten. Funktionieren Sie als "Alleinherrscher", dem keine Knüppel zwischen die Beine geworfen werden können, einfach am besten?

Rangnick: Ich bin sicher kein Alleinherrscher, und das ist auch eine viel zu negative Formulierung. Viel mehr Teamwork als in den letzten drei Jahren bei uns geht fast nicht. Ich stimme Ihnen aber zu: Bei diversen Stationen meiner Karriere habe ich die Erfahrung gemacht, dass es hilfreich sein kann, wenn man relativ wenig Entscheidungsträger und damit kurze Wege hat. Dadurch ist man in der Lage, schneller zu agieren. Deshalb ist es sicherlich kein Zufall, dass ich nach Hoffenheim nun mit RB Leipzig wieder einen Arbeitgeber habe, bei dem es mit wichtigen Entscheidungen sehr schnell gehen kann.

SPOX: In dieser Rolle konnten Sie sowohl in Leipzig, als auch in Salzburg viele Dinge verändern.

Rangnick: Genau. Wir haben nach und nach Positionen umbesetzt oder welche geschaffen, die es vorher noch gar nicht gab. Wenn ich mir allein schon das Thema Ernährung an beiden Standorten anschaue: Da sind wir in der gesamten Fußballbranche sehr weit vorne. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es viele Vereine gibt, bei denen die Spieler noch nachhaltiger und gesundheitsbewusster ernährt werden als bei uns.

SPOX: Hat das auch mit ihrer eigenen Geschichte von vor vier Jahren zu tun, als Sie beim FC Schalke 04 vorzeitig aufgrund eines Burnout-Syndroms ausgeschieden sind?

Rangnick: Natürlich. Damals habe ich am eigenen Leib gespürt, was dazu gehört und vor allem passiert, wenn man sich vernünftig ernährt. Da spielen sehr viele Themen mit hinein, unter anderem die Regenerationsbeschleunigung. Wir stellen bei unseren Spielern auch Nahrungsmittelunverträglichkeiten fest, ob das nun im Bereich Gluten oder Laktose ist. Es ist ja mittlerweile fast die Norm, dass Menschen solche Unverträglichkeiten aufweisen.

SPOX: Früher hätte man Ihnen vorgeworfen: Der Kontrollfreak Rangnick mischt sich überall ein und überwacht jedes einzelne Detail.

Rangnick: Das stimmt. Wenn ich früher als Trainer versucht habe, mich bei solchen Themen einzubringen, wurde mir bisweilen unterstellt, dass ich mich um alles kümmern und am liebsten auch den Rasen selbst mähen würde.

SPOX: Aber?

Rangnick: Es ist in meinen Augen nun einmal so, dass die Rahmenbedingungen für Hochleistungsfußball einfach stimmen müssen. Nehmen wir das Beispiel Trainingslager: bei einem ehemaligen Verein hatte ich mich bei der Planung und Organisation auf andere Leute verlassen, nur um dann vor Ort festzustellen, dass die Trainingsbedingungen zwei Klassen schlechter waren als bei uns zu Hause. Seitdem habe ich mich eben auch immer gerne darum gekümmert, um sicher zu stellen, dass so etwas nicht noch einmal passiert.

SPOX: Dennoch mutet das Arbeitspensum, das man als Sportdirektor von zwei Vereinen und jetzt als Trainer und Sportdirektor eines einzelnen Klubs abreißt, fast schon wieder grenzwertig an. Tun Sie sich schwer damit, Dinge zu delegieren?

Rangnick: Ich habe in den letzten drei Jahren bereits einiges delegieren müssen, da ich nicht zeitgleich an beiden Standorten sein konnte oder auch einmal zu Hause in Backnang war. Wir haben mittlerweile auch auf den relevanten Positionen richtig gute Leute. Ich muss seitdem darauf setzen können, dass diese Leute ihren Job gut erledigen. Und das tun sie. Daher habe ich auch festgestellt, dass ich kein Problem damit habe zu delegieren.

SPOX: Früher fiel es Ihnen aber deutlich schwerer?

Rangnick: Ja, das ist sicherlich eine Veränderung, die ich an mir im Vergleich zu früher festgestellt habe.

SPOX: Auch wenn Sie weiterhin delegieren müssen: Immerhin stehen Sie jetzt wieder auf dem Trainingsplatz. Vor einem Jahr sagte Alexander Zorniger im SPOX-Interview, er wolle die Leipziger Spielweise in die 2. Liga implementieren und schauen, wo man möglicherweise nachjustieren müsse. Wie wird Leipzigs Fußball unter Ihnen aussehen?

Rangnick: Die Spielidee bleibt weiterhin dieselbe. Nichtsdestotrotz geht es darum, sie immer wieder zu verfeinern und zu verbessern. Zuletzt und auch in Zukunft war und wird es nie so sein, dass man sagt: Das war jetzt das perfekte Spiel. Selbst wenn wir dem perfekten Spiel nahe kommen würden, heißt das noch lange nicht, dass es uns auch eine Woche später gelingen würde, wieder so zu spielen. Unsere Analyse drehte sich vielmehr um die Frage: Warum sind wir in der letzten Saison nicht aufgestiegen, woran lag es in erster Linie?

SPOX: Auf welche Punkte sind Sie gestoßen?

Rangnick: Wir haben zunächst einmal auswärts verhältnismäßig wenig Punkte geholt, im Schnitt sogar knapp unter einem. Mit einer solchen Bilanz muss man zu Hause fast alles gewinnen, um insgesamt noch auf einen Zweier-Schnitt zu kommen. Dort setzen wir an: Wir müssen auswärts im Stile einer Heimmannschaft auftreten, agieren statt nur zu reagieren und uns nicht wie teilweise im Vorjahr geschehen beeindruckt zurückziehen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist, insgesamt einfach mehr Tore zu erzielen. Die Torgefahr hing bisher zu sehr von Yussuf Poulsen ab, auf den sich dann die Gegner konzentrieren konnten. Wir brauchen mehr Spieler, die Tore schießen und Spiele entscheiden können.

SPOX: Was würde denn passieren, wenn auch am Saisonende 2015/2016 nicht der Aufstieg stünde?

Rangnick: Der Mai 2016 interessiert mich nicht. Mich interessiert, was morgen, übermorgen, im nächsten Spiel und in der nächsten Trainingswoche passiert. Wir wollen mit dem Bewusstsein zum ersten Auswärtsspiel beim FSV Frankfurt fahren, so gut vorbereitet zu sein, dass wir im Rückblick sagen: viel besser hätten wir es nicht machen können. Alles andere ist momentan völlig egal.

SPOX: Mit Verlaub, aber das klingt doch arg nach Understatement.

Rangnick: Warum stellen Sie eine solche Frage an jemanden, der vor drei Jahren hier her gekommen ist, als Leipzig mit einem Zuschauerschnitt von 1700 in der 4. Liga spielte und der an seinem allerersten Arbeitstag gesagt hat, dass das Stadion irgendwann vielleicht zu klein wird, weil wir einmal in die Bundesliga aufsteigen werden? Da brauchen Sie mich doch jetzt nicht zu fragen, welche Ziele wir haben.

SPOX: Zumindest aber geht die breite Öffentlichkeit davon aus, dass in Leipzig nach dieser Saison nur der Aufstieg in die Bundesliga akzeptiert wird.

Rangnick: Wir werden nicht aufsteigen, nur weil wir gebetsmühlenartig wiederholen, auch aufsteigen zu wollen. Der Aufstieg ist für uns kein Muss und erst Recht keine Pflicht. Er wäre auch nicht völlig normal. Unser Ziel ist es, jeden Tag mit der Mannschaft so zu arbeiten, als ob es der letzte wäre.

SPOX: Als Zorniger sagte, er wolle nicht aufsteigen, aber Sie, war er wenig später entlassen.

Rangnick: Die einvernehmliche Trennung von ihm hat überhaupt nichts damit zu tun gehabt, dass er nicht aufsteigen wollte oder dergleichen. Daran lag es zu null Komma null Prozent. Auch mit unserer Zielsetzung oder dem Ehrgeiz, wann wir was erreichen wollen, hatte das in keiner Weise etwas zu tun. Wir werden irgendwann in die Bundesliga aufsteigen. Ich kann Ihnen aber jetzt nicht sagen, ob das nächsten Mai sein wird oder aber erst in einer der nachfolgenden Spielzeiten.

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