Nach Dirk Nowitzkis und Chris Kamans WM-Absage herrscht Katerstimmung und Bundestrainer Dirk Bauermann dämpft die Erwartungen - doch die Aussichten des DBB bei der WM in der Türkei (28. August bis 12. September) sind nicht so desaströs, wie es scheint. Die deutsche Nationalmannschaft und die laut Weltrangliste besten vier Nationen (Argentinien, USA, Spanien, Griechenland) in der Kader-Analyse.
Die Center und Power Forwards:
Center-Rotation: Tibor Pleiß (Bamberg), Yassin Idbihi (Berlin), Chris McNaughton (Oldenburg)
Power-Forward-Rotation: Jan Jagla (Berlin), Tim Ohlbrecht (Bonn)
Nicht die ganz großen Namen, aber immerhin versprechen sie Blocks und Rebounds. Pleiß (1,4) und Ohlbrecht (1,2) waren letztes Jahr der Beste bzw. Viertbeste in der BBL-Block-Statistik.
Vor allem Center-Juwel Pleiß, im Juni an Platz 31 gedraftet, wird jedoch bei der WM versuchen müssen, neben seiner grandiosen Defense auch beständiger zu punkten und häufiger seinen vorhandenen Mitteldistanz-Wurf einzusetzen. Denn: Jagla erinnert mit seiner Größe, Frisur und dem Jumpshot zwar an Nowitzki, doch ihm geht die Konstanz ab, um jedes Spiel zu dominieren.
Inwiefern Idbihi (BBL: 10,6 Punkte bei 59,0 Prozent Wurfquote) und Ohlbrecht (11,1 Punkte bei 60,8 Prozent) auf höchstem internationalen Niveau mithalten können, wird sich zeigen müssen.
McNaughton hofft nach seiner ordentlichen Saison in Göttingen (7,4 Punkte und 3,0 Rebounds in knapp 15 Minuten) auf einen Platz in 12er-Kader. Der Wandervogel, der nach der Saison nach Oldenburg geht, gehört aber zu den ersten Streichkandidaten.
So sieht die Konkurrenz aus:
Argentinien (Weltranglisten-1.): Am Korb spielen Fabricio Oberto (Washington Wizards) und Luis Scola (Houston Rockets). Der eine ist alt und über dem Zenit (Oberto), der andere arbeitete sich in der vergangenen Saison mit 16,2 Punkten und 8,6 Rebounds zu einem begehrten Power Forward in der NBA hoch (Scola). Die Backups sind solide, nicht mehr.
USA (2.): Dwight Howard, Chris Bosh, Carlos Boozer und Amare Stoudemire verzichten, im vorläufigen Kader verbleiben damit Jungstars (Brook und Robin Lopez, Jeff Green, Kevin Love, JaVale McGee) und wertvolle Rollenspieler (Lamar Odom, Tyson Chandler). David Lee fällt kurzfristig wegen einer Fingerverletzung aus.
Spanien (3.): Die Seleccion muss ohne EM-MVP und NBA-Champ Pau Gasol auskommen, dennoch ist die Big-Men-Rotation beachtlich. Marc Gasol und Victor Claver gehören zu den größten Talenten überhaupt, Fran Vazquez war an Barcas Euroleague-Triumph beteiligt und Jorge Garbajosa sowie Felipe Reyes stehen für Routine und Abgeklärtheit.
Griechenland (4.): Zumindest europaweit gibt es kaum etwas Besseres: Ioannis Bouroussis und Antonis Fotsis sind offensiv nur schwer zu stoppen, außerdem plant 150-Kilo-Koloss Sofoklis "Baby Shaq" Schortsanitis endlich den internationalen Durchbruch.
Die Small Forwards: Deutschlands Luxus-Position
Die Shooting Guards und Point Guards: Schaffartzik als Katalysator
Das Fazit: Selbst Argentinien ist nicht übermächtig
Die Small Forwards:
Rotation: Robin Benzing (Ulm), Elias Harris (Gonzaga University), Konrad Wysocki (Turow/Polen)
Ulms Benzing hat sich in seinem ersten Jahr als Starter sofort zum besten deutschen Scorer der BBL entwickelt, Harris wiederum spielte sich beim College-Team Gonzaga so in den Vordergrund, dass er beim Draft als sicherer Erstrunden-Pick gehandelt wurde. Um jedoch an seinen Feinheiten zu arbeiten, hängt er ein Uni-Jahr dran - und wechselt zusammen mit Benzing voraussichtlich 2011 in die NBA.
Besonders positiv: Beide ergänzen sich perfekt. Während der schlacksige Benzing gerne von außen trifft und mit Eleganz zum Korb zieht, findet der muskulöse Harris vor allem über seine Athletik und Dynamik ins Spiel. Wenn man so will, verkörpert Benzing den europäischen und Harris den amerikanischen Basketball-Typus. Was sie gemein haben, ist Einsatzwille, Spielverständnis - und ein ungeheures Potenzial.
Der vorbildlich kämpfende, aber verhältnismäßig limierte Wysocki wird froh sein müssen, wenn er überhaupt ein WM-Ticket ergattert. Mehr ist angesichts solcher Top-Talente auf der Position nicht realistisch.
So sieht die Konkurrenz aus:
Argentinien: Seit Jahren ist Andres Nocioni (Philadelphia 76ers) eine feste Größe im internationalen Basketball, nach vielen Blessuren nagt jedoch die Zeit an ihm, obwohl er erst in diesem Jahr 30 wird. Verkam in der NBA zuletzt zu einer anonymen Trade-Masse.
USA: LeBron James und Carmelo Anthony haben keine Lust - na und? Denn der Ersatz heißt Kevin Durant und war mit 30,1 Punkten immerhin der Topscorer der NBA. Übrigens vor James und Anthony. Seine möglichen Backups: Gerald Wallace, Rudy Gay und Danny Granger. Keine Superstars, mit ihrer Kettenhund-Defense (Wallace), Athletik (Gay) und dem guten Wurf (Granger) können sie aber eine gute Ergänzung zu Durant sein.
Spanien: In der NBA wegen seiner überschaubaren Größe (1,98 Meter) fast ausschließlich als Shooting Guard eingesetzt, ist Rudy Fernandez bei den Spaniern auf der Drei gesetzt. Ein Genie, der jedoch zu Launenhaftigkeit neigt, daher in Portland umstritten ist und gerne zurück nach Europa wechseln würde. Sein Vertreter: der vielseitige Alex Mumbru.
Griechenland: Die Schwachstelle im Kader. Efstratios Perperoglu und Panagiotis Vasilopoulos beherrschen die Basics, doch im Vergleich zu den anderen Top-Nationen sind sie zu bieder.
Die Center und Power Forwards: Pleiß muss übernehmen
Die Shooting Guards und Point Guards: Schaffartzik als Katalysator
Das Fazit: Selbst Argentinien ist nicht übermächtig
Die Shooting Guards und Point Guards:
Shooting-Guard-Rotation: Demond Greene (FC Bayern), Lucca Staiger (Berlin), Philipp Schwethelm (Bremerhaven), Chad Töpper (Albuquerque, D-League)
Point-Guard-Rotation: Steffen Hamann (Berlin), Heiko Schaffartzik (Ankara), Per Günther (Ulm), Daniel Hain (Oldenburg)
Hamann wiederum punktet nur noch an Feiertagen, aber er behält seinen Platz in der ersten Fünf, weil Deutschlands neuer Basketball-Liebling Schaffartzik von der Bank kommend für Offensiv-Power sorgen soll. Bei der EM war Schaffartzik trotz der Bankrolle bester Scorer und europäischen Top-Guards wie Spanoulis ebenbürtig.
Staiger und Schwethelm spekulieren um die abfallenden Rest-Minuten, die die Drei-Mann-Guard-Rotation Hamann/Schaffartzik/Greene übrig lässt. Für Bauermanns Überraschungs-Nominierung Töpper aus der NBA-Perspektivliga "D-League" hingegen erwies sich die Nationalmannschaft während des Trainingslehrgangs auf Mallorca als zu anspruchsvoll. Eine WM-Nominierung gilt als ausgeschlossen.
Ein Zweikampf deutet sich um die Rolle des dritten Point Guards an. Per Günther etablierte sich in Ulm als BBL-Starter, musste jedoch nach einer Fußverletzung den Mallorca-Lehrgang absagen und tatenlos ansehen, wie der überraschend nachnomierte Hain Eindruck bei Bauermann hinterließ. Der in der Verteidigung starke Hain kam bei Euroleague-Teilnehmer Oldenburg nicht einmal zehn Minuten im Schnitt zum Einsatz - genau das aber könnte sich als Vorteil erweisen. "Er weiß, wie man in einer guten Mannschaft trotz geringer Spielzeiten einen Anteil am Erfolg haben kann", sagt der Bundestrainer.
So sieht die Konkurrenz aus:
Argentinien: Früher war Pablo Prigoni der Inbegriff des perfekten Spielmachers. Mittlerweile nagt jedoch der Zahn der Zeit am 33-Jährigen von Real Madrid, sein Assistschnitt in der spanischen Liga ging von 6,9 aus seinem Traum-Jahr 2005/06 auf mittlerweile 3,8 zurück. Shooting Guard Carlos Delfino hingegen lieferte in Milwaukee seine beste NBA-Saison ab (11,0 Punkte und 5,3 Rebounds).
USA: Trotz der fehlenden Chris Paul und Deron Williams herrscht mit Chauncey Billups, Rajon Rondo, Derrick Rose, Russell Westbrook sowie Rookie of the Year Tyreke Evans ein Überangebot an hochkarätigen Point Guards im vorläufigen Kader. Wesentlich dünner hingegen sieht es auf der Shooting-Guard-Position aus: Statt Kobe Bryant und Dwyane Wade werden Andre Iguodala, O.J. Mayo, Eric Gordon oder Combo-Guard Stephen Curry beginnen. Für Dream-Team-Verhältnisse halbwegs okay, mehr nicht.
Spanien: Bezeichnend für die Tiefe: Sogar die beiden Ex-NBA-Legionäre Sergio "White Chocolate" Rodriguez und Raul Lopez wurden bereits aussortiert, weil Jose Calderon (Toronto), Wunderkind Ricky Rubio (FC Barcelona) und der ebenfalls talentierte Sergio Llull (Real Madrid) auf der Point-Guard-Position als schlichtweg besser eingestuft wurden. Dreier-Ungeheuer Juan Carlos Navarro beginnt wie gewohnt als Shooting Guard und wird vom ebenfalls nicht minder gefährlichen Rafa Martinez (52 Prozent Dreier in der spanischen Liga) bei Bedarf vertreten.
Griechenland: Theodoros Papaloukas läutet mit seinem WM-Verzicht das Ende einer Ära ein, aber auch ohne den prägenden Spielmacher der letzten zehn Jahre ist der Backcourt beeindruckend. Vassilis Spanoulis scort sich wie immer die Finger wund, Dimitris Diamantidis verteidigt den besten Scorer des Gegners, Nikos Zisis liefert von allem etwas und der gebürtige Amerikaner Nick Calathes verspricht jugendliches US-Flair sowie Gefahr von außen.
Die Center und Power Forwards: Pleiß muss übernehmen
Die Small Forwards: Deutschlands Luxus-Position
Das Fazit: Selbst Argentinien ist nicht übermächtig
Das Fazit
Die erträumte WM-Medaille ist nach Nowitzkis und Kamans Absage illusorisch, dennoch ist ein gutes Abschneiden möglich. Das DBB-Team verfügt über einen Nukleus aus zukünftigen NBA-Spielern (Benzing, Harris, Pleiß), Leistungsträgern im besten Basketball-Alter (Schaffartzik, Idbihi) und erfahrenen Leistungsträgern aus der Nowitzki-Ära (Jagla, Greene, Hamann), ergänzt mit weiteren jungen Rotationsspielern (Ohlbrecht, Staiger, Schwethelm, Günther).
Sprich: In der Gruppe A ist die deutsche Mannschaft (Weltranglisten-7.) nicht so chancenlos, wie es zunächst den Anschein macht. Serbien (5.) gewann zwar EM-Silber und bietet mit Oklahoma-City-Center Nenad Krstic und Euroleague-MVP Milos Teodosic zwei Top-Spieler auf, doch das Team ist ähnlich jung wie das der Deutschen und gilt als wankelmütig.
Australien (11.) muss auf NBA-Star Andrew Bogut (Milwaukee) verzichten und auch das unangenehme Angola (12.) ist schlagbar, solange sich Deutschland nicht so unkonzentriert zeigt wie bei der WM 2006. Jordanien sollte ein dankbarer Gegner sein. Selbst Argentinien wirkt nicht mehr so übermächtig wie noch vor einigen Jahren. Die Stars von gestern sind sichtlich gealtert, zudem fehlen der pausierende Manu Ginobili und eine potente Bank.
Um das Achtelfinale als einer der vier Gruppen-Ersten zu erreichen, muss Deutschland Jordanien und voraussichtlich Australien oder Angola bezwingen. Damit jedoch im Achtelfinale nicht gleich die USA droht, sollte das DBB-Team mindestens Dritter werden. Aber auch wenn die USA vermieden wird, warten schwere Gegner.
Denn in der Gruppe B lauern neben den USA mit Brasilien (Nene, Leandro Barbosa, Tiago Splitter, Anderson Varejao), Kroatien (Zoran Planinic, Roko-Leni Ukic) und Slowenien (Bostjan Nachbar, Primoz Brezec, Jaka Lakovic, Goran Dragic, Beno Udrih) weitere unangenehme Aufgaben.
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Die Shooting Guards und Point Guards: Schaffartzik als Katalysator