Er ließ Hermann Maier um die Jahrtausendwende zum Herminator mutieren, peitscht Attraktionen der alpinen Zunft zu ungeahnten Triumphzügen. Ob Österreichs Ski-Imperium, Julia Mancuso oder nunmehr Maria Höfl-Riesch - er avancierte zum Erfolgsgaranten: Heinrich Bergmüller. Ein Interview über Trainingsweltmeister, Maiers positiven Gehorsam und dessen Traum-Comeback. Außerdem: Was hat Höfl-Riesch mit dem Herminator gemeinsam?
SPOX: Herr Professor Bergmüller, unter Ihrer Ägide erklomm Hermann Maier damals den Olymp. Ihre Ideologie revolutionierte die Trainingskultur im Skisport - was sagt denn nun der Beiname "Schinderheini" über Sie aus?
Heinrich Bergmüller: Seit 30 Jahren bin ich als Konditionstrainer bei den Alpinen tätig. In früheren Jahren trainierte Armin Assinger unter meiner Aufsicht. Er widmete mir in seinem Buch ein ganzes Kapitel und verpasste mir diese Bezeichnung. Ich leitete mit Hermann sowie der österreichischen Herren-Mannschaft in den 90er-Jahren eine Wende ein. Wir haben gelernt, richtig zu trainieren. Aufgebaut auf zwei Eckpfeiler: der medizinischen Diagnostik und Trainingssteuerung. Wir fingen an, sämtliche Leistungen und Stoffwechsel-Tests zu hinterfragen - nach allen erdenklichen Parametern. Um zu kontrollieren, ob wir unsere Ziele erreichen. Die Ergebnisse verankerten wir im System.
gepa/bergmuellerSPOX: Durch Sie wurde mitunter das Ergometer im Weltcup salonfähig. Maier schien beinahe die gesamte Freizeit darauf zu verbringen. Welche Vorzüge bringt dieser mit sich?
Bergmüller: Wenn man die Sportart beleuchtet, ist die Grundlagenausdauer ein ganz wesentliches Element. Man braucht sie, um schnell zu regenerieren - zwischen den Rennen und speziell den Trainingsläufen. Das Ergometer hilft dabei. Ist diese Säule ausgeprägt, kann man alles darauf aufbauen. Meine Erfahrungen gaben mir Recht. Thomas Sykora, ein bekannter österreichischer Slalomläufer, absolvierte eine Saison keine Krafteinheit - er gewann fünf Rennen in Serie. Der Schlüssel liegt darin, das Fundament durch gewisse Umfänge, die sehr moderat sein können, über den Winter aufrechtzuerhalten.
SPOX: Manch Vertreter der jungen Generation wird Sie wohl verfluchen, ist diese Methode ja doch recht monoton.
Bergmüller: Ein Sportler sollte das getrennt bewerten - wer das kapiert, setzt es erfolgreich um: Unter Laborbedingungen habe ich die Garantie, eine Effizienz von 80 Prozent zu erreichen. Wenn Hermann nicht auf Skiern stand, war meine Einrichtung sein Wohnzimmer. Bei Rennen hatten wir stets das Ergometer dabei. Im Weltcup gilt es, die geringe Zeit, die zur Verfügung steht, effizient zu nutzen.
SPOX: Seit diesem Jahr darf sich Maria Höfl-Riesch zu Ihren Schützlingen zählen: Maier trägt dabei eine "Mitschuld" - stimmt das?
Bergmüller: Genau, er fädelte alles ein. Sie bat ihn um Rat und er fragte mich, ob ich mir überhaupt vorstellen könnte, mit ihr zu arbeiten. Mich reizte der Gedanke, ich war von der Herausforderung begeistert. Danach trafen wir uns, diskutierten das. Nachdem DSV-Technikchef Christian Schwaiger auch mit mir arbeitet und sich sehr an meine Philosophie anlehnt, erzielten wir schnell Einigkeit.
SPOX: Mal ein gewagter Vergleich: Wie viel Herminator steckt in Höfl-Riesch?
Bergmüller: Grundsätzlich hat Maria genetisch sehr gute Anlagen. Was ihr fehlt, ist das reaktive, dynamische Element. Zwei Jahre lang coachte ich Julia Mancuso zum Olympiasieg, die ähnliche Anlagen mitbrachte. Maria ist jedoch ein Ausdauer-Typ, wies gute Werte vor, als sie zu mir kam. Wir setzten daher bei der Schnellkraft an und integrierten Elemente wie Hürdensprünge, da musste sie sich anfangs richtig überwinden. Bewusst vernachlässigten wir das klassische Maximalkraft-Training, bauten auf koordinatives Krafttraining. Großgewachsene Sportlerinnen wie Maria müssen lernen, ihr Gewicht zu stabilisieren. Da quälte sie sich teilweise auf dem Gleichgewichtskissen - die körperliche Entwicklung ist sehr erfreulich.
SPOX: Inwiefern können Sie während der Saison aus der Ferne einwirken?
Bergmüller: Wir standen und stehen täglich in Kontakt. Sie kriegt ihr Programm und wir besprechen die Schwerpunkte. Ich gebe laufend Messungen vor, die von Christian Schwaiger akribisch und ganz exzellent durchgeführt werden. Mit den Werten kann ich reagieren. Ich analysiere alle Trainings und Rennen und tausche mich mit ihm regelmäßig aus.
SPOX: Ähneln sich die Trainingsinhalte zwischen Höfl-Riesch und Maier?
Bergmüller: Sehr, wobei ich das nicht alleine auf Maria und Hermann beziehe. Mittlerweile richtet sich alles nach der Basis vom körperlichen Ausgangsniveau. Wenn eine Person sehr lange in dem Prozess steckt wie Maria, die den Winter fast durchfährt, ist der Körper unter Umständen ziemlich ausgelaugt. Zahlreiche Rennen, dazu diese psychische Belastung - das ist unheimlich kräftezehrend. Als sie Ende April zu mir kam, war sie leer. Nach einer kurzen Auszeit von zwei Wochen startete sie mit dem Training.
SPOX: Höfl-Riesch wirkt penibel und akribisch: Welche Charakteristika zeichnen Sie aus?
Bergmüller: Genau, sie ist peinlichst genau und sehr konsequent in jede Richtung. Eigentlich ist sie beinahe bürokratisch, da sie alles aufzeichnet. Sie kann Anweisungen perfekt umsetzen und genaue Rückmeldungen geben. Das habe ich bei keiner Dame erlebt. Hermann war ähnlich. Ihn trieb der Wille an, immer besser zu werden - das hatte er Maria womöglich voraus.
SPOX: Olympiasiegerin, Weltmeisterin und Gesamtweltcup-Siegerin - fehlt ihr trotzdem der letzte Biss?
Bergmüller: Nein, bestimmt nicht! Sie ist sehr lange im Zirkus dabei, das Risiko ist ein ständiger Wegbegleiter. Womöglich reizt man es deshalb nicht immer aus. Mitunter hängt das von der Bedeutung eines Rennens ab - ob Weltcup, Weltmeisterschaft oder Olympische Spiele. Generell ist sie eine Läuferin, die Sicherheit und eine gewisse Anlaufzeit braucht.
SPOX: Denkt Sie manchmal zu viel nach?
Bergmüller: Zwischen Frauen und Männern herrscht eine grundverschiedene Auffassung, was die Risikobereitschaft betrifft. Da kann man Maria nicht mit Hermann vergleichen - schon wegen der Historie nicht. Er hat jahrelang darum gekämpft Rennläufer werden zu dürfen und das wurde ihm verweigert. Ihm wurde keine Unterstützung des ÖSV zuteil, er musste verbissen für seine Chance rackern. Die Konsequenz: Auf der Piste war Hermann gnadenlos.
Seite 1: Der Vergleich Maier vs. Riesch und das Ergometer im alpinen Skisport
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SPOX: Maier glänzte Zeit seiner Karriere mit körperlichen Traumwerten - und Höfl-Riesch?
Bergmüller: Maria verbesserte sich, teilweise deutlich. Obwohl wir den Hauptkraft-Test im Sommer aus dem Training heraus durchführten. Eigentlich war sie körperlich zu müde, dennoch erbrachte sie hervorragende Werte. Bei den Alpinen bietet sich in der Vorbereitung wenig Zeit - zwölf Wochen sind fast gar nichts. Viele Nationen rücken die Kraft in den Mittelpunkt. Während der Saison geht dadurch oftmals das Ausdauer-Niveau verloren, die Leistung ebenso.
SPOX: Obgleich benötigt man, um in die Weltelite vorzustoßen, das technische Rüstzeug.
Bergmüller: Das Ski-Training muss stets in Einklang mit der eigentlichen körperlichen Vorbereitung gebracht werden. Ganz entscheidend ist auch die psychische Komponente. Du musst bereit sein, die Leistung auf den Punkt abzurufen. Es gibt auch Trainingsweltmeister, die im Endeffekt die Versager sind. Ich denke, vom Ausgangspunkt eines perfekten Technikers macht die Fitness rund 70 bis 80 Prozent aus, wenn das Material passt.
SPOX: Höfl-Riesch bläst im Olympia-Winter zum Generalangriff: In Lake Louise triumphierte sie gleich im Doppelpack - katapultiert Sie sich in neue Sphären?
Bergmüller: Davon bin ich absolut überzeugt. Wenn sie ihre Hebel zu nutzen lernt, ist sehr viel mehr möglich. Körperlich ist sie topfit, wir konnten die Basis schaffen. Aber ich sehe noch große Reserven oder Defizite, die man in kurzer Zeit nicht wettmachen kann. Bedeutend für mich ist, dranzubleiben. Hermann hatte jährlich bis zu 900 Konditions-Trainingsstunden - auf den Skiern spielt sich ein Bruchteil ab. Der Wille dranzubleiben, ist entscheidend.
SPOX: Ihre Unterstützung befähigt zu Glanztaten: 2001 drohte Maier nach einem verheerenden Motorradunfall die Amputation - 17 Monate später krönte er sein traumhaftes Comeback. Von der Reha bis zum Super-G-Sieg in Kitzbühel zogen Sie die Fäden. Warum sprechen Sie im Nachhinein von der Herausforderung Ihres Lebens?
Bergmüller: Aus meiner Sicht, das bestätigten mir zahlreiche Mediziner und Experten, war das eine der beeindruckendsten Wiederherstellungen aller Zeiten. Sein Bein hing nur mehr an einzelnen Hautlappen, durch eine Meisterleistung der Ärzte konnte es gerettet werden. Manche dachten, er würde nie wieder rennmäßig Skifahren können. Wenn man da nach der Operation zu lange wartet, erste Reize im neuralen Bereich zu setzen, wird das nie wieder. Und dennoch fehlte ihm im Schuh fortan die Sensibilität. Bei der Nachkontrolle ein Jahr danach bemängelte Hermann seinen Zustand. Der Klinikchef sah ihn verwundert an und sagte: "Herr Maier, andere haben nach so einem schweren Trauma jetzt nur mehr ein Bein. Und Sie sind unzufrieden und jammern, weil nicht alles ganz rund läuft und Sie nicht zu hundert Prozent wiederhergestellt sind."
SPOX: Vor dem Unglück schien er auf dem Höhepunkt seiner Leistungsfähigkeit - wie erlebten Sie den Tag X mit?
Bergmüller: Er demoralisierte beim Ski-Training in Chile seine Kollegen, distanzierte sie zum Teil um über eine Sekunde. Er war in der Form seines Lebens. Vor dem Unfall kam er am späten Nachmittag zu mir. Nach einer Indoor-Einheit am Ergometer und Rumpfübungen machte er sich auf den Heimweg. Ich wusste nicht, dass er mit dem Motorrad unterwegs war. Unser ärztlicher Leiter rief mich mehrmals an, aber ich hatte telefoniert. Danach wurde ich informiert, dass er schwer verunglückte. Wenig später meldete sich auch Hermann. An seine ersten Worte kann ich mich bestens erinnern: "Jetzt ist alles vorbei - mein Fuß ist total kaputt!" Ich antwortete: "Das kriegen wir wieder hin." Während er auf dem Operationstisch lag, tüftelte ich bereits an Comeback-Plänen.
SPOX: Maier verkörperte das Image des Unzerstörbaren - dies änderte sich mit einem Knall. Was schwirrte Ihnen durch den Kopf als er im Krankenbett lag, menschlich und zerbrechlich?
Bergmüller: Es war sehr dramatisch. Gleich am Tag nach dem Unfall besuchte ich Hermann auf der Intensivstation. Er fragte mich, ob das wieder hinzukriegen ist. Ich meinte: "Wir schaffen das bis zu den Olympischen Spielen in Salt Lake City." Jene stiegen im selben Winter, das war völliger Irrsinn. Allerdings war es notwendig, um ihn nicht in ein Loch stürzen zu lassen. Ich wollte ihn bei Laune halten. Als er von der Intensivstation verlegt wurde, besorgte ich umgehend einen Handkurbel-Ergometer. Die Bilder gingen um die Welt. Schon im Krankenhaus begannen wir mit dem Training.
SPOX: Noch heute sieht das Bein schwer ramponiert aus - undenkbar, dass er damit überhaupt in einen passgenauen, harten Rennschuh passte. Inwiefern limitierte ihn die Deformierung?
Bergmüller: Beim Skifahren schränkte es Hermann ein, da beim Sprunggelenk die Beweglichkeit verloren ging und es steif war. Er konnte abermals enorm an Kraft zulegen, auch die Ausdauer pendelte sich auf dem gewohnten Niveau ein. Schnellkraft-Elemente und Sprünge waren danach möglich, die Dynamik von früher ließ er jedoch vermissen, das war nicht mehr aufzubauen.
SPOX: Der Hauptgrund, weshalb er nicht an die frühere Dominanz anknüpfen konnte?
Bergmüller: Nein, er hätte danach bedeutend mehr Siege eingefahren, wenn er nicht den Skischuh-Wechsel vollzogen hätte. Natürlich trauten sich das die Trainer nicht zu sagen. In einer Saison fuhr er ein Abfahrts-Training mit Atomic, das andere mit Lange. Er hatte zwischen 30 und 40 verschiedene Modelle von Atomic. Er hätte das Material nie tauschen dürfen.
SPOX: Demzufolge war die Rennmaschine Maier überaus feinfühlig?
Bergmüller: Er war ein unglaublicher Grübler und Tüftler, der ununterbrochen über das Training und sein Setup nachdachte. In Neuseeland testete er damals den neuen Schuh. Eine Woche vor dem Weltcup-Auftakt in Sölden rief er mich verzweifelt an: "Ich kann keinen Schwung mehr fahren. Mein Gefühl ist völlig verschwunden." Für mich war das kein Wunder. Er beschäftigte sich einzig mit den Schuhen, vergaß das Skifahren an sich. Ohne diese Entscheidung hätte er, davon bin ich überzeugt, viel mehr Rennen gewonnen.
SPOX: In der Öffentlichkeit mimte er gelegentlich den Starrköpfigen, Uneinsichtigen - wie verlief der normale Trainingsalltag?
Bergmüller: Er war überhaupt nicht schwierig. Ich ließ die Leine locker, gab ihm seine Freiheiten, deshalb gab es keine Konflikte. Wir verstanden uns blind. Ich versuchte, ihm alles zu ebnen - wie ein Vater. Für mich war er der Athlet, wo ich bis heute am meisten lernen und Erfahrungen sammeln durfte. Über Leistungsdiagnostik und vor allem über die Trainingssteuerung. Wenn ich die Grundlagenausdauereinheiten als Exempel nehme: Bei 100 bis 120 Watt auf dem Ergometer fingen wir an, während der besten Zeit fuhr er die dreifache Leistung, rund 350 Watt, im Grundlagenbereich über eine halbe Stunde. Nach dem Unfall mussten wir wieder bei 50 - 60 Watt beginnen. Es war faszinierend, zu sehen, wie die Einheiten umsetzbar sind und wie wirksam sie bei seinem Körper anschlagen.
SPOX: Nicht zuletzt weil er die Vorgaben erbarmungslos umsetzte?
Bergmüller: Ich erlebte keinen Athleten mehr, der meinen Anweisungen derart konsequent folgte. Verordnete ich ihm nach der Ankunft in Nordamerika am ersten Tag nur freies Skifahren und am dritten eine Pause, hielt er das ein. Vor den Olympischen Spielen in Nagano 1998 verzichtete er auf Kitzbühel. Beim ÖSV und in ganz Österreich lösten wir einen Sturm der Entrüstung aus. Ich stellte damals ein Ultimatum: Wenn er startet, betreue ich ihn nicht mehr. Hermann war nicht komplett fit. Die grundsätzliche Problematik war aber, dass er davor eine Regenerationswoche benötigte. Ich wollte seine Teilnahme unbedingt vermeiden. Zumal es sein Hahnenkamm-Debüt war und ich Angst hatte, die Strecke ist ja unglaublich fordernd. Hermann vertraute mir. Wir arbeiteten insgesamt fast 13 Jahre erfolgreich zusammen, das ist eine lange Zeit. Wir haben sehr viele Höhen und einige Tiefen erlebt, das bindet und vergisst man nicht so schnell.
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