Tennis-Baron unterm Hakenkreuz

Von Maximilian Schmeckel
Gottfried von Cramm gilt als wohl bester Spieler, der nie Wimbledon gewann
© getty

Mit seinem eleganten Stil verzückte Gottfried Freiherr von Cramm die Welt, wurde zum ersten deutschen Tennis-Superstar und ersten deutschen Sieger bei einem Grand-Slam-Turnier. Die Frauen liebten den weltgewandten Adeligen, den Nazis war er ein Dorn im Auge: Sie schickten den Tennis-Baron ins Gefängnis und an die Ostfront. Von Cramm bleibt als wahrer Gentleman in Erinnerung - und als wahrscheinlich bester Spieler, der nie Wimbledon gewann.

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Im Jahr 1951 erhob sich der Center Court und rauschender Applaus brandete durch die Sommerluft von Südlondon. Jaroslav Drobny, amtierender French-Open-Sieger, der Wimbledon drei Jahre später gewinnen sollte, hatte das heilige Grün des berühmtesten Tennis-Turniers der Welt betreten. Die Menge huldigte jedoch keinesfalls dem Tschecheslowaken, sondern dem Mann, der den Rasen gemeinsam mit dem an Position zwei gesetzten Mitfavoriten betreten hatte: Gottfried Freiherr von Cramm.

Nur wenige Jahre nach dem Krieg bedachten die Briten einen Deutschen mit stehenden Ovationen - eine Würdigung, die nur einem ganz besonderen Sportler zuteil werden konnte. Fast 20 Jahre nachdem er zum ersten Mal am Londoner Elite-Turnier teilgenommen hatte, kehrte er im Alter von 41 Jahren an den Ort zurück, an dem er nie triumphieren konnte - bis heute gilt er als der beste Spieler, der Wimbledon nie gewinnen konnte.

Von Cramm unterlag dem zwölf Jahre jüngeren Drobny und schritt in seiner altmodischen langen weißen Hosen, die seine von an der Ostfront zugezogenen Erfrierungen malträtierten Beine verdeckten, ans Netz, um dem Gegner aufrecht zu gratulieren und sich zum letzten Mal vom Publikum zu verabschieden, das ihn immer geliebt hatte und das ihn als Deutschen auch nach dem Krieg nicht verteufelte, sondern feierte.

Weltgewandtheit und Offenheit

1909 kam von Cramm im Schloss Nettlingen zur Welt. Sein Vater Burghard entstammte einer Adels-Dynastie und auch seine Mutter Jutta war als Gräfin der Oberschicht angehörig. So wuchs von Cramm inmitten von Wohlstand auf. Es war normal, dass es Mägde und Knechte für den Pferdestall und Bedienstete, die das Essen auftrugen, gab.

Anders als andere wohlhabende deutsche Familien propagierte Vater Burghard seinen Kindern jedoch keinesfalls ein konservatives Werte-Gerüst, sondern Weltgewandtheit und Offenheit. Er selbst hatte in Oxford studiert und engagierte Privatlehrer und zuvorderst das "Fräulein Markgraf", eine in die Jahre gekommene Erziehungspersönlichkeit, die auch schon den Erben am spanischen oder englischen Königshof, wo etwa der spätere König Edward VIII. zu ihren Zöglingen gehörte, Manieren beigebracht hatte.

So wuchs von Cramm mit Privatunterricht und Englischstunden am Vormittag und dem konträr verlaufenden freien Toben bei den Ställen und zwischen den Kiefern auf dem Anwesen am Nachmittag auf. Mit sechs Jahren schenkte ihm sein Vater den ersten Tennis-Schläger, fünf Jahre später begann er regelmäßig zu spielen.

Dass ihm in jungen Jahren ein Pferd, dem er ein Stück Zucker geben wollte, die vordere Kuppe des rechten Zeigefingers abbiss, beeinträchtigte sein Spiel - auch später - kaum, er spielte stets mit besonders schmalen Griff. Er trainierte für sich selbst, stundenlang schlug er seine krachenden Aufschläge auf einen Punkt einer Steinmauer, sodass irgendwann der Putz bröckelte.

Modelliert in Hannover und Berlin

1924 schloss er sich dem Tennisverein Hannover an, vier Jahre später zog er nach Berlin um für die angestrebte Diplomaten-Karriere Jura zu studieren. Parallel spielte er beim Tennisklub Rot-Weiß, wo Trainer die in den Jahren mit Eigen-Training antrainierten Schwächen austrieben und erkannten, wie talentiert der elegante Jüngling ist.

Innerhalb Deutschlands erspielte er sich schnell einen Namen als eleganter Grundlinienspieler mit gnadenlosen Netzangriffen - er war ein Vorreiter des Serve-and-Volleys. 1929 war er Deutschlands Nummer zehn, Anfang der dreißiger Jahre reiste er mit seinem Klub an die Riviera und spielte sich mit einigen Siegen gegen namhafte Gegner auf dem sonnenerwärmten Sand von Cannes oder Nizza schnell in die Herzen der Fans. Bald gewann er auch seinen ersten internationalen Titel: 1931 siegte er in Athen und krönte sich so zum Meister der Mittelmeerländer. Es war der Durchbruch zum elitären Kreis der Tennis-Granden.

Er erreichte in Wimbledon und bei den French Open die vierte Runde und rückte auf Platz zwei der deutschen Rangliste vor. Weil das viele Reisen und das lernintensive Jurastudium sich nicht vereinbaren ließen, brach er es mit der Einverständnis seiner Eltern ab - und schwebte weiter gen Tennis-Himmel.

Erster deutscher Grand-Slam-Turnier-Sieger

1932 wurde er Deutscher Meister und stürmte nur zwei Jahre später ins Finale der French Open. In Paris traf er auf den Australier John Herbert Crawford und krönte sich in einem epischen Match erstmalig zum Grand-Slam-Gewinner.

Und wie! Crawford hatte Matchball und überspielten den ans Netz geeilten von Cramm mit einem Lob. Der eilte zurück und schmetterte den Ball irgendwie zurück. Die Filzkugel blieb im Feld und er gewann das Match noch.

Bald war er hinter Chapman und dem Briten Fred Perry die Nummer drei der Welt. 1936 gewann er die French Open erneut, er war zudem sechsmaliger Champion am Hamburger Rothenbaum und gewann 82 seiner 101 Davis-Cup-Matches. Sein größter Traum aber blieb unerfüllt: der Einzelsieg in Wimbledon. Lediglich 1933, im Mixed mit Hilde Krahwinkel, holte er den Titel in London.

"Beneidenswert schönes Tennis"

Viel mehr als für seine Klasse oder seine Titel war er weltberühmt für sein Auftreten. Er blieb stets Gentleman. Mit besten Manieren behielt er in der Stunde der Niederlage wahre Größe und wahrte im Moment des Sieges Demut.

Er berichtigte Punktrichter, wenn sie ihm zu Unrecht einen Punkt zusprachen oder einen Aufschlag des Gegenübers im Aus gesehen hatten. "Er spielte schönes, einfach beneidenswert schönes Tennis, das war ihm wichtiger als der Sieg!", sagte sein US-Amerikanischer Kontrahent Donald Budge. Und von Cramm hatte dieses ganz besondere einnehmende Wesen.

Mit seinen blonden Haaren, seinem Lächeln und den blauen Augen - und natürlich seinem Charme, dem er in formvollendeten Englisch eine Stimme verlieh, machte er sich international viele Freunde. Er dinnierte mit dem König von Schweden, Gustav V., er hatte Freunde in Kopenhagen, Cannes, London, Paris und Kairo.

Es verkörperte das Weltmännische, das ihm sein Vater und Fräulein Ehrtraut mitgegeben hatten, das ihn so populär machte und das ihm die Frauenwelt zu Füßen legte. Obwohl der Tennissport in Deutschland als Betätigung für die Oberschicht galt, war er bald hinter dem Ausnahmeboxer Max Schmeling der größte deutsche Sportler überhaupt.

Seite 1: Vom modernen Adligen zum ersten deutschen Grand-Slam-Sieger

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