Diesmal kam der Anruf ziemlich spät. Aber Kimber Auerbach, PR-Manager der New York Islanders, hat mittlerweile Routine. Interview-Anfragen, die auf seinem Blackberry eintrudeln, richten sich fast ausschließlich an John Tavares: In Drittelpausen, nach dem Spiel, nach dem Training, aber bitte wenigstens einen Satz von John.
So will es jetzt auch der Redakteur einer TV-Station in Minnesota, wo die Islanders in der kommenden Woche spielen werden. Die Termine in Boston, Carolina, Florida, St. Louis und Washington, alles Spielorte der nächsten Tage, stehen auch schon fest.
"Seit John bei uns spielt, richtet sich die Aufmerksamkeit der Medien auf ihn", sagt Auerbach und prüft, ob für den Fernsehmenschen aus Minnesota noch Platz ist.
Ähnlicher Hype wie bei Sid the Kid
Diesen Hype, die NHL hat ihn erst kürzlich erlebt: Bei Sidney Crosby, seines Zeichens amtierender Stanley-Cup-Champion mit den Pittsburgh Penguins. Auch ihn hat die Presse hoch gelobt - tief gefallen ist er nicht. Vielmehr hat Sid the Kid aus einer Durchschnittsmannschaft einen Meister gemacht.
Schafft das auch John Tavares? Ist er mit 19 Jahren alt genug, um diesen Druck auszuhalten? Scott Gordon, Headcoach der Isles, stapelt tief: "Wir haben John eingetrichtert, dass er nicht der Heiland und Retter dieser Franchise ist." Und fügt dann mit einem Lächeln hinzu: "Nun, er könnte es werden. Aber daran soll er jetzt bitte nicht denken."
Und was tut Tavares? Gegenüber SPOX macht er klar, wo seine Ziele liegen: "Ich hoffe, auch noch in zehn Jahren bei den Islanders zu spielen. Und bis dahin ein paar Meisterschaften zu gewinnen."
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Der nächste Great One?
Tavares ist schon mit 19 Jahren der Typ Spieler, der dafür seine persönlichen Ziele hintenan stellt: "Was einem im Leben passiert, das kann man sowieso nicht beeinflussen. Meine ganze Konzentration gilt New York, dass wir die Sache hier herumreißen und ein paar Stanley Cups holen". Das Prickelnde daran: Mit ihm könnte es vielleicht wirklich gelingen.
Für Islanders-Fans klingt das zumindest schon jetzt wie das Paradies: "Stanley Cup". Zum letzten Mal auf Long Island gesichtet: 1983. Sieben Jahre später wird John Tavares geboren. Natürlich erhofft man sich in New York insgeheim, dass Tavares einschlägt wie Crosby und dass er der wahre nächste "Great One" wird.
Wen hat es nicht schon alles gegeben, wer sollte nicht schon alles die Bürde des Nachfolgers des großen Wayne Gretzky übernehmen? Mario Lemieux, Eric Lindros, Sidney Crosby, Alexander Owetschkin, ja sogar Phil Kessel musste schon dafür herhalten. Jedem, bis auf Lemieux vielleicht, waren die Fußstapfen bisher (noch) zu groß.
Tavares bricht Gretzky-Rekord
Sidney Crosby ist aber sicherlich auf einem guten Weg. Und wer den Stolz und die Tradition des Eishockeymutterlandes kennt, der weiß, dass nur ein Kanadier der nächste "Great One" werden kann. Ein Kanadier wie Crosby. Oder Tavares.
Genau genommen ist John Tavares selbst schuld an diesem Hype. Denn er hat einen Wayne-Gretzky-Rekord gebrochen: Tavares erzielte als 16-Jähriger in der Saison 2006/07 für die Oshawa Generals in der Ontario Hockey League (OHL) 72 Tore. Gretzky schaffte 1978 im gleichen Alter "nur" 70. Tavares war mit 14 Jahren schon so gut, dass er mit einer Ausnahmegenehmigung in der OHL spielen durfte.
Dass von ihm so viel erwartet wird, macht Tavares, Sohn einer Mutter mit polnischen Wurzeln, aber überhaupt nichts aus: "Das nervt mich gar nicht. Schließlich bin ich endlich da, wo ich immer hinwollte, wovon ich schon als kleiner Junge geträumt habe. Dafür habe ich viele Stunden am Tag geschuftet, hart geschuftet. Ich will immer der bleiben, der ich war, ich habe mir vorgenommen, bescheiden zu bleiben."
Bei Doug Weight einquartiert
Ist das wirkliche Bescheidenheit, Coolness, Abgezocktheit - oder vielleicht eine Mischung aus all diesen Dingen? Mit einem Schachzug hat man bei den Islanders versucht, dem stürmischen neuen Wunderkind ein bisschen Ruhe und Rückhalt zu vermitteln: Man hat ihn im Haus von Doug Weight, dem Mannschaftskapitän, einquartiert. Tavares: "Doug hat mir geholfen, mich in der NHL zurecht zu finden, seitdem ich gedraftet wurde. Wir reden viel übers Eishockey."
Meistens aber läuft der Fernseher in Weights Wohnung: Football, Baseball, Eishockey - die beiden lieben Sport auch in der Glotze. Da scheinen sich zwei gefunden zu haben: Der 19-jährige Tavares und der doppelt so alte Weight, der theoretisch fast sein Vater sein könnte. Einen ähnlichen Begleiter hatte auch Crosby in seinen ersten Jahren mit den Penguins: Mario Lemieux.
Doug Weight ist der Mann, der Tavares die nötige Gelassenheit und das Auf-dem-Boden-bleiben vermitteln kann. Er ist ein Mann mit der Erfahrung von 18 Saisons, einem Stanley-Cup-Sieg mit Carolina und einer Silbermedaille bei Olympia. Wer, wenn nicht er, kann Tavares auf das Stahlbad NHL am besten vorbereiten?
Ein paar Meisterschaften mit den Isles...
Man stelle sich nur die Situation vor: Ein 19-Jähriger, ein gerade erwachsen gewordener Kerl, kommt mit einem riesigen Berg Vorschusslorbeeren in die NHL. Er soll sich bloß nicht als Retter einer am Boden liegenden Franchise fühlen, aber natürlich erwartet es insgeheim doch jeder.
Er kann der Nachfolger von Wayne Gretzky werden, seine Rekorde brechen, die Hockeyfans rund um den Globus bersten vor Spannung auf seinen ersten Auftritt. Kein anderes Trikot eines Islander-Spielers hat sich öfter verkauft als das von John Tavares. Nicht einmal eines der Truppe, die viermal in Folge Meister wurde.
Und dann spricht der junge Mann von "ein paar Meisterschaften in den nächsten zehn Jahren mit den Islanders." Einem Klub, der sich nur vier Mal in den vergangenen 15 Jahren für die Playoffs qualifizieren konnte. Bislang ist Tavares auf dem Weg zu einer 60, wenn nicht sogar 70-Punkte-Saison. Noch nicht ganz der Status eines Retters, aber das erwartet ja auch - offiziell - noch niemand.
Kein Großmaul, ein Macher
Für den Status des Superstars wird jedenfalls alles getan. Nach Johns erstem NHL-Spiel, einer 3:4-Niederlage gegen Crosbys Penguins, hat man die Netze der beiden Tore zerschnibbelt, die auf dem Eis standen.
Fans können jetzt ein kleines Schnipselchen, eine Kopie des offiziellen Spielberichtsbogens und ein handsigniertes Foto von John Tavares im hochwertigen Einband erwerben. Preis: Knapp 250 Euro.
Wie hoch der Druck auch ist, sicher ist nur, dass Tavares diesen ganzen Rummel um ihn bislang richtig angeht. Er spricht ehrlich von seinen Zielen und lässt dem Ganzen auf dem Eis Tore und Assists folgen. Er ist kein Großmaul. Er ist ein Macher, auch schon in jungen Jahren.
Ob seine Ziele "Meisterschaften" in den kommenden zehn Jahren realistisch sind, liegt nicht nur an ihm. Bislang jedenfalls trägt er sein Scherflein dazu bei. Auf Long Island riecht es wieder ganz leicht nach der ersten Playoff-Teilnahme seit 2005. Spätestens dann ist aus John Wayne geworden.
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