Ein dunkles Kapitel im deutschen Basketball: Mit einem Knall verschwinden die Dragons von der Landkarte - und das freiwillig. Jetzt droht der BBL ein offener Richtungsstreit.
1. Der Artland-Schock: Was ist passiert?
Selten wurde eine Nachricht mit derartiger Sprengkraft für eine Sportart fast schon beiläufig verkündet: Zur Überraschung vieler gaben die Artland Dragons in einer unpersönlichen Pressemitteilung bekannt, dass sie den Profispielbetrieb einstellen. Veteran Guido Grünheid berichtete daraufhin, dass es seit Jahren Gerüchte darüber gegeben habe, aber dass das Team nicht geahnt hatte, wie konkret die Gedanken von Mäzen Günter Kollmann seien.
Entsprechend groß war das Entsetzen und der Informationsbedarf unter den Basketball-Fans, die offizielle Homepage der Dragons brach unter der User-Last am Sonntag zwischenzeitlich zusammen. Die offizielle Begründung des Vereins aus Quakenbrück: "Die Beko BBL hat sich enorm weiterentwickelt, und die Gesamtetats der Konkurrenten sind gestiegen, so dass es für die Dragons nicht mehr möglich ist, den gewachsenen Ansprüchen gerecht zu werden."
Ein etwas verwunderlicher Entschluss, ist Geldgeber Kollmann, ehemaliger Basketball-Juniorennationalspieler und in Quakenbrück beheimatet, als Boss und Gründer der dort ansässigen JCK Holding (Umsatz 2014: knapp 600 Mio. Euro) vermögend, um weiterhin geschätzt zwei Millionen Euro zum jährlichen Budget von circa vier Millionen Euro beizutragen.
Doch offensichtlich ist Kollmann nicht bereit, sein Invest zu erhöhen, um den Standort-Nachteilen zu trotzen und sich weiter in der BBL-Spitze zu halten. Artland wurde 2007 Vizemeister und 2008 Pokalsieger, noch im Vorjahr erreichte man das Playoff-Halbfinale. Seit dem Aufstieg 2000 zählte Artland zu den bewährten Kräften der Liga, bei der unter anderem der heutige Bundestrainer Chris Fleming, dessen Nachfolger und der heutige Ulm-Coach Thorsten Leibenath, der zweimalige Trainer des Jahres Stefan Koch und der nicht nur wegen des Namensvetters prominente Point Guard Michael Jordan tätig waren. Zudem halten die Dragons mit 128 ausverkauften Heimspielen in Folge den Bestwert.
Nach der "total verkorksten Saison 2014/15" (Dragons-Geschäftsführer Alexander Meilwes) mit einem 11. Platz und dem Verpassen der Playoffs mag sich Kollmann dem Vernehmen nach nicht mehr mit Durchschnitt abgeben und beerdigt sein "Baby" (Neue Osnabrücker Zeitung). Selbst ein Fortbestehen des Klubs ohne Kollmann wäre bei Einverständnis des Mäzens denkbar gewesen, nur zieht es dieser vor, nicht nur beharrlich zu schweigen, sondern den Klub komplett zu schließen.
Eine bemerkenswerte Notiz: Letztmals werden die Dragons in zwei Wochen auftreten, wenn die JBBL-Mannschaft (U16) am Top Four in Hagen teilnimmt - und um die Deutsche Meisterschaft spielt.
1. Der Artland-Schock: Was ist passiert?
2. Was bedeutet Artlands Rückzug für die BBL?
3. Steht die BBL vor einer Zerreißprobe?
4. Warum wird die Pommer-Nachfolge eine Herkules-Aufgabe?
5. Was passiert mit den Dragons-Spielern?
2. Was bedeutet Artlands Rückzug für die BBL?
Die Dragons waren schon immer ein Sonderfall. Ein Dorf mit 13.000 Einwohnern, dessen Basketball-Klub trotz Mäzenatentums auf den Kauf einer Wild Card verzichtete, im Jahre 2003 sportlich in die BBL aufstieg, sich wirtschaftlich nie übernahm und sich nie im unteren Tabellendrittel wiederfand.
Allerdings ist Artlands Rückzug die Fortführung einer unheilvollen Serie: Mit Köln (2009), Göttingen (2012), Gießen (2013), Würzburg (2014) und Trier (2015) verloren wegen finanzieller Probleme in den vergangenen sechs Jahren fünf Klubs die Lizenz oder wurden von der Liga mit Punktabzügen bestraft, so dass sie nicht mehr in der BBL verblieben. Und nun das Ende der Dragons.
Mittlerweile lässt sich aus den Einzelfällen ein Muster erkennen, welches nicht nur für die Außendarstellung fatal ist, sondern die Substanz der BBL gefährdet. Alleine organisatorisch: Stand jetzt würde die neue Saison mit 17 statt mit 18 Klubs beginnen. Gießen und Würzburg steigen auf, das insolvente Trier und Crailsheim steigen ab, Artland verschwindet. Eine Möglichkeit wäre, dass ein unterklassiger Klub mit Ambitionen wie Nürnberg, Vechta oder das abgestiegene Crailsheim eine Wild Card erwirbt. Wobei die Wild Card alleine laut Statuten 250.000 Euro kostet. Für Hamburg und Köln kommt bei allem Ehrgeiz ein sofortiger Aufstieg in die BBL wohl zu früh.
Am Donnerstag trifft sich der Lizenz-Ausschuss in Köln, um die Spielgenehmigungen der in der BBL verbleibenden sowie der aufsteigenden Klubs zu prüfen und sich über das Wild-Card-Thema zu beraten. Der Ausgang ist offen.
Was hingegen klar ist: Der deutsche Basketball verliert mit Trier und Artland die beiden nächsten Klubs, die zwar für ein kleines Einzugsgebiet und limitierte Voraussetzungen standen, aber auch für Enthusiasmus und Identifikation mit der Sportart. Zwar rücken die Traditionsstandorte Gießen und Würzburg nach, dass diese beiden vor nicht allzu langer Zeit gleichfalls in Nöten waren, mag dennoch ein bedenkliches Vorzeichen sein.
1. Der Artland-Schock: Was ist passiert?
2. Was bedeutet Artlands Rückzug für die BBL?
3. Steht die BBL vor einer Zerreißprobe?
4. Warum wird die Pommer-Nachfolge eine Herkules-Aufgabe?
5. Was passiert mit den Dragons-Spielern?
3. Steht die BBL vor einer Zerreißprobe?
Kurz und bündig: ja. Schon seit Jahren nehmen die Spannungen zwischen den großen und kleinen Klubs zu, mit dem Einstieg der Bayern verschärfte sich die Tonalität noch einmal deutlich. Vereinfacht gibt es zwei Fronten: Für die Bayern, Berlin und Bamberg geht die Entwicklung der BBL zu langsam vonstatten. Der deutsche Basketball hatte seine Wurzeln zwar lange in der strukturschwachen Provinz, doch für Nostalgie sei keine Zeit und man müsse den Zielen der Topklubs gerecht werden und die Anforderungen der gesamten Liga nach oben verschieben. Der Rest fühlt sich hingegen latent überfordert beim Bestreben der BBL, bis 2020 führend in Europa zu sein.
Der scheidende BBL-Geschäftsführer Jan Pommer proklamiert zwar diese Vision, aber ist zugleich um Konsens bemüht. Ein Unterfangen, das nur bedingt klappt. Weder die Großen noch die Kleinen sind so recht zufrieden. Die in der Euroleague vertretenen Berliner und Münchner fordern vehement eine Reduzierung der heimischen Liga auf 16 Klubs, weswegen das Artland-Aus womöglich sogar hilfreich sein könnte. Das Kalkül: Weniger Spiele in der BBL gegen unattraktive Dorfklubs bedeuten mehr Ruhepausen für die Königsklasse, bedeuten größere Chancen auf ein Weiterkommen, bedeuten mehr Spiele gegen die europäischen Topteams.
Im Kontrast stellvertretend die abgestiegenen Crailsheimer, die sich teils nicht willkommen fühlten in der BBL, obwohl der Basketball in der Provinz authentisch gelebt werden würde, wo nicht alles klinisch perfekt durchorganisiert und durchfinanziert sei.
Und inmitten dieser Extreme finden sich Klubs wie Ulm und Oldenburg wieder, die zwar ihren Underdog-Ruf kultivieren und hin und wieder das Gebaren von Bayern, Berlin und Bamberg kritisieren, aber selbst eine neue Halle bauen, Stars verpflichten und damit Konkurrenten wie Frankfurt, Bonn, Ludwigsburg und bis zuletzt Artland unter Druck setzen.
Spätestens durch den Ausstieg der Dragons werden die Gräben nun sichtbar für jeden - und führen zur Schlüsselfrage: Welche Opfer fordert der Wachstum?
1. Der Artland-Schock: Was ist passiert?
2. Was bedeutet Artlands Rückzug für die BBL?
3. Steht die BBL vor einer Zerreißprobe?
4. Warum wird die Pommer-Nachfolge eine Herkules-Aufgabe?
5. Was passiert mit den Dragons-Spielern?
4. Warum wird die Pommer-Nachfolge eine Herkules-Aufgabe?
Der Rücktritt von Jan Pommer als BBL-Geschäftsführer zum Sommer kam überraschend, jedoch ist er nicht ganz unverständlich, auch wenn er selbst nichts über die Beweggründe sagen möchte. Pommer gibt sich schon immer bewusst neutral und nicht volksnah, um jeden Verdacht der Kumpanei zu vermeiden - was aber nicht verhindern konnte, dass er trotz des unbestreitbaren Aufstiegs der BBL und dem wegweisenden Rechtedeal mit der Telekom von den Klubvertretern teils massiv kritisiert wird.
Im Grunde lässt sich der Großteil der Beschwerden auf den Konflikt zwischen großen und kleinen Vereinen zurückführen. Wie zuletzt beim Top 4 in Oldenburg, wo das Halbfinale und das Finale des Pokals an einem Wochenende stattfand. Der Modus, wonach nur die besten sechs Teams der Liga für die K.o.-Runde qualifiziert sind und die drei Gewinner mit dem Gastgeber das Top 4 austragen, ärgert die kleineren Vereine kolossal. Es wäre, als ob im Fußball nur Bayern, Dortmund, Schalke, Wolfsburg, Leverkusen, Mönchengladbach und ein siebter Klub am DFB-Pokal teilnehmen dürfen. Es ist ein Zugeständnis der BBL an die großen Klubs, damit die Belastung angesichts der Bundesliga und dem europäischen Wettbewerb im Rahmen bleibt.
Gleichzeitig hält Pommer gegen den Willen der Topklubs am All-Star-Game-Wochenende fest, um da wiederum den kleineren Klubs entgegenzukommen, und sprach sich deutlich für ein Festhalten an der 18er-Liga aus.
Jetzt tritt Pommer zurück und verantwortet als neuer Geschäftsführer der Deutschen Sport Marketing unter anderem Hamburgs Olympia-Bewerbung 2024 mit. Und bei aller Kritik, die Pommer auf sich zog: Wer soll ihn ersetzen? Die Liste an möglichen Kandidaten ist so kurz wie unkonkret - dabei benötigt die BBL so schnell es geht einen Nachfolger, der die fundamentalen Themen sortiert und zwischen den Klubs moderiert.
Zumal nach dem gleichfalls überraschenden Rücktritt von BBL-Präsident Thomas Braumann dessen Nachfolger Alexander Reil (Vorsitzender von Ludwigsburg) nur kommissarisch bis September im Amt ist, wenn bei der Jahreshauptversammlung die Präsidiumswahl stattfindet. Sprich: Stand jetzt gibt es weder Klarheit beim Geschäftsführer noch beim Präsidenten als dessen formalen Vorgesetzten.
Und bei der Ernennung beider Positionen wird es sicher erneut zum Clash der Kulturen kommen: Welche Kandidaten sind konsensfähig bei den großen, mittelgroßen und kleinen Klubs? Wird die Geschäftsführer-Position womöglich sogar auf zwei gleichberechtigte Personen mit unterschiedlichem Profil (Sport/Marketing) verteilt, wie einige vermuten? Wenn zwei Geschäftsführer installiert werden, könnte das die Mehrheitsfindung unter den Klubs erleichtern. Andererseits: Wie sollen mit zwei Geschäftsführern, ausgestattet mit identischem Veto-Recht, die nach der Causa Artland und Causa Trier dringenden Entscheidungen schnell und effizient getroffen werden?
1. Der Artland-Schock: Was ist passiert?
2. Was bedeutet Artlands Rückzug für die BBL?
3. Steht die BBL vor einer Zerreißprobe?
4. Warum wird die Pommer-Nachfolge eine Herkules-Aufgabe?
5. Was passiert mit den Dragons-Spielern?
5. Was passiert mit den Dragons-Spielern?
Der Artland-Rückzug hat Auswirkungen auf die gesamte BBL - aber vor allem unmittelbar auf die Spieler, die in dieser Saison unter Vertrag standen. Aufgrund dessen, dass die Dragons nur Ein-Jahres-Verträge abschlossen, ist das gesamte Team auf der Suche nach neuen Klubs - wobei das dramatischer klingt, als es ist.
Vor allem die einheimischen Spieler werden dank der 6+6-Regelung, wonach in einem 12er-Aufgebot immer sechs Profis mit deutschem Pass stehen müssen, Angebote erhalten, obwohl die Saison für alle enttäuschend verlaufen war.
Center Andreas Seiferth, 2014 noch ein All Star und Nationalspieler, war nach dem Wechsel von Trier nur eine Ergänzung, in 16:02 Minuten im Schnitt kam er auf überschaubare 7,3 Punkte und 3,1 Rebounds. Dennoch dürften einige Klubs aus dem Tabellen-Mittelfeld daran interessiert sein, ihn wie auch den defensivstarken und offensiv limitierten Point Guard Bastian Doreth (3,2 Punkte, 2,0 Assists in 17:06 Minuten), ebenfalls Nationalspieler, zumindest als wichtige Backup-Optionen zu verpflichten.
Scharfschütze Chad Toppert (6,3 Punkte), Spielmacher David McCray (4,3 Punkte) und Veteran Guido Grünheid werden ebenfalls als Rollenspieler in der BBL unterkommen.
Inwiefern die wichtigsten US-Amerikaner in Deutschland bleiben, hängt vor allem von deren Gehaltsvorstellungen ab. Trotz unbestrittenen Talents hatten diese bestenfalls eine durchwachsene Spielzeit: Small Forward Brandon Thomas (12,0 Punkte), Shooting Guard Antonio Graves (11,8), die beiden Big Men Lawrence Hill (9,5) und Anthony King (9,3) sowie David Holston (11,0), der nicht mehr so beeindruckte wie in der Premieren-Saison bei Artland, aber mit 5,7 Assists immerhin drittbester Vorlagengeber der BBL war.
Der umworbenste Spieler dürfte allerdings jemand sein, der erst 1:12 Minuten in der BBL eingesetzt wurde: Isaiah Hartenstein. Der 2,07 Meter große Power Forward, der an diesem Dienstag seinen 17. Geburtstag feiert, kann zwischen deutschem Topklub (u.a. Bamberg), europäischem Topklub (u.a. Barcelona) und den besten US-Colleges (u.a. Duke) aussuchen.
1. Der Artland-Schock: Was ist passiert?
2. Was bedeutet Artlands Rückzug für die BBL?
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BBL: Die Playoffs im Überblick