Vor etwas mehr als einem Jahr blickte die Fußballwelt gespannt nach Madrid. Inter und der FC Bayern standen sich am 22. Mai im Bernabeu-Stadion im Champions-League-Finale gegenüber, beide Teams hatten die einmalige Chance, ein historisches Triple zu erreichen. Der Ausgang ist bekannt, Diego Militos Doppelpack hievte das Team von Coach Jose Mourinho auf den europäischen Fußballolymp.
Massimiliano Allegri hat dieses Spiel nicht gesehen. "Das CL-Finale lief im Fernseher, wir haben es uns aber nicht angeschaut", erzählte der heutige Milan-Coach der "Repubblica". Wir, das waren Allegri, Adriano Galliani und Silvio Berlusconi, die sich in Berlusconis mittlerweile weltbekannten Villa in Arcore, einem 18.000-Einwohner-Ort knapp 20 Kilometer vor Mailand, eingefunden hatten.
Es war das erste Kennenlernen zwischen Milan-Patron Berlusconi und seinem zukünftigen Trainer. "Zuerst hat er mir den traumhaften Garten gezeigt, dann haben wir zu Abend gegessen. Ich fühlte mich sofort wohl", erzählte Allegri. "Dann hat mir Herr Berlusconi erklärt, welche Bedeutung der AC Milan hat."
Gattuso: "Allegri verdient eine '1'"
Ein knappes Jahr später hatte Allegri mit seinen Spielern den 18. Scudetto der Vereinsgeschichte gewonnen und damit eine siebenjährige Durstrecke beendet. Der 43-jährige Ex-Cagliari-Coach, der im Ausland nicht wirklich bekannt ist und von den europäischen Topteams sicher der am wenigsten klangvolle Trainername ist, hat daran maßgeblichen Anteil.
"Allegri verdient eine '1', er war der Vater dieses Triumphes, da er die Gruppe zusammen gehalten hat", sagte Gennaro Gattuso nach dem Titelgewinn. "Als Allegri auch unangenehme Entscheidungen getroffen und sich niemand darüber aufgeregt hat, habe ich verstanden, dass wir diese Saison erfolgreich sein werden."
So hatte Allegri beispielsweise den Mut, den von vielen Verletzungen geplagten Andrea Pirlo auch dann draußen zu lassen, als er wieder fit war. Mark van Bommel verkörperte für Allegris Spielweise den idealen Sechser, Pirlo blieb außen vor und ging nach der Saison ablösefrei zu Juventus.
Ex-Milan-Coach Fabio Capello sprach Allegri im "Corriere della Sera" "große Intelligenz" zu: "Er hat eine gute Atmosphäre geschaffen und die Gruppe toll geführt." Eine Gruppe, die voll von starken Charakteren a la Zlatan Ibrahimovic, Clarence Seedorf, Gennaro Gattuso und van Bommel ist.
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Allegri und die erfolgreiche Suche nach dem richtigen Mix
Allegri, der im vergangenen Jahr zum Trainer des Jahres gewählt worden war - vor einem gewissen Jose Mourinho, stellt sich nicht gerne in den Mittelpunkt. "Ich bin einfach ich selbst geblieben und habe Kohärenz und Respekt vorgelebt", sagte der Mann aus Livorno. Sein Auftreten und seine Aussagen sind so wie er: einfach, klar, simpel: "Die ganze Gruppe muss verteidigen und angreifen. Wenn man gut verteidigt, greift man auch gut an. Greift man schlecht an, verteidigt man schlecht."
Besondere Genugtuung verspürte Allegri wegen der Kritiker: "Vor der Saison wurde unser Team oft als alt, ausgebrannt und mit vielen Spielern, die ihren Höhepunkt hinter sich haben, gezeichnet. Die Jungs haben sie aber Lügen gestraft. Der Enthusiasmus der Neuen gemischt mit der Erfahrung der bereits Anwesenden haben den richtigen Mix geschaffen."
Die Architekten des Milan-Titels: Der Scudetto hat acht Namen
Unter Allegri, der dafür bekannt ist, sehr gerne mit jungen Spielern zu arbeiten, debütierten die Youngster Alexander Merkel und Rodney Strasser, außerdem avancierte Eigengewächs Ignazio Abate zum Stamm-Rechtsverteidiger. Der 24-Jährige machte den größten Leistungssprung im Kader, sein Debüt im Nationalteam dürfte nur noch eine Frage der Zeit sein.
Toptalent El Shaarawy vor Wechsel zu Milan
Jetzt treibt Allegri den Umbruch weiter voran. Die ablösefreien Philippe Mexes (AS Rom) und Taye Taiwo (Marseille) bringen nicht nur viel Qualität mit, sondern senken auch das Durchschnittsalter. Die potenzielle zukünftige Viererkette Abate-Silva-Mexes-Taiwo - sobald Alessandro Nesta in einem Jahr seine Karriere beendet - ist im Schnitt 26,5 Jahre alt.
"Wir haben viele Spieler um die 25 und 26 Jahre. Thiago Silva bringt alles mit, um ein Leader zu werden", sagt Allegri. Der 22-jährige spanische Linksverteidiger Didac Vila, der im Winter von Espanyol kam, ist ebenfalls ein Mann für die kommenden Jahre. Im Offensivbereich garantieren Pato (21) und Kevin-Prince Boateng (24) eine rosige Zukunft, dazu gesellt sich in Kürze Italiens 18-jähriges Toptalent Stephan El Shaarawy.
Im Mittelfeld sollen die Rossoneri bereits Genuas slowakischen Sechser Juraj Kucka für den Sommer 2012 vorgemerkt haben. Der 24-Jährige war eine der größten Entdeckungen der Serie-A-Saison und wird als "neuer van Bommel" bezeichnet.
Milans Jagd nach "Mister X"
Um auch in Europa wieder ganz oben anzugreifen, braucht es aber einen Toptransfer. Den haben Berlusconi und Galliani bereits im Mai angekündigt. In Italiens Sportpresse ist deshalb nur noch die Rede von "Mister X", denn niemand weiß, wen die Rossoneri bevorzugen. Nur eines ist klar: "Es wird ein Mittelfeldspieler von großer Qualität", sagt Allegri.
Die heißesten Namen sind bisher Brasiliens Youngster Ganso und Neapels Marek Hamsik. Das Problem: Beide sind sehr teuer und ihre Vereine wollen sie nicht abgeben. Bei Ganso kommt noch seine Verletzungsanfälligkeit hinzu. Außerdem schwirrt auch der Name von Kaka immer wieder durch Mailands Gerüchteküche.
Eines ist klar: Der Sommer ist noch lang. "Falls er kommt, wird er es an den letzten Transfertagen im August, so wie im vergangenen Jahr", sagt Galliani. Damals holten die Rossoneri Zlatan Ibrahimovic und Robinho am 31. August, dem allerletzten Tag - und starteten dann ihre erfolgreiche Jagd auf den Scudetto.