Eine Liebe zwischen zwei Doraden

Von Thomas Gaber
Der Meister und sein Lehrling: Juanma Lillo (r.), im Hintergrund Barca-Coach Pep Guardiola
© Imago

Wenn der FC Barcelona Ende Juli zum Audi Cup nach München kommt, dann werden auch hierzulande wieder sehr viele Augen auf ihn gerichtet sein: Pep Guardiola, den Meistertrainer, der sich einst von Johan Cruyff inspirieren ließ. Am meisten gelernt und profitiert hat der Barca-Coach aber von einem Seelenverwandten namens Juanma Lillo. Die Geschichte einer besonderen Beziehung mit einem "bösen" Ende.

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Culiacan ist nicht gerade ein Anziehungspunkt. Im mexikanischen Bundesstaat Sinaola, gegenüber der Baja California am Pazifik gelegen, gibt es weitaus schönere Städte als Culiacan.

Mazatlan zum Beispiel. Hierher kommen verliebte Pärchen, auch viele Touristen aus den USA, um am El Faro, dem zweithöchst gelegenen Leuchtturm der Welt, zu knutschen und sich gegenseitig ewige Liebe zu schwören.

Aber das eher triste Culiacan hat einen entscheidenden Vorteil. In der 600.000-Einwohner-Stadt ist der ganze Stolz der Region Sinaloa zuhause - die Dorados de Sinaloa.

Mexikos Starstürmer nach Culiacan

Erst 2003 wurde der Fußballverein Club Social y Deportivo Dorados de Sinaloa gegründet. Der Verein erwarb seinerzeit die Lizenz des damaligen Zweitligisten Cihuatlán. Innerhalb von nur drei Monaten stampfte der Klub ein 13.000-Mann-Stadion aus dem Boden, um in der 2. mexikanischen Liga spielen zu dürfen.

Auf Anhieb stiegen die Dorados in die Primera Division auf und verpflichtete den berühmtesten Sohn von Culiacan: Jared Borgetti, inzwischen 102-maliger Nationalspieler Mexikos (53 Tore).

Benannt wurde der Verein nach den Doraden (Goldbrassen), der typischen Fischart vor der Küste Sinaloas. Doraden gelten als Kämpfernaturen und Rudeltiere, die sich gegenseitig beistehen - in guten wie in schlechten Zeiten.

2005 bekamen die Meeresfische Unterstützung aus Spanien. Juanma Lillo hatte nach seinen Trainer-Stationen Salamanca, Oviedo, Teneriffa, Saragossa, Murcia und Terrassa in Katalonien genug vom spanischen Fußball.

Lillo blieb nicht lange, aber seinetwegen verirrte sich ein Weltstar in die mexikanische Provinz. Josep Guardiola spielte 2006 sechs Monate für die Doraden.

Lillo: Ein scheiß Fußballer

Lillo und Guardiola - das ist eine besondere Beziehung, gekennzeichnet von gegenseitiger Bewunderung.

Alles fing im zarten Teenageralter an. Guardiola spielte als 11-jähriger in der Jugend des FC Barcelona. Lillo, der wie Guardiola aus Katalonien stammt, verbrachte seine Wochenenden oft auf dem Barca-Gelände, um die besten Boys zu scouten. Nicht für andere Vereine, für sich selbst.

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Lillo war kein guter Fußballer, nicht mal ein passabler. Jedenfalls nicht, um höher zu kommen als in die vierte spanische Liga. Aber er war ein Techniker. Immerhin brachte er es zum einigermaßen erfolgreichen Futsal-Spieler in den spanischen Hallen.

Futbol sala wird in Spanien weitaus professioneller betrieben als in Deutschland. Die besten Hallenkicker sind in Spanien Superstars und verdienen gutes Geld.

"Meine Füße verstanden sich auf dem Platz nie mit meinem Kopf. Mein Kopf war immer einen Schritt voraus. Deshalb habe ich früh erkannt, dass ich etwas anderes machen muss, um im Fußball bleiben zu können: ich musste Trainer werden", sagt Lillo.

Als er 15 war, sagte sein damaliger Trainer zu ihm: "Juanma, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist: Du bist als Fußballer scheiße. Die gute ist: Du hast etwas, was man im Fußball braucht. Deine Mitspieler hören auf dich."

4-2-3-1 und spielende Verteidiger

Fortan wollte Lillo nur noch Trainer sein. Mit 16 übernahm seinen ersten Verein in den Niederungen des spanischen Fußballs, mit 20 trainierte er bereits einen Drittligisten, Tolosa CF. Beim Klub Cultural y Deportiva Leonesa (2. Liga) ließ er in der Saison 1991/92 im 4-2-3-1 spielen - das bevorzugte System im heutigen "modernen" Fußball.

Mit 27 legte Lillo seine Trainerschein-Prüfung ab und führte mit 29 UD Salamanca in die Primera Division. So jung war vor und nach ihm keiner.

Lillo war stets bemüht, ein Team zu formen, das ansehnlichen Fußball spielte. Er legte sein Augenmerk vor allem auf Defensivspieler, die mit dem Ball umgehen konnten und etwaige körperliche Defizite mit Übersicht und Antizipation wettmachten.

Wer als Verteidiger oder defensiver Mittelfeldspieler nicht zu einem vernünftigen Aufbauspiel fähig war, hatte unter Lillo keine Chance.

Seelenverwandtschaft mit Guardiola

Guardiola entsprach schon in ganz jungen Jahren diesem Anforderungsprofil. Was Lillo aber weitaus mehr imponierte, war Peps Aura auf dem Platz. Früh erkannte er, dass Guardiola seelenverwandt war.

"Guardiola war schon mit 10,11 Trainer. Er hat seine Karriere mit 37 beendet, davon hat er 27 Jahre lang seine Mitspieler geführt. Offiziell ist er erst seit vier Jahren Trainer. Das ist Schwachsinn: Pep ist seit über 30 Jahren Trainer."

Was Lillo nicht ahnen konnte: Im Laufe der Zeit entwickelte sich eine gegenseitige Bewunderung. Guardiola wollte mehr wissen über den Mann, der noch keine 30 war und eine Mannschaft wie Salamanca mit erfrischendem, aber diszipliniertem Positionsfußball in die Primera Division führte.

Den ersten konkreten Kontakt gab es zwei Jahre später, zu Beginn der Saison 1996/97. Guardiola traf mit Barca am 1. Spieltag auf das von Lillo trainierte Real Oviedo. Barca gewann 4:2, tat sich aber schwerer als erwartet. Selbst Guardiola war angetan von Oviedos Spielweise.

Lillo erinnert sich: "Guardiola kam nach dem Spiel in unsere Kabine und sprach uns großes Lob für unsere Leistung aus. Er sagte, er wolle den Kontakt mit mir aufrechterhalten. Er sagte mir, dass er seine Karriere nicht beenden werde, bevor er nicht einmal für eine Mannschaft gespielt hat, die ich trainiere. Da blieb mir fast die Spucke weg."

Fußballverrückter als alle anderen

Fortan intensivierten Guardiola und Lillo ihren Kontakt und trafen sich regelmäßig zum Gedankenaustausch. "Juanmas Auffassung von Fußball war einzigartig. Egal, über welchen Bereich wir uns unterhalten haben - Training, Stil, selbst Merchandising - er hatte immer neue, gute Ideen", sagt Guardiola.

Die Liste von Lillos Bewunderern war lang. Cesar Luiz Menotti, Argentiniens Weltmeister-Coach von 1978, sagte einmal zu Jorge Valdano, Weltmeister von 1986: "Ich habe da einen Typen kennengelernt, der noch fußballverrückter ist als wir alle. Ich habe ihm drei Stunden zugehört und es war zu keiner Sekunde langweilig."

Lillo konnte offenbar gut erzählen, seine Erfolge als Trainer wurden aber im Laufe der Zeit überschaubar. Er trainierte insgesamt fünf Vereine in der spanischen Primera Division und wurde jedes Mal entlassen. Kritiker werfen ihm kontraproduktive Besessenheit vor. Er stelle Ästhetik über Effizienz und Style vor Substanz.

Gemeinsamer Auftritt bei Barca gescheitert

Lillos faszinierender Ausstrahlung auf Guardiola tat dies keinen Abbruch. 2003 wollten beide gemeinsam bei Barca arbeiten.

Lluis Bassat trat zur Präsidentschaftswahl an und nahm Lillo und Guradiola in sein Schattenkabinett auf. Lillo sollte die eigenen Talente bei Barca B formen und sie an die erste Mannschaft heranführen. Guardiola war für den Posten des technischen Direktors im Verein vorgesehen.

Bassat verlor die Wahl gegen Joan Laporta, der Guardiola 2007 als Trainer von Barca B einstellte und ihn ein Jahr später zum Chefcoach von Messi, Xavi und Co. beförderte.

Vor dem Beginn seiner Trainertätigkeit löste Guardiola aber noch sein Versprechen ein, die Fußballschuhe nicht an den Nagel zu hängen, ohne vorher unter Lillo gespielt zu haben. Obwohl er seine Karriere nach dem fragwürdigen Abenteuer in Katar bei Al-Ahli für beendet erklärt hatte, ging Guardiola nach Mexiko - zu den Dorados de Sinaola.

Ein halbes Jahr reichte Guardiola für folgende Einschätzung: "Lillo war der beste Trainer, den ich je hatte. Cruyff hat mich fasziniert und gefördert. Aber ohne Lillo hätte ich wenig Ahnung vom Trainergeschäft."

Guardiola "killt" seinen Mentor

Zweimal traf der Lehrling später als Trainer auf seinen Meister. Im März 2010 trotzte Lillo mit UD Almeria den FC Barcelona ein 2:2 ab und war dem Sieg näher als das übermächtig erscheinende Barca.

Am 20. November 2010 fand die Neuauflage statt. Nach 37 Minuten führte Barca 5:0, am Ende stellte Almeria beim 0:8 den Rekord für die höchste Heimniederlage der Primera-Division-Geschichte ein.

Die letzten drei Tore erlebte Guardiola auf der Bank. Schweigend. Mit einer gehörigen Portion Schamgefühl. Guardiola ahnte, was das Schlachtfest seiner Spieler für Almeria bedeuten würde. Barcas Opfer würde Stunden später den Trainer entlassen. Juanma Lillo, seinen Mentor.

"Werde Pep immer lieben"

Am Tag danach hielt sich Lillo in seinem Haus im andalusischen Nationalpark Cabo da Gata, unweit von Almeria, auf. Er verstaute seine 7.000 Bücher und die gesamte Kollektion des Fußballmagazins "Don Balon" in Kisten. Almerias Präsident Alfonso Gabarron hatte Lillo wenige Stunden nach dem 0:8 gegen Almeria gefeuert.

Guardiola sagte anschließend, dass es ihm sehr leid tue für seinen Freund Lillo und dass er ihn nach wie vor für einen herausragenden Trainer halte.

Und Lillo? Ein Journalist wollte von ihm wissen, ob er Guardiola denn böse sei, weil der ihn ja schließlich "gekillt" habe. Lillo antwortete: "Reden Sie nicht so einen Müll! Und wenn ich noch 100 Mal nach einem Spiel gegen Pep entlassen werden würde - ich werde ihn immer lieben, als wäre er mein eigener Sohn."

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