Edwin Moses: "Das ist ein Rennen für Männer"

Von Interview: Thomas Jahn
Edwin Moses bei seinem Olympiasieg 1984 in Los Angeles
© Imago

Dr. Edwin Moses prägte den 400-Meter-Hürdenlauf seit den späten 1970er Jahren wie kaum ein anderer, wurde zweimal Olympiasieger und Weltmeister. Heute engagiert er sich als Vorsitzender der Laureus World Sports Academy für sozialen Wandel durch Sport. Mit SPOX sprach Moses exklusiv über seinen waghalsigen Ausflug in den Bobsport, einen legendären Aussetzer bei den Olympischen Spielen 1984 und erklärt, warum Usain Bolt besser kein Profifußballer werden sollte.

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SPOX: Dr. Moses, bringen wir gleich zu Anfang die unangenehmste Frage hinter uns. Was lief bei den Olympischen Spielen 1984 schief, als Ihnen beim Vortragen des Olympischen Eids vor einem Milliardenpublikum plötzlich die Worte fehlten?

Dr. Edwin Moses: (lacht) Ich hatte die Rede damals sogar auf einem Zettel in meiner Tasche und war wohl der einzige im Stadion, der nicht wusste, dass sie auch auf der Anzeigetafel zu sehen war. Kurz bevor ich anfing, rief irgendein Typ laut meinen Namen. Das hat meine Konzentration gebrochen. Ich glaube, es waren nur 42 Worte, aber es ist einfach passiert.

SPOX: Hatten Sie sich um den Job des Redners beworben?

Moses: Ich hatte bis vier Tage vor der Eröffnungsfeier keine Ahnung, dass ich das machen sollte. Normalerweise wäre ich wahrscheinlich zu Hause geblieben, um mich auszuruhen. Ich hätte mich niemals freiwillig dafür gemeldet, da es eben mit einem großen Zeitaufwand verbunden ist. Man steht stundenlang mit Unmengen von Menschen unten im Stadion und verliert wichtige Vorbereitungszeit. Doch ich war verpflichtet, das zu machen. Letztendlich bin ich trotz allem froh, dass ich es getan habe. Ich bereue es nicht.

SPOX: ... und am Ende wurden sie trotz allem Olympiasieger über 400-Meter-Hürden. An welches Ihrer Rennen erinnern Sie sich am liebsten?

Moses: Mein bestes Rennen war wohl 1981 in Lausanne, wo ich 47,14 Sekunden gelaufen bin, obwohl ich auf den letzten 15 Metern langsamer wurde. Der Weltrekord lag damals bei 47,13 Sekunden. Das wäre das Rennen gewesen, bei dem ich unter 47 Sekunden hätte laufen können.

SPOX: Ich hätte darauf gewettet, dass Sie das legendäre und hochdramatische Rennen bei der Leichtathletik-WM 1987 in Rom nennen.

Moses: Das war auch ein gutes Rennen. Zwar keines meiner besten, aber immerhin habe ich gewonnen.

SPOX: Was ging Ihnen damals durch den Kopf, als Danny Harris und Harald Schmid auf der Zielgeraden immer näher kamen?

Moses: (lacht) Das Rennen habe ich mir gestern noch bei Youtube angeschaut. Ich bin einfach weitergerannt. Ich wusste, dass sie zurückkommen würden und ich nicht die Kraft haben würde, die ich normalerweise habe. Daher habe ich früh Druck auf sie ausgeübt.

SPOX: Weshalb fehlte Ihnen die Kraft?

Moses: Ich hatte einen kleinen Nachteil, da ich im August wegen einer Krankheit nicht trainieren konnte und nicht in Topform war. Daher war mir klar, dass ich sie von Anfang an auf Distanz halten musste, weil es am Ende eng werden würde. Dass es aber so eng werden würde, hätte ich nicht gedacht.

SPOX: Was passierte nach dem Zieleinlauf?

Moses: Ich war total fertig, aber ich wusste, dass ich gewonnen hatte.

SPOX: Sie wussten es? Selbst in der Zeitlupe war kaum zu erkennen, wer vorne liegt...

Moses: (lacht) Ich war da.

SPOX: Gutes Argument.

Moses: Näher kann man eben nicht dran sein. Haralds und mein Arm sind ständig aneinander gestoßen. Klar wusste ich, dass er da war. Aber ich wusste einfach, dass ich vorne liege. Als Läufer weiß man das einfach.

SPOX: Für einen Außenstehenden ist das nur schwer vorstellbar.

Moses: Es ist nicht anders, als auf der Straße nebeneinander herzugehen. Nur eben schneller (lacht).

SPOX: Seit Kevin Young Ihren Weltrekord von 47,02 Sekunden 1992 gebrochen hat, war niemand mehr schneller als Sie. Wieso stagniert dieser Wert schon so lange?

Moses: Schwer zu sagen. Viele sind so nah rangekommen, wie sie nur konnten. Auch bei Kevin hätte ich nie gedacht, dass er in der Lage ist, so schnell zu laufen. Aber er hat es eben dieses eine Mal geschafft.

SPOX: Ein Rekord für die Ewigkeit?

Moses: Rekorde sind da, um gebrochen zu werden. Irgendwann kann das passieren, wenn jemand einen außergewöhnlichen Tag erwischt, so wie Kevin damals. Das ist eben etwas Unerklärliches. Davon abgesehen sehe ich aktuell keinen Athleten, der das schaffen könnte.

SPOX: Und wenn Usain Bolt seinen angeblichen Plan, die 400-Meter-Hürden zu laufen, wahr macht?

Moses: Er will keine 400-Meter-Hürden laufen. Das hat er mir gesagt. Außerdem ist das ein Rennen für Männer (lacht).

SPOX: Bolt soll zudem über eine Karriere als Profifußballer nachdenken. Was halten Sie davon?

Moses: Davon habe ich nur gelesen. Er ist jedenfalls sehr fußballinteressiert und hat Freunde bei Manchester United. Ich glaube dennoch, dass es einfacher für ihn wäre, in der Leichtathletik zu bleiben. Es gibt kaum Leute, die es schaffen, von einem Profisport in den anderen überzusiedeln. Dafür sind 100 Prozent Anstrengung nötig.

SPOX: Sie sprechen aus Erfahrung - schließlich versuchten Sie sich nach Ihrer Hürdenläufer-Karriere als Bobfahrer. In Deutschland holten Sie sogar einmal einen dritten Weltcup-Platz im Zweier-Bob.

Moses: Ich wurde damals von Billie Gault, einem anderen Hürdenläufer, zu einem Trainingscamp eingeladen. Er suchte nach einem bestimmten Athletentyp, den er gerne als Bremser im Team hätte. Ich hätte nie gedacht, dass ich das mal machen würde. Aber er überredete mich und es hat tatsächlich irgendwie Spaß gemacht. Wegen meines Physik-Hintergrunds habe ich die Prinzipien des Bobfahrens sehr schnell verstanden und es tatsächlich im ersten Jahr ins Team geschafft.

SPOX: Hand aufs Herz - hatten Sie Angst vor Ihrer ersten Abfahrt?

Moses: Als ich oben stand, habe ich nur gedacht: "Gott, lass mich bitte dieses eine Mal nicht crashen." Es war eine unglaubliche Erfahrung, da hochzugehen und das noch nie gemacht zu haben.

SPOX: Und war es der erwartete Höllenritt?

Moses: Ich hatte ja keine Vorstellung. Klar, ich bin schon Achterbahn gefahren, bin mit kleinen Flugzeugen geflogen und habe mich vielen Extrembedingungen ausgesetzt. Aber so etwas hatte ich nicht erwartet. Auch wenn wir nicht am Limit gefahren sind, war es durch die Kräfte, die da auf einen einwirken, eine absolut brachiale Fahrt. Ich habe einfach nur gehofft, das zu überleben. Erst einige Zeit später konnte ich mich auf meine eigentliche Aufgabe im Bob konzentrieren.

SPOX: Inzwischen steht Nervenkitzel nicht mehr auf Ihrer Tagesordnung. Sie sind als Vorsitzender der Laureus World Sports Academy tätig, die sich dem sozialen Wandel durch Sport verschrieben hat. Wie hat sich die Stiftung in den letzten Jahren entwickelt?

Moses: Wir haben 2001 mit sechs Projekten in vier Ländern angefangen und hatten keinen langfristigen strategischen Plan. Wir wussten nicht, in welche Richtung es gehen würde. Doch in den letzten fünf Jahren hat sich alles enorm weiterentwickelt. Inzwischen sind wir bei fast 90 Projekten in 35 Ländern und - für eine Stiftung - in einer guten finanziellen Lage. Ich bin sehr zufrieden.

SPOX: Glauben Sie mit Laureus jemals an den Punkt zu gelangen, an dem sie sagen können: "Mission erfüllt"?

Moses: Wir werden bei unserer Arbeit nie sagen können, dass wir alles erledigt haben. Es gibt immer noch etwas zu tun. Wir werden weiterhin versuchen, so viele Kinder wie möglich zu erreichen und sie nachhaltig in unseren Projekten einzugliedern. Unser Ziel ist es nicht, ein Projekt für zwei bis drei Jahre am Leben zu halten, sondern die Projekte so zu unterstützen, dass sie sich nach einiger Zeit selbst erhalten können.

SPOX: Glauben Sie, dass die Großverdiener des heutigen Profisports trotz ihrer Einkünfte noch Vorbilder für nachwachsende Generationen bleiben können?

Moses: Jeder Athlet muss für sich entscheiden, ob er diese Hingabe aufbringen möchte, ein Vorbild zu sein. Einige tun das gerne, andere verdienen ihr Geld und gehen nach Hause. Und das ist okay.

SPOX: Was denken Sie in diesem Zusammenhang über Sportler wie beispielsweise David Haye, die sich in der Öffentlichkeit wenig vorbildlich präsentieren?

Moses: Das ist eben Boxen. Das ist in dem Sport nichts Neues. Da sind vorher schon ganz andere Dinge passiert. Leuten wurden die Ohren abgebissen. Das hat nichts mit dem zu tun, was wir mit der Laureus Stiftung machen.

SPOX: Sie galten schon früh als ein Verfechter des sauberen Sports. Für wie sauber halten Sie die Leichtathletik heutzutage?

Moses: Ich bin da nicht mehr groß involviert und kann mir daher kein Urteil erlauben. Ich glaube, dass es viele saubere Athleten da draußen gibt und wahrscheinlich auch einige, die das nicht sind. Jeder weiß das.

SPOX: War die Problematik zu Ihren aktiven Zeiten ähnlich?

Moses: Es war damals genauso. Was den Unterschied ausmacht, ist, dass die Kontrollen heute viel rigoroser sind. Wenn die Athleten die Substanzen benutzen, auf die getestet wird, werden sie sehr wahrscheinlich bestraft.

SPOX: Bei Ihrer Arbeit für die Laureus Stiftung treffen Sie oft auf andere Sportlegenden, zu denen auch Franz Beckenbauer zählt. Was schätzen Sie an ihm?

Moses: Das letzte Mal habe ich ihn bei der WM in Südafrika getroffen. Wir hatten dort ein Event mit der deutschen Nationalmannschaft, zu dem wir einige Waisenkinder von einem unserer Projekte mitgebracht haben. Franz hat einen tollen Job gemacht, mit ihnen über Fußball gesprochen und er war einfach der Champion, der er ist. Und eines kann ich ihnen versichern: Er spielt immer noch verdammt gut Fußball. Franz hat es den Kids richtig gezeigt. Er ist immer eine große Hilfe für Laureus gewesen und wir sind froh, dass er dazugehört.

Dr. Edwin Moses im Laureus-Steckbrief

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