Mittwochmorgen, 9:30 Uhr, Reitclub Walle e.V. in Bremen: Hier reiten jede Woche zwei Gruppen a sechs Zweitklässler der Bremer Grundschule Am Wasser. Mitten drin: Top-Springreiterin und Laureus Botschafterin Meredith Michaels-Beerbaum. Doch hier geht es nicht um die Förderung von Nachwuchstalenten im Reitsport, sondern um sozial benachteiligte Kinder. Hier reiten Kinder mit und ohne körperliche Beeinträchtigung, mit Migrationshintergrund und aus sozialen Brennpunkten einmal wöchentlich und werden von einer Reittherapeutin und ihren freiwilligen Helfern betreut.
"Meine Arbeit geht mir ans Herz. Mich berührt immer wieder, wie sich der Gesichtsausdruck der Kinder während der Reitstunden verändert. Dieses andächtige Staunen. Das Pferd ist der Schlüssel zu ihrer Seele", erzählt Shirin Homayouni. Die Lehrerin der Bremer Schule wurde vom Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten (DKthR) zur Reittherapeutin ausgebildet und steckt seit Jahren viel Herzblut und Leidenschaft in ihre Aufgabe.
In den Reitstunden absolvieren die Kinder motorische Übungen, arbeiten an ihrer Balance und verbringen Zeit in der Natur. Der Umgang mit Pferden erfordert nicht nur Mut und Selbstvertrauen, sondern auch Verantwortungsbewusstsein. Die Kinder setzen sich nicht auf das fertig gesattelte Pferd, sondern holen es selbst von der Koppel, putzen und striegeln es unter Anleitung und schaufeln während der Reitstunde auch die Pferdeäpfel in die Schubkarre.
Kinder werden glücklich
Heute ist mit Meredith Michaels-Beerbaum hoher Besuch da. Aber Besuch zum Anfassen: Meredith führt Mary durch die Reithalle, hört den Kindern zu, gibt ihnen Tipps und beantwortet ihre Fragen.
Und sie spricht mit Ada, einem der drei Mädchen. Ada selbst sagt kein Wort. Nie. Auch nicht während des Unterrichts. Aber wenn sie auf Mary sitzt, lächelt sie. Und als Meredith ihr von ihren Pferden erzählt, nickt sie ab und zu.
Mohammed, der quirlige Zweitklässler, der mittlerweile am liebsten ständig galoppieren möchte, brauchte bei seiner ersten Reitstunde 15 Minuten, bevor er sich auf das Pferd traute. Und Miguel, der vor Wut und Angst oft weinte und von seinen Mitschülern gehänselt wurde, ist an den Herausforderungen in den Reitstunden gewachsen. Auf dem Pferd lachte er das erste Mal. Und er war stolz, weil er das erste Mal spürte, dass er etwas konnte. Besser als manch anderer.
"Lernprozess für beide Seiten"
Doch das Reiten beeinflusst nicht nur Kinder selbst, sondern auch das Klassengefüge. "Das soziale Miteinander wird kameradschaftlicher, herzlicher, vertrauter. Außerhalb der Schule haben die Kinder oft wenig Kontakt miteinander. Hier in den Reitstunden müssen sie sich gegenseitig unterstützen und lernen sich noch einmal von einer ganz anderen Seite kennen. Kinder, die in der Schule eine große Klappe haben, haben hier plötzlich großen Respekt vor den Pferden. Manchmal trauen sich schüchterne Schüler oder Kinder mit Beeinträchtigungen schneller auf das Pferd als die forscheren Kids. Das ist ein interessanter Lernprozess für beide Seiten", erklärt Homayouni.
[omponent]"Oft haben die Kinder keine Vertrauensperson in ihrem Umfeld. In den Reitstunden konzentrieren sich die Kinder auf das Pferd. Es wird zu ihrem Partner. Ein Pferd gibt den Kindern direkt und neutral Feedback", sagt Meredith Michaels-Beerbaum. "Es ist wichtig für die Kinder, in der Natur zu sein und Verantwortung für Tiere zu tragen. Es bedeutet mir sehr viel, dass ich mit meiner Liebe zu Pferden etwas an die Gesellschaft zurückgeben und als Laureus Botschafterin sozial benachteiligte Kinder unterstützen kann."
Mittlerweile unterstützt das DKthR in Deutschland 100 Schulen über eine Anschubfinanzierung und durch die Ausbildung von Reittherapeuten. "Am Ende eines jeden Schulhalbjahres führen die Kinder ihren Eltern vor, was sie in den Stunden gelernt haben. Oft empfinden dann nicht nur die Kinder erstmals Stolz, sondern auch ihre Eltern", erklärt Astrid Drüke, kommissarische Leiterin der teilnehmenden Bremer Schule. "Das ist auch für uns immer wieder ein Erfolgserlebnis."