SPOX: Herr Kirilenko, im Halbfinale des Final Four in Madrid treffen Sie auf Olympiakos Piräus. Im Endeffekt beginnen Sie persönlich also genau dort, wo Sie vor Ihrem Wechsel zurück in die NBA 2012 aufgehört haben. Gegen das Team, gegen das Sie diese bittere Niederlage hinnehmen mussten. Eine besondere Konstellation?
Andrei Kirilenko: Ich sehe das Spiel nicht als Revanche an. Es ist eine neue Situation. 2012 haben wir großartig gespielt, konnten das Ganze aber nicht zu Ende bringen. Das Format des Final Four lässt aber nun mal keine Fehler zu. Zwei Spiele entscheiden alles. Damit unterscheidet es sich grundsätzlich von den Serien, die zuvor gespielt werden. Wenn du da mal einen schlechten Tag erwischst, kannst du im nächsten Spiel zurückkommen und es wieder gerade biegen. Das geht im Final Four nicht. Das macht alles viel härter, gleichzeitig aber auch interessanter. Deshalb hat in den vergangenen Jahren auch selten der Favorit gewonnen.
SPOX: Ist das der schöne und gleichzeitig grausame Aspekt des Final Four?
Kirilenko: Definitiv. Es ist aufregend und schön. Darauf wartet man das ganze Jahr. Verliert man, ist es natürlich schon irgendwie grausam. Andererseits fahren wir natürlich nicht nach Madrid, um zu verlieren. Die übrigen Teams allerdings ebenfalls nicht. Deshalb wird es ein sehr interessantes Turnier.
SPOX: Sie sagten es bereits. Der Favorit gewinnt im Final Four nicht zwingend. Vergangene Saison ging ZSKA favorisiert ins Halbfinale und verlor gegen Maccabi Tel Aviv. Ist das eher beunruhigend oder helfen derartige Erfahrungen sogar?
Kirilenko: Ich denke nicht, dass es darauf ankommt, wie erfahren man ist, ob man favorisiert oder als Außenseiter antritt. Es geht um dieses eine Spiel. Und wie wir wissen, kann in einem Spiel einfach alles passieren. Die NFL ist da ein guter Vergleich. Dort haben die Teams in den Playoffs auch nur ein Spiel. Um Meister zu werden, musst du im Endeffekt alles gewinnen. So ist es auch im Final Four. Wenn du der Beste sein willst, musst du die Besten schlagen. Das ist eine großartige Herausforderung und auch ein Charaktertest. Wie spielst du unter Druck? Wie stellst du dich in der entscheidenden Phase ein?
SPOX: Ist das mental eigentlich schwierig, nachdem man sich während der Saison auch mal einen Ausrutscher leisten konnte?
Kirilenko: Absolut. Das macht es gerade für die guten Teams noch schwerer. Während der Saison kann man es sich hin und wieder leisten, ein wenig unachtsam zu spielen. Das geht hier nicht. Du musst jede Sekunde voll konzentriert sein.
SPOX: David Blatt hatte vergangene Saison einen großen Einfluss auf das Final Four, holte mit Maccabi schlussendlich den Titel. Sie kennen ihn aus seiner Zeit als russischer Nationalcoach. Nun ist Blatt bei den Cavaliers und es gibt Gerüchte, das LeBron James ihm nicht wirklich vertraut. Auch die US-Medien stehen ihm sehr kritisch gegenüber. Ist die NBA Leuten mit einem anderem Basketball-Background gegenüber manchmal ein wenig zu skeptisch?
Kirilenko: Skeptisch würde ich nicht sagen. Es ist einfach etwas anderes. Die NBA ist beste Liga der Welt. Daran besteht erstmal kein Zweifel. Ihr Stil unterscheidet sich ungemein. Deshalb bedeutet es nicht, dass ein guter Spieler aus Europa auch in der NBA Erfolg haben wird - und umgekehrt. Es gibt einige Beispiele von europäischen Spielern, die in der NBA richtig gut waren, zurückgekommen sind und nur wenig gespielt haben. Dem einen passt Europa besser, dem anderen die NBA. Beide Ligen sind sehr erfolgreich. Aber ich hoffe, dass sich die Euroleague kommerziell noch weiterentwickelt. Da ist die NBA schon richtig gut (lacht).
SPOX: Ist es für einen Coach wie David Blatt vielleicht sogar noch schwieriger aus Europa in die NBA zu gehen? Immerhin steht dort der einzelne Spieler wesentlich mehr im Mittelpunkt - gerade LeBron.
Kirilenko: Erstmal freue ich mich einfach für David. Er ist wie ein Teil meiner Familie. Wir haben mit der Nationalmannschaft viel gemeinsam durchgestanden. Und deshalb freue ich mich, dass er jetzt die Chance hat, den besten Spieler der Welt zu coachen. Dazu Kevin Love, mit dem ich in Minnesota gespielt habe. Ein großartiger Kerl, der sich nun ja leider verletzt hat. Dennoch haben die Cavs alles, um die Meisterschaft zu gewinnen. Einfach wird es allerdings nicht.
SPOX: Müssten die Cavs Coach Blatt und seinen Ideen am Ende aber nicht ein wenig mehr vertrauen?
Kirilenko: David ist keiner dieser Coaches, der seine Spieler entscheiden lässt, was getan wird. Klar gab es diese Gerüchte, dass LeBron übernommen hat. Aber aus meiner Sicht war das in beiderseitigem Einvernehmen. David spricht viel mit LeBron und Kyrie, denn er war schon immer ein diplomatischer Coach. Bei der russischen Nationalmannschaft hat er mit mir oder Viktor Khryapa immer wieder darüber gesprochen, wie wir beispielsweise unsere Defense anpassen wollen. So wird er es auch mit LeBron, Kyrie, Kevin oder Timofey (Mozgov, Anm. d. Red.) handhaben. Es ist ein Prozess. David ist sehr diplomatisch und scheut sich deshalb auch nicht, Spieler zu fragen, was sie zu gewissen Momenten im Spiel zu sagen haben. Er ist kein Diktator. "My Way or the Highway" gibt es bei ihm nicht.
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