"Hätte gern einen Körper wie LeBron"

Max Marbeiter
30. April 201517:10
Andrei Kirilenko (r.) wechselte im Februar zurück zu ZSKA Moskaugetty
Werbung

Andrei Kirilenko zählte einst zu den vielseitigsten Verteidigern der NBA, nun kehrte er zu ZSKA Moskau zurück und steht im Final Four der Turkish Airlines Euroleague. Im SPOX-Interview erklärt der Russe, weshalb er LeBron James beneidet, beschreibt den besonderen Reiz des Final Four und stellt Gerüchte rund um David Blatt und LeBron richtig. Außerdem: Altern im Sport und das nahende Karriereende.

SPOX: Herr Kirilenko, im Halbfinale des Final Four in Madrid treffen Sie auf Olympiakos Piräus. Im Endeffekt beginnen Sie persönlich also genau dort, wo Sie vor Ihrem Wechsel zurück in die NBA 2012 aufgehört haben. Gegen das Team, gegen das Sie diese bittere Niederlage hinnehmen mussten. Eine besondere Konstellation?

Andrei Kirilenko: Ich sehe das Spiel nicht als Revanche an. Es ist eine neue Situation. 2012 haben wir großartig gespielt, konnten das Ganze aber nicht zu Ende bringen. Das Format des Final Four lässt aber nun mal keine Fehler zu. Zwei Spiele entscheiden alles. Damit unterscheidet es sich grundsätzlich von den Serien, die zuvor gespielt werden. Wenn du da mal einen schlechten Tag erwischst, kannst du im nächsten Spiel zurückkommen und es wieder gerade biegen. Das geht im Final Four nicht. Das macht alles viel härter, gleichzeitig aber auch interessanter. Deshalb hat in den vergangenen Jahren auch selten der Favorit gewonnen.

SPOX: Ist das der schöne und gleichzeitig grausame Aspekt des Final Four?

Kirilenko: Definitiv. Es ist aufregend und schön. Darauf wartet man das ganze Jahr. Verliert man, ist es natürlich schon irgendwie grausam. Andererseits fahren wir natürlich nicht nach Madrid, um zu verlieren. Die übrigen Teams allerdings ebenfalls nicht. Deshalb wird es ein sehr interessantes Turnier.

SPOX: Sie sagten es bereits. Der Favorit gewinnt im Final Four nicht zwingend. Vergangene Saison ging ZSKA favorisiert ins Halbfinale und verlor gegen Maccabi Tel Aviv. Ist das eher beunruhigend oder helfen derartige Erfahrungen sogar?

Kirilenko: Ich denke nicht, dass es darauf ankommt, wie erfahren man ist, ob man favorisiert oder als Außenseiter antritt. Es geht um dieses eine Spiel. Und wie wir wissen, kann in einem Spiel einfach alles passieren. Die NFL ist da ein guter Vergleich. Dort haben die Teams in den Playoffs auch nur ein Spiel. Um Meister zu werden, musst du im Endeffekt alles gewinnen. So ist es auch im Final Four. Wenn du der Beste sein willst, musst du die Besten schlagen. Das ist eine großartige Herausforderung und auch ein Charaktertest. Wie spielst du unter Druck? Wie stellst du dich in der entscheidenden Phase ein?

SPOX: Ist das mental eigentlich schwierig, nachdem man sich während der Saison auch mal einen Ausrutscher leisten konnte?

Kirilenko: Absolut. Das macht es gerade für die guten Teams noch schwerer. Während der Saison kann man es sich hin und wieder leisten, ein wenig unachtsam zu spielen. Das geht hier nicht. Du musst jede Sekunde voll konzentriert sein.

SPOX: David Blatt hatte vergangene Saison einen großen Einfluss auf das Final Four, holte mit Maccabi schlussendlich den Titel. Sie kennen ihn aus seiner Zeit als russischer Nationalcoach. Nun ist Blatt bei den Cavaliers und es gibt Gerüchte, das LeBron James ihm nicht wirklich vertraut. Auch die US-Medien stehen ihm sehr kritisch gegenüber. Ist die NBA Leuten mit einem anderem Basketball-Background gegenüber manchmal ein wenig zu skeptisch?

Kirilenko: Skeptisch würde ich nicht sagen. Es ist einfach etwas anderes. Die NBA ist beste Liga der Welt. Daran besteht erstmal kein Zweifel. Ihr Stil unterscheidet sich ungemein. Deshalb bedeutet es nicht, dass ein guter Spieler aus Europa auch in der NBA Erfolg haben wird - und umgekehrt. Es gibt einige Beispiele von europäischen Spielern, die in der NBA richtig gut waren, zurückgekommen sind und nur wenig gespielt haben. Dem einen passt Europa besser, dem anderen die NBA. Beide Ligen sind sehr erfolgreich. Aber ich hoffe, dass sich die Euroleague kommerziell noch weiterentwickelt. Da ist die NBA schon richtig gut (lacht).

SPOX: Ist es für einen Coach wie David Blatt vielleicht sogar noch schwieriger aus Europa in die NBA zu gehen? Immerhin steht dort der einzelne Spieler wesentlich mehr im Mittelpunkt - gerade LeBron.

Kirilenko: Erstmal freue ich mich einfach für David. Er ist wie ein Teil meiner Familie. Wir haben mit der Nationalmannschaft viel gemeinsam durchgestanden. Und deshalb freue ich mich, dass er jetzt die Chance hat, den besten Spieler der Welt zu coachen. Dazu Kevin Love, mit dem ich in Minnesota gespielt habe. Ein großartiger Kerl, der sich nun ja leider verletzt hat. Dennoch haben die Cavs alles, um die Meisterschaft zu gewinnen. Einfach wird es allerdings nicht.

SPOX: Müssten die Cavs Coach Blatt und seinen Ideen am Ende aber nicht ein wenig mehr vertrauen?

Kirilenko: David ist keiner dieser Coaches, der seine Spieler entscheiden lässt, was getan wird. Klar gab es diese Gerüchte, dass LeBron übernommen hat. Aber aus meiner Sicht war das in beiderseitigem Einvernehmen. David spricht viel mit LeBron und Kyrie, denn er war schon immer ein diplomatischer Coach. Bei der russischen Nationalmannschaft hat er mit mir oder Viktor Khryapa immer wieder darüber gesprochen, wie wir beispielsweise unsere Defense anpassen wollen. So wird er es auch mit LeBron, Kyrie, Kevin oder Timofey (Mozgov, Anm. d. Red.) handhaben. Es ist ein Prozess. David ist sehr diplomatisch und scheut sich deshalb auch nicht, Spieler zu fragen, was sie zu gewissen Momenten im Spiel zu sagen haben. Er ist kein Diktator. "My Way or the Highway" gibt es bei ihm nicht.

Seite 1: Kirilenko über das Final Four und das Verhältnis Blatt/LeBron

Seite 2: Kirilenko über seine Zeit in der NBA und das nahende Karriereende

SPOX: Blatt ist gerade erst in der NBA gekommen, Sie haben sie verlassen. Wann kam der Punkt, an dem Sie gesagt haben: "Das war's. Ich gehe zurück nach Russland"?

Kirilenko: Jeder ist unterschiedlich gebaut. Ich hätte gern einen Körper wie LeBron. Dann könnte ich vielleicht spielen, bis ich 40 bin. Jetzt kann ich immer noch auf höchstem Level spielen, aber nicht mehr eine ganze Saison über. Mit 34 ist es für mich mittlerweile viel schwieriger, meinen Körper in Schuss zu halten. Momentan fühle ich mich sehr gut, allerdings weiß ich nicht, wie lang ich noch auf diesem Level bleiben kann, ohne mich zu verletzen. Und genau das ist der Punkt. Irgendwann musst du einfach darüber nachdenken, wann du deine Karriere beendest und wie du bestmöglich auf deinen Körper achtgeben kannst. Momentan muss ich wahnsinnig viel investieren, um dieses Niveau zu halten. Manchmal zwickt es hier, manchmal dort (lacht). Dann denkst du: "Vielleicht wird es langsam Zeit."

SPOX: Spielte die Unsicherheit in der NBA auch eine Rolle. Möchte man gegen Ende der Karriere einfach nicht mehr in einer Situation sein, in der man theoretisch permanent das Team und damit die Stadt wechseln könnte? Stichwort: Trades.

Kirilenko: Am Ende weißt du ohnehin nie, wo du endest, wohin es dich verschlägt. Ich hatte eine großartige Karriere. Ich bin glücklich mit meiner Zeit bei den Utah Jazz. Salt Lake City ist meine zweite Heimat geworden, meine Kinder wurden dort geboren. In Minnesota war ich ebenfalls glücklich. Dort hat sich eben die Philosophie verändert und sie wollten das Team verjüngen. In Brooklyn hatten wir mit all den Veteranen richtig gute Chancen auf den Titel. Das sind alles wertvolle Erinnerungen. Es ist nahezu unmöglich, wie Tim Duncan die gesamte Karriere über beim gleichen Team zu spielen. Selbst die besten Spieler wie Kevin Garnett wurden irgendwann getradet. Das sind alles Erfahrungen und nun habe ich eben viele Erinnerungen für mein Fotoalbum (lacht).

SPOX: Man nimmt ja ohnehin aus jeder Situation etwas mit...

Kirilenko: Eben. Ich hätte zum Beispiel niemals geglaubt, dass ich der erste Small Forward sein würde, der die NBA in Blocks anführt. Das war großartig. Dann das All-Star Game. Am Ende lief alles ziemlich gut. Deshalb bereue ich auch nichts. Das einzige, was fehlt, ist der Titel. Mit Utah hatten wir 2007/08 eine gute Chance, als wir erst im Conference Final gegen die Spurs verloren. Mit Brooklyn hatten wir ebenfalls Möglichkeiten.

SPOX: Sich einem klaren Contender anzuschließen, um den Titel zu holen, war keine Option?

Kirilenko: Ich hatte nie das Gefühl, zu dem Team gehen zu müssen, das die besten Chancen auf den Titel hat. Da geht es auch um die eigene Rolle innerhalb der Mannschaft. Bist du noch wichtig? Natürlich ist es nicht wie betrügen, aber ich würde einfach nicht dieselbe Zufriedenheit verspüren, wenn ich einfach nach San Antonio oder Cleveland gehen würde, weil dort die Chancen, zu gewinnen, am höchsten sind. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich respektiere diese beiden Teams und ihre Arbeit. Gregg Popovich ist großartig. Ich muss mich in der jeweiligen Situation allerdings wohlfühlen. Im Februar gab es für mich deshalb nur noch zwei Teams. Die Jazz und ZSKA Moskau. Am Ende wollte ich meine Karriere aber immer in Russland beenden.

SPOX: Sie haben die Nets bereits angesprochen. Paul Pierce kritisierte die Mentalität des Teams der vergangenen Saison kürzlich sehr deutlich. Stimmen Sie ihm zu?

Kirilenko: Viele Spieler haben nun mal viele unterschiedliche Meinungen. Und wenn er das sagt, hat er genau das empfunden. Ich hatte ein anderes Gefühl. Für mich hatten wir Chancen. Wenn einige Spiele in der zweiten Runde etwas anders verlaufen, hat vielleicht auch Pierce eine andere Meinung. Leider haben wir die Serie verloren.

SPOX: Was halten Sie von Pierce' Aussagen zu Deron Williams? Sie kennen ihn ja schon etwas länger.

Kirilenko: Richtig, ich kenne Deron sehr gut. Wir haben ja bereits in Utah für einige Jahre zusammengespielt. Manchmal passt ein Team aber einfach nicht zu einem einzelnen Spieler. Das hat dann nichts mit dem Coach, den Teamkollegen zu tun. Deron hat tatsächlich nicht konstant gespielt. Ich wünschte, dass er wieder seinen höchsten Level erreicht. Er hatte so viele gesundheitliche Probleme. Nun wünsche ich ihm aber erstmal das Beste gegen Atlanta.

SPOX: Sie selbst wurden zu den Sixers getradet. Ist es als Veteran nicht schwer, zu einem Team getradet zu werden, das im Grunde keinerlei Ambitionen hat, Spiele zu gewinnen? SPOX

Kirilenko: Dieser Trade war speziell. Philadelphia hatte, glaube ich, nicht den Plan, mich spielen zu lassen. Sie sahen mich mehr als Asset. Zudem war meine familiäre Situation zu dieser Zeit sehr schwierig. Deshalb sind wir übereingekommen, dass ich nicht für sie spielen werde, sie mich als Asset verwenden und versuchen, mich bis zur Deadline wieder zu traden. Das hat dann nicht geklappt. Ich habe aber keine negativen Gefühle gegenüber den Sixers und ich denke, umgekehrt ist das genauso (lacht).

SPOX:Schlussendlich kehrten Sie nach Moskau zurück und kündigten wenig später an, dass dies wohl ihre letzte Saison würde. Nun lief es in den Playoffs gegen Panathinaikos aber wieder richtig gut. Steht die Entscheidung bereits?

Kirilenko: Also meine Familie, meine Mitspieler, meine Coaches und die Fans hätten schon gern, dass ich noch weiter spiele (lacht). Und die vergangenen Monate verliefen ja auch wirklich gut. Ich konnte auf einem hohen Level spielen. Aber, wie gesagt, benötige ich mittlerweile so viel Zeit, um mich auf die Spiele vorzubereiten. Das ist körperlich sehr hart. Ich bin sehr nah am Karriereende, aber es besteht immer noch eine Chance, dass ich auch kommende Saison noch mal spielen werde. Die endgültige Entscheidung wird im Sommer fallen. Ich sitze dann immer gern auf einem Floß und denke über meine Zukunft und meine Familie nach.

Seite 1: Kirilenko über das Final Four und das Verhältnis Blatt/LeBron

Seite 2: Kirilenko über seine Zeit in der NBA und das nahende Karriereende