Real Madrid hatte das Halbfinale dominiert. Die Favoritenstellung der Königlichen war angesichts der beeindruckenden Vorstellung im ersten Spiel des Final Four der Turkish Airlines Euroleague noch einmal gewachsen. Nur die wenigsten rechneten wirklich mit einer Niederlage Reals. Passiert ist es dennoch. Maccabi Tel Aviv legte unter David Blatt ein herausragendes Finale hin, brachte die eigenen Stärken zu Geltung, minimierte gleichzeitig jene Reals und setzte sich am Ende die Krone auf.
Madrid, der große Favorit, ging dagegen leer aus. Mal wieder. Zum zweiten Mal in Serie. Und diesmal? Diesmal sind die Vorzeichen ähnlich. Denn auch diesmal dominierte Real sein Halbfinale. Die Tatsache, dass man am Ende nur mit 9 Punkten Unterschied gewann, Gegner Fenerbahce Ülker drei von vier Viertel für sich entschied, täuscht ein wenig. Im zweiten Abschnitt überrannte Real Istanbul derart beeindruckend, dass das Spiel bereits mehr oder weniger entschieden war - auch wenn im Basketball grundsätzlich kein Vorsprung sicher genug sein kann.
Grandioses Real trotzt dem Druck
Madrids variable Offense, das ständige Penetrieren der beiden Sergios, Rodriguez und Llull, effektives Ballmovement, Andres Nocionis Intensität, Gustavo Ayons Dominanz am Brett - all das war zu viel für Fener. Zumal Real von draußen zwischenzeitlich gnadenlos heiß lief. Dreier um Dreier trafen die Königlichen im zweiten Viertel, hatten zur Halbzeit über die Hälfte ihrer Versuche von Downtown verwandelt (57 Prozent 3FG). Von einer dominanten Vorstellung zu sprechen, führt also keinesfalls an der Realität vorbei.
"Vergisst du es? Natürlich nicht"
Tatsächlich erinnert Reals Situation derzeit ein wenig an das vergangene Jahr, wenngleich die Königlichen ein entscheidendes Detail selbstverständlich gern ändern würden. "Ich hoffe, das Resultat ist ein anderes", sagt Jaycee Carroll im Gespräch mit SPOX. "Wir hatten im vergangenen Jahr nicht erwartet, Barcelona mit 38 Punkten zu schlagen, am Ende haben wir das Finale dann gegen Maccabi verloren. Das Spiel verlief allerdings eher, wie entscheidende Spiele nun mal verlaufen. Wir waren nur am falschen Ende. Diesmal ist die Situation ähnlich, aber natürlich hoffe ich, dass es klappt."
Von etwaigen bösen Erinnerungen möchte Carroll allerdings nichts wissen. Die Niederlagen lägen in der Vergangenheit, sagt er. "Seit letztem Jahr haben wir 60, 70 Spiele gespielt. Ein Jahr ist vergangen. Vergisst du es komplett? Natürlich nicht. Andererseits haben einige andere Erfahrungen die Erinnerungen daran ein wenig getrübt."
Reals Sehnsucht nach dem größten Titel im europäischen Basketball ist immens. Schließlich wartet man bereits seit 20 Jahren auf Titel Nummer 9 in der Euroleague. "La Nueva" gewissermaßen. Nun soll es endlich klappen. Immerhin haben die Madrilenen im Halbfinale ausgerechnet Zeljko Obradovic ausgeschaltet, der sie 1995 noch zum letzten Triumph gecoacht hatte. Ein Sieg in eigener Halle, vor den eigenen Fans würde den Triumph zusätzlich versüßen.
Tatsächlich Heimvorteil
Allerdings war vor Beginn des Final Four munter spekuliert worden, der Heimvorteil könne Real am Ende sogar schaden. Stichwort: Druck. Nur übertönten Feners Fans die Anhänger Reals derart lautstark, dass man durchaus hätte annehmen können, sich in der Ülker-Arena zu Istanbul und nicht im Barclaycard Center zu Madrid zu befinden. Reals Spiel holte die eigenen Fans dann jedoch ins Boot. Gleichzeitig zogen sich die Madrilenen an der Atmosphäre hoch. Man pushte sich gegenseitig.
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"Die Fans sind ungemein wichtig", sagt K.C. Rivers deshalb auch gegenüber SPOX. "Speziell in solchen Turnieren. Da musst du sie einfach mitreißen. Und das war bei unseren Fans im Halbfinale der Fall. Sie waren vom Tipoff an da und wir haben uns durch sie gepusht. Sie sind der sechste Mann."
Und diesen sechsten Mann kann Real im Finale auch bestens gebrauchen. Denn Favorit sind die Madrilenen zwar, nur fühlt sich der Gegner in seiner Rolle als Außenseiter - wenn mittlerweile auch kleiner - pudelwohl. Wie wohl, weiß man mittlerweile auch in Madrid. Immerhin waren die Vorzeichen 2013 ähnlich. Damals war Olympiakos Piräus zwar der amtierende Champion, ging aber dennoch als Underdog ins Endspiel gegen das in jener Saison herausragende Real.
Böse Erinnerungen an Olympiakos
Das Ergebnis? Olympiakos gewann mit 100:88, Madrid blieb erneut nur der traurig sehnsüchtige Blick gen Siegerehrung. Sicherlich hatte Piräus' Sieg diverse Gründe, keiner davon lässt sich jedoch so schön auf sechs Silben reduzieren wie Vassilis Spanoulis.
22 Punkte legte Olympiakos' Combo-Guard im Finale 2013 auf und führte sein Team damit mal wieder zum Sieg. "Er ist ein großartiger Spieler und einer von denen, die immer da sind wenn es darauf ankommt", beschreibt K.C. Rivers Spanoulis. "Auch wenn es im Spiel mal nicht so läuft, kommt dieser Moment, in dem du Schlüsselsituation gut lösen musst. Genau das hat er gemacht, obwohl sein Wurf zuvor eigentlich nicht gefallen war. Er war ein großer Faktor."
Magier Spanoulis
Es gäbe so viele Spiele, auf die Rivers' Sätze passen würden. Diesmal spricht der Amerikaner jedoch nicht von 2012 oder 2013, Thema ist das Halbfinale vom Freitag. Dort lieferte Spanoulis lange eine grausame Vorstellung. Moskau stellte ihm mit Sonny Weems und Nando de Colo stets einen Mix aus Länge und Athletik entgegen - und Spanoulis zeigte Wirkung. Bis ins Schlussviertel hinein hatte er 11 Würfe genommen, getroffen hatte er keinen einzigen.
Was folgte, war jedoch schlicht sensationell. Spanoulis verwandelte seine finalen vier Würfe allesamt. Und das mit einer Ruhe, einer Selbstverständlichkeit, die angesichts der schier endlosen Minuten zuvor beinahe unheimlich anmutete. Egal, wie viel Länge Moskau ihm entgegenstellte, Spanoulis traf seine Würfe. Drei davon von draußen.
"Wir vertrauen ihm komplett", sagt Brent Petway im Gespräch mit SPOX. "Auch wenn es mal nicht so läuft, wissen wir einfach, dass er jederzeit heiß laufen kann. Das hat er schon so oft gemacht. Dass er nie die Fassung verliert, hilft zusätzlich."
Spanoulis führt Olympiakos ins Finale
Olympiakos? Niemals aufgeben
Es ist tatsächlich beeindruckend, dass Spanoulis Blick meist derselbe ist - ob er nun trifft oder den elften Wurf in Serie auf den Ring setzt. Mit dieser Ruhe steht Spanoulis sinnbildlich für Olympiakos' mittlerweile obligatorische Grundeinstellung. Aufgeben, ein Spiel abhaken haben die Griechen vollkommen aus ihrem Gedankengut gestrichen.
"Das ist unsere Mentalität", sagt Petway. "Wir wissen, dass wir immer eine Chance haben, wenn wir in Schlagdistanz bleiben. Auch, wenn es spät im Spiel ist, wie gegen ZSKA." Diesmal war das Comeback zwar nicht ganz so historisch wie jenes im Finale 2012, als Olympiakos ZSKA im Schlussviertel noch den bereits sicher geglaubten Titel entriss. Diesmal entrissen die Griechen Moskau etwas anderes. Die Kontrolle.
Dank seiner Defense, einer der besten der Turkish Airlines Euroleague, nahm Piräus ZSKA in den letzten Minute jegliche Sicherheit im Angriff. Am Ende kam Moskaus eigentlich so potente Offense auf lediglich 68 Punkte. Olympiakos Defense hatte zugeschlagen, Spanoulis den Rest erledigt.
Anders als im vergangenen Jahr?
Im Grunde war es Piräus' klassischer Zweiklang - was den Einfluss eines Georgios Printezis, Vangelis Mantzaris oder Bryant Dunston keinesfalls schmälern soll. Olympiakos funktioniert als Kollektiv, in wichtigen Situation übernimmt der Meister. Wird es im Finale eng, wird es erneut so ablaufen.
Allein deshalb dürfte Real darauf bedacht sein, Spanoulis gar nicht erst in eine Situation kommen zu lassen, in der er das Spiel mit stoischer Ruhe entscheiden kann. Anders als im vergangenen Jahr müssen die Königlichen diesmal ihre Stärken ausspielen, mit seiner Offense Olympiakos' Defense ausstechen, gleichzeitig aber selbst intensiv verteidigen. Gelingt es, liefe das Finale anders ab als im vergangenen Jahr, auch als jenes von 2013. Dann ist der Titel möglich - und das Déjà-vu wäre abgewendet.