Nach einem vierjährigen Studium in den USA holten die Brose Baskets Patrick Heckmann im vergangenen Sommer nach Bamberg. Viele Beobachter waren überrascht, doch in kürzester Zeit spielte sich der Swingman in die Rotation und die Herzen der Fans in Freak City. Im Exklusiv-Interview spricht der 23-Jährige über seine ereignisreiche College-Zeit, die Entwicklung in Bamberg und die Perspektive Nationalmannschaft.
SPOX: Herr Heckmann, zur Saison 2008/2009 sind Sie an die Cheyenne Mountain Highschool in Colorado Springs, USA gegangen. Warum dieser - für einen deutschen Basketballer - doch eher ungewöhnliche Weg?
Patrick Heckmann: Mit Basketball hatte das eigentlich überhaupt nichts zu tun. Ich wollte etwas von der Welt sehen und mein Englisch verbessern. Ich habe dort bei einer Gastfamilie gewohnt und es war auch von vornherein klar, dass es nur ein Schuljahr sein wird. Eben wie jeder andere Schüler auch, der einen Auslandsaufenthalt macht.
SPOX: Ein bisschen Basketball war aber schon dabei, oder?
Heckmann: Ja, klar. (lacht) Natürlich habe ich dort auch Basketball gespielt und es hat auch Spaß gemacht, dort die amerikanische Form des Sports kennenzulernen. Aber an der Highschool läuft die Basketball-Saison nur über den Winter. Danach habe ich dann mit dem Volleyball-Team in der Liga gespielt, da kein Basketball mehr angeboten wurde. Ich konnte nur noch in der Stadt auf verschiedenen Plätzen draußen oder bei Pickup-Games spielen. Ansonsten habe ich mich ohnehin auf die Schule konzentriert. Natürlich waren die Noten nicht ganz so wichtig, da sie für Deutschland keine Relevanz hatten, aber ich wollte ja auch etwas aus dem Jahr mitnehmen.
SPOX: Als Sie wiederkamen, haben Sie in der NBBL direkt 23,6 Punkte pro Spiel aufgelegt und wurden zum MVP gewählt. Haben Sie sich in den USA so viel schneller entwickelt als Ihre Altersgenossen?
Heckmann: Ich glaube nicht. Natürlich habe ich mich in den USA verbessert, keine Frage. Aber jeder hat seine individuelle Entwicklung. Dass ich MVP wurde, lag auch daran, dass ich in Mainz ein tolles Team hatte. Da war es leicht, gut zu spielen.
SPOX: Zum Studieren sind Sie ans Boston College gegangen. Hat es Ihnen in den USA so gut gefallen oder warum sind Sie dorthin zurückgekehrt?
Heckmann: Ja, es war schon cool. Aber ich wollte vor allem beides machen: Studieren und Basketball spielen. Das funktioniert in den USA dank des College-Systems, aber in Deutschland wäre das in dieser Form nicht möglich gewesen. Sportler zu sein, ist immer risikoreich. Das kann von einem auf den anderen Tag zu Ende sein. Und ich wollte auch daran denken, was nach der Karriere kommt. Daher habe ich Wirtschaftswissenschaften studiert und jetzt einen Bachelor in der Tasche.
SPOX: Ihre Abschlussnote?
Heckmann: 2 Minus. Ich war zufrieden. (lacht)
SPOX: Hatten Sie auch Angebote von renommierteren Colleges?
Heckmann: Doch, schon. Der größte Name war sicherlich die University of Michigan. Aber dort gab es einige Spieler, die auf meiner Position vor mir gewesen wären. Daher habe ich mich dagegen entschieden. Ich wollte keine zwei Jahre auf der Bank sitzen. In Boston hatten wir viele Freshmen wie mich, die in dem Jahr neu ans College kamen. Da war ich mir relativ sicher, dass ich genug Spielzeit bekommen werde. Es war zwar das vermeintlich schwächere Team, aber wir haben in der ACC gespielt, einer der besten Conferences der NCAA. Gegner waren Teams wie Duke und North Carolina. Das war auch ein Grund für meine Entscheidung.
SPOX: Wie kann man sich das Leben am Boston College vorstellen?
Heckmann: Das College war schon hart. Der Studien-Teil war dabei immer gleich: Auch während der Saison hatte man vier oder fünf Kurse. Und beim Basketball gab es doch wirklich eine Trainingsbeschränkung. (lacht) In der Vorbereitung hatten wir nur Kraft- und Konditionstraining sowie zwei Stunden Individualtraining pro Woche. Mehr war nicht erlaubt. In der Saison war es dann natürlich mehr, aber auch nur sechs Mal die Woche. Einer von sieben Tagen musste immer frei sein. Wir mussten unsere Kurse so wählen, dass sie immer dann lagen, wenn gerade kein Training war. Problematisch war es, wenn wir lange Auswärtsflüge hatten und erst in der Nacht zurückkamen. Da war man morgens in der Uni manchmal geistig nicht vollkommen anwesend. Aber die Kommilitonen haben mir sehr geholfen und mich unterstützt, auch die Dozenten wussten natürlich, wann wir unterwegs waren und haben Rücksicht auf uns genommen.
SPOX: Gleich im vierten Spiel gegen Riverside erzielten Sie 32 Punkte und sorgten für einen starken ersten Eindruck in der NCAA. Der beste College-Tag Ihres Lebens?
Heckmann: (lacht) Fast. Ich denke, es war der zweitbeste. Noch etwas mehr bedeutet mir der Sieg gegen Syracuse, die wir in meinem dritten Jahr auswärts in New York geschlagen haben. Das war der Wahnsinn! Die Nummer eins des Landes, ungeschlagen - und wir gewinnen das Ding in der Verlängerung vor 26.000 Zuschauern. Ich bekomme heute noch Gänsehaut, wenn ich daran denke. Aber das Spiel gegen Riverside war ebenfalls großartig. Dadurch sind gleich zu Beginn einige Leute auf mich aufmerksam geworden. Leider ist mir eine solche Leistung nicht noch einmal gelungen.
SPOX: Sie haben am College noch mit einer Shotclock von 35 Sekunden gespielt, vor kurzem wurde sie auf 30 Sekunden reduziert. Im Sinne der Regelangleichung ein guter und notwendiger Schritt?
Heckmann: Definitiv. Ich finde es besser, dass es jetzt weniger Zeit für einen Angriff gibt. 35 Sekunden sind viel zu lang. Früher haben manche Teams das Tempo derart verschleppt und ihre offensiven Systeme erst nach 20 Sekunden begonnen. Da stand man dann in der Defense manchmal eine ganze Weile rum. (lacht) Das war auch für die Zuschauer nicht schön anzusehen. Ich bin sogar dafür, die Shotclock komplett anzupassen. Wer im Profibereich spielen will - egal, ob in der NBA oder in Europa -, der muss sich an 24 Sekunden pro Angriff gewöhnen. Und am besten lernt man das, indem man auch am College nach diesen Regeln spielt. Als Spieler muss man schneller reagieren, schneller in die Systeme reinkommen. Das kann im ersten Profijahr schon eine große Umstellung sein. Und es ist eine Hürde, die man abbauen kann.
SPOX: Sie haben beide Basketball-Stile kennengelernt, den amerikanischen und den europäischen. Was sind für Sie die größten Unterschiede und welcher liegt Ihnen mehr?
Heckmann: Ein großer Unterschied ist sicherlich der Einfluss der Coaches. In den USA ist Micro-Management an der Tagesordnung. Die College-Coaches haben einen genauen Plan davon, was auf dem Spielfeld in welcher Art und Weise umgesetzt werden soll. Dafür formen sie ihre Spieler nach ihren Vorstellungen und für ihr System. Und sie wollen jede kleinste Entscheidung auf dem Court treffen. Damit hatte ich ein bisschen meine Probleme. Ich passe eher ins europäische System. Hier hast du ausgebildete Spieler, die auf dem Feld vorrangig eigene Entscheidungen treffen und einfach etwas freier sind.
SPOX: Wurden auch Sie in den USA in eine Rolle gedrängt?
Heckmann: Zu Anfang nicht. Da hatte ich recht viele Freiheiten und durfte auch auf mehreren Positionen spielen. Dann rekrutierte Coach Steve Donahue Olivier Hanlan und Joe Rahon, die viel auf dem Feld für ihn gemacht haben. Dadurch wurde meine Rolle kleiner und ich saß mehr auf der Bank. Da die beiden den Ball dominierten, musste ich immer mehr zum Shooter werden. Als Jim Christian in meinem vierten Jahr Headcoach wurde, bekam ich wieder deutlich mehr Minuten. Dennoch ging meine Dreierquote runter, da ich nie wusste, wann ich die Würfe bekomme. Das machte es deutlich schwieriger.
SPOX: Das sieht jetzt in Bamberg deutlich anders aus. Das Selbstverständnis, mit dem Sie Ihre Würfe nehmen und treffen, ist für einen 23-Jährigen beeindruckend. Woher nehmen Sie das?
Heckmann: Hier weiß ich, dass ich werfen darf und soll, wenn ich einen freien Wurf habe. Ich erkenne genau, in welchen Situationen meine Mitspieler Würfe kreieren können. Nach der schwierigen Saison fehlte mir auch ein Stück Selbstbewusstsein. Daran habe ich mit Individual- und Shooting Coach Stefan Weissenböck gearbeitet und dadurch ging es aufwärts. Und noch etwas ist in Bamberg anders: Meine Mitspieler würden den Ball nicht zu mir passen, wenn sie kein Vertrauen hätten, dass ich den Wurf reinmache. Das hilft mir. Ich denke jetzt viel weniger nach als früher. Aus dem Spielfluss heraus sind meine Würfe deutlich besser.
SPOX: Innerhalb kürzester Zeit haben Sie sich bei Brose in die Rotation von Andrea Trinchieri gespielt. War das auch für Sie überraschend?
Heckmann: Total. Damit hätte ich nie gerechnet. Ich bin ja nicht davon ausgegangen, als College-Absolvent zum deutschen Meister und Euroleague-Top16-Klub zu wechseln und direkt Minuten zu bekommen. Aber ich habe mich hervorragend eingefunden und hatte von Anfang an großes Vertrauen zum Coach. Ich höre viel zu und arbeite an den Dingen, die er mir ans Herz legt. Dazu kommt, dass wir ein tolles Team mit großartigen Spielern haben. Von jedem kannst du etwas lernen. Und alle wissen, wie sie mit Neulingen in der Mannschaft umgehen müssen. Davon habe ich ebenfalls profitiert.
SPOX: Was sind die Schwerpunkte, an denen Sie laut Andrea Trinchieri arbeiten müssen?
Heckmann: An erster Stelle steht natürlich die Verteidigung. Darüber hinaus am Wurf und - nicht zu vergessen - an meinem Kopf. Der Coach findet, dass ich noch immer zu viel nachdenke und noch besser sein könnte, wenn ich lerne, das komplett auszuschalten. Ich arbeite daran, aber es ist gar nicht so leicht, da bei mir vieles Kopfsache ist.
SPOX: Gegen Zalgiris Kaunas haben Sie mit Bamberg in der Euroleague den ersten Top-16-Sieg der Vereinsgeschichte eingefahren - und dann noch mit 33 Punkten Unterschied. Fühlte sich dieser Erfolg anders an?
Heckmann: Das war ein unglaubliches Gefühl. Dieser Sieg wird für immer in den Vereinsbüchern verankert sein. Aber man muss es auch in den aktuellen Kontext einordnen: Wirklich viel kaufen können wir uns davon nicht. In der starken Gruppe sind wir froh, dass wir aus den ersten beiden Spielen einen Sieg holen konnten. Wobei wir das Spiel gegen Real Madrid auch gut hätten gewinnen können. Wir müssen hungrig bleiben. Das Ziel ist es, weitere Siege einzufahren.
SPOX: Apropos Ziele: Lassen Sie uns über das DBB-Team sprechen. Nachdem Sie die kompletten Jugendauswahlen durchlaufen hatten, durften Sie 2012 erstmals für die A-Nationalmannschaft aufs Parkett. Was ist Ihnen vom Premieren-Spiel gegen den Iran noch in Erinnerung?
Heckmann: Das war natürlich ein tolles Erlebnis und eine große Ehre - auch wenn es nur ein paar Minuten am Ende des Spiels waren. Nach der U20-EM 2012 in Slowenien hatte DBB-Coach Svetislav Pesic meinen guten Kumpel Mathis Mönninghoff und mich in die Türkei zu einem Vorbereitungsturnier eingeladen. Dort kamen wir auch gleich im ersten Spiel gegen den Iran zum Einsatz. Ich habe sogar fünf Punkte erzielt. Leider war ich danach verletzt und wurde erstmal nicht wieder für die Nationalmannschaft nominiert.
SPOX: Zurzeit geht das Gerücht um, dass Henrik Rödl im kommenden Sommer Chris Fleming als Nationaltrainer ablösen wird. Ein Wechsel an der Spitze könnte ja auch für Sie relevant werden. Beschäftigen Sie sich mit solchen Themen?
Heckmann: Ehrlich gesagt habe ich mir noch keine großen Gedanken darüber gemacht. Die Nationalmannschaft ist aktuell ziemlich weit weg. Jetzt müssen wir mit Bamberg erstmal die Saison erfolgreich zu Ende spielen. Dann schaue ich, was im Sommer passiert. Und ob meine Leistung vielleicht reicht, um zum DBB-Team eingeladen zu werden.
SPOX: Einen individuellen Erfolg gab es für Sie dieses Jahr bereits: Sie wurden zum ersten Mal ins All-Star Team gewählt. Wie war die Veranstaltung für Sie?
Heckmann: Der All-Star Day war definitiv ein besonderes Erlebnis. Die besten Spieler der Liga kommen zusammen - und du bist dabei! Das fühlte sich schon gut an. (lacht) Als NBBL-Spieler durfte ich vor einigen Jahren schon zwei Mal teilnehmen, aber es ist natürlich eine andere Nummer, abends beim Haupt-Event anstatt nachmittags im Vorprogramm zu spielen. Und dann noch vor dem Heimpublikum in Bamberg - eine tolle Erfahrung.
SPOX: Bei den Fans in Freak City sind Sie schon jetzt einer der Lieblinge und man sieht im Publikum viele Zuschauer mit der 33 auf dem Rücken. Woher kommt eigentlich Ihre Trikotnummer? Ist es eine Hommage an Larry Bird?
Heckmann: (lacht) Das haben schon viele vermutet, aber damit hat es nichts zu tun. Es ist viel einfacher. Als ich mit 15 Jahren mein erstes Spiel für Mainz in der Regionalliga machen durfte, war nur eine einzige Nummer frei: die 33. Die habe ich bekommen und seitdem in jeder Mannschaft, in der ich gespielt habe, getragen.
SPOX: Dann sollten Sie nicht zu den Celtics wechseln. Dort hängt die nämlich unter der Hallendecke...
Heckmann: Ich denke, da besteht aktuell wirklich keine Gefahr. (lacht)