Kurz vor dem Desaster herrscht noch Freudenstimmung in der Berliner O2-Arena. Aus den Händen von Bürgermeister Klaus Wowereit erhalten die Spieler der Eisbären Berlin ihre Meisterschaftsringe. Der Titelgewinn in der letzten Saison war der fünfte in sechs Jahren. Auf der Tribüne lächelt US-Milliardär und Klub-Eigentümer Philip Anschütz vergnügt.
Zwei Stunden später steht die Ratlosigkeit in den Gesichtern des langjährigen Dominators der DEL. Nach einem blamablen 2:4 gegen Straubing sind die Eisbären Schlusslicht der DEL. Anschütz lächelt nicht mehr. Die Ursachen für den schnellen und tiefen Fall sind vielschichtig.
Blick auf die Tabelle schmerzt
"Ich könnte anhand von 200 Statistiken erklären, warum es derzeit nicht läuft", sagt Eisbären-Manager Peter Lee frustriert. Der Blick auf die Tabelle schmerzt derzeit in Berlin, der Eishockey-Hauptstadt.
Vier Siege und sieben Niederlagen stehen zu Buche. Als Tabellenletzter mit zehn Punkten liegen die Eisbären bereits 19 Zähler hinter Spitzenreiter Nürnberg. Für die erfolgsverwöhnten Fans und Berliner Medien ein Schlag ins Gesicht.
Rettungsringe statt Meisterringen seien jetzt erforderlich, schreibt etwa die "B.Z.". Und weiter: Die Eisbären seien in Seenot geraten.
Von Board gegangen war vor der Saison Trainer Don Jackson. Der US-Amerikaner feierte vier Meisterschaften in Berlin. Im Sommer verabschiedete sich der Erfolgs-Coach nach Salzburg.
Nachfolger Tomlinson unter Druck
Als Nachfolger wurde der frühere Eisbären-Angreifer Jeff Tomlinson präsentiert. Für den Deutsch-Kanadier sind die Eisbären die dritte Station als Profi-Trainer. Nach dem schwachen Start steht er gehörig unter Druck.
Gegenüber der Öffentlichkeit gibt sich Tomlinson kämpferisch. "Ich habe schon schlimmere Krisen erlebt", meint der 43-Jährige. Intern gilt er trotzdem als angezählt, sogar von einer Entmachtung durch das Management ist die Rede.
Nach dem Straubing-Spiel forderte Tomlinson Manager Lee auf, einige Worte ans Team zu richten. Offenbar wollte er die Kabinenpredigt nicht selbst übernehmen. Ein Fakt, der sofort als Führungsschwäche interpretiert wurde.
Schwächster Angriff der Liga
Noch erhält der junge Trainer öffentlich die Rückendeckung der sportlichen Leitung. "Wir spielen im Moment beschissenes Eishockey. Aber das liegt nicht am Trainer", so Lee am Montag. Eine deutliche Job-Garantie will er aber nicht geben: "Ich denke nicht darüber nach, was in der Zukunft passieren kann."
Nach den jüngsten Leistungen steht auch Lee in der Kritik. Die Abgänge im Sommer seien nicht adäquat ersetzt worden, so der Vorwurf. Der Kader hat ohne Tyson Mulock, Ryan Caldwell oder auch Mark Katic deutlich an Qualität und Tiefe verloren.
War Berlin unter Jackson noch für spektakuläres Offensiv-Eishockey bekannt, präsentiert sich der Angriff derzeit absolut harmlos. Mit lediglich 23 Treffern erzielt der amtierende Meister die wenigsten Tore innerhalb der DEL.
Kommt jetzt Marco Sturm?
Kein Wunder also, dass sich die Verantwortlichen auf dem Transfermarkt umsehen. Zuletzt wurde Ex-NHL-Star Marco Sturm als Neuzugang gehandelt. "Ein Mann wie Marco Sturm würde uns natürlich helfen", wurde Lee von der "Bild" zitiert.
Der Niederbayer stand letzte Saison bei den Kölner Haien unter Vertrag und hielt sich zuletzt in Florida auf, wo er sich für einen NHL-Klub empfehlen wollte.
Eine Verpflichtung des erfahrenen Angreifers könnte die verärgerten Fans wohl etwas besänftigen. Zuletzt gab es ein lautstarkes Pfeifkonzert in der eigenen Halle. Trotz der Misserfolge bleibt Berlin mit gut 13.000 Zuschauern im Schnitt aber der Publikums-Krösus der DEL.
Anhänger sind verstimmt
Trotzdem rumort es derzeit innerhalb der Anhängerschaft. Ein geplanter Umbau an der Arena sorgt für miese Stimmung in Berlin-Friedrichshain. Die Anhänger fürchten, dass ihr beliebter Fantreff den Baumaßnahmen zum Opfer fallen könnte.
In einem offenen Brief an Klub-Eigentümer Anschütz forderten die Eisbären-Fans mehr Rücksicht auf die Fankultur.
Schicksalsspiel gegen die Freezers
"Wir suchen nach Lösungen und wollen weg vom Tabellenkeller", verspricht Lee den Anhängern. Seit elf Jahren haben die Eisbären keinen Trainer mehr entlassen. Ob sich diese Kontinuität fortsetzen lässt, wird womöglich schon am Freitag entschieden.
Beim Heimspiel gegen die Hamburg Freezers trifft Berlin im Kellerduell auf den Vorletzten. Nur mit einem Sieg könnte Tomlinson die Seenot der Eisbären zumindest etwas lindern und seinen Platz hinter der Bande vorerst sichern.
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