Vor der Saison wurden die Fischtown Pinguins, nicht nur wegen ihres Namens, müde belächelt. Dem Neuling aus Bremerhaven prognostizierten Experten schon vor dem ersten Bully den letzten Tabellenplatz. Man müsse sich an das neue Umfeld, die andere Spielweise in der DEL gewöhnen und habe daher nicht die Chance, über das untere Tabellendrittel hinaus zu kommen, so der fast einstimmige Tenor.
Dass der Verein aus der Seestadt gleich 16 Neuzugänge begrüßte, unterstützte diese Thesen nur. Wie soll sich dieser zusammengewürfelte Haufen zu einer Einheit formen? Trainer Thomas Popiesch stand vor einer Mammutaufgabe. Die Verantwortlichen formulierten daher auch bescheidene Ansprüche. Zuerst wolle man "zu Hause eine Macht" werden, erklärte Manager Albert Prey. Das Ziel müsse es sein, "nicht Letzter zu werden."
Jetzt, 52 Spieltage später, haben die Pinguins diese Vorgaben nicht nur erfüllt, sondern sogar weit übertroffen. Statt Punktelieferant für die etablierten Teams, wurden die Pinguins zum Favoritenschreck und beendeten die Hauptrunde auf dem zehnten Tabellenplatz. Obwohl sich alle Spiele für Fans und Cracks wie Highlights angefühlt haben müssen, stechen die Siege gegen den amtierenden Meister aus München und Nürnberg sicherlich hervor. Die Kölner Haie wurden gar mit 6:0 abgefertigt.
Seit der Saison 2010/11 ist die Mannschaft der erste Neuling, der es in die Pre-Playoffs geschafft hat. Der Vorgänger ist durchaus namhaft: EHC Red Bull München, der die Hauptrunde damals als Achter beendete.
Die Sache mit dem Namen
Dies ist aber auch das Einzige, das die beiden Vereine gemeinsam haben. Vor allem in finanzieller Hinsicht liegen Welten zwischen dem Liga-Krösus aus dem Süden und den Pinguins. Während dem Brauseklub pro Saison rund 12,5 Millionen Euro zur Verfügung stehen, müssen die Seestädter mit 3,8 Millionen über die Runden kommen. Selbst das Budget der angeschlagenen Klubs aus Straubing, Krefeld oder Iserlohn ist um 1,5 Millionen Euro größer.
Allerdings lässt das die Bremerhavener kühl. Hinter dem Klub steht kein allmächtiger Mäzen oder ein Produkt, sondern mehrere Geldgeber. Neben der Stadt und Werder Bremen setzt man im Norden vor allem auf viele regionale Sponsoren. So verteilt man die Last auf mehrere Schultern und muss keine Insolvenz fürchten, sobald ein Finanzier abspringen sollte.
Auch der genauere Blick auf die Namensgebung des Vereins zeigt, dass die Verbindung zur Heimat oberste Priorität besitzt. Fischtown kann als Synonym für die Stadt Bremerhaven wegen des größten Hochseefischereihafens in Deutschland verwendet werden. Das Wort Pinguins wird häufig als falsche Übersetzung aus dem Englischen angesehen. Seinen Ursprung hat der Begriff aber im Plattdeutschen. Um den Plural eines Substantivs anzuzeigen, hängt man dort einfach ein s ans Wortende, so wie bei Jungs und Mädels. Man kann die Fischtown Pinguins daher getrost als Gegenentwurf zur Kommerzialisierung im Spitzensport sehen.
Doch der Weg dorthin war lang. Zunächst profitierte man als Kooperationspartner der Hamburg Freezers von deren Aus. Wie aus dem Nichts teilte die Anschutz Entertainment Group, Besitzer des Klubs, mit, dass man für die DEL-Saison 2016/17 keine Lizenz mehr beantragen werde. Alle, die es mit den Nordlichtern hielten, verfielen in Schockstarre - fast alle. Die Spieler - allen voran Freezers-Kapitän Christoph Schubert - ergriffen die Initiative und sammelten Spenden. Dabei bekamen sie berühmte Unterstützung: Neben Hockeyspieler Moritz Fürste setzte sich auch Bayern-Star Thomas Müller für den Eishockey-Klub aus der Hansestadt ein. Am Ende kamen rund 1,2 Millionen Euro zusammen. Doch es reichte nicht. Die Freezers mussten sich aus der Beletage zurückziehen.
Heimspiele vor ausverkauftem Haus
Für die Fischtown Pinguins endete die vorausgegangene Saison bereits im Viertelfinale der DEL2-Playoffs. Aus sportlicher Sicht schienen die Pinguins also nicht gerade der geeignete Nachfolger für Hamburg zu sein. Allerdings reichten die Verantwortlichen aus Bremerhaven als einziger Verein alle nötigen Unterlagen fristgerecht ein.
"Niemand sollte sich über das sportliche Aus eines Klubs freuen, und diesen Umstand möchten auch wir noch einmal deutlich unterstreichen", so Teammanager Prey. Allerdings bliebe festzuhalten, "dass, wenn es einen freien Platz zu belegen gibt, wir diese Chance ergreifen müssen. Diesen Schritt sind wir unserer Stadt und unseren Fans schuldig."
Und genau diese Fans waren ab dem ersten Tag in der DEL hellauf begeistert. Der Verkauf der Dauerkarten verzeichnete Rekordzahlen und die Heimspiele sind sowieso immer ausverkauft. "Jedem Zuschauer ist der Wahnsinn in die Augen geschrieben", sagt ein stolzer Prey.
Doch nicht nur in der heimischen Halle sind die treuen Fans immer dabei. So machten sich beispielsweise 1500 Anhänger in Sonderzügen auf zum Auswärtsspiel bei den Kölner Haien. Spiele in der Fremde scheinen den Seestädtern ohnehin besonders Spaß zu machen: Im Dezember 2015 organisierten sie einen Sonderflug zu der Partie bei den Ravensburg Towerstars.
"Ein Glücksfall für das Bremerhavener Eishockey"
Neben den Fans, die sich komplett mit dem Klub identifizieren, ist es vor allem die stabile wirtschaftliche Lage, die den Verein ins Oberhaus gebracht hat. Schon seit 43 Jahren wird in der Seestadt Eishockey gespielt. Allerdings fand der Wendepunkt in Richtung Professionalität im Jahr 2002 statt, als der Spielbetrieb der ersten Mannschaft des Roll- und Eissport-Vereins in die Fischtown Pinguins SBG mbH ausgelagert wurde. Das Highlight in dieser Entwicklung war sicherlich die Fertigstellung der Eisarena, die Platz für 4647 Zuschauer bietet.
Dort liefert die Mannschaft zwar nicht immer Glanz-, dafür aber Höchstleistungen. Man ist in jedem Spiel ohnehin Underdog und hat nie den Druck gewinnen zu müssen. Die Spieler orientieren sich am Vereinsmotto "Spiele hart oder fahr nach Hause".
Einer, der diesem Motto besonders Leben einhaucht, ist der vor der Saison aus der AHL gekommene Kapitän Mike Moore. "Er ist unser Leader", sagt Trainer Thomas Popiesch über den Amerikaner. Er scheut keinen Zweikampf, ist stark im Spiel gegen den Gegner und kann die Mannschaft vorantreiben. Kein Wunder, dass der Verein den Vertrag mit dem Verteidiger um zwei Jahre verlängerte.
Generell setzen die Pinguins auf Kontinuität. Das Arbeitspapier von Coach Popiesch wurde ebenfalls verlängert. Schließlich sei er "ein Glücksfall für das Bremerhavener Eishockey", meint Geschäftsführer Hauke Hasselbring. Und tatsächlich lebt der Übungsleiter für den Sport.
In der DDR galt er als eines der größten Talente. Wegen seiner Einstellung eckte er aber wieder mit dem Staat an. "Man musste immer hören, egal was passiert. Man war einfach der Willkür ausgesetzt", sagt er über die damalige Zeit. Beim Versuch, nach Tschechien zu fliehen, wurde er erwischt. Es folgten vier Jahre im Gefängnis.
Den Top-Torjäger in den eigenen Reihen
Nach dieser schwierigen Zeit nahm seine Karriere an Fahrt auf. Nachdem er erste Schritte als Trainer beim SC Dynamo Berlin unternahm, spielte er 15 Jahre unter anderem in Nürnberg und Frankfurt, ehe Popiesch wieder hinter die Bande wechselte. Bei seinem Wechsel nach Bremerhaven hatte er zehn Jahre Erfahrung als DEL2-Coach vorzuweisen.
Dieses Know-How weiß er bei seinen Schützlingen offensichtlich anzuwenden. Das zeigt sich vor allem auf der Torwart-Position. Bei den Pinguins gibt es keinen Stammkeeper. Jerry Kuhn, der mit .923 eine der besten Fangquoten der Liga aufzuweisen hat, und Jani Nieminen wechseln sich ständig ab und sorgen für einen sicheren Rückhalt.
Der Mann für die Tore ist Jack Combs. Der Amerikaner ist Top-Scorer der Pinguins und schloss die Hauptrunde mit 27 Treffern als bester Torjäger vor Nürnbergs Patrick Reimer ab.
In den Pre-Playoffs trifft Bremerhaven auf die Panther aus Ingolstadt. Die Bilanz der Hauptrunde spricht mit 3:1 für die Pinguins. Dennoch sind sie gegen den Meister von 2014 Außenseiter. Im Gegensatz zu den Panthern ist der Neuling DEL-Playoffs-unerfahren. Gerade in den Spielen, bei denen es um alles oder nichts geht, kann dies eine wichtige Rolle spielen.
Doch auch wenn die Serie an Ingolstadt gehen sollte, wird die Mannschaft aus Bremerhaven von ihren Fans gefeiert werden. Denn das Ziel, nicht Letzter zu werden, haben sie mehr als erreicht.
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