Am Freitag beginnt für die deutsche Eishockey-Nationalmannschaft die Heim-WM in Köln mit dem Duell gegen die USA (20.15 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER). Der Kader von Bundestrainer Marco Sturm steht - zumindest fast. SPOX macht den Check: Wer hält hinten den Kasten sauber, wer könnte vorne für Tore sorgen? Und auf welche Verstärkung aus der NHL darf man noch hoffen?
Die Ausgangslage:
Am Dienstag hat Bundestrainer Marco Sturm seinen vorläufigen 25-Mann-Kader benannt. Dabei wurden erste Spieler aus der Vorbereitung gestrichen. Den endgültigen Kader muss Sturm erst zwei Stunden vor dem Auftaktspiel bekanntgeben, also am frühen Freitagabend.
Dabei wird er angesichts der NHL-Playoffs jedoch ein bis zwei Plätze im Kader offen lassen, um NHL-Akteure nachnominieren zu können: Derzeit spielen die Edmonton Oilers um Leon Draisaitl in der zweiten Runde der Western Conference gegen die Anaheim Ducks mit Korbinian Holzer. Im Osten haben es die Washington Capitals und Goalie Philipp Grubauer mit den Pittsburgh Penguins und Tom Kühnhackl zu tun.
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Alle vier haben bereits zugesagt, im Falle eines Ausscheidens zum Team zu stoßen. Heißt: Mit zwei zusätzlichen Topspielern kann Marco Sturm in den kommenden Tagen rechnen - aber wer das sein wird, ist noch unklar. Pittsburgh führt in der Serie derzeit 3-1, zwischen Draisaitl und Holzer steht es 2-2. Dementsprechend ist es auch ein kleines Vabanquespiel, welche Plätze im Kader offen bleiben, welche der folgenden 25 Spieler so kurz vor dem Turnier noch abreisen müssen. Angesichts der Vorbereitung könnte es Sinan Akdag, David Wolf oder Matthias Plachta erwischen. Immer abhängig davon, wie die Playoffs laufen.
Dürfte sich Sturm einen Spieler aussuchen, wäre es sicher der aufstrebende Superstar Draisaitl, der in der Regular Season 77 Punkte aufgelegt hatte.
Tor:
Thomas Greiss (31 Jahre/New York Islanders/24 Länderspiele)
Danny aus den Birken (32/EHC Red Bull München/27)
Felix Brückmann (26/Grizzlys Wolfsburg/24)
Analyse: Jesus Greiss Superstar! Die Viertelfinal-Chancen des DEB-Teams hängen in nicht unerheblichem Maße von Stamm-Goalie Greiss ab. Der hielt bereits bei der WM in Russland vor einem Jahr sensationell und bestätigte diese Form in der NHL-Saison bei den New York Islanders, wo sie ihm prompt den Heilsbringer-Spitznamen verpassten. "Er wird wieder ein starker Rückhalt sein", verlässt sich Coach Sturm auf seinen Goalie. Der war in der Vorbereitung zwar nicht immer in Bestform, ist aber dennoch die unangefochtene Nummer eins. "Er hat einfach ein anderes Level", sagte Stürmer Felix Schütz, für den ein guter Schlussmann "schon mal 50 Prozent" ausmacht. Greiss kennt die gegnerischen Topleute aus der NHL und ist an das Tempo gewöhnt - allein seine Anwesenheit gibt den Vorderleuten einen zusätzlichen Schuss Selbstvertrauen.
Dahinter hatte Sturm die Qual der Wahl, vertraut mit aus den Birken, der im letzten Vorbereitungsspiel gegen Lettland gut aussah, und Brückmann den beiden Goalies aus den DEL-Finals. Damit war kein Platz mehr für Dennis Endras, den WM-Helden von 2010. Sowohl aus den Birken als auch Brückmann haben eine starke Saison gespielt und wären kein Schwachpunkt, sollten sie gebraucht werden - allerdings haben sie natürlich auch nicht die Klasse eines Greiss. Sturm wird sie wohl eher gegen die schwächeren Gegner einsetzen, um Greiss eine Pause zu gönnen. Mit Philipp Grubauer könnte ein weiterer Klassemann von den Washington Capitals nachrücken und sich hinter Greiss einreihen, allerdings würde Sturm einen frei gehaltenen Platz sicherlich lieber an Leon Draisaitl, Korbinian Holzer oder Tom Kühnhackl vergeben.
Verteidigung:
Denis Reul (27 Jahre/Adler Mannheim/75 Länderspiele)
Sinan Akdag (27/Adler Mannheim/74)
Justin Krueger (30/SC Bern/89)
Christian Ehrhoff (34/Kölner Haie/104)
Moritz Müller (30/ Kölner Haie/111)
Konrad Abeltshauser (24/EHC München/4)
Dennis Seidenberg (35/New York Islanders/57)
Frank Hördler (32/Eisbären Berlin/108)
Analyse: Auch hier müssen zwei alte Hasen aus der NHL die Richtung vorgeben. Dennis Seidenberg war erst spät zum Team gestoßen und gab gegen die Letten am Montag sein Debüt in der Vorbereitung, trumpfte da aber direkt auf und traf sogar zum zwischenzeitlichen 3:1. Trotz seiner 35 Jahre gibt es kein Vorbeikommen am Altmeister, der schon bei der WM 2001 mit dem Adler auf der Brust auflief - und sich dabei für den Wechsel in die NHL empfahl. Er bringt Ruhe und die nötige Härte mit.
Gleichzeitig ist es kein Zufall, dass Nebenmann Christian Ehrhoff von Sturm zum Kapitän ernannt wurde. Der 34-Jährige blickt auf 13 Jahre NHL-Erfahrung zurück, spielte in dieser Saison aber wieder in Köln und konnte so die komplette Vorbereitung mit dem Team absolvieren. Damit ist er auch Bindeglied zwischen DEL und NHL-Fraktion im Kader und der verlängerte Arm von Sturm auf dem Eis.
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Spannend zu sehen wird sein, ob der Bundestrainer die beiden in eine Reihe steckt, um den besten Lines des Gegners geballte Erfahrung entgegenzusetzen, oder ob er seine Veteranen lieber splittet, um die zweite Reihe aufzuwerten. Zumal sie im fortgeschrittenen Alter ja auch nicht mehr die Allerschnellsten sind.
Hinter Seidenberg und Ehrhoff fehlt die ganz große Klasse, weshalb ein Ausscheiden von Korbinian Holzer in den NHL-Playoffs dem Kader sicherlich gut tun würde. Andererseits bringen in dieser Besetzung bis auf DEL-Topverteidiger Abeltshauser alle Verteidiger geballte Erfahrung mit, auch im DEB-Dress, und Eingespieltheit muss ein Pfund sein, mit dem das Team zu wuchern hat.
Offensive:
Tobias Rieder (24 Jahre/Arizona Coyotes/36 Länderspiele)
Brooks Macek (24/EHC München/26)
Yannic Seidenberg (33/EHC München/136)
Dominik Kahun (21/EHC München/25)
Marcus Kink (32/Adler Mannheim/117)
Matthias Plachta (25/Adler Mannheim/51)
David Wolf (27/Adler Mannheim/30)
Patrick Reimer (34/Nürnberg Ice Tigers/91)
Yasin Ehliz (24/Nürnberg Ice Tigers/40)
Gerrit Fauser (27/Grizzlys Wolfsburg/22)
Patrick Hager (28/Kölner Haie/114)
Philip Gogulla (29/Kölner Haie/153)
Felix Schütz (29/Rögle BK/124)
Frederik Tiffels (21/Western Michigan University/8)
Analyse: 16 Tore und 18 Assists hat Tobias Rieder in der abgelaufenen Saison für die Coyotes verbucht - er ist damit eine gestandene Größe in der besten Eishockey-Liga der Welt. Der 24-Jährige Center wird der Anker in der ersten Reihe sein und muss vor allem über seine enorme Schnelligkeit für Gefahr sorgen.
Hinter Rieder hätte Sturm liebend gerne auf Marcel Goc gesetzt, doch der 33-Jährige fehlt verletzt - sowohl durch seine Fähigkeiten auf dem Eis als auch durch seine Führungsqualitäten ein herber Verlust. So liegt das Hauptaugenmerk neben Rieder auf DEL-Topscorer Patrick Reimer, der in der Hauptrunde 54 Punkte erzielte.
Es bleibt das Beste, was die DEL zu bieten hat: Angesichts der je drei Akteure aus München und Mannheim und den Nürnberger und Kölner Duos könnte Sturm sogar auf Blockbildung setzen, um noch mehr über die Eingespieltheit zu punkten. Zudem sind fast alle Angreifer von den 30 noch ein ganzes Stück entfernt. Da drängt sich die Taktik fast von selbst auf: Hinten mit den alten Hasen sicher stehen und nach vorn überfallartige Nadelstiche setzen.
Der X-Faktor in Sturms Plänen könnte Frederik Tiffels sein. Der Youngster stand 2010 noch im Schülerteam der Haie auf dem Eis, als Deutschland das Halbfinale erreichte, spätestens nach seinem Doppelpack gegen Lettland dürfte er seinen Platz im Kader sicher haben. Tiffels habe "alles umgesetzt", was ihm das Trainerteam vorgegeben habe, lobte Sturm, DEB-Präsident Franz Reindl war ebenfalls aus dem Häuschen ob der enormen Entwicklung des Nachrückers, der erst durch die Verletzung von Christoph Ullmann im Kader auftauchte. Wie Rieder ist Tiffels enorm schnell und könnte zum Shootingstar im deutschen Team werden.
Das Trainerteam:
Bundestrainer Marco Sturm ist mittlerweile so etwas wie das Gesicht des deutschen Eishockeys. Der 38-Jährige führt das Team seit 2015 und erreichte im Vorjahr das WM-Viertelfinale, auch die Qualifikation für Pyeongchang 2018 gelang. Sturm ist nah am Kader dran, die meisten Spieler haben ihn selbst noch in DEL und NHL spielen sehen - oder sogar mit ihm zusammengespielt.
Auch seiner Strahlkraft ist es zu verdanken, dass die NHL-Riege komplett zugesagt hat und heiß ist, direkt aus der Saison bzw. den Playoffs zum Nationalteam zu stoßen. Den schwierigen Spagat, auf der einen Seite Euphorie für die Heim-WM zu entfachen und andererseits vor überzogenen Erwartungen zu warnen, hat er gut hinbekommen: Das Team wolle vor allem sportlich Fortschritte machen, das Viertelfinale wäre "natürlich schön. Aber manchmal spielt man gut und es klappt nicht."
An seiner Seite hat Sturm in Köln zwei absolute Hochkaräter: Der Schwede Mikael Samuelsson, seines Zeichens Mitglied im "Triple Gold Club" (WM-Sieg, Olympiasieg, Stanley Cup), wird als ehemaliger Winger den Offensivreihen den letzten Schliff verpassen, dazu kommt der ehemalige Mannheimer Meistertrainer und derzeitige Devils-Assistenztrainer Geoff Ward. "Wir verstehen uns sehr gut, denken fast genau gleich", lobte Sturm. U20-Bundestrainer Christian Künast und DEG-Co-Trainer Tobias Abstreiter machen den Trainerstab perfekt.
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