Wenn Sie an Olympia denken, denken Sie oft "Wahnsinn, wir haben echt Silber gewonnen", oder denken Sie oft "Wahnsinn, wir waren so nahe dran und hätten Gold gewinnen müssen"?
Seidenberg: Beides. Natürlich habe ich mir auch schon Gedanken gemacht, was gewesen wäre, wenn wir es vielleicht ein bisschen schlauer runtergespielt und Gold geholt hätten. Hätten wir dann einen Film bekommen? Das nächste Wunder? Aber auf der anderen Seite müssen wir auch daran denken, dass wir im Turnierverlauf auch früher hätten ausscheiden können. Ich bin immer noch sehr glücklich darüber, überhaupt eine Medaille in der Hand zu halten. Auch wenn sie jetzt schon länger im Schrank liegt. (lacht) Wir ziehen demnächst in unser neues Haus, vielleicht finde ich da einen schönen Platz für sie.
Wenn man Yannic Seidenberg und Olympia bei Google eingibt, kommen eigentlich nur Berichte, in denen es um Ihre Begegnung mit Lindsey Vonn geht.
Seidenberg: (lacht) Das denke ich mir. Es war cool, auf dem Hinflug neben ihr zu sitzen. Ich kannte sie ja vorher nur aus dem Fernsehen. Ich wusste aber damals schon, dass sie mit P.K. Subban zusammen ist und eine Verbindung zum Eishockey hat, so hatten wir ein paar Themen für ein lockeres Gespräch. Aber sie hat dann eh fast den ganzen Flug geschlafen. (lacht) Für mich waren es ja meine ersten Olympischen Spiele und es war einfach großartig, sich mit anderen Sportlern auszutauschen. Am Ende noch Silber - es hätte nicht besser laufen können.
Sie wurden nicht gedraftet und haben es vielleicht einfach aufgrund der fehlenden Körpergröße nicht in die NHL geschafft. Später in der Karriere hatten Sie eine schwere Knieverletzung. Hat die Silbermedaille aufgrund Ihrer persönlichen Geschichte für Sie noch mehr gestrahlt?
Seidenberg: Der Turning Point für mich war die Knieverletzung vor einigen Jahren, nach der ich nicht wusste, ob es überhaupt noch weitergeht in meiner Karriere. Wenn ich daran denke, dass ich jetzt dreimal in Folge mit München die deutsche Meisterschaft und mit Deutschland olympisches Silber gewonnen habe - das ist schon Wahnsinn und fühlt sich gut an.
Vor allem auch als Verteidiger.
Seidenberg: Genau. Als ich zum ersten Mal auf die Verteidiger-Position gewechselt bin, war es mitten in der Saison und ich habe mir keine großen Gedanken gemacht. Aber als wir dann vor ein paar Jahren im Sommer den Switch endgültig vollzogen haben und ich in der Kabine plötzlich bei den Verteidigern saß, bin ich schon nervös geworden. Ich habe mich wieder wie damals als junger Spieler vor dem ersten Spiel gefühlt. Aber zum Glück hat der Schritt gut geklappt und die Rolle macht mir unglaublich viel Spaß.
Jetzt sind Sie einer der herausragenden Offensiv-Verteidiger der Liga. Wäre das im Nachhinein vielleicht schon früher Ihre noch bessere Rolle gewesen?
Seidenberg: Das ist schwierig zu sagen. Ich hätte die Rolle in jungen Jahren nicht so spielen können wie jetzt. Ich profitiere schon sehr viel von meiner Erfahrung, ich habe viele Spielsituationen erlebt und kann sie besser einschätzen. Wer weiß, was gewesen wäre, aber vor Don Jackson hatte kein Trainer einen Verteidiger in mir gesehen. (lacht)
Ob Deutschland jemals wieder eine Eishockey-Medaille bei Olympischen Spielen gewinnt, ist sehr fraglich. Bei der aktuell besser besetzten WM ist es sogar noch schwieriger. Wo steht das deutsche Eishockey?
Seidenberg: Wenn die anderen Nationen ihre besten Spieler mitbringen, wird es extrem schwierig für uns. Wir können an einem guten Tag sicher mal eine Top-Nation ärgern, aber so einen Lauf wie bei Olympia zu wiederholen, können wir nicht erwarten. Wir können nicht zu einer WM fahren und von einer Medaille sprechen. Es würde darauf ankommen, die Ausländeranzahl in der DEL weiter nach unten zu schrauben. Wir sind das beste Beispiel. Wir hatten in dieser Saison in München so viele Verletzte, dass viele junge Spieler Eiszeit bekommen haben und wir stehen trotzdem oben in der Tabelle und im CHL-Finale. Wir haben junge Spieler, die besser ausgebildet sind, aber in der Breite fehlt es nach wie vor. Es ist kaum möglich für junge Spieler, in der DEL Eiszeit im Power Play zu bekommen. Es ist immer noch so, dass Vereine teilweise lieber auf den durchschnittlichen Ausländer setzen als auf den jungen Deutschen.
Marco Sturm war der Motor dafür, dass sich in den vergangenen Jahren im deutschen Eishockey so viel getan hat. Was hat er besonders gut gemacht?
Seidenberg: Marco hat es verstanden, die richtige Mischung zu finden. Es war einerseits immer freundschaftlich, andererseits hat er auch immer Zug reingebracht. Jeder ist wieder gerne zur Nationalmannschaft gefahren, es hat Spaß gemacht, unter ihm zu spielen. Dazu hat er sich immer gute Leute als Unterstützung geholt wie unsere beiden Co-Trainer Matt McIlvane und Patrick Dallaire bei Olympia. Nach dem knapp verlorenen Viertelfinale bei der WM 2017 gegen Kanada hat Marco uns gesagt, dass wir damit jetzt nicht zufrieden sein dürfen und dass es Zeit für den nächsten Schritt ist. Bei Olympia konnten wir diesen Schritt gehen und so gute Leistungen abrufen, weil er eine gute Einheit geformt hatte.
Nach Sturms Wechsel zu den L.A. Kings in die NHL war die große Frage, wer sein Nachfolger werden könnte. Die Antwort heißt jetzt Toni Söderholm. Sie kennen ihn gut.
Seidenberg: Das stimmt, ich habe sogar noch mit ihm zusammengespielt. Er hat damals als Spieler schon oft die Taktiktafel rausgeholt und uns erklärt, wie wir zum Beispiel unser Überzahlspiel aufbauen können. Er war ein schlauer Spieler, der sich immer schon viel mit Taktik beschäftigt hat. Ich habe auch gesehen, wie gut er hier mit unseren jungen Spielern gearbeitet hat. Toni hat als Spieler in vielen internationalen Top-Vereinen gespielt und sich sehr viel Know-how angeeignet. Er ist der richtige Mann, um den Weg weiterzugehen, den Marco eingeleitet hat.