Deutschland trifft nach einer historisch starken Vorrunde bei der Eishockey-WM in der Slowakei im Viertelfinale auf Tschechien (Do., 20.15 Uhr LIVE auf DAZN und im LIVETICKER). Während der Zugfahrt von Kosice nach Bratislava hat SPOX mit DEB-Kapitän Moritz Müller gesprochen.
Der Verteidiger spricht im Interview über die von Marco Sturm implementierte Siegermentalität und die neue spielerische Identität des DEB-Teams unter Bundestrainer Toni Söderholm. Außerdem: Wie war es, gegen Wunderkind Kaapo Kakko zu spielen?
Herr Müller, der letzte Teil der Vorrunde mit den Spielen gegen die USA und Finnland war nach dem Debakel gegen Kanada vielleicht noch beeindruckender als die vier Siege zum Start. Wie fällt Ihr Fazit aus?
Moritz Müller: Den Eindruck würde ich teilen. Die ersten vier Siege waren überlebenswichtig für uns, um dahin zu kommen, wo wir jetzt stehen. Da haben wir aber noch nicht unser bestes Eishockey gespielt. Gegen Kanada hatten wir einen Aussetzer. Vielleicht war nach dem Erreichen des Viertelfinals der Druck etwas abgefallen. Wichtig ist, dass wir danach eine Reaktion und gegen die USA und Finnland unsere beiden besten Turnierleistungen gezeigt haben. Wir haben uns immer mehr gesteigert.
Jetzt geht es im Viertelfinale gegen die Tschechen. Einerseits ist man den atemberaubenden Russen aus dem Weg gegangen, andererseits präsentieren sich die Tschechen vor allem offensiv bislang überragend und wirken extrem heiß. Ihre letzte Medaille liegt sieben Jahre zurück und zuletzt war zweimal im Viertelfinale Endstation. Ist Tschechien so gesehen nicht genauso gefährlich wie Russland?
Müller: Nein, das würde ich anders sehen. Ich will Tschechien nicht kleiner machen, aber Russland ist für mich schon nochmal ein anderes Kaliber, das hat man auch im direkten Duell der beiden gesehen. Aber klar, im Viertelfinale stehen nur richtig starke Teams. Die Tschechen haben eine gute Truppe, aber wenn wir unsere letzten Leistungen wiederholen und vielleicht noch eine Schippe drauflegen können, rechnen wir uns auf jeden Fall realistische Chancen aus.
Mo Müller über die neue Spielphilosophie des DEB-Teams
Eigentlich lagen Russland oder Tschechien historisch gesehen Deutschland aber nie. Warum ist das so?
Müller: Früher war der Spielstil in der DEL sehr nordamerikanisch geprägt, das war sicher ein Hauptgrund dafür, dass wir gegen nordamerikanische Teams besser zurechtgekommen sind. Mittlerweile hat sich das aber ein bisschen gewandelt. Wir haben gezeigt, dass die Zeiten vorbei sind, in denen Deutschland im Eishockey sich nur hinten reinstellt und mauert. Wir blocken nicht nur Schüsse und hauen die Scheibe raus. Wir haben in der jüngeren Vergangenheit die Komplexe, die es im deutschen Eishockey gab, abgelegt. Wir haben gegen die USA und Finnland mitgespielt und gezeigt, dass wir das können. Das werden wir gegen Tschechien wieder machen.
Ist die neu gewonnene spielerische Komponente, auf die Toni Söderholm so viel Wert legt, der Schlüssel überhaupt für die starken Leistungen bis jetzt bei der WM?
Müller: Es ist nicht nur der Schlüssel und ganz elementar wichtig für die laufende WM, es ist langfristig gesehen entscheidend, wenn wir im Konzert der Großen eine Rolle spielen wollen. Wir müssen das Spielerische fördern. Kampf und Leidenschaft müssen sowieso vorhanden sein, die Russen kämpfen auch. Aber wenn wir auf Dauer unter den Top 8 der Welt stehen und andere Nationen hinter uns halten wollen, dann geht das nur über eine spielerische Weiterentwicklung. Ich finde es richtig gut, dass wir diesen Mut haben und diesen Weg jetzt geschlossen gehen.
Mo Müller: "Hey, wir können auch richtig gutes Eishockey spielen!"
Das Spielerische ist ein Faktor, zuvor hat Marco Sturm aber vor allem auch eine neue Siegermentalität implementiert. Wie zeigt sich diese Mentalität jetzt auch bei der WM?
Müller: Früher in der Zeit der nordamerikanischen Prägung sind die deutschen Spieler in der Liga gar nicht richtig zur Geltung gekommen. Dann bist du zur WM gefahren und hast dich als totaler Außenseiter gefühlt, der bloß nicht versuchen soll, mitzuspielen. Erst mit Marco Sturm hat sich das radikal verändert. Erst durch ihn ist der Glaube an die eigene Stärke entstanden. Dass wir uns auch hinstellen und sagen: 'Hey, wir können auch richtig gutes Eishockey spielen!' Seitdem verstecken wir uns nicht mehr so. Gepaart mit den Erfolgen, die wir feiern durften, ist der Glaube immer mehr gewachsen, dass es klappen kann.
Heißt das, Sie sprechen im Team auch offen von einer Medaille bei der WM?
Müller: Wir tragen das nicht offensiv nach außen, aber von uns fährt keiner einfach so zur WM. Wir wissen natürlich, dass wir hier und da auch das nötige Glück brauchen und wirklich top spielen müssen, dessen sind wir uns schon bewusst. Aber warum sollen wir Tschechien nicht schlagen und ins Halbfinale einziehen? Es gibt keinen Grund.
Korbinian Holzer hat via Twitter NBA-Coaching-Legende Phil Jackson zitiert und beschrieben, wie aus einer guten Mannschaft mit dem nötigen Zusammenhalt eine große werden kann. Wie besonders ist die Chemie im Team?
Müller: Die Chemie ist immer überragend, wenn wir zusammenkommen. Ich weiß auch nicht ganz genau, warum das so ist, in der Liga sind wir ja auch Gegner, aber irgendwie freuen wir uns immer, wenn wir uns sehen. (lacht) Wir kennen uns teilweise natürlich auch schon sehr lange, weil sich der Kreis an Nationalspielern insgesamt aufgrund der vielen Kontingentspieler in der Liga auf vielleicht 50 Spieler beschränkt. Wir sind eine gute Einheit.
Eine Einheit, in der gegen Finnland Philipp Grubauer im Tor und Leon Draisaitl offensiv den Unterschied ausgemacht haben.
Müller: Das stimmt, aber ich würde ehrlich gesagt niemanden herausstellen wollen aus dieser Mannschaft. Im Tor hat Mathias Niederberger die meisten Spiele gemacht bei der WM und überragend gehalten. Aber natürlich ist es so, dass es einen Leon-Faktor gibt und er Spiele für uns entscheiden kann, das haben wir gegen Finnland gesehen.
Mo Müller über seinen Weg zum DEB-Kapitän
Der Bundestrainer hat Sie vor WM-Start zum Kapitän gemacht. Wie viel bedeutet Ihnen das "C" auf der Brust?
Müller: Es ist natürlich eine tolle Sache. Ich habe mich riesig gefreut und sehr geehrt gefühlt, nachdem ich jetzt schon eine Weile in der Nationalmannschaft dabei bin. Es hätte aber auch einige andere Jungs gegeben, die es verdient gehabt hätten und ich fühle mich auch nicht großartig anders, nur weil ich das "C" trage. Es ist eine große Ehre, aber viel hat sich nicht verändert. Ich spreche mehr mit euch Journalisten, das ist alles. (lacht)
Ihr persönlicher Karriereweg war ja kein ganz einfacher. Denken Sie manchmal daran zurück, wie es angefangen hat und dass Sie jetzt die Nationalmannschaft als Kapitän anführen dürfen?
Müller: Es gibt sicher Momente, in denen ich zurückblicke und mich auch an Zeiten erinnere, in denen ich selbst gezweifelt habe. Meine Karriere war nicht so vorgezeichnet wie bei vielen hoffnungsvollen Talenten aus dem Nachwuchs. Bei mir war das gar nicht so, auch wenn ich schon immer der Meinung war, dass ich ein guter Spieler bin. (lacht) Aber ich hatte nie die Lobby oder den familiären Background wie andere. Umso schöner ist es, wie es für mich alles gelaufen ist.
Mo Müller über Shootingstar Kaapo Kakko
Sie haben schon öfters öffentlich gefordert, dass der deutsche Nachwuchs in der DEL mehr Chancen bekommen muss. Ist so eine starke WM wichtig, um Druck aufbauen zu können, damit sich etwas verändert?
Müller: Es ist in gewisser Weise eine komische Situation. Wenn wir gut sind, ist es sicher ein wichtiges Zeichen fürs deutsche Eishockey. Aber wenn wir schlecht wären, wäre das ehrlich gesagt ja auch ein wichtiges Zeichen. Jeder kann bei dieser WM sehen, wie gut die deutschen Spieler sind. Und es gibt nicht nur uns, es gibt mehr Jungs, die man nur heranführen und fördern müsste. Die Liga muss die Ausländeranzahl reduzieren, daran führt kein Weg vorbei. Wenn es jetzt ein Gentlemen's Agreement gibt, dass die Liga sich auf neun Ausländer beschränkt, warum kann es dann kein Gentlemen's Agreement geben mit einer Verringerung auf sechs Ausländer? Alle Seiten würden profitieren, vor allem auch die Vereine, weil sie mehr Identifikation für die Fans schaffen und weil sie statt einigen durchschnittlichen Ausländern sechs richtig starke haben könnten.
Letzte Frage: Sie haben gegen Finnland hautnah Jungstar KaapoKakko erlebt. Was ist Ihnen aufgefallen?
Müller: Generell fällt mir auf, dass die Jungs immer schneller fertige Spieler sind. Vor zehn Jahren wäre es unglaublich gewesen, wenn ein 18- oder 19-Jähriger international so eine Rolle spielt. Jetzt hat fast jede Nation einen Jungen dabei, der zu den besten Spielern des Teams zählt. Bei Kakko sieht man, dass er körperlich in seinem jungen Alter schon komplett entwickelt ist, das ist ein großer Vorteil. Und er ist jetzt schon ein kompletter Spieler, er war auch gegen uns richtig gut. Er ist sicher der Shootingstar des Turniers.