Tanja Eisenschmid im Interview: "Eigentlich passe ich besser ins Männer-Eishockey"

Florian Regelmann
08. Mai 201912:00
Tanja Eisenschmid spielte an der Uni von North Dakota.spox
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In der vergangenen Woche haben mehr als 200 Spielerinnen aus Protest gegen schlechte Bezahlung und katastrophale Rahmenbedingungen einen Boykott der nordamerikanischen Eishockey-Profiliga (NWHL) angekündigt. Eine der Spielerinnen: Tanja Eisenschmid. Im SPOX-Interview erklärt die 26-Jährige die Hintergründe.

Außerdem erzählt Eisenschmid vom Eishockey-verrückten North Dakota und einer Begegnung mit Sidney Crosby - dazu verrät sie, warum Bruder Markus und sie in der Kategorie Disziplin nicht viele Punkte bekommen.

Markus Eisenschmid trifft mit Deutschland zum WM-Auftakt am Samstag (16.15 Uhr live auf DAZN und im LIVETICKER) auf Aufsteiger Großbritannien.

Tanja, Sie haben vor einigen Monaten eine schwerwiegende Knöchelbruchverletzung erlitten und befinden sich aktuell in der Reha. Wie geht es Ihnen?

Tanja Eisenschmid: Danke, mir geht es schon wieder viel besser. Ich bin jeden Tag im Fitnessstudio, mache Aqua-Jogging und versuche, so schnell es geht wieder fit zu werden. Ich bin auf einem guten Weg, aber es wird noch eine Weile dauern. Die Prognose war, dass ich nach vier bis sechs Monaten wieder vollständig genesen bin.

Wie ist die Verletzung genau passiert?

Eisenschmid: Ich bin im Länderspiel gegen Finnland gecheckt worden und in die Bande reingefallen. Mein Bein lag dann direkt an der Bande dran, als die Gegenspielerin von hinten mit voller Wucht auf mein Knie gekracht und mein Fuß komplett weggebrochen ist. Mein Fuß hing links vom Bein weg. Ich habe versucht, ihn schnell wieder selbst einzurenken, so wie man es bei der Schulter macht, und wollte sogar zur Bank fahren. Aber das hat natürlich nicht funktioniert. Ich bin dann vom Eis gekrochen und gleich ins Krankenhaus gebracht worden.

In kein deutsches Krankenhaus.

Eisenschmid: Richtig, wir waren in Russland und leider nicht in Moskau, sondern in einem ganz abgelegenen Krankenhaus. Als ich hörte, dass es sich um eine Dermatologie handelt, bin ich innerlich ausgeflippt. Zum Glück wurde aber noch ein Arzt gefunden, der meinen Fuß einrenken konnte. Danach bin ich sofort nach München geflogen und dort auch operiert worden, ab da wusste ich, dass ich in super Händen bin. Die Ärzte und der DEB haben sich super um mich gekümmert.

Tanja Eisenschmid über den Schritt nach Nordamerika

Ihr Bruder Markus und Ihre Schwester Nicola spielen ebenfalls Eishockey. Die Eisenschmids sind eine richtig große Eishockey-Familie. Sind Sie quasi ins Eishockey reingeboren worden?

Eisenschmid: Eigentlich gar nicht. Es hat ganz unspektakulär damit angefangen, dass ich im Kindergarten so wie mein großer Bruder auch das Schlittschuhlaufen lernen wollte. Wir sind da alle so reingerutscht. Eishockey hat uns irgendwie verbunden, es war und ist bis heute toll, mit seinen Geschwistern eine Leidenschaft zu teilen. Eishockey oder Hockey, was mein großer Bruder spielt, ist so zum Thema Nummer eins bei uns geworden. Und mit der Zeit habe ich gemerkt, dass es vielleicht mehr als ein Hobby sein könnte. Mir hat sicher auch geholfen, dass ich bis 17 oder 18 mit den Jungs gespielt habe. Generell liebe ich das Gemeinschaftsgefühl beim Eishockey. Teil einer Mannschaft zu sein, sich gegenseitig zu pushen - das ist ein ganz anderes Gefühl als im Einzelsport.

Ein großer Schritt für Sie war das Stipendium an der Universität von North Dakota. Eine Uni, an der Stars wie Jonathan Toews oder T.J. Oshie gespielt haben. Wie ist es dazu gekommen?

Eisenschmid: Peter Elander war der entscheidende Mann dafür. Er war Coach in North Dakota und kam auf mich zu, weil er von meinem Interesse gehört hatte. In Nordamerika Eishockey spielen und nebenher studieren zu können, war schon immer ein Traum von mir. Er ist dann nach Deutschland geflogen und hat mir ein Angebot gemacht, das ich eigentlich nicht ablehnen konnte. Weil er die europäischen Spielerinnen sehr gut kannte, habe ich mich gleich geborgen gefühlt. Aber am Anfang hatte ich natürlich trotzdem Bammel. (lacht) Ich war erst 18 damals. Es war schon ein großer Schritt, ganz alleine nach North Dakota zu gehen, zumal mein Englisch damals auch nicht so gut war. Könnte ich die Abi-Prüfungen heute nochmal machen, würde es jetzt wahrscheinlich besser laufen. Im Nachhinein ist es schon Wahnsinn, dass ich mich diesen Schritt getraut habe, aber ich habe es keine Sekunde bereut.

Tanja Eisenschmid ist seit Jahren fester Bestandteil des DEB-Teams. getty

Tanja Eisenschmid über das Eishockey-verrückte North Dakota

Wie kann man sich Eishockey in North Dakota vorstellen?

Eisenschmid: Eishockey bedeutet den Menschen dort alles. Zu den Spielen der Männer kommen 12.000 Zuschauer, da ist es immer ausverkauft. Die reisen auch überall mit hin, in Deutschland kann man es vielleicht mit der Eishockey-Verrücktheit in Mannheim vergleichen. Die Stadt fördert Eishockey auch finanziell enorm und Stars wie Toews und Oshie kommen immer wieder an die Uni zurück und erzählen, dass sie dort die besten Jahre ihres Lebens erlebt haben. Es ist schwer zu beschreiben, wenn man es nicht selbst erlebt hat.

Hatten Sie in der Zeit eigentlich weibliche Vorbilder, oder waren das eher NHL-Stars?

Eisenschmid: Ich habe leider keine Frauen als Vorbilder gehabt, was schade ist. Ich glaube, dass sich das gerade so ein wenig ändert und die jüngeren Mädels jetzt auch Frauen nacheifern. Ich bin ja Verteidigerin und mein großes Vorbild hieß immer Nicklas Lidström. Es gibt so viele tolle Verteidiger, aber er war der Beste für mich.

Zwei Ihrer großen Karriere-Highlights bis jetzt waren die U18-WM in den USA und die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi. Wie erinnern Sie sich daran?

Eisenschmid: Die U18-WM war mein erstes großes Turnier, dazu noch in den USA. Als wir dann in Chicago auch noch Finnland nach Verlängerung 2:1 rausgehauen haben, war das einfach der Hammer. Da hat wirklich alles gepasst. Und Sotschi war auch sehr speziell. Ich sehe mich noch bei der Eröffnungsfeier im Stadion sitzen. Oder wie einmal Alex Ovechkin zwei Tische weiter beim Essen saß. Oder wie wir einmal Sidney Crosby kennengelernt haben, als wir zum Stadion gelaufen sind. Den haben wir einfach angequatscht und er war total nett. Das sind alles Momente, die ich nie vergessen werde.

Tanja Eisenschmid über den Boykott: "Es muss sich dringend etwas ändern"

Im vergangenen Jahr haben Sie für die Minnesota Whitecaps in der National Women's Hockey League gespielt und sind sogar Meister geworden. Allerdings hat die Profiliga nur ganze fünf Teams. Was war das für eine Erfahrung?

Eisenschmid: Ich hatte davor schon zwei Jahre für die Whitecaps gespielt, als ich meinen Master in Communications gemacht habe. Da haben wir aber noch nicht zur Liga gehört und einfach so gespielt. Als ich dann die vielleicht ja einmalige Chance erhielt, in der NWHL zu spielen, habe ich sie wahrgenommen. Wir hatten zwar nur eine sehr kleine Halle, aber alle Spiele waren mit 1200 Zuschauern ausverkauft. Und es wären mehr gekommen, wenn es mehr Plätze gegeben hätte. Es war insgesamt eine gute Erfahrung, aber es muss sich sehr viel tun, damit die Liga wirklich wachsen kann. Das professionellste, was es im Frauen-Eishockey gibt, ist College-Eishockey. Das muss man so klar sagen.

Deshalb haben jetzt auch über 200 Spielerinnen, darunter auch Sie, einen Boykott angekündigt. Was sind die Hintergründe dafür?

Eisenschmid: Nachdem sich die kanadische Profiliga CWHL aufgelöst hatte, mussten wir uns etwas überlegen, um Frauen-Eishockey voranzubringen. So kann es nicht weitergehen. So ist der Entschluss gereift, dass wir nicht mehr spielen werden, bis wir bessere Konditionen und Rahmenbedingungen bekommen.

Es ist die Rede davon, dass die Frauen zum Teil nur lächerliche 2000 Dollar Gehalt pro Saison bekommen.

Eisenschmid: Das Minimumgehalt beträgt 2000 Dollar pro Saison. Es ist mehr eine Art Taschengeld, alle Mitspielerinnen von mir hatten nebenher einen Job, weil du alleine vom Eishockey nicht leben kannst. Es kann aber nicht sein, dass Frauen in einer Profiliga spielen und trotzdem nebenher noch 40 Stunden arbeiten müssen. Daran muss sich dringend etwas ändern, wenn wir uns im Frauen-Eishockey professionell aufstellen wollen.

Kritiker sagen, dass der Markt eben nicht da ist und angesichts der schlechten Zuschauerzahlen und des geringen Interesses der TV-Zuschauer nicht mehr drin ist. Was entgegnen Sie?

Eisenschmid: Wie sollen die Menschen etwas mögen, wenn sie es nie gezeigt und vorgeführt bekommen? Vielleicht würden sich ja viele dafür interessieren. Wir kriegen aber die Chance gar nicht. Wenn ich in Deutschland den Fernseher einschalte, sehe ich zum Beispiel ganz oft Darts. Man könnte doch aber auch etwas aus Deutschland zeigen. Dass das nicht passiert, finde ich schade. Frauen-Eishockey verdient mehr Unterstützung. Bei uns ist das Checken nicht erlaubt, es wird viel technischer gespielt als bei den Männern, bei denen es auch mal eher dreckige Spiele gibt. Es gibt Spielerinnen, die genauso gut sind wie die Stars bei den Männern, es fällt nur niemandem auf, weil es nicht gezeigt wird, außer alle vier Jahre bei den Olympischen Spielen.

Ihre Teamkollegin bei den Whitecaps Kendall Coyne Schofield war in dieser Saison Teil der Skills Competition beim All-Star Game. Es gibt in der NHL inzwischen auch einige Kommentatorinnen. Ist das Ziel der Aktion, dass die NHL jetzt einschreitet?

Eisenschmid: Unser großes Ziel ist sicherlich eine WNHL, so wie es im Basketball auch eine WNBA gibt. Eine Profiliga mit Teams aus den USA und Kanada, in der Frauen die Chance haben, vernünftig Geld zu verdienen. Wir sprechen hier natürlich nicht von Millionen so wie bei den Männern, aber Spielerinnen sollten nebenher nicht mehr in Vollzeit arbeiten müssen. Auch das Reisen zu den Spielen sollte erleichtert werden. Die NHL hat gesagt, dass sie helfen wird, wenn es keine Liga mehr in Nordamerika gibt, insofern hoffe ich und glaube ich auch, dass etwas passieren wird. Es muss allerdings richtig gemacht werden, eine halbgare Geschichte würde auch niemandem helfen.

Tanja Eisenschmid: "Die Jungs verdienen in der vierten Liga noch mehr als wir"

Im Vergleich zur Situation in Deutschland ist die Akzeptanz für Frauen-Eishockey in Nordamerika aber ja noch hoch. Wie sieht es hierzulande aus?

Eisenschmid: Wir müssen uns nur die Zuschauerzahlen anschauen. In Deutschland kommen vielleicht zu einem Meisterschaftsspiel mal an die 1000 Leute, aber generell kommen hier kaum Zuschauer. Das Niveau ist natürlich auch nicht so hoch, weil wir in Deutschland gar nicht so viele Spielerinnen haben und keiner so sehr um seinen Platz kämpfen muss wie in Nordamerika. Wir versuchen uns zu verbessern, aber es ist schwierig. Der Unterschied zu den Männern ist gewaltig. Die Jungs verdienen in der vierten Liga noch mehr als wir und können zumindest davon leben. Insgesamt ist die Akzeptanz zwar größer geworden, auch weil viele Trainer, die von den Männern zu den Frauen gewechselt sind, positiv überrascht sind vom Frauen-Eishockey. Aber ich habe auch die andere Seite kennengelernt. Es gab auch Leute, die mich gefragt haben, was ich als Mädchen denn überhaupt beim Eishockey mache.

Bei der Frauen-WM 2019 verlor Deutschland im Viertelfinale gegen Kanada. Wo stehen die DEB-Frauen momentan in der Welt?

Eisenschmid: Unter unserem neuen Coach Christian Künast hat sich in kurzer Zeit schon einiges bewegt. Teams wie Schweden, Russland oder die Schweiz können wir auf jeden Fall schlagen. Wir entwickeln uns und sind im Kommen. Ich glaube, dass da in Zukunft noch einiges drin ist, es braucht nur Zeit. Generell versucht der DEB, die Frauen-Teams immer besser einzugliedern, vor allem auch auf den Social-Media-Kanälen. So gewinnen wir hoffentlich einige Fans, die das Männer-Team verfolgen und können sie auch für uns begeistern.

Am Freitag beginnt die Männer-WM in der Slowakei (live auf DAZN). Ihr Bruder Markus ist nach dem Gewinn der Meisterschaft mit Mannheim zum DEB-Team gestoßen. Wie haben Sie die Feierlichkeiten erlebt?

Eisenschmid: Meine Eltern, meine Schwester und ich waren das ganze Wochenende dabei, es war eine Wahnsinnsfeier. Als es nach der 4:1-Führung in Spiel 5 noch in die Overtime ging, haben wir nur noch gebetet, dass wir nicht nochmal nach München müssen.

Tanja Eisenschmid mit Schwester Nicola und Meister-Bruder Markus. spox

Tanja Eisenschmid über die Qualitäten von Bruder Markus

Markus hatte sogar die Chance, das Spiel selbst zu entscheiden.

Eisenschmid: Ja, er hatte viele Chancen. (lacht) Aber beim entscheidenden Tor von Thomas Larkin stand er vor dem Tor und hat dem Goalie die Sicht versperrt, insofern hatte er seinen Anteil am Siegtreffer. Markus hat sich generell unglaublich entwickelt und ein richtig gutes Jahr gehabt. Ich habe ihn schon lange nicht mehr so spielen sehen. Schauen wir mal, wie es sich bei ihm entwickelt. Ich würde mich natürlich freuen, wenn er eine Chance in der NHL bekommt, aber dazu braucht man auch immer das nötige Quäntchen Glück.

Was würden Sie als seine größte Stärke bezeichnen?

Eisenschmid: Ganz klar seine Schnelligkeit und sein Spielverständnis. Die Kombination ist entscheidend. Nur schnell zu sein bringt dir nichts, wenn du das Spiel nicht lesen kannst. Und er kann beides. Dazu würde ich auch noch seinen Schuss in Überzahl nennen.

Und was sind die Schwächen? Es war zu lesen, dass sie sich gegenseitig wenig Punkte in der Kategorie Disziplin gegeben haben...

Eisenschmid: (lacht) Das stimmt. Markus neigt dazu, ab und zu auf dem Eis zu provozieren. Wenn ich ihm da mehr Punkte gegeben hätte, hätte das nicht gepasst. Und er hat mir so wenige gegeben, weil mir manchmal ein paar Strafen passieren. Ich bekomme eigentlich nie Strafen für Vergehen wie Beinstellen oder Haken. Eher für Women's Bodychecking. Eigentlich passe ich besser ins Männer-Eishockey. (lacht)

Eishockey-WM 2019: Spielplan des DEB-Teams

DatumUhrzeitPaarung
Sa., 11. Mai 201916.15 UhrDeutschland - Großbritannien
So., 12. Mai 201916.15 UhrDänemark - Deutschland
Di., 14. Mai 201920.15 UhrDeutschland - Frankreich
Mi., 15. Mai 201920.15 UhrDeutschland - Slowakei
Sa., 18. Mai 201916.15 UhrKanada - Deutschland
So., 19. Mai 201916.15 UhrDeutschland - USA
Di., 21. Mai 201912.15 UhrFinnland - Deutschland