Es war das perfekte Weihnachtsgeschenk. Ein wahr gewordener Traum. "Mercedes schenkt uns Schumi", titelte die "Bild", als Schumacher kurz vor Weihnachten 2009 bei den Silberpfeilen unterschrieb. Vom größten Comeback der Sport-Geschichte war die Rede.
Mehr noch. "Ich will Weltmeister werden", hatte der Rekordchampion in seinem ersten Interview gesagt - und damit die Erwartungen der Fans in ungeahnte Höhen geschraubt. Die "deutsche Nationalmannschaft der Formel 1" soll den Titel holen, jubelte die Presse.
Und jetzt? 19 Rennen später ist vom "Schleicher-König" ("Frankfurter Rundschau"), der "Stotterfahrt des Weltmeisters" ("Deutsche Welle") oder gar einem "Silberpfeil in Trümmern" ("Financial Times") die Rede. From Hero to Zero. So schnell geht das.
Demontiert Schumacher sein Denkmal?
"Michael ist für mich jetzt ein tragischer Ex-Held und ich frage mich, was zum Teufel hat ihn dazu bewogen, wieder ins Cockpit einzusteigen?", schreibt Mika Häkkinen in der "tz". "Aus meiner Sicht demontiert er sein eigenes Denkmal. Und da ist es egal, ob er aus technischen Gründen hinterher fährt oder weil er mit den Jungen nicht mehr mithalten kann."
Selbst Michael Schumacher räumt ein, dass die Saison nicht so lief, wie er es sich vorgestellt hatte. "Es war ein viel härteres Jahr, als wir erwartet hatten", sagt der 41-Jährige. Rang neun in der Fahrerwertung, kein einziges Mal auf dem Podium und vom Teamkollegen regelmäßig geschlagen. In einem Wort: ernüchternd.
Doch ist Schumachers Rückkehr wirklich "eine einzige Enttäuschung", wie "Der Westen" kommentiert? Ist Schumacher nur noch "ein Schatten vergangener Tage", wie David Coulthard sagt? Oder wurde vielleicht von Beginn an einfach zu viel erwartet?
SPOX blickt auf Schumachers Comeback-Saison zurück und analysiert die Probleme.
Problem I: Die Erwartungshaltung
Vorweg ein Statement: Schumachers Saison war nicht schlecht. Ein Großteil des Fahrerlagers hätte sich über drei vierte Plätze gefreut. Vielleicht sogar ausgelassen gefeiert. Das Problem ist nur: "Für einen Fahrer seines Kalibers reicht eine durchschnittliche Vorstellung einfach nicht. Von Schumacher erwartet man immer das Außergewöhnliche", sagt David Coulthard. Michael Schumacher + Ross Brawn = Titel. So die Rechnung.
Und so auch die Ansage des Teams. Nicht etwa Platz neun. Denn das ist Mittelmaß - und in der Wahrnehmung von Fans und Experten sogar noch weniger. Schließlich hatte man den Titel erwartet - und daran sind Mercedes und Schumacher selbst schuld.
Vergleicht man Schumachers Rückkehr aber mit einigen anderen F-1-Comebacks, so steht er sogar noch gut da. Negativ-Beispiel: Nigel Mansell. Als der 1995 zurückkam, passte er nicht einmal mehr ins Cockpit und gab nach zwei Rennen völlig entnervt auf.
Problem II: Nico Rosberg
In seiner gesamten Formel-1-Karriere hat Michael Schumacher unter normalen Umständen noch nie ein Saison-Duell gegen einen Teamkollegen verloren. In 16 Jahren. Noch nie. Doch dann kam Nico Rosberg und holte fast doppelt so viele WM-Punkte wie Schumacher.
Das ließ den Rekord-Champion alt aussehen. Die Fans fragten sich: Wie kann ein Schumacher, der bisher immer dafür bekannt war, selbst aus dem schlechtesten Material das Beste herauszuholen, gegen einen 25-Jährigen verlieren? Ein bisher unbekannter Makel. Denn der Teamkollege ist immer der erste Maßstab - und den Vergleich hat Schumacher verloren. Das muss er sich ankreiden. Da bröckelt die Legende.
Doch ist es nüchtern betrachtet überhaupt schlimm, gegen Rosberg zu verlieren? Jein. Denn der junge Deutsche kam deutlich besser mit dem schwierigen Mercedes-Boliden klar, war auf die aktuellen Bedingungen in der F1 eingestellt. Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug nennt den 25-Jährigen einen "außergewöhnlich hohen Maßstab", hält ihn für einen der besten Piloten im Fahrerlager. "Rosberg ist definitiv mein stärkster Teamkollege", lobt Schumacher selbst. Kurz: Gegen Rosberg zu verlieren, ist unschön, aber kein Desaster.
Problem III: Die Umstellung
Drei Jahre hat Michael Schumacher pausiert. In der Formel 1 ist das eine Ewigkeit. Vieles hat sich in der Zwischenzeit verändert. Einheitsreifen, neue Regeln, neues Fahrverhalten. Das kann auch ein Rekordweltmeister nicht überspielen. Größtes Problem: Schumachers Fahrstil und die neuen, um 2,5 Zentimeter schmaleren Vorderreifen, harmonieren nicht. "Es hat länger gedauert, bis ich alle Details drauf hatte", räumte Schumacher ein. "Erst seit ein paar Rennen habe ich ein Auto in den Händen, das sich so verhält, wie ich es erwarte."
Was die Umstellung für Schumacher weiter erschwerte, war das Testverbot. Eine große Stärke des 41-Jährigen war es immer, ein Auto während der Saison weiterentwickeln zu können, Testkilometer im Überfluss abzuspulen und besser als jeder andere vorbereitet zu sein. Das konnte er jetzt nur sehr beschränkt. Besser gesagt: Er musste die wenige Testzeit am Freitag aufteilen - zwischen Weiterentwicklung des Autos, Gewöhnung an die neuen Verhältnisse in der Formel 1 und die Abstimmung für das tatsächliche Rennwochenende.
Heißt konkret: Schumacher musste sich und seinem Team am Ende eine längere Lehrzeit eingestehen, als er das zu Beginn der Saison erwartet hatten. Da haben sich beide vertan.
Problem IV: Der Speed
"Man darf den heutigen Schumacher nicht mit dem Michael von früher vergleichen", erklärt Formel-1-Experte Marc Surer bei "Eurosport". "Damals ist er auf Befehl die schnellste Runde gefahren. Irgendwas ist verloren gegangen." Ist Schumacher also langsam geworden? Nein, sagt Surer. "Das steckt immer noch in ihm - er hat es nur noch nicht gezeigt."
Problem V: Das Auto
Und dass Schumacher seine Fähigkeiten noch nicht voll abrufen konnte, lag auch am Auto. "Schumacher saß in einem Boliden, der nicht auf seine Bedürfnisse, seine Stärken hin konstruiert war", erklärt der zweimalige Weltmeister Emerson Fittipaldi der "Welt".
Als er zum Team stieß, war der MGP W01 bereits fertig. Schumacher hatte im Gegensatz zu seiner Ferrari-Zeit kein Mitspracherecht beim Design. Das Problem: Die schwache Vorderachse des 2010er Mercedes hat Schumacher, der einen eher übersteuernden Boliden bevorzugt, extrem zurückgeworfen. Das soll sich 2011 ändern.
"Ich habe mit dem Team gesprochen. Und sie haben mir versichert, dass der kommende Mercedes Michaels Stil mehr entgegenkommen wird", sagt Fittipaldi.
Problem VI: Das Qualifying
Besonders auffällig waren Schumachers Defizite im Qualifying. Denn während er in vielen Rennen noch mit Einzelaktionen (besonders die Duelle mit Jenson Button in Spanien und Lewis Hamilton in Shanghai) glänzen konnte, hatte er auf eine schnelle Runde oft erhebliche Probleme. Nur fünfmal landete er vor Teamkollege Rosberg - verpasste sogar bei sieben Rennen die Top-Ten-Runde. "Dafür gibt es einige Gründe", erklärt Schumacher.
"Einer davon ist, dass ich mich wieder einfinden musste. Man ist mit der Situation nicht mehr vertraut, es fehlte der letzte Tick Selbstvertrauen und etwas Aggressivität", erklärt er weiter. Gegen Ende der Saison kam er langsam in Tritt und bestätigte seine Theorie mit einem Aufwärtstrend - bei den letzten zwei Rennen stand er vor Rosberg.
SPOX-Fazit: Michael Schumachers Saison war alles andere als überragend. Sie war für viele sogar enttäuschend. Das gesamte Team hinkte den selbstgesteckten Zielen ("Wir wollen Weltmeister werden!") meilenweit hinterher - und selbst im Vergleich mit seinem Teamkollegen sah er meist alt aus. Älter als er in Wirklichkeit ist.
Sein Comeback allerdings als kompletten Reinfall zu bezeichnen, ist unangebracht. Es war Mittelmaß. Nicht mehr - aber auch eben nicht weniger. Das Problem ist: Es wurde von Beginn an zu viel erwartet. Und genau diese Erwartungen überhaupt zu schüren, war Schumachers größter Fehler. Und der von Mercedes.