Sebastian Vettel ist ein ehrlicher Kerl, der trotz seines jungen Alters und seiner frühen Erfolge mit beiden Beinen auf dem Boden geblieben ist. Das kommt bei einigen Formel-1-Fans vielleicht anders rüber, aber wer ihn ein paar Mal getroffen hat, weiß, dass es wahr ist.
Der 23-jährige Hesse ist ein Typ, dem man den Titel gönnt - wie gesagt, wenn man ihn ein bisschen persönlich kennt. Kennt man ihn nicht, dann darf man ihn auch gerne arrogant, unreif oder irgendwie blöd finden. Jedem seine Meinung.
Vettel, Webber und die Red-Bull-Bosse im Interview: Mo., 21.05 Uhr bei ServusTV
Unglaublicher Endspurt von Vettel
Nur eins darf man ihm nicht vorwerfen: dass er den Titel aufgrund seiner fahrerischen Leistung nicht verdient hätte. Das verbietet schon ein Blick auf die letzten sechs Rennen der Saison. Platz vier in Monza war das Maximum, Platz zwei in Singapur immerhin eine sehr gute Leistung. Danach war Vettel in Japan, Korea, Brasilien und Abu Dhabi nur eins: perfekt.
Ein unglaublicher Endspurt für einen jungen Mann, der nach Meinung einiger Experten wie zum Beispiel Ex-Champion Jackie Stewart "zu unreif" für den Titel ist. Ein Jahr lang hat Stewart kaum ein gutes Haar an Vettel gelassen, dass er ihn jetzt als "verdienten Weltmeister" bezeichnet, ist eine ehrenwerte Einsicht, klingt aber nach der Kritik der vergangenen Monate auch ein bisschen wie Hohn.
Vettels Image in den Reihen der Experten war bis zu diesem Sonntag: extrem talentiert, aber noch nicht bereit für den großen Wurf. Zehn Pole-Positions: schön und gut. Aber nicht da, wenn es darauf ankommt? Dieses Thema hat sich jetzt erledigt.
Webber hätte WM-Titel nicht verdient
Er war bereit, sowohl fahrerisch als auch während all der Psychokriege mit Mark Webber nervlich. Deutlich bereiter als sein Red-Bull-Kollege. Dessen großer Vorteil sollte - wiederum laut Jackie Stewart - seine Erfahrung werden. Stattdessen ist er unter dem Druck des Titelkampfes zusammengebrochen.
Wo Vettel Rennen für Rennen, Qualifying für Qualifying und Training für Training Höchstleistungen abgerufen hat, war Webber nur noch ein Schatten seiner selbst. Wer seit dem Singapur-GP kein einziges Quali-Duell und gerade mal drei von 15 Trainingssessions gegen Vettel gewonnen hat, braucht nicht nach Teamorder zu schreien. Der ist einfach zu langsam und hat es nicht verdient, Weltmeister zu werden.
Das Rennen in Abu Dhabi war das beste Beispiel dafür. Er hatte nie auch nur den Funken einer Chance gegen Vettel und war im Rennen sogar nicht einmal in der Lage, Druck auf einen Fernando Alonso auszuüben, der von Witali Petrow aufgehalten wurde. Alonso machte genügend kleine Fehler, die Webber hätte nutzen können, aber er war nie da.
Keiner hatte mehr Pech als Vettel
Angesichts dieses Ausgangs kann man Red-Bull-Berater Helmut Marko nicht verübeln, dass er sich nach Vettels Triumph einen kleinen Seitenhieb gegen die "Besserwisser, die Stallorder gefordert haben" nicht verkneifen konnte.
Am Ende hat Red Bull alles richtig gemacht, auch wenn in Abu Dhabi natürlich viel Glück dabei war. Dass es Alonso nicht schafft, aus eigener Kraft Vierter zu werden, war nicht zu erwarten. Aber Vettel ist deshalb noch lange kein glücklicher Weltmeister. Immerhin hat kein Fahrer auch nur annähernd so viele WM-Punkte durch technische Defekte verloren wie er. 71 waren es im Laufe der Saison. Trotzdem hat Vettel nie aufgegeben.
Durch Fahrfehler hat er bei kleinlicher Rechnung zwar auch 47 Punkte verloren. Aber der Eindruck, er habe mehr Fehler gemacht als seine WM-Rivalen, ist falsch. Geht man davon aus, dass der Crash mit Webber in der Türkei nicht allein seine Schuld war, bleiben der verpennte Restart in Ungarn und der Crash mit Jenson Button in Belgien als grobe Schnitzer. Mehr nicht. Webber, Alonso und Hamilton sind mindestens genauso viele Fahrfehler anzulasten, vielleicht sogar mehr.
Ferrari-Teamorder zum Glück nicht belohnt
Trotzdem hätte Vettel um ein Haar den Titel verloren, auch, weil Ferrari eben nicht wie Red Bull auf Teamorder verzichtet hat und Alonso durch den Platztausch mit Felipe Massa in Hockenheim sieben Punkte schenkte. Die hätten den Titelkampf entscheiden können.Zum Glück haben sie es nicht. Denn ohne sich als großer Moralapostel aufzuspielen, muss man anerkennen, dass ein komplett aus eigener Kraft herausgefahrener Titel noch einen Tick mehr wert ist.
"Wir sind stolz auf das, was wir in dieser Saison geleistet haben", sagte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali nach dem geplatzten Titeltraum. Zu Recht, wenn man sich das gewaltige Comeback von Alonso und der Scuderia in der zweiten Saisonhälfte anschaut. Auch sie wären keine unverdienten Weltmeister gewesen. Trotzdem ist es gut, dass Teamorder nicht belohnt wurde.
Alonso ein ehrenhafter Verlierer
Jetzt ist die längste und spannendste Formel-1-Saison der Geschichte vorbei. Alonso hat sich als ehrenhafter Verlierer erwiesen und Red Bull fair gratuliert. Er wird 2011 genauso wieder angreifen wie Webber, das McLaren-Duo und die Silberpfeile von Mercedes.
Aber sie werden einen Mann jagen, der es allen Kritikern gezeigt hat und in die oberste Liga der Formel-1-Fahrer aufgestiegen ist. Sebastian Vettel ist kein unreifer Bengel, er ist verdienter Weltmeister 2010.