Zwei von vier Testsessions vor dem Start der Formel-1-Saison sind vorbei. Zeit für ein Zwischenfazit. Wer macht den besten Eindruck? Wer hat Probleme? Ein Überblick.
Drei Tage in Valencia, vier Tage in Jerez. Damit liegen sieben von 15 erlaubten Testtagen vor der Formel-1-Saison hinter den Teams. In den kommenden Wochen geht es noch nach Barcelona und Bahrain.
Zeit für einen ersten vorsichtigen Blick auf das Kräfteverhältnis. Vorsichtig deshalb, weil aufgrund unterschiedlicher Testprogramme, Reifenmischungen und Benzinmengen ein direkter Vergleich der Zeiten unmöglich ist.
Aber es gibt dennoch Indizien, die zeigen, ob ein Team auf einem guten Weg ist oder noch eine Menge Arbeit vor sich hat. SPOX hat die Autos in Jerez vor Ort beobachtet und stellt ein erstes Ranking des Kräfteverhältnisses auf. Nicht dabei ist HRT, da das neue Auto erst in Barcelona zum ersten Mal auf die Strecke gehen wird.
Ranking nach den Tests in Valencia und Jerez
Platz 1, Ferrari (2 Bestzeiten, 748 Runden):
Die Roten mögen ja in den Augen einiger Experten ein vergleichsweise konservatives Auto gebaut haben, aber dafür läuft der F150th Italia wie ein Uhrwerk. Ferrari hat deutlich die meisten Kilometer auf dem Buckel.
Und der Ferrari ist schnell. Sowohl auf eine Runde, was die Plätze eins, zwei, zwei und drei in Jerez untermauert haben, als auch auf den Long-Runs. Die Zeiten bleiben relativ lange konstant, vor allem angesichts der tückischen und schnell abbauenden Pirelli-Reifen ein gutes Zeichen fürs Rennen. Auch die Straßenlage des roten Renners ist sehr gut, die Aerodynamik bietet also viel Grip.
Fragezeichen ist das Potenzial des Ferrari. Die Konkurrenz ist bei der Entwicklung größere Risiken eingegangen und kämpft folgerichtig erst einmal damit, die neuen Ideen ans Laufen zu bringen. Aber wenn das erst einmal gelungen ist, könnte Ferrari rechts und links überholt werden.
Platz 2, Red Bull (1 Bestzeit, 636 Runden):
Laut Nico Hülkenberg, der für das Fachmagazin "auto, motor und sport" die Straßenlage der neuen Autos analysiert hat, auf einem Niveau mit Ferrari. Nach den ersten Tests in Valencia war Red Bull noch die Nummer eins, weil neben der unglaublichen Zuverlässigkeit und den konstanten Rundenzeiten auch der Speed stimmte. Vettel war einmal Erster und einmal Zweiter. Die schnellen Zeiten hat Red Bull in Jerez nicht hingelegt. Webber und Vettel landeten immer im Mittelfeld. Aber weiterhin auffällig: Der in der Vergangenheit immer so fragile Red Bull hat die wenigsten technischen Defekte. Der Rückstand an absolvierten Runden gegenüber Ferrari kann daher rühren, dass Red Bull in Jerez mit verschiedenen Auspuff-Varianten experimentiert hat. Das kostet Zeit für den Umbau.
Fragezeichen bei Red Bull ist KERS. Das Team hat als einziges der großen Rennställe mit dem Hybridsystem noch keine Erfahrung.
Platz 3, Lotus-Renault (2 Bestzeiten, 503 Runden):
Überraschung auf Rang drei. In den ersten beiden Testwochen deutete sich an, dass sich das Risiko, das Renault bei der Konstruktion des Auspuffs, der nach vorne aus dem Seitenkasten austritt, eingegangen ist, auszahlen könnte. Wann immer ein Spitzenfahrer am Steuer sitzt, ist der Renault ganz vorne dabei. Das war sowohl bei Robert Kubica und Valencia als auch bei Nick Heidfeld in Jerez der Fall. Leider macht Witali Petrow zu viele Fehler. Seine Ausrutscher ins Kiesbett haben das Team viel Zeit gekostet. Und die Rundenzeiten waren auch nicht toll.
Fragezeichen bei Renault ist zudem die Zuverlässigkeit. In Jerez verbrachte das Auto wegen Hydraulikproblemen, Öl- und Wasserlecks mehr Zeit an der Box, als gesund sein kann.
Platz 4, Mercedes (1 Bestzeit, 532 Runden):
Die silberne Wundertüte. Mal geht gar nichts, mal läuft alles wie geschmiert. Und es ist ausgerechnet so, dass immer Michael Schumacher die guten und Nico Rosberg die schlechten Tage erwischt. Während Schumacher hunderte von Runden problemlos abspulen und dabei auch noch Top-Zeiten fahren kann, steht Rosberg mehr mit technischen Problemen an der Box, als auf der Strecke unterwegs zu sein.
Eine grundsätzliche Prognose ist für Mercedes noch unmöglich zu treffen, da für die letzten Tests noch erhebliche Neuerungen wie zum Beispiel ein anderes Auspuffsystem geplant sind. Alle Teammitglieder reden bei der aktuellen Version nur von einem Interims-Auto. Und Schumacher sagt: "Zu sehen, dass damit schon so gute Zeiten möglich sind, beruhigt."
Platz 5, McLaren (279 Runden im alten, 233 im neuen Auto):
Der neue McLaren hat ein revolutionäres Design, sein Auspuffsystem und seine Seitenkästen sind anders als alles, was die Konkurrenz bieten kann. Das Auto scheint riesiges Potenzial zu haben, aber zumindest in Jerez konnten die Fahrer das noch nicht zeigen. Der Grund: Das Auto steht wegen unzähliger und unglaublich aufwändiger Umbaumaßnahmen viel zu lange in der Garage. Da das Team zwischen zwei völlig unterschiedlichen Auspuff-Varianten mit zwei völlig unterschiedlichen Diffusoren ständig hin- und herwechselt, vergehen von einer Ausfahrt zur nächsten gerne mal zwei Stunden. So passiert es dann, dass ein Lewis Hamilton in acht Stunden nur auf 36 Runden kommt. Wenn der McLaren fährt, ist er schnell, aber er fährt nicht oft genug, um mögliche Kinderkrankheiten bis zum Saisonstart auszumerzen. Das muss sich in der zweiten Testhälfte dringend ändern.
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Platz 6, Sauber (536 Runden):
Die Schweizer scheinen mit dem C30 ein grundsolides Auto gebaut zu haben. Es ist nicht spektakulär, hat aber einige neue Ansätze, die Technikchef James Key von Force India mitgebracht hat. Saubers Potenzial, um Platz sechs bei den Konstrukteuren zu kämpfen, zeigt sich vor allem dann, wenn Kamui Kobayashi am Steuer sitzt. Der Japaner war an seinen drei bisherigen Testtagen immer vorne dabei und drehte auch eine stattliche Anzahl an Runden. Neuling Sergio Perez baute zwar in Jerez einmal einen Unfall, ansonsten kann sich seine Leistung aber auch sehen lassen. Da gibt es schlechtere Neulinge.
Platz 7, Toro Rosso (441 Runden):
Das Schwesterteam von Red Bull ist mit dem neuen Auto einen mutigen Schritt gegangen. Das Design hat nicht mehr viel mit dem Red Bull zu tun und offenbart vor allem bei den extrem taillierten Seitenkästen und dem sehr schmalen Heck spannende Neuerungen. Problem ist nur: So spannend die Neuerungen sind, so anfällig für Defekte sind sie auch. Toro Rosso bleibt davon im Vergleich zu Konkurrent Williams zwar noch weitgehend verschont, aber der Balanceakt bleibt. Die Zeiten des Toro Rosso konnten sich sehen lassen. Stimmt auch die Zuverlässigkeit, dann ist ein großer Fortschritt im Vergleich zum schwachen Vorjahr drin.
Platz 8, Force India (256 Runden mit dem alten, 264 mit dem neuen Auto):
Man wird das Gefühl nicht los, dass Force India sein Auto etwas zu sehr auf Sicherheit gebaut hat. Zwar betont Adrian Sutil bei jeder Gelegenheit, dass das Auto deutlich besser liegt als das alte, aber es wäre ja auch schlimm, wenn man sich verschlechtert hätte. Da das neue Auto erst in Jerez kam, muss man aber vorsichtig mit dem Urteil sein. Force India hat beim zweiten Test die Funktionstests abgespult, die die Konkurrenz schon in Valencia hinter sich gebracht hat. Dabei geht es überhaupt nicht um Zeitenjagd. Probleme macht der vom Auspuff angeblasene Diffusor, den Force India 2010 noch nicht hatte. Die austretenden Gase wurden so heiß, dass der Unterboden weggeschmolzen ist. Das hat viel Reparaturzeit erfordert.
Platz 9, Williams (1 Bestzeit, 461 Runden):
Die Rundenzahl hört sich besser an, als der Eindruck vom Williams auf der Strecke war. Das Konzept des Autos mit kleinem Getriebe und dadurch schmalem Heck sowie eigenem KERS ist riskant. Das mussten die Engländer in Jerez schmerzlich erfahren. Wegen eines Fehlers mit KERS stand das Auto an den ersten Tagen viele Stunden in der Garage. Am Ende des dritten Tages entschied Technikchef Sam Michael entnervt, KERS auszubauen, um endlich mal Testkilometer zu sammeln. Das tat Rubens Barrichello dann am Sonntag auch. Er fuhr sich mit der Wochenbestzeit den Frust von der Seele - allerdings mit weichen Reifen und wenig Benzin. Generell ist es für Williams gut, wenn der Veteran am Steuer sitzt, denn Neuling Pastor Maldonado macht noch viel zu viele Fehler. Bestes Beispiel war sein heftiger Abflug am zweiten Tag in Jerez.
Platz 10, Lotus (251 Runden):
Die malaysische Truppe ließ in Jerez aufhorchen. Am dritten Tag gelang Heikki Kovalainen eine Rundenzeit, die nur 1,3 Sekunden langsamer war als die Bestzeit von Heidfeld. Der Finne ist entsprechend zuversichtlich, die Lücke zum Mittelfeld zumindest deutlich verkleinert zu haben. Der Lotus produziert nach seiner Aussage trotz des Verbots des Doppel-Diffusors schon jetzt mehr Abtrieb als sein Vorgänger. So weit sind Teams wie Red Bull oder Ferrari noch lange nicht. Die hatten aber auch bei weitem nicht so viel Spielraum für Verbesserungen. Immerhin, die Hoffnung besteht, dass Lotus mehr werden kann als der Beste der Neulinge.
Platz 11, Virgin (219 Runden im alten, 223 im neuen Auto):
Virgins Problem ist, dass das Team im Moment nur einen Testfahrer hat, Timo Glock. Neuling Jerome d'Ambrosio ist noch viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um das Auto weiterentwickeln zu können. Dass kann noch werden, aber im Moment lastet alle Verantwortung auf Glocks Schultern. Und immerhin: Auch wenn der neue Virgin auf den ersten Blick keine Offenbarung ist, ist er doch wesentlich zuverlässiger als sein Vorgänger. Vor der Saison 2010 kam Virgin fast überhaupt nicht zum Testen. Die Basis des neuen Autos ist deutlich besser und Glock hat am Freitag in Jerez mit nur 1,8 Sekunen Rückstand auf Schumacher auch schon gezeigt, dass der Speed verbessert wurde. Nur: Im direkten Duell macht wieder mal Lotus den etwas besseren Eindruck.