"Überholen auf der Strecke strengstens verboten!" Das steht da. Wirklich. Schwarz auf weiß, direkt vor mir an der Wand des kleinen weißen Plastik-Zelts in der provisorischen Boxengasse des Hockenheim-Ostkurses. Jetzt bin ich verwirrt. Ich hatte immer gedacht, dass Überholen auf einer Rennstrecke oberste Priorität hat. Oder etwa nicht?
"Cowboys können wir hier nicht gebrauchen", klärt mich Sven Heidfeld, Bruder von Formel-1-Pilot Nick und Inhaber von HeidfeldRacing, auf. Und weiter: "Wir wissen schließlich nie, wie das Niveau der einzelnen Teilnehmer ist." Deshalb also klares Überholverbot für die ersten Runden. "Da sollen sich alle erstmal an das Auto und die Strecke gewöhnen. Das ist für einige Leute dann schon mehr als genug", sagt er. Später ginge vielleicht mehr.
Postbote in Hochwasser-Hosen
Das hoffe ich und zwänge mich zusammen mit SPOX-Kollege Alexander Mey in die engen rot-gelben Rennanzüge. Zu eng, wie ich finde. Und ein wenig zu postbotenmäßig. Aber das müsse so sein, lasse ich mir sagen. Lieber ein bisschen Hochwasser-Hose als mit den Baggy-Pants irgendwo am offenen Schaltgestänge der 160-PS-Formel-Boliden hängenbleiben. Klingt logisch. Sehen auch alle anderen ein.
Die anderen. Das ist ein bunter Querschnitt durch sämtliche soziale Schichten. Vom Bierbauch tragenden Vokuhila-Maurer bis zum durchtrainierten Businessman. Von der Hausfrau bis zum Rentner. Doch sie alle haben etwas gemeinsam.
Sie alle leisten sich den nicht gerade günstigen Motorsport-Spaß. Von den knapp 700 Euro für unseren Schnupperkus geht es bis zum Formel-1-Erlebnis in Südfrankreich für knapp 6000 Euro. Aber wer hier wie schnell fährt? Keine Ahnung.
Ist mir aber auch egal. Mein wichtigster Gegner heißt ohnehin Mey. Dem Motorsport-Kollegen muss mal ordentlich gezeigt werden, wie das mit dem Rennfahren so funktioniert. Er saß schon im Formel-BMW-Boliden, ich im Opel-Tourenwagen. Das schreit nach Duell.
Deshalb Hockenheim, deshalb Formel selber fahren. Und nach einer halben Stunde Stecken-, Fahrzeug- und Flaggenkunde geht es auch endlich los.
Wer braucht schon ABS und ESP?
Es ist heiß. Gut und gerne 25 Grad. Schatten? Den gibt es hier nicht. Jetzt verstehe ich, warum es bei den Formel-1-Piloten immer heißt, dass die paar Sekunden vor dem Start die schlimmsten sind. Kein Lufthauch verirrt sich ins Cockpit, die Sonne brennt mir auf den tiefschwarzen Helm. Rein gefühlsmäßig ist das gerade alles irgendwo zwischen Sauna und Sahara - im Skianzug. Und dann auch noch dieser drohende Wadenkrampf. Ich stehe nämlich seit einer ganzen Weile voll auf der Kupplung. Der schwergängigen Kupplung.
Aber genau so muss das sein, finde ich. Schließlich ist das hier ein echter Rennwagen. Man liegt förmlich im Auto, kann kaum aus dem Cockpit schauen. Den Hintern immer nur wenige Zentimeter über dem Asphalt, den Motor direkt im Rücken. Elektronische Helfer? Fehlanzeige. Servolenkung? Quatsch. ABS und ESP? Schaltwippen und Halbautomatik wie in der modernen Formel 1? Nix da. Das hier ist alles noch echte Handarbeit. Die Schaltung hakt und knackt, die Karosserie wackelt - und das ist auch gut so. Es muss schließlich quietschen, rauchen, durchdrehen. Nur so macht das Spaß. Nur so ist es Racing.
Das erste Mal richtig Vollgas
Das will ich jetzt testen - und fahre deshalb als Erster raus. Direkt hinter dem Instruktor. Der heißt Jürgen Elbracht, hat früher mit Nico Hülkenberg in der Formel BMW angefangen und fährt jetzt Tourenwagen. Im eigenen Ferrari, denn er ist der jüngste Teammanager Deutschlands. Doch nicht heute. Heute sitzt er in einem roten Formel König.
Nach zwei Runden weiß der Mann, dass ich etwas schneller bin als viele andere hier. Darauf stellt er sich ein, gibt zwischendurch mal richtig Gas. Ich bleibe dran. Der Rest der Truppe: eher nicht. Parabolica, Haarnadel, Rausbeschleunigen, dann die Anfahrt auf die Mercedes-Tribüne - schon ist niemand mehr im Rückspiegel zu sehen. Erst auf der Start- und Zielgeraden machen wir wieder langsamer und sammeln den Rest der Truppe ein.
Kontrollierter Führungswechsel, heißt das. Andere sollen schließlich auch mal hinter dem Führungsfahrzeug die Ideallinie lernen dürfen. Also schere ich nach links aus und lasse die Kollegen durch. Als Letzter in der Gruppe zu fahren hat schließlich auch seine Vorteile: Man kann sich zurückfallen lassen und die entstandene Lücke wieder zufahren. Genau das mache ich jetzt, bis der erste Stint irgendwann rum ist. Viel zu schnell, denke ich erst.
Von wegen Kindergarten?!
Zurück in die Box merke ich aber: Die ersten 25 Minuten hatten es dann doch in sich, die mangelnde Kondition lässt grüßen. Und zwar in Form eines völlig durchgeschwitzen Postboten-Overalls. 2G klingen zwar im Vergleich zu den aus dem Fernsehen gewohnten Formel-1-Fliehkräften von teilweise mehr als dem Dreifachen irgendwie nach Kindergarten, zerren auf Dauer aber doch an den nicht vorhandenen Nackenmuskeln. Selbst wenn man auf der Geraden in den Rückspiegel schaut, reißt es einem den Kopf rum.
Vor allem Gangwechsel in schnellen Kurven fallen dank Querbeschleunigung und hakeliger Schaltung schwer. Mit einem normalen PKW ist das nicht zu vergleichen. Das braucht Feingefühl, ist harte Arbeit. Deshalb: Pause. Wasser. Raus aus dem Rennanzug.
"Das würde völlig in die Hose gehen"
Dabei komme ich mit dem sich ebenfalls aus dem Overall schälenden Instruktor ins Gespräch. Der ist übrigens mit seinem umgebauten Ferrari 360 Modena an der Strecke. Einem Challenge Rennwagen, den er nur soweit zurückgerüstet hat, dass er damit auch Kunden über den Kurs chauffieren und diese selbst ans Steuer lassen kann.
Ob er da nicht Angst um seinen Boliden habe, frage ich ihn. "Immer", antwortet er. Und erklärt, dass er die Gäste immer zuerst fahren lässt. Ansonsten würden sie sich an seinen Bremspunkten orientieren. "Und das würde völlig in die Hose gehen", sagt er.
Vor allen Anwesenden total blamiert
In die Hose geht übrigens auch der zweite Stint des Kollegen Mey. Der würgt die Karre beim Anfahren in der Boxengasse gleich dreimal ab und muss dem Feld hinterher tuckern. Später wird er von einem "problematischen Fahrzeugwechsel" sprechen. Sich damit entschuldigen, dass er kurzfristig ins T-Car umsteigen musste (vom Opel Lotus in den Formel König) und deshalb nicht genügend Zeit für die Fahrzeugabstimmung hatte.
Außerdem hätte auch noch die Launch-Control nicht funktioniert. Im Klartext: andere Gangschaltung, vier statt fünf Gänge, dreimal versucht, im dritten Gang anzufahren.
Und vor allen Anwesenden total blamiert.
Zu allem Überfluss bleibt der Kollege Mey anschließend auch noch an der roten Boxen-Ampel hängen und muss das gesamte Feld passieren lassen. Trägt alles zusammen nicht gerade zu seinem Standing im Fahrerlager bei. Denn bereits mit seiner - nennen wir es ausgefallenen - unfreiwilligen Reifenwahl hatte er für zahlreiche Lacher gesorgt.
"Das war echtes Rennfeeling"
Er macht gute Miene zum bösen Spiel seines Reifenausrüsters und erklärt: Eiskalt auf die Gewitter-Wolken geschaut und gezockt. Obwohl man bei zwei Slicks und zwei Intermediates kaum noch von zocken sprechen kann - und es am Ende keinen Tropfen Regen gab. Egal. Denn das, was der Kollege Mey jetzt auf der Strecke abliefert, kann sich sehen lassen.
Nach seinen Startschwierigkeiten hat er freie Fahrt - und nach drei Runden Vollgas schon wieder aufs Feld aufgeschlossen. Respekt. "Diese drei Runden freies Blasen haben richtig Bock gemacht", sagt er, als er anschließend aus dem Auto steigt. "Das war echtes Rennfeeling. Und wenn ich noch ein paar schnelle Runden mehr gehabt hätte, dann wäre ich ganz nach vorne gekommen und hätte alle Autos überholt."
Endlich freie Fahrt!
Überholen. Das ist das Stichwort. Da muss ich natürlich sofort nachlegen.
Und bei meinem zweiten Stint meint es das Schicksal tatsächlich gut mit mir. Direkt vor meinem Boliden wird ein anderer Fahrer erst langsam und rollt dann mit technischen Problemen aus. Die Folge: Gelbe Flaggen überall. Zusammen mit meinem Hintermann muss ich langsam machen und die übrige Gruppe samt Führungsfahrzeug ziehen lassen. Und das heißt: Sobald die Strecke wieder freigegeben ist, haben wir freie Fahrt.
Grün! Endlich. Jetzt geben wir ordentlich Gas, überholen im Doppelpack eine ganze Reihe Rennfahrschüler in ihren Serien-Sportwagen - und werden im Gegenzug von einem Formel-Renault-Boliden und dem unfassbar lauten KTM X-BOW kassiert. Das ist Motorsport.
Kategorie Bodenblech-Ausbeuler
In der Parabolica drehe ich den Opel-Lotus mittlerweile richtig aus. Wie schnell? Keine Ahnung, denn einen funktionierenden Tacho gibt es nicht. Sollen aber 220 Stundenkilometer sein, sagt man mir. Und das glaube ich sofort. Denn das komplette Auto vibriert jetzt und mich schüttelt es in der ungepolsterten Sitzschale ordentlich durch.
Das Bild im Rückspiegel: verschwommen. Und auch die Sache mit dem Haarnadel-Anbremsen ist plötzlich eine ganz andere Hausnummer. 150 Meter, 100 - die Schilder rauschen vorbei. Ich steige voll auf Bremse und Kupplung, Kategorie Bodenblech-Ausbeuler, und schalte runter. Passt. Jetzt den Scheitelpunkt treffen und dann: Gas.
Doch dabei lasse ich das Kupplungspedal etwas zu sehr springen und komme auf den Kerb. Schwupps, schon kommt das Heck. Kurz gegenlenken und weiter Vollgas. Läuft.
Ehrenrunde im Adrenalin-Rausch
Zum Abschluss noch ein letztes Mal die Anfahrt auf die Mercedes-Tribüne. Aus der Haarnadel hochbeschleunigen bis in den fünften Gang, dann mit Vollgas durch den Rechtsknick und auf den Bremspunkt konzentrieren. Knapp verpasst. Deshalb bleibt beim Anbremsen auch kurz das innere Vorderrad stehen. Es qualmt. Habe ich es übertrieben?
Ach was. Weiter geht's durch die nächsten Kurven und hinein in die enge Ostkurs-Anbindung. Ich sehe die schwarz-weiß-karierte Flagge und denke: Was für eine Runde! Der kleine Schumi im Hinterkopf wird plötzlich ganz groß. Da geht noch was.
Doch die Träume von der nun doch noch bevorstehenden Formel-1-Karriere erhalten direkt nach der Ankunft in der Boxengasse einen empfindlichen Dämpfer. "Das sind zwar die Boliden, in denen Michael Schumacher und Co. ihre Karrieren angefangen haben", erklärt Heidfeld. "Aber die haben das im Kindesalter getan. Und nicht mit knapp 30..."