The Legend of Michael S.

Jan-Hendrik Böhmer
21. Juli 201118:19
Auch heute noch holen sich Ferrari-Fans ein Autogramm bei Michael SchumacherGetty
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Ein Laternen-Unfall, eine rote Gurke und die totale Dominanz. Wie wurde Michael Schumacher zur Legende? SPOX beleuchtet Stationen einer unglaublichen Karriere.

Es ist unmöglich, ein allumfassendes Porträt über Michael Schumacher zu schreiben. Jedenfalls an dieser Stelle. Denn würde man versuchen, alle Geschichten, Triumphe und Skandale des erfolgreichsten Formel-1-Piloten aller Zeiten in einem Artikel zusammenzufassen, dann ergäbe das ein Buch. Oder auch zwei. Oder drei.

Denn es gibt einfach viel zu erzählen. Viel zu viel. Doch was genau macht Schumi zur Legende? Sind es die unzähligen Rekorde, die der 42-Jährige in 20 Jahren Formel 1 aufstellte? Sind es die Skandale? Ist es die Art, wie er eine gesamte Ära dominierte?

SPOX zeigt die Stationen in Schumachers Karriere, die ihn zu dem machten, der er heute ist.

Achtung, Laterne: Wenn man sich die Geburtsstunde einer Legende ausmalt, dann denkt man automatisch an etwas Großes. Etwas Episches. Einen großen Knall vielleicht. Man denkt eben an vieles - aber sicher nicht an einen Supermarkt-Parkplatz in Kerpen-Horrem. Doch genau hier begann die Karriere des Michael Schumacher. Immerhin: Mit einem Knall. Denn bei seiner ersten Testfahrt auf einem von Vater Rolf selbst gebauten Go-Kart (oder besser: Kettcar mit Mofa-Motor) scheppert der vierjährige Schumi mit voller Wucht gegen einen Laternenpfahl. Peng! Und zwar gleich doppelt. Denn die dazugehörige Ohrfeige wegen zu schnellen Fahrens gibt es vom Papa gleich obendrauf. Wie aus Parkplatz-Vandalismus eine der größten Motorsport-Karrieren aller Zeiten wird? Ganz einfach. Vater Rolf beschließt, dass der junge Schumi seinen Gasfuß fortan lieber hinter Reifenstapeln auf der benachbarten Kartbahn ausleben soll. Der Rest ist Geschichte.

Der Willi-Weber-Faktor: Talent alleine ist für den Arsch! Denn was bringt einem der sensibelste Gasfuß, wenn man sich das passende Pedal nicht leisten kann? Richtig: nix! Und deshalb braucht auch Michael Schumacher einen Förderer. Oder besser: gleich mehrere. Erst schenkt ihm Karthändler Gerhard Noack einen fahrbaren Untersatz, später ist es Spielautomaten-Unternehmer Jürgen Dilk, der Schumi mit einer 16.000-Mark-Mitgift den Sprung in die Formel König ermöglicht. Doch sie alle stehen im Schatten von ihm: Wilhelm Friedrich "Willi" Weber. Der damalige Autohändler, Rennstallbetreiber und Gastronom holt Schumacher 1988 in sein Formel-3-Team und baut ihn mit seiner - wie er selbst sagt - "globalen Rundumbetreuung" fortan zur Weltmarke auf. Und man kann über Weber denken, was man will, aber ohne den knallharten Manager und sein Händchen für die Vermarktung des jungen Talents gäbe es die Welt-Marke "Michael Schumacher" nicht. Vom Pulsmesser bis zum Softeis: von fast allem gibt es eine Schumi-Edition. Dank Weber. Er sagt: "Jeder hätte Michael unter Vertrag nehmen können, nur ich habe gewagt, in ihn zu investieren."

Das erste Rennen: Und wie er investiert. Eine halbe Million Mark soll es gekostet haben, Schumi beim Belgien-GP 1991 für den nach einem eskalierten Streit mit einem Taxifahrer im Gefängnis sitzenden Jordan-Stammpiloten Bertrand Gachot ins Cockpit zu hieven. Und obwohl Schumacher noch nie in Spa unterwegs gewesen ist (abgesehen von einer Runde auf einem geliehenen Fahrrad) stellt er den Jordan 191 in der Quali auf Startplatz sieben - vier Plätze vor seinen erfahrenen Teamkollegen Andrea de Cesaris. Die Zuschauer staunen, die Fachwelt staunt, und die Ingenieure staunen. Denn sie sehen beim Auslesen der Telemetriedaten, dass dieser weitgehend unbekannte 22-Jährige gerade mit Vollgas durch die berüchtigte Eau Rouge geknallt ist. Besonders erstaunt ist allerdings Alain Prost. Denn der hat plötzlich einen wild gestikulierenden Schumacher im Rückspiegel, der sich offenbar aufgehalten fühlt. Und was macht Schumacher selbst? Der geht nach seinem Monster-Debüt einfach zurück in seine Jugendherberge und schläft. Er muss sich für das große Rennen am Sonntag ausruhen. Das große Rennen, das 500 Meter dauert. Getriebeschaden. Doch diese 500 Meter reichen aus, um zwei Kollegen zu überholen - und Schumacher ein Cockpit bei Benetton zu sichern. Schon beim nächsten Rennen, dem Italien-GP in Monza, wird er Fünfter. Vor Ex-Champion und Teamkollege Nelson Piquet. Es ist der Auftakt zur Schumi-Ära.

Die Chronik der Schumi-Skandale: Stallorder, Rammstöße und mehr

Der Dominator: Überlegenheit. Schiere und unangefochtene Überlegenheit. Auch das macht eine Legende aus. Und Schumacher kann sie erstmals 1994 im Benetton beweisen. Gleich im ersten Rennen in Interlagos überrundet er das komplette Feld. Es scheint so, als könne ihn zu diesem Zeitpunkt nichts und niemand stoppen. In Barcelona bestreitet er sogar mehr als die Hälfte des Spanien-GP wegen eines Defekts nur noch im fünften Gang - und wird dennoch Zweiter. Die Fans sind aus dem Häuschen. Man kann Schumacher von überall starten lassen, und am Ende gewinnt er dennoch. So wie in Spa, als er 1995 bei Regen von Platz 16 noch zum Sieg jagt. Oder als er im völlig unterlegenen 1996er Ferrari beim Regenrennen von Barcelona trotz eines gebrochenen Auspuffs und einer defekten Zylinderbank überlegen zum Sieg fährt. Spätestens jetzt ist der Regengott geboren. Spätestens jetzt ist Michael Schumacher auf dem Weg zur Legende. Er macht die F1 in Deutschland zum Massenereignis. Die Schumania befällt eine Nation.

Drama: Tränen. Auch sie gehören zu einer Legende. Und in Michael Schumachers Karriere gibt es einige davon. Etwa als er hinter einem Reifenstapel in Australien stehend von seinem ersten WM-Titel erfährt - oder als er diesen später dem 1994 in Imola verstorbenen Ayrton Senna widmet. Seinem großen Idol. Die bekanntesten Schumi-Tränen fließen aber im Jahr 2000, als er beim Italien-GP mit seinem 41. Sieg mit Senna gleichzieht und in der Pressekonferenz zusammenbricht.

Die Skandale: Wer so dominiert, wie es Michael Schumacher über weite Strecken tut, der wird untersucht. Sehr genau untersucht. Ein Fahrer alleine kann doch gar nicht so schnell sein. Das muss am Auto liegen. Da muss irgendetwas Illegales dran sein. So wie am Unterboden seines Benetton in Spa 1994. Obwohl da nichts dran, sondern eher weg war - nämlich einige Millimeter Holz. Oder als er in der Einführungsrunde des England-GP desselben Jahres Damon Hill überholt, erst disqualifiziert wird und das Rennen dann doch als Zweiter beendet. Und alles nur, um anschließend für zwei Rennen gesperrt zu werden. Oder als er im WM-Kampf 1997 Jacques Villeneuve beim Großen Preis von Europa in Jerez von der Strecke rammen will und ihm alle WM-Punkte sowie der Vize-Titel aberkannt werden. Oder als angeblich nicht regelkonforme Teile am Ferrari gefunden wurden. Oder, oder, oder. Egal ob gewollt ungewollte Rempeleien zum Titel (1994 gegen Hill in Australien), umstrittene Siege in der Boxengasse (1998 in England) oder falsches Benzin - die Negativ-Schlagzeilen spalten eine Nation. Und sind deshalb Teil der Legende.

Teil II: Die rote Gurke, Titel, Comeback & Krönung

Die rote Gurke: "Schumi, was willst Du mit der roten Gurke?", titelte die "Bild", als Schumacher 1996 zu Ferrari wechselte. Lachnummer Schumi war ein anderes geflügeltes Wort. Der Weltmeister, der an Pfennigartikeln verzweifelt. Denn das Debüt bei der Scuderia ist ein Desaster. Beim Saisonstart in Australien versagen die Bremsen, in Argentinien bricht der Heckflügel, in Imola explodiert eine Bremsscheibe und in Frankreich und England übersteht Schumacher nicht einmal die Einführungsrunde. Dennoch holt er gleich in seinem ersten Ferrari-Jahr drei Siege und WM-Platz drei. Das beste Ergebnis der Scuderia seit 1990. Und noch viel wichtiger: Er gibt nicht auf. Er kämpft sich aus der Krise und macht weiter. Am Ende ist man sich sicher: Es steht Großes bevor.

Der Beinbruch der Nation: Endlich. Schumacher und Ferrari sind 1999 reif für den Titel, die im Jahr zuvor überlegenen McLaren scheinen in Reichweite. Bis zum Rennen in Silverstone. Schumacher rast mit versagenden Bremsen in die Reifenstapel und bricht sich den Unterschenkel. Das Ergebnis: Sechs Rennen Pause. Als er drei Wochen später in Hockenheim erstmals nach dem schweren Unfall in aller Öffentlichkeit auf die Videoleinwände zuschalten lässt, ist das so, als würde der Papst Audienz halten. Mitreißend. So mitreißend, dass eine Nation von Schumi-Fans anschließend mehr oder weniger insgeheim auf ein Versagen von Eddie Irvine hofft. Auf keinen Fall darf Schumachers Teamkollege den ersten Ferrari-Fahrer-Titel seit 20 Jahren einfahren.

Die Prägung einer Ära: Fünf WM-Titel in Folge. Alleine die nackten Zahlen wären genug Stoff für eine Legende. Doch es geht um mehr. Es geht darum, wie Schumacher aus dem Gurken-Team Ferrari (das nicht einmal die richtige Anzahl Reifen beim Boxenstopp bereit stellt), eine scheinbar unbesiegbare Formel-1-Macht formt. Wie er ein Team, das in den Jahren zuvor technisch und organisatorisch den Anschluss verpasst hatte, komplett umkrempelt, auch in mageren Jahren nicht hinschmeißt und aus der Scuderia einen Vorreiter in nahezu allen Belangen des Sports macht. Wie er genau die Leute um sich schart, die er für den Erfolg braucht; wie konsequent - einige sagen skrupellos - er seine Ziele verfolg. Die Stallorder beim Großen Preis von Österreich, Schumis Revanche wenig später in den USA (als er Barrichello beim Foto-Finish-Versuch passieren ließ) oder die Farce beim Reifen-Desaster-Rennen von Indianapolis 2005: Schumacher verspielt in dieser Zeit viele Sympathien, doch er hat Erfolg. Weil er alles seinem großen Ziel unterordnet. Und egal, ob man Schumacher nun liebt oder hasst, seine Verdienste kann man nicht abstreiten. Sich trotz teilweise harter Kritik und Anfeindungen komplett seiner Sache zu verschreiben, auch das macht eine Legende aus.

Das Comeback: "Ich fühle mich gerade wie ein Zwölfjähriger, der durch die Gegend hüpft wie ein kleiner Junge", sagt Michael Schumacher, als er am 23. Dezember 2009 seinen Dreijahresvertrag bei Mercedes unterschreibt. Durch die Gegend hüpfen. Das trifft an diesem Vormittag (es war 11.30 Uhr, als Mercedes die Verpflichtung des siebenfachen Weltmeisters offiziell bestätigte) vermutlich auch auf Millionen von Schumi-Fans zu. Es ist D-A-S! Weihnachtsgeschenk für alle Formel-1-Fans. Nach dem aus gesundheitlichen Gründen gescheiterten Ferrari-Comeback als Ersatz für den verletzten Felipe Massa kurz zuvor ist es jetzt doch noch passiert. Der Rekord-Mann ist zurück. So wie einige andere Formel-1-Größen vor ihm. Niki Lauda, Mario Andretti, Alain Prost - allesamt Legenden. Und auch wenn Schumacher mit Mercedes aktuell weit hinter den selbst gesteckten Zielen zurückbleibt, rüttelt das nicht an seinem Denkmal. Ganz im Gegenteil: Schumacher muss nur das tun, was er bisher immer getan hat: nie aufgeben. Dann hat seine Legende Bestand.

Die Krönung: Zum Abschluss gibt es Dinge, die normalerweise so nicht vorgesehen sind. Normalerweise fahren Rennfahrer zum Beispiel nicht durch die nach ihnen benannten Kurven. Normalerweise sind sie dann nämlich schon in Rente - oder sogar tot. Nicht so bei Michael Schumacher. Der war zwar schonmal in Rente, darf jetzt aber trotzdem im Renntempo durch seine eigene Kurve jagen: Das Schumacher-S am Nürburgring. "Ich freue mich riesig, durch meine Kurve zu düsen. Das werde ich sicher genießen", sagt Schumacher. Es ist der vorläufige Höhepunkt: Mit Vollgas im Mercedes durch die eigene Kurve beim Heim-GP - viel mehr Legende geht nicht.

Alle Fahrer und Teams der Formel 1 im Überblick