Auf der Suche nach dem Vettel-Weg

Von Sebastian Schramm
Ricciardo könnte der Nachfolger von Vettels-Teamkollegen Mark Webber werden
© Getty

Der australische Newcomer Daniel Ricciardo gilt als eines der hoffnungsvollsten Talente in der Formel-1-Szene. Parallelen zu den ganz Großen gibt es zuhauf. Doch der Weg zum großen Triumph ist nicht leicht. Gestartet in Asien, will Ricciardo auf Vettels Spuren wandeln und sein Teamkollege werden.

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Abu Dhabi. 15. November 2010. Es ist der Tag danach. Der Tag nach der historischen Fahrt des neuen Weltmeisters Sebastian Vettel. Ruhe und Aufräumarbeiten stehen an, so sollte man jedenfalls meinen. Doch was man auf dem Yas Marina Circuit vorfindet, kann man durchaus als munteres Treiben bezeichnen.

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Hoffnungsvolle Talente säumen die Boxengasse, die Techniker von Red Bull nehmen die letzten Einstellungen am aktuellen RB6 vor. Eltern sitzen nervös auf der Tribüne und drücken ihren Schützlingen die Daumen. Einen Mann jedoch scheint das alles kalt zu lassen. Daniel Ricciardo, 21 Jahre, Australier, gleitet entspannt in das Cockpit, klappt das Visier runter und fährt aus der Boxengasse hinaus in die Hitze des Orients.

Vettels Zeit in die Wüste geschickt

1:39,394 Minuten - Das war die Zeit, mit der der Heppenheimer Vettel seine selbsternannte "Liscious Liz" (Leckere Liz) zwei Tage zuvor auf die Pole-Position gesetzt hatte. 1:38,102 Minuten - Das ist die Zeit, in der Ricciardo den RB6 über den Asphalt in Abu Dhabi peitschte. Unglaublich. Sicher muss man fairerweise sagen, dass der junge Australier die angenehmeren Bedingungen hatte. Kurze Stints mit wenig Sprit an Bord, frische Reifen und die eingefahrene Strecke ermöglichten ihm eine derartige Fabelzeit. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Christian Horner und Adrian Newey wussten ganz genau, wen sie da ans Steuer ihres Boliden ließen.

Jahre zuvor hatten sie den jungen Australier in das Jugendprogramm von Red Bull Racing aufgenommen, genau wie Sebastian Vettel. Und sein erster Grand Prix sollte nicht mehr lange auf sich warten lassen.

Debüt in England

Silverstone. Die Strecke scheint wie in den Stein gemeißelt und bietet Stoff für vielerlei Legenden. Dass Ricciardo genau hier sein Grand Prix-Debüt feiert, vielleicht wird es in ein paar Jahren zu seiner ganz eigenen Legende gehören. Seinem ersten Rennen vorausgegangen war die Übernahme des HRT-Teams durch die spanische Investment-Firma Thesan Capital, sowie die fast komplette Kündigung des Inders Narain Karthikeyan (aus PR-Gründen wird er den Australier beim ersten Indien-GP ersetzen). Red Bull überlegte nicht lange und zahlte Geld dafür, dass sich Ricciardo in der Formel 1, auch wenn es nur in einem Hinterbänkler-Team ist, entwickeln kann.

Eine Win-win-Situation für beide Parteien, ähnlich einem Ausleihgeschäft im Profi-Fußball. Daraus ergibt sich auch, dass einer ab sofort ganz genau hinschauen wird: Red Bull-Teamchef Christian Horner. Natürlich beobachtet und analysiert Horner die Auftritte seines Rohdiamanten schon seit geraumer Zeit, nur jetzt hat er den Vergleich in der Königsklasse. Vorschnell will er aber nicht handeln.

Leistungskurve zeigt nach oben

"Er braucht Zeit zur Entwicklung, es wäre falsch, ihn durchzuhetzen. Er muss sich jetzt in der Formel 1 beweisen. Er hat sich in den unteren Klassen bewiesen und jetzt muss er diese Möglichkeit wahrnehmen und das Beste daraus machen." HRT-Racing scheint dafür der perfekte Schritt zu sein. Dass ihm die aufkeimende Kritik nach dem Silverstone-Rennen und die Vergleiche mit seinem Landsmann Mark Webber eher weniger gut tun, wird dabei manchmal außer Acht gelassen. Auch der erfahrene Australier musste jahrelang in limitierten Formel-1-Teams um hintere Plätze kämpfen, bis er die Chance bekam, ein konkurrenzfähiges Auto zu steuern.

In den letzten beiden Grands Prix in Deutschland und Ungarn zeigte Ricciardos Leistungskurve jedoch nach oben. Beim wilden Reifenpoker auf dem Hungaroring konnte er erstmals seinen Teamkollegen Vitantonio Liuzzi besiegen und zeigte somit, was er zu leisten im Stande ist. Nach dem Rennen zeigte er sich sichtlich erleichtert.

"Das war definitiv mein bislang bestes Rennen. Und das bei schwierigen Bedingungen. Es gab so viele Boxenstopps, dass ich ein bisschen den Überblick verlor, wo ich überhaupt lag. Wir haben aber immer die richtigen Entscheidungen getroffen, auch mit den Einstellungen des Autos. Am Ende war mein Hispania richtig gut ausbalanciert, und ich war ziemlich flott unterwegs. So lag ich im Ziel auch vor meinen zwei Hauptrivalen. Es kann meinetwegen so weitergehen."

"Fußball oder Tennis wären besser gewesen"

Vor ein paar Jahren wäre die Entwicklung beinahe undenkbar gewesen. Sein Vater, Joe Ricciardo, selber 30 Jahre lang in einer Hobby-Tourenwagenmeisterschaft aktiv, war bei dem Gedanken daran, dass sein Sohn mal aktiv den Motorsport betreibt, eher weniger glücklich: "Um ehrlich zu sein: Wir haben versucht, ihn davon abzuhalten", gibt er gegenüber dem "The West Australian" offen zu. "Wir wollten nicht, dass er sich für den Motorsport entscheidet. Viel lieber wäre es uns gewesen, wenn er Fußball oder Tennis gespielt oder einen anderen normalen Sport ausgewählt hätte. Er war definitiv ein sportliches Kind."

Durch seine eigenen Ausflüge in die Welt des Rennsports war ihm klar, dass, wenn sein Sohn Daniel erst einmal damit anfängt, er sich nur schwer der glitzernden Welt des motorisierten Sports wieder entziehen kann: "Ich wusste, wie das ist und dass es ein hartes Geschäft ist, aber es macht süchtig."

Ricciardos Vater gab schließlich doch nach und kaufte seinem Schützling ein Kart. Die ersten Erfolge ließen dabei nicht mehr lange auf sich warten. Und wenn der heute 22-Jährige nicht auf seiner kleinen Maschine saß, studierte er Motorsportmagazine und Formel-1-Rennen. Sein Weg schien also vorgezeichnet.

Über Asien nach Europa

Nach erfolgreichen Lehrjahren und teilweise beeindruckenden Leistungen in verschiedenen Nachwuchsserien (Formel-Renault-Serien, BMW-Weltfinale), empfahl sich Daniel für die prestigeträchtige britische Formel-3-Meisterschaft. Formel-1-Legenden wie Ayrton Senna und Mika Häkkinen konnten in der angesehenen Nachwuchsserie ihr Talent unter Beweis stellen und nutzten ihre Siege als Bewerbungsschreiben für die Königsklasse des Formel-Sports.

Immer mehr reifte Ricciardo zu einem hochbegabten Talent heran und im Alter von 16 Jahren entschied sich die Familie für einen folgenschweren Schritt, der sich rückblickend als einer der wichtigsten in seiner noch so jungen Karriere herausstellte. Der Vater finanzierte ihm ein Sportstipendium und so konnte Daniel sein Talent in der asiatischen Formel-BMW-Serie unter Beweis stellen.

Desweiteren schaffte es Joe Ricciardo, Sponsoren aufzutreiben, die ihm Flüge, Hotels und seinen Lebensunterhalt finanzieren konnten. Es sollte die wohl härteste Zeit des noch jungen Australiers sein: "Niemand wollte etwas von ihm wissen, als sie das erste Mal von ihm hörten. Es war hart, ihn zu etablieren." Doch der steinige Weg sollte sich auszahlen.

Und vielleicht endet er genau wie der Weg des ehemaligen Red Bull-Nachwuchsfahrers Sebastian Vettel.

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