Die Geschichte vom Bauchgefühl: Jenson Button saß nach seinem Jubiläumssieg im 200. Rennen seiner Karriere strahlend in der Pressekonferenz und sagte: "Aus irgendeinem Grund mag ich diese Bedingungen. Fragen Sie mich nicht, warum."
Vielleicht weil er einen sechsten Sinn dafür hat, das Richtige zu tun, obwohl er genauso wenig wie alle anderen genau wissen kann, was das Richtige ist. "Das war alles nur Glück", scherzte Button gegenüber den Journalisten am Hungaroring auf die Frage, warum er bei wieder einsetzendem Regen im letzten Rennviertel nicht wie viele andere auf Intermediates gewechselt hatte.
Glück? Nachdem Button in Ungarn 2006, in Australien und China 2010 und in Kanada 2011 ganz ähnliche Rennen gewonnen hat, kann das nicht mehr viel mit Glück zu tun haben.
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Button erklärte: "Ich hatte das Bauchgefühl, dass es falsch wäre, auf Intermediates zu wechseln. Dafür war ich auf den Slicks nicht langsam genug. Ich bin ziemlich gut darin, bei Reifenwechseln die richtigen Entscheidungen zu treffen."
Wie auch schon bei seinem dritten Boxenstopp, als er im Gegensatz zum Führenden Lewis Hamilton auf die härtere Reifenmischung und damit einen Boxenstopp weniger setzte. Das hat ihm nämlich in Wahrheit den Sieg eingebracht. Er hätte Hamilton auch ohne dessen Fehler mit den Intermediates geschlagen. Button betonte: "Wir haben heute gewonnen, weil wir schnell waren. Es hätte auch keinen Unterschied gemacht, wenn es trocken geblieben wäre."
Die Geschichte vom Punktehamster wider Willen: Sebastian Vettel hat abgesehen von zwei, drei kleinen Fahrfehlern auf rutschiger Fahrbahn alles richtig gemacht. Er hat die gleichen richtigen Reifenentscheidungen getroffen wie Button und im Chaos von Ungarn immer die Ruhe behalten. So wird man Champion.
Das Zauberwort heißt Konstanz: Vettel hat in elf Saisonrennen 234 von 275 möglichen WM-Punkten geholt. Lediglich am Nürburgring stand er nicht auf dem Podium. Es gibt nur zwei Fahrer im ganzen Feld, die 2011 jede einzelne Rennrunde absolviert haben: Vettel und Red-Bull-Kollege Mark Webber.
Tops & Flops aus Ungarn: Eine unglaubliche Aufholjagd
Vettel hamstert die nötigen Punkte für seinen zweiten Titel im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Weltmeister. Mit einem Sieg beim Belgien-GP Ende August könnte er schon die 256 Punkte übertreffen, die ihm 2010 zum Titel gereicht haben.
Und siegen will Vettel unbedingt wieder. Deshalb war er trotz 85 Punkten Vorsprung auf den WM-Zweiten Webber und des glücklichen Umstands, dass sich seine Verfolger weiterhin fleißig gegenseitig die Punkte wegnehmen, mit der Gesamtsituation unzufrieden.
"Das Ziel ist der Sieg, nicht der zweite Platz. Im Moment haben wir vielleicht nicht das stärkste Auto, aber uns gelingt es trotzdem, vorne rein zu fahren. Man muss feststellen, dass McLaren und Ferrari sich stark verbessert haben", warnte Vettel. "Aber unser Ziel muss sein, wieder ganz vorne zu landen." Mit dieser Einstellung wird man wahrscheinlich häufiger Champion.
Die Geschichte von der Blödheit: Natürlich unterstellen wir keinem Fahrer Blödheit, dafür sind sie alle viel zu genial in dem, was sie tun. Aber wenn sie es schon selbst sagen, geben wir es auch wieder.
Mark Webber sagte als einer der Piloten, die durch den Wechsel auf Intermediates im letzten Rennviertel viel Boden verloren haben: "Du siehst saublöd aus, wenn du zwei Runden lang der Einzige bist, der auf Intermediates rumfährt."
Webber war einer der Ersten, wenn auch nicht der Einzige, wie er sagte, der um Runde 50 herum auf Regen setzte. Ein Pokerspiel: "Es war meine Entscheidung, auf diese Karte zu setzen. Hätte es nur drei oder vier Minuten länger geregnet, wäre ich der große Sieger gewesen."
So hat Webber einen Platz an Fernando Alonso verloren und in der Fahrerwertung acht weitere Punkte auf Vettel. Zwar ist der Australier dort immer noch Zweiter, da er aber das gleiche Auto fährt wie der Deutsche, scheint er eine kleinere Bedrohung zu sein als Hamilton oder Alonso.
Die Geschichte vom verschenkten Sieg: Lewis Hamilton war direkt nach seinem vierten Platz nicht sehr gesprächig. Schließlich hatte er lange wie der Sieger ausgesehen. Aber gleich mehrere Fehler haben ihn nicht nur Platz eins sondern sogar einen Besuch auf dem Podium gekostet.
Es ging los mit der Entscheidung, beim dritten Boxenstopp nicht wie Vettel und Button auf die härtere, sondern noch einmal auf die superweiche Mischung zu setzen. Es war die Entscheidung für eine Vierstopp-Strategie, aber die angefahrenen superweichen Reifen, die er noch hatte, waren dafür nicht schnell genug. Er konnte schlichtweg keinen Vorsprung mehr auf seine Verfolger herausfahren.
Dass sein Wechsel auf die Intermediates falsch war, hat Webber in seiner Geschichte bereits hinlänglich beschrieben.
Auf Hamiltons Konto geht aber auf jeden Fall noch der Dreher in Führung liegend in Runde 47. Er gab bei der Ausfahrt aus der Schikane ein wenig zu viel Gas und schmierte ab. Um so wenig Zeit wie möglich zu verlieren, warf er seinen McLaren mitten auf der Strecke wild zurück in die richtige Richtung und hätte dabei fast Paul di Resta erwischt, der neben die Strecke ausweichen musste.
Die darauf folgende Durchfahrtsstrafe empfand McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh zwar als zu hart, Hamilton zeigte sich einige Zeit nach dem Rennen jedoch einsichtig: "Ich muss mich bei Paul entschuldigen. Ich habe ihn übersehen. Es ist schade, dass Jenson und ich nicht auf eins und zwei ins Ziel gekommen sind, aber das war mein Fehler."
Die Geschichte vom Feuer: Nick Heidfeld stand in dieser Saison nach dem Spanien-GP schon zum zweiten Mal in Flammen. Nach seinem zweiten Boxenstopp in Runde 23 zog er schon in der Boxengasse Funken und Rauch hinter sich her. Direkt an der Ausfahrt fing das ganze Auto dann Feuer und Heidfeld konnte nur noch herausspringen.
Eine echte Schrecksekunde für den Deutschen: "Es war heißer und furchterregender als in Barcelona und die Flammen kamen mir noch ein bisschen näher, aber zum Glück ist nichts passiert", sagte Heidfeld und scherzte: "Der Anzug war schon vorher schwarz."
Eine echte Erklärung gab es direkt nach dem Rennen nicht, aber Lotus-Renault und Heidfeld vermuten, dass der nach vorne austretende Auspuff beim langen Boxenstopp überhitzt ist.
Im Zuge dessen ist am Auto offenbar eine KERS-Batterie explodiert, was Heidfeld noch einmal einen Schrecken eingejagt hat. "Das habe ich bei einem Formel-1-Auto noch nie gesehen", gestand er.
Die Geschichte ohne Happy End: Für Mercedes gab es in Ungarn so gut wie nichts zu holen. Zwei WM-Punkte für Nico Rosberg und ein Ausfall wegen Getriebeschadens für Michael Schumacher - das war die magere Ausbeute. Neben den üblichen Verdächtigen lagen auch Paul di Resta im Force India und sogar Sebastien Buemi nach grandioser Aufholjagd von Startplatz 23 aus vor Rosberg.
Wie Webber und Hamilton hatte auch Rosberg in Runde 50 mit Intermediates gepokert. "Das muss man mal machen. Wenn es aufgeht, ist man der Hero", sagte Mercedes-Sportchef Norbert Haug.
Ganz "zero" sei man aber auch nicht gewesen, meinte Haug: "Das Tempo war da. Ich glaube, mit den harten Reifen waren wir ordentlich unterwegs. Natürlich waren wir nicht siegfähig, aber ordentlich."
Rosberg nahm die Entscheidung für den Wechsel auf Intermediates, die ihn Platz sieben gekostet hat, auf seine Kappe. Kritik übte er aber am mangelhaften Funkverkehr mit seiner Crew: "Es ist für mich nicht einfach zu verstehen, was gerade Sache ist. Ich erhalte nicht genügend Informationen. Da müssen wir uns verbessern, weil es schwierig ist, die Übersicht zu behalten."
In Singapur will Mercedes die letzte Entwicklungsstufe der enttäuschenden Saison zünden. Bis dahin bleibt die Hoffnung, dass die schnellen Strecken in Spa und Monza dem Auto mit dem besten Top-Speed deutlich mehr entgegenkommen als der enge Hungaroring.
Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM