Es ist mal wieder soweit, Red Bull steht am Pranger und muss sich für das Ausnutzen einer Grauzone im Reglement rechtfertigen. Kennen wir das nicht irgendwo her? Mal ist es ein vermeintlich biegsamer Frontflügel, mal sind es Löcher im Unterboden. 2011 war es auch das Motor-Mapping schon einmal.
Dieses Thema steht am Montag wieder auf der Tagesordnung. Dann trifft sich die technische Arbeitsgruppe der FIA turnusmäßig und wird in diesem Zusammenhang für Klarheit im neuen Fall verdächtiger Motor-Einstellungen bei Red Bull sorgen, die am Sonntag fast zum Rennausschluss für Sebastian Vettel und Mark Webber geführt hätten.
Red Bull: Ferrari ermahnt Regelhüter
Einer Disqualifikation, die im Titelkampf verheerend gewesen wäre, sind die Bullen zwar durch den Freispruch der Rennkommissare vor Ort entkommen, es ist aber gut möglich, dass die Grauzone im Reglement beseitigt und Red Bull zum erneuten Umbau des RB8 gezwungen wird. "Es könnte weitere Anweisungen geben, die das Reglement weiter präzisieren", erwartet sogar Red-Bull-Teamchef Christian Horner.
"Wir vertrauen der Regelbehörde, wenn es darum geht, für einen fairen Wettbewerb zu sorgen", sagte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali und mahnte: "Ich bin ein fairer Sportsmann, gratuliere immer meinen Gegnern und rede nie schlecht über sie. Aber ich muss darauf vertrauen können, dass die Regelhüter ihren Job machen."
Surer: "Alle denken, dass Red Bull bescheißt"
Formel-1-Experte Marc Surer deutete in seiner "Sky"-Analyse schon vor dem Rennen an, was hinter Worten wie denen von Domenicali steckt: "Im Fahrerlager denken alle, dass Red Bull bescheißt."
Cleveres Ausreizen des Reglements werden es die Verantwortlichen von Red Bull nennen. Im Hightech-Geschäft Formel 1 sind auf diese Weise schon immer Rennen und letztlich auch WM-Titel gewonnen worden. Nachzufragen bei Mercedes-Teamchef Ross Brawn, der in diesem Bereich ähnlich wie sein Red-Bull-Kollege Adrian Newey ein ganz Großer ist.
"Es gibt in den Regeln keine Klausel, die sich darauf bezieht, was mit einer Regel gemeint ist. Es gibt nur erlaubt oder nicht erlaubt", wehrte sich Horner gegen Vorwürfe, mit dem Ausnutzen von Grauzonen gegen den Geist des Reglements zu verstoßen. So etwas wie Fair Play gibt es im technokratischen Sport Formel 1 nicht.
Harte Strafe gegen Vettel
Zumindest nicht bei der Entwicklung der Autos. Auf der Strecke schon, das bekam Vettel zu spüren, als er nachträglich für sein Überholmanöver gegen Jenson Button in der vorletzten Runde bestraft wurde. 20 Sekunden und damit die Rückstufung von Platz zwei auf fünf waren hart.
Aber: "Leider war es die einzige mögliche Strafe, die die FIA in ihrem Reglement vorgesehen hat", erkannte Teamchef Horner an, auch wenn er sie für "nicht angemessen" hielt.
WM: Alonso setzt sich von Red-Bull-Duo ab
Vettels einzige Möglichkeit wäre gewesen, Button auf der Strecke wieder passieren zu lassen und später noch einmal zum Überholen anzusetzen. "Meine Hinterreifen waren so abgefahren, dass er bestimmt noch eine Chance bekommen hätte", sagte Button im Nachhinein. Aber wer ist in der heißen Schlussphase des Heimrennens schon so besonnen?Vettel war es nicht, war sich aber auch keines Fehlers bewusst. "Ich habe die Strecke verlassen, weil ich nicht wusste, ob er innen neben mir war, und ihm genug Platz lassen wollte", argumentierte der Weltmeister. 2003 hat übrigens ein gewisser Michael Schumacher an genau der gleichen Stelle Jarno Trulli auf die gleiche Weise überholt und wurde nicht bestraft.
Vettel hat die Aktion letztlich acht im Titelkampf wertvolle Punkte gekostet. Er liegt nun mit 110 Punkten schon stattliche 44 Zähler hinter Spitzenreiter Fernando Alonso. Dessen Vorsprung auf den Zweiten Mark Webber, der nach zuletzt großartigen Leistungen in Hockenheim als Achter plötzlich nirgendwo war und sich über fehlenden Speed wunderte, beträgt 34 Punkte.
Alonso auf dem Weg zum perfekten Juli
Beide Red-Bull-Piloten holen weniger Punkte als erwartet, McLaren hat zwar wieder ein siegfähiges Auto, es punktet aber nur der in der WM weit abgeschlagene Button, während der deutlich gefährlichere Lewis Hamilton früh wegen eines Reifenschadens alle Chancen einbüßt. WM-Vierter ist dadurch plötzlich ein Kimi Räikkönen, der zwar konstant punktet, aber im Lotus kein Rennen gewinnt.
Alles Fakten, die Alonso zum ganz großen Sieger des Deutschland-GP machen. Nicht nur auf der Strecke, auf der ganzen Linie.
"Ich habe immer gesagt, dass die drei Juli-Rennen entscheidend sein werden. Da gibt es 75 Punkte zu holen. Ich habe bis jetzt 43 Punkte gesammelt und will in Budapest die Aufgabe gut zu Ende bringen", sagte Alonso nach seinem dritten Saisonsieg.
Trend spricht klar für Alonso
Sicher: Es ist erst Saisonhalbzeit und es wurden schon größere Vorsprünge als umgerechnet eineinhalb Siege verspielt, aber der Trend in dieser Saison spricht klar für einen Weltmeister Alonso. In den letzten 22 Rennen war Alonso immer in den Punkten.
Surer erklärt: "Wenn er mit dem schlechten Auto schon ein Rennen gewonnen und immer gepunktet hat, ist klar, dass, wenn das Auto mal läuft, und jetzt läuft es richtig gut, er es dann auch umsetzt und den Vorsprung einfährt. Er macht immer das Maximale oder sogar noch ein bisschen mehr."
Horner: "Der Kerl macht einfach keine Fehler"
Seinen Gegnern muss nahezu angst und bange werden. Weder Vettel noch Button waren in Hockenheim in der Lage, Alonso auf der Strecke trotz DRS auch nur anzugreifen.
"Wir haben uns zum Glück in unseren einstigen Schwachpunkten Topspeed und Traktion stark verbessert. Ich hatte nicht das schnellste Auto im Feld, aber es war schnell genug, um vorne zu bleiben", sagte Alonso. Er setzte sein KERS aber auch so geschickt ein, dass er sich seine Verfolger immer vom Leib halten konnte.
Er ist eben abgezockt, "der beste Alonso aller Zeiten", wie Surer vor dem Wochenende in seiner SPOX-Analyse klargestellt hat. "Der Kerl macht einfach keine Fehler", bestätigte Red-Bull-Teamchef Horner und setzte schon zu ersten Durchhalteparolen an: "Wir müssen ihn jetzt so schnell wie möglich in einen hetzen und den Druck weiter hochhalten."
Alonso mahnt weiter: Red Bull und McLaren schneller
Druck macht sich Alonso aber schon selbst genug. Er hat aus dem Jahr 2010 gelernt. Noch einmal will er einen WM-Titel nicht im letzten Rennen verlieren. Schon gar nicht gegen Vettel.Seine Marschrichtung für die zweite Saisonhälfte ist klar: "Unser Auto hat keine Schwachstellen mehr. Es ist überall unter allen Bedingungen schnell. Trotzdem müssen wir ehrlich zu uns selbst sein. Red Bull und McLaren hatten heute schnellere Autos als wir. Deshalb dürfen wir uns bei der Weiterentwicklung keine Blöße geben."
McLaren: WM-Entscheidung erst im letzten Rennen
Darauf, dass genau das passiert, hofft McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh: "Es ist erst die Hälfte der Saison vorbei. Wir hatten unsere schweren Zeiten schon. Für Alonso könnten sie noch kommen. Ich habe das Gefühl, dass dieser Titel erst in den letzten Runden beim GP in Brasilien entschieden wird."
Im Sinne einer bis zum Ende spannenden Saison kann man sich nur wünschen, dass er Recht behält.
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