Alle Fahrer außer Max Chilton teilten nach dem Rennen in Suzuka ihre Gedanken zum Unfall mit. Der zweite Marussia-Pilot schwieg lieber, was nachvollziehbar ist. Das gesamte Paddock war sich ohnehin einig, am besten brachte wohl Jenson Button die Gedanken zum Ausdruck: "Für mich spielt das heutige Rennen keine Rolle. Das war ein Unfall, von dem man hofft, ihn nie in der Formel 1 zu sehen."
Die Formel 1 ist in der Realität angekommen. "Nach so einem Unfall, den keiner von uns haben und sehen will, kommen natürlich viele Fragen auf. Es ist aber klar, dass die Priorität der FIA und der Rennleitung über all die Jahre bei Entscheidungen immer beim Thema Sicherheit der Fahrer lag. Das muss ich unterstreichen", sagte Alex Wurz, der gerade erst zum Vorsitzenden der Fahrergewerkschaft GPDA gewählt wurde.
Geschlossenes Cockpit als Lösung denkbar
Am Sicherheitsstreben besteht kein Zweifel. Doch eins ist klar: Selbst die modernen Hochsicherheitsautos haben eine Schwachstelle, die nun schmerzlich offenbart wurde: Das offene Cockpit. Williams-Chefingenieur Rob Smedley weiß das aus eigener Erfahrung. Er war 2008 bei Ferrari der Renningenieur von Felipe Massa, dem der Einschlag einer Feder am Helm fast das Leben gekostet hätte. Seitdem befürwortet er die Einführung neuer Sicherheitstechnik.
"Darüber haben wir in Technischen Arbeitsgruppen diskutiert", so Smedley: "Wir haben seitdem viel hin und her diskutiert. Das Kapitel ist auch noch nicht ganz abgeschlossen." Es ist brandaktuell. Würden geschlossene Cockpits oder ein Überrollkäfig die Gefahr beheben würden? "Aus technischer Sicht wäre das sehr einfach zu implementieren", erklärte Smedley.
Doch ist diese Sicherheit überhaupt gewünscht? Fahrersprecher Wurz war schon nach seinem schweren Crash in Melbourne 2007 dagegen, weil er ein Kernelement der Formel 1 in Gefahr sah: "Wenn sie das machen, hätten sie gleich bei Sportautos bleiben können." Ob er mittlerweile seine Meinung geändert hat, ist nicht bekannt.
Lieber cooler Look als Sicherheit?
"Es würde natürlich den Look der Formel 1-Autos ändern. Da gibt es natürlich die ästhetische Frage, ob das zu einer Serie mit freistehenden Rädern und offenen Cockpits passt", räumte auch Smedley ein: "Wenn wir aber ein Formel 1-Auto von heute mit einem aus den 50er Jahren vergleichen, dann hat sich der Look sehr stark geändert. Die sehen sich nicht mehr ähnlich. Deshalb weiß ich nicht, ob das Argument der Ästhetik wirklich zieht. Vielleicht für andere Leute."
Die Diskussion muss nach dem Crash von Jules Bianchi jetzt wieder aufflammen. Sie muss geführt werden. Es ist nicht entscheidend, was das Unglück auslöste. Es zählt, wie es endete. "Wir müssen daraus lernen, damit wir so etwas künftig vermeiden können", sagte Sebastian Vettel.
"Jetzt, wo wir hier am Sonntagabend nach dem Japan GP darüber reden, hätte ich mir natürlich gewünscht, die Autos hätten schon einen umschließenden Cockpitschutz", sagte auch Smedley, gab aber zu: "Ich habe keine Ahnung, ob das etwas am Schicksal von Jules geändert hätte. Da habe ich zu wenige Informationen."
Bergungsfahrzeug als Problem
Die Bilder vom Marussia-Wrack deuten unterdessen darauf hin, dass ein zusätzlicher Schutz über dem Helm kaum geholfen hätte. Das Problem war ein anderes: Der seitliche Einschlag in das Heck des Bergungsfahrzeugs. Ein Blick auf die Konstruktion dieser Lader verdeutlicht die Schwierigkeit.
Um die Last des Gewichts vorne auszugleichen ist auf der Hinterachse ein Gegengewicht nötig. Dieses massive Bauteil traf Bianchi. Weil der Aufbau schräg konzipiert ist, rutschte sein Auto teils unter den Traktor, der schützende Überrollbügel riss ab, der Kopf wurde getroffen.
"Da stellt sich die Frage, was diese Fliehkräfte beim ersten Aufprall absorbiert hat. War es der Helm, oder der Überrollbügel? Da kommt es vielleicht auf zwei oder drei Grad beim Winkel des Aufpralls an", verdeutlichte Wurz im "ORF".
Brundle verletzte Streckenposten
Der Ansatzpunkt, den die Formel 1 nun besprechen muss, ist nicht zwingend die Konstruktion der Autos. Vielmehr geht es um die Unsicherheit der Umgebung. "Solche Unfälle sind unglaublich gefährlich, weil ein Kranwagen so zerklüftet ist", sagt Ex-Fahrer Martin Brundle: "Ich habe bei einem Unfall ein solches Vehikel um Millimeter verpasst, aber einen Streckenposten getroffen. Er erlitt Knochenbrüche. Das war eine der schlimmsten Erfahrungen meiner Karriere."
Eine Lösung könnte sein, die Bergungsfahrzeuge sicherer zu gestalten. Können Sie verkleidet werden - etwa mit einer Art SAFER-Barrier, wie sie auf US-Ovalen eingesetzt werden? Mit zusammengeschweißten Stahlröhren, hinter denen Kunststoff-Blöcke montiert sind, wird auf den amerikanischen Hochgeschwindigkeitsstrecken ein Teil der Aufprallenergie absolviert, um lebensbedrohliche Verletzungen zu verhindern.
Die Frage ist, ob eine solche Entwicklung umzusetzen wäre und wer dafür die Kosten trägt. Zumal eine deutlich kostengünstigere Lösung ohne Probleme sofort umzusetzen wäre. Wenn kein Bergungsfahrzeug auf der Strecke ist, kann schließlich kaum ein Unfall passieren. Auch hier steht der US-Motorsport Pate.
Villeneuve: "Amerika zum Vorbild nehmen"
"Die Safety-Car-Regeln müssen geändert werden, da sollte man sich Amerika zum Vorbild nehmen. Dort kommt das Safety-Car jedes Mal auf die Strecke, wenn es einen Unfall gibt", forderte Weltmeister der Saison 1997 bei "'Motorsport-Total.com" und griff indirekt die Rennleitung an: "Es sollte keinen Spielraum mehr für subjektive Einschätzungen geben."
Stattdessen will er eine Anpassung des sportlichen Reglements. "Es sollte eine Regel geben, nach der bei jedem Unfall das Safety-Car kommt - ganz egal, wie schlimm es auch sein mag", so Villeneuve, der auch die Marshals unterstützen will: "Streckenposten sollten nicht über die Strecke laufen und Trümmer einsammeln, während die Autos vorbeifahren. Nehmt diesen Bewertungsspielraum weg!"
Die Sicherheit würde dadurch definitiv erhöht. Doch wie würde sich der Sport verändern? Herausgefahrene Abstände wären noch öfter hinfällig. Der Kanadier weiß genau, dass sich viele Zuschauer darüber aufregen würden. Ihm ist es aber egal. Er will Sicherheit, auch wenn es nicht allen gefällt.
Vettel kritisiert Medien
In eine ähnliche Kerbe schlug Vettel, der wie Wurz ebenfalls die Fahrergewerkschaft vertritt. Er sieht die Ursache allerdings nicht in den Regeln begründet, sondern in der fehlenden Flexibilität. "Die Leute sind schon 1976 daran gescheitert, die Startzeit zu verlegen und tun es heute immer noch", so der Weltmeister.
Der Heppenheimer spielte damit auf das damalige Saisonfinale in Fuji an, als der Start solange herausgezögert wurde, bis es langsam dunkel wurde. Bei dem riesigen Medieninteresse am WM-Duell zwischen James Hunt und Niki Lauda war eine Absage verhindert wurden, stattdessen schlingerten die Wagen um die viel zu nasse Strecke. Lauda stieg freiwillig aus und schenkte Hunt den Titel.
Eine Verlegung des Starts hätte aus Vettels Sicht die Probleme beseitigt. Sie kam aber nicht zustande. "Es ist offensichtlich der Druck von TV und Medien, der es nicht erlaubt. Unter diesen Umständen hat die Rennleitung getan, was sie konnte", so der 27-Jährige. Die Vorverlegung des Starts angesichts des Supertaifuns Phanfone soll allerdings von den Rennstreckenbetreibern abgelehnt worden sein.
"Das sind Dinge, die der Promoter mit der FIA zusammen entscheiden muss und da hat es Diskussionen gegeben", sagte Wurz, der auf Start hinter dem Safety-Car und seinen langen Einsatz hinwies: "Alle Entscheidungen, die vom Rennleiter Charlie Whiting gefällt wurden, waren absolut in Ordnung. Wie schon seit vielen Jahren hat die FIA einen guten Job gemacht. Mit dem Rennverlauf war bis zum dem Unfall sicher alles in Ordnung."
Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM