Vom Brötchenhändler zum fast-ewigen Zampano

Dominik Geißler
06. April 201711:35
Ecclestone ist für Fotografen ein gern gesehener Manngetty
Werbung

Bernie Ecclestone hat die Formel 1 zu dem gemacht, was sie heute ist. Rund 40 Jahre leitete der eigenwillige Zampano die Geschicke der Königsklasse, nun gab er seine Absetzung als F1-Geschäftsführer bekannt. Zu diesem Anlass blickt SPOX nochmals auf seine einzigartige Karriere zurück, die genauso von unternehmerischer Cleverness wie von dubiosen Machenschaften und eiskaltem Handeln geprägt war. Nur sein Ende hatte sich Ecclestone wohl anders vorgestellt.

Es klingt unglaublich: Für sagenhafte 100 Jahre überschrieb der damalige FIA-Präsident Max Mosley die Übertragungsrechte der Formel 1 an Bernie Ecclestones Unternehmensgruppe Formula One Group im Jahr 2001. Der Clou: Für den ab der Saison 2011 geltenden Vertrag wurden 370 Millionen Euro fällig.

Dem Deal war eine jahrelange Auseinandersetzung zwischen den Formel-1-Organisatoren und der Europäischen Union vorausgegangen. Ecclestone hatte mit seinem Verhandlungsgeschick der FIA die Vermarktungsrechte für Fernsehübertragungen und Rennen für umgerechnet rund 8 Millionen Euro abgeschwatzt, bei einem jährlichen Gewinn von über 250 Millionen.

Der EU gefiel das nicht. Sie schritt ein, um eine Monopolstellung zu verhindern. Ecclestone umging das Verbot: Er lieh sich die Rechte, statt sie zu kaufen, und machte trotzdem Gewinn. 370 Millionen für ein Jahrhundert bedeuten 3,7 Millionen pro Jahr. Allein RTL soll für eine Saison knapp 50 Millionen bezahlen, um die vermeintliche Königsklasse zu übertragen.

Die Begleitumstände sind typisch für den Briten: Gerüchten zufolge wurde Mosley eine hohe Summe für die Unterschrift geboten. Sicher ist: Ecclestone führte die vermeintliche Königsklasse des Motorsports daraufhin endgültig fast im Alleingang, lange unterstützt von seinem Kompagnon Mosley.

Goldenes Geschäft mit Brabham

Beide Protagonisten kannten sich schon lange vor den Millionen-Verträgen. Bereits in Ecclestones Zeit als Teamchef von Brabham arbeitete der gelernte Anwalt, langjähriger Freund und Trauzeuge bei Ecclestones dritter Hochzeit, als Rechtsbeistand für den kleinen Silberrücken.

Als Ecclestone das Mittelfeld-Team 1972 kaufte, begann umgehend sein kometenhafter Aufstieg. Nelson Piquet wurde 1981 und 1983 Weltmeister, selbst sein früherer Fahrer Niki Lauda warnte: "Man sollte niemals den Fehler machen, Ecclestone zu unterschätzen." Er sei der perfekte Geschäftsmann.

Ecclestone ist für Fotografen ein gern gesehener Manngetty

Dass diese Aussage nicht allzu weit hergeholt ist, zeigt folgende Tatsache: Ecclestone legte beim Kauf von Brabham 120.000 US-Dollar auf den Tisch. Beim Weiterverkauf 15 Jahre später erhielt der Engländer ganze 5 Millionen US-Dollar. Das entspricht einer über 40-fachen Wertsteigerung.

Dubiose Praktiken als Autohändler

Ecclestone bewies seinen Geschäftssinn jedoch schon viel früher. So wickelte der 1930 in Ipswich geborene Sohn eines Fischkutterkapitäns bereits mit elf Jahren erste unternehmerische Tätigkeiten ab: In den umliegenden Bäckereien kaufte er Brötchen, um diese dann mit 25 Prozent Aufschlag auf dem Schulhof anzubieten.

Ohne Abschluss brach er seine Ausbildung schließlich ab und zeigte sofort, dass er kein Problem mit dubiosen Geschäftspraktiken hat. "Ich kam nicht zurecht mit Ecclestones Geschwindigkeit und seinen Geschäftsmethoden", sagte sein ehemaliger Geschäftspartner, mit dem er nach der Schulzeit Autos und Motorräder verkaufte. Manipulierte Kilometerstandzähler sollen an der Tagesordnung gestanden haben, überhöhte Verkaufspreise waren standard.

Mäßige Rennfahrerkarriere

Nebenbei versuchte sich Ecclestone mit äußerst dürftigem Erfolg als Rennfahrer. Bei beiden Versuchen in der Formel 1 verpasste er die Qualifikation. "Mir wurde klar, dass ich nicht das Risiko eingehen wollte, den Rest meines Lebens im Bett zu liegen, weil ich mir das Rückgrat gebrochen hatte", erklärte der knapp 1,60 Meter kleine Brite seine anschließende Konzentration aufs Business.

Er übernahm das Connaught-Team, für das er selbst fuhr, zur Saison 1957 und wurde Manager von Stuart Lewis-Evans, der bei 14 Formel-1-Rennen an den Start ging. Als dieser bei einem Rennunfall tödlich verunglückte, hatte der tief getroffene Ecclestone aber vorerst genug vom Motorsport und verkaufte Connaught.

Erst Jahre später näherte sich Bernie wieder dem Rennsport und übernahm das Management des späteren Formel-1-Weltmeisters Jochen Rindt. "Jochen war ein Freund. Ich habe mich um seine Angelegenheiten gekümmert", beschrieb Ecclestone nach dessen tragischem Unfall-Tod im Jahr 1970 die Beziehung der beiden Männer.

"Unorganisierter Sauhaufen"

Dem Aufstieg des Mister E machte dieser Schicksalsschlag jedoch keinen Abbruch. Er wollte mehr. Die Formel 1 bis in die 70er-Jahre war im Vergleich zu heute eine wilde, wenig strukturierte Rennserie. Hans-Joachim Stuck, Präsident des Deutschen Motor Sport Bundes und früherer selbst für Ecclestone in der Formel 1 unterwegs, sprach im Rückblick gar von einem "unorganisierten Sauhaufen". Das finanzielle Potenzial der Königsklasse des Motorsports übersahen die Verantwortlichen.

Nicht so Ecclestone: Der Brite mit Schuhgröße 38 erkannte den wirtschaftlichen Wert der Formel 1 - vorausgesetzt, es würde an den richtigen Schrauben gedreht. Ecclestone tat das. Eine seiner ersten Amtshandlungen nach dem Kauf von Brabham war die Gründung der Konstrukteursvereinigung FOCA im Jahr 1971. Mosley war als Rechtsbeistand tätig.

Mithilfe der FOCA agierte Ecclestone im Auftrag der englischen Teams und verhandelte für diese erstmals gemeinsame Antrittsgebühren. Zuvor tat dies jedes Team einzeln, wodurch das große Geld nur an die jeweiligen Veranstalter ging. Durch seine Tätigkeit rettete Ecclestone einerseits die Teams vor dem Bankrott, andererseits sicherte er sich Provisionen von bis zu acht Prozent.

Damit nicht genug. Nachdem er Geschäftsführer der FOCA geworden war, kaufte Ecclestone den Veranstaltern die Austragungsrechte für die Grands Prix ab und vermarktete mithilfe des 1981 geschlossenen Concorde Agreements die Rechte für die TV-Übertragungen.

FOCA-FISA-Krieg

SPOXDiesem Abkommen war ein erbitterter Kampf zwischen der FOCA und der FISA, einer Unterorganisation der FIA, vorausgegangen. Die FISA veranlasste unter der Leitung ihres Präsidenten Jean-Marie Balestre zu Beginn der 80er-Jahre wiederholt Regeländerungen, die die FOCA-Teams benachteiligten. Ecclestone drohte im Gegenzug seinem Rivalen mit Boykotts der englischen Teams. Balestre ließ sich davon wenig beeindrucken und hielt an seinem Kurs fest, ehe die Situation beim Großen Preis von San Marino 1982 eskalierte.

Die FISA disqualifizierte aufgrund eines Regelverstoßes beim vorangegangenen Rennen den Brabham von Piquet sowie den Williams von Keke Rosberg, was die FOCA wiederum als Provokation ansah. Alle englischen Teams boykottierten unter Ecclestones Anleitung das Rennen in Imola, wodurch nur sieben Teams an den Start gingen - darunter Renault, Alfa Romeo und Ferrari, die allesamt die FISA unterstützten.

Nachdem jedoch - auf Initiative von Enzo Ferrari - alle Seiten ihre Unstimmigkeiten bei einem Treffen ausräumten, unterzeichneten die Verantwortlichen das Concorde Agreement. So musste sich auch Balestre seinem Erzfeind Ecclestone geschlagen geben.

In der Folge war die FIA zwar Inhaber der kommerziellen Rechte, verlieh diese aber an die FOCA. So konnte der "kleine Mistkerl", wie sich Ecclestone selbst einmal bezeichnete, die Fernsehübertragungsrechte verwalten und an die Europäische Rundfunkunion vermieten.

Diese übertrug nun alle Rennen live, was die Formel 1 wiederum für Sponsoren attraktiv machte und Geld in die Kassen der Teams spülte - und in die von Bernard Charles Ecclestone. Endlich wurde die Formel 1 zu einer Weltmarke ganz nach dem Geschmack des "Architekten der Formel 1".

Als Balestre geschlagen war, sorgte Ecclestone schließlich dafür, dass Mosley 1993 zum neuen FIA-Präsidenten gewählt wurde. Damit hatte er sich aller mächtigen Gegenspieler im Formel-1-Kosmos entledigt und seinen engsten Verbündeten als direkten Komplizen an seiner Seite. Ecclestone selbst beschrieb die Zusammenarbeit mit Mosley mit klaren Worten: "Wir sind nicht so etwas wie die Mafia, wir sind die Mafia."

Erst im Jahre 2009 endete die Zusammenarbeit der beiden Freunde. Als Mosley in einen Sexskandal verwickelt wurde, legte dieser sein Amt nieder. Kurios: Ecclestone war einer der Ersten, der den Rücktritt des FIA-Präsidenten forderte. "Er sollte aus Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Institutionen, die er vertritt, zurücktreten", sagte er damals im Daily Telegraph: "Jeder, mit dem ich gesprochen habe, hat mich aufgefordert, Max zu sagen, dass er gehen sollte."

Macht geht vor Freundschaft

Mosley beging aus Sicht Ecclestones einen großen Fehler: Er forderte kurz vor dem Skandal eine Budgetbeschränkung für die Formel-1-Teams sowie eine gerechtere Geldverteilung. Damit stellte er sich gegen den Impresario. Für einen Mann, dem sich alle unterordnen müssen, ein wohl unverzeihbares Vergehen, das Konsequenzen nach sich ziehen musste - ungeachtet einer Jahrzehnten langen Freundschaft.

Ecclestone ist hart zu demjenigen, der ihm im Weg steht und verwöhnt diejenigen, von denen er etwas will - auch wenn er diese Menschen im selben Augenblick verachtet. "Die sind doch wie Geier, habgierig", soll er einmal gesagt haben: "Die fressen mich auf."

Und doch kokettierte der mehrfache Milliardär stets mit seinem Vermögen und der Bedeutung von Geld, welches er als die wahre Weltreligion ansieht: "Ich bin der Beste. Ich kann mir jeden Menschen kaufen, jeden da draußen. Für Geld machen die alles!"

Da passt es nur ins Bild, dass sich der damalige Formel-1-Boss 2014 vor dem Münchner Landgericht wegen Bestechung und Anstiftung zur Untreue in besonders schwerem Fall verantworten musste. Das Verfahren wurde nach einer Zahlung von rund 75 Millionen Euro eingestellt.

Ecclestone schießt sich ins Abseits

Mittlerweile handelte der weißhäuptige Mann mit der großen runden Brille eben nicht mehr mit Brötchen, sondern mit Millionen von Euro und avancierte zum Chef-Promoter der Formel 1. Und doch hat Ecclestone in den vergangenen Jahren Stück für Stück an Macht verloren. Die Verantwortlichen hörten nicht mehr widerstandslos auf ihren Boss, zu isoliert war der heute 86-Jährige im großen Zirkus des Motorsports.

Als dann das US-Medienimperium Liberty Media 2016 mit der Übernahme der Formel 1 begann, war klar: Ecclestones Tage als Regent sind gezählt. Zu oft wurde ihm in der jüngeren Vergangenheit der Rücktritt nahegelegt. Zu wenig öffnete er sich der Gegenwart. Das Internet war für ihn bis zuletzt eine Spielerei, wirtschaftlichen Nutzen sah er darin nicht.

Auch Ecclestones Ideen für die Zukunft der Formel 1 lösten in regelmäßigen Abständen bestenfalls Gelächter aus. Ein Auszug aus dem facettenreichen Ideenregister: künstlicher Regen für spannendere Rennen, eine Formel 1 nur für Frauen oder eine gleiche Punkteverteilung für Qualifying und Rennen, in denen der Polesetter von Platz zwölf starten sollte.

Auch das Aussterben traditionsreicher Grand-Prix-Strecken wird dem jahrelangem Strippenzieher zur Last gelegt. Für ihn zähle nur sein eigenes Geld, die finanziellen Probleme anderer Parteien seien ihm egal.

Trotzdem bekam Ecclestone auch immer wieder Unterstützung. "Die Formel 1 braucht ihn in diesen schwierigen Zeiten mehr als jemals zuvor", sagte etwa Red-Bull-Teamchef Christian Horner der DPA noch 2014: "Es gibt einige Teams, die zu kämpfen haben. Es gibt einige Promoter, die zu kämpfen haben. Bernie ist einer, der alles zusammenhält." Er allein habe "die Formel 1 aufgebaut und zu dem Business gemacht, das sie heute ist."

"Ich wurde abgesetzt. Bin einfach weg."

Ecclestone selbst sah seine Karriere ohnehin lange noch nicht am Ende. "Rente ist nichts für mich", betonte er stets. Doch die Zeiten haben sich geändert. Liberty Media macht bei seiner Umstrukturierung auch vor dem "Paten" kein Halt und setzte ihn zunehmend unter Druck, seinen Posten zu räumen.

"Ich wurde heute abgesetzt. Bin einfach weg. Das ist offiziell. Ich führe die Firma nicht mehr", bestätigte Ecclestone dann am Montag gegenüber auto, motor und sport. Ein Novum für den ewigen Macher: Zum ersten Mal in seiner Karriere musste er das tun, was andere von ihm verlangten.

Das einzige, was ihm nun bleibt, ist das Amt des Ehrenpräsidenten der Formel 1. Für den fast-ewigen Zampano wohl eine Schmach: "Meine neue Position ist jetzt so ein amerikanischer Ausdruck. Eine Art Ehrenpräsident. Ich führe diesen Titel ohne zu wissen, was er bedeutet."

Der Formel-1-Kalender 2017 im Überblick