Die Überraschung scheint programmiert

Alexander Maack
04. März 201622:09
Neue Podiumskandidaten: Force Indias Sergio Perez schaute sich den Toro Rosso in Barcelona genau anxpb
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Die Formel-1-Testfahrten sind vorbei, in weniger als zwei Wochen kommt es zum Kräftemessen beim Saisonauftakt in Melbourne. Obwohl bis zum Australien-GP (alle Sessions im Liveticker) noch Zeit zur Feinjustierung bleibt, zeichnete sich schon in Barcelona eine Hackordnung ab. Die Teams teilen das Feld in drei Abschnitte auf.

11. Manor

Mit dem neuerworbenen Mercedes-Antrieb will das Hinterbänklerteam in der Saison 2016 den Anschluss ans Mittelfeld schaffen. Geht es auf eine Motorenstrecke, dürfte das gelingen. Die Karosserie hinkt der Konkurrenz aber noch weit hinterher. Nach der geradeso abgewendeten Insolvenz vor der Saison 2015 ist das kein Wunder. Positiv ausgedrückt: Am Auto der Rookies Pascal Wehrlein und Ryo Haryanto gibt es viel Verbesserungspotenzial.

Der MRT05 ist besonders im Heck die Basisversion eines modernen Formel-1-Autos. Wo andere mit Schächten die Luft an den störenden Hinterreifen vorbei leiten, ist der Unterboden beim Manor unberührt. Die Briten scheinen einen logischen Weg gewählt zu haben: Sie beginnen am vorderen Ende des Autos, selbiges aerodynamisch komplexer zu machen. Wehrlein und Haryanto werden näher an die anderen Fahrer herankommen als Will Stevens, Roberto Merhi und Alexander Rossi im Vorjahr, sie werden sie aber nur unter besonderen Umständen hinter sich lassen.

10. Sauber

Die Schweizer spielten beim ersten Test vorne mit. Das gelang ihnen aber nur, weil sie ihre Systeme nicht langsam hochfahren mussten. Sie waren noch mit dem Jahreswagen unterwegs, der neue C35 nicht rechtzeitig fertig, obwohl keine radikale Neuerung in der Designphilosophie vorgenommen wurde.

Während der zweiten Woche in Montjuic mussten Monisha Kaltenborns Mitarbeiter also das erledigen, was alle anderen schon acht Tage zuvor gemacht hatten. Das Resultat: Sauber lag teilweise auf derselben Reifenmischung sogar hinter Manor. Es ist schwer vorstellbar, dass dem Underdog in der Saison 2016 eine Überraschung gelingt. Stattdessen sieht es aktuell nach einem Kampf gegen die neuen Mercedes-Kunden aus.

9. Renault

Schwierigkeiten waren nach der späten Übernahme programmiert. Die Tests begannen mit immensen technischen Schwierigkeiten, Rookie Jolyon Palmer bekam bis zum Ende kaum Fahrzeit. Das Auto aus Enstone macht zudem weiter den Eindruck, auf der Strecke eine bockige Diva zu sein, die für die Fahrer kaum berechenbar ist. Der wesentliche Fortschritt aus Renault-Sicht: Der Motor zickt weniger. Die Fahrbarkeit wurde stark verbessert.

Das reicht jedoch nicht, um irgendwen anzugreifen. Für Renault stellt sich daher eine Frage: Wie lange soll das aktuelle Auto weiterentwickelt werden, mit dem nichts zu erreichen sein wird? Zur Saison 2017 steht die Umstellung des technischen Reglements an. Wahrscheinlich wird in Enstone wesentlich früher für das nächste Jahr entwickelt als bei den anderen Teams. Tanking in der Formel 1. Zumal die Konkurrenz Lotus' Finanzprobleme genutzt hat, um Personal abzuwerben - noch ein Grund, die Saison 2016 nur zur Neuaufstellung zu nutzen.

8. Haas

Ein rennsportbegeisterter Milliardär aus den USA, ganz viel Unterstützung von Ferrari und schon ist ein Rennstall von Beginn an ein ernstzunehmender Wettbewerber. Was Manor bis heute nicht hinbekommt, schafft Haas von Beginn an: regelmäßig um Punkte kämpfen. Auch wenn das Team von Gene Haas derzeit noch mit Eingewöhnungsschwierigkeiten kämpft und während der zweiten Woche mannigfaltige Probleme hatte, das Potenzial für eine richtig dicke Überraschung ist da.

Probleme mit dem Turbolader werden dank Ferraris technischer Hilfe schnell gelöst sein, auch die Bremsen sollten bald kein Problem mehr machen.

7. McLaren-Honda

Die erste Woche in Barcelona endete miserabel, doch das ist egal. Die finale Version der überarbeiteten Honda-Powerunit kam erst zur zweiten Woche. Mit einem Jahr Verspätung hat McLaren endlich ein Auto, das für einen Renneinsatz bereit ist. Zumindest die Haltbarkeit scheint jetzt zu stimmen.

Allerdings droht den früheren Weltmeistern aus Woking nun das Red-Bull-Problem der Saison 2015: fehlende Leistung bei schlecht kontrollierbarer Leistungsausschüttung. Erst wenn auch die Fahrbarkeit des Antriebs besser wird, können Fernando Alonso und Jenson Button die Stärke der Karosserie ausspielen.

6. Red Bull

Der Rennstall aus Milton Keynes hat weiterhin ein einziges Problem: Renault - Verzeihung: die Powerunit heißt ja offiziell Tag Heuer. Das Auto verhält sich in den Kurven ähnlich wie das des Weltmeisters. Die Fahrer können sich blind darauf verlassen, dass der RB12 ihre Anweisungen zum Richtungswechsel perfekt umsetzt.

Trotzdem haben die Autos zu wenig Leistung. Der Red Bull mit Mercedes-Motor würde mit Ferrari und den Silberpfeilen kämpfen. Mit Renault-Power bleibt das Team im Mittelfeld. Da können die eigenen Ingenieure noch so innovativ arbeiten. Erst wenn sich die Arbeit von Motorenpapst Mario Illien zu Saisonmitte auszahlt, ist ein Leistungssprung zu erwarten.

5. Williams

Wie sehr hat sich das Traditionsteam darum bemüht, die eigene Leistungsfähigkeit zu verstecken? Das ist die zentrale Frage bei der Bewertung von Williams. Für die Saison 2014 hatten die Ingenieure einen herausragenden Job gemacht und sich perfekt auf die neuen Regeln eingestellt. Doch der Vorsprung schmolz, als Ferrari die eigene Power Unit und das Auto verbesserte. Ein Jahr später kratzte Williams nur noch ab und an am Heck der roten Renner.

Das zu wiederholen können sich Valtteri Bottas und Felipe Massa für die Saison 2016 wohl abschminken. Bei Williams macht sich das geringere Entwicklungsbudget deutlich bemerkbar. Mit den härteren Reifenmischungen hatte das Team in Barcelona stark zu kämpfen. In langsamen und mittelschnellen Kurven sind Toro Rosso, Mercedes, Red Bull und Ferrari weiterhin mehrere Wagenlängen voraus. Der Williams könnte auf allen Kursen außer den Motorenstrecken die Enttäuschung des Jahres werden.

4. Force India

Schon der erste Test bot die Gelegenheit, sich verwundert die Augen zu reiben. Nico Hülkenberg setzte am dritten Tag die absolute Bestzeit. Ja, er fuhr auf den neuen ultrasoften Reifen und er hatte wohl auch wenig Benzin im Tank. Doch der VJM09 bietet die Möglichkeit für den regelmäßigen Kampf ums Podest, da er sich von den anderen Teams unterscheidet. Force India scheint weiter auf ein ausgezeichnetes Reifenmanagement zu setzen. Das zahlt sich vor allem über die Renndistanz aus.

Das Team aus Silverstone ist seit jeher ein Meister, wenn es darum geht, das vorhandene Budget effektiv zu nutzen. Der Mercedes-Antrieb ist die größte Stärke; bei der Aerodynamik haben die Engländer einen riesigen Schritt gemacht, seit sie im Jahr 2015 komplett auf den Toyota-Windkanal in Köln umgestiegen sind. Der ist wohl der beste der Welt. Die Mannschaft von Vijay Mallya hat den bedeutendsten Entwicklungsschritt aller Teams seit dem Saisonbeginn 2015 hingelegt.

3. Toro Rosso

Das B-Team vor dem mehrfachen Weltmeister-Rennstall? Der Grund dafür ist die Ferrari-Power-Unit, die im Heck des Faenza-Renners arbeitet. Es mag nur die Ausbaustufe des Jahres 2015 sein, doch die ist wesentlich besser als der alte Renault-Antrieb. Bedenkt man zudem, wie kurz die Zeit für James Allisons' Mitarbeiter war, das Auto um den italienischen Antrieb zu bauen, deutet sich ein riesiges Potenzial an.

Die Zuverlässigkeit des Toro Rosso stimmte in Montjuic bei Barcelona. Bis zum Australien-GP wird das Auto noch deutlich verändert werden. Besonders in den langsamen Kurven des dritten Sektors waren Max Verstappen und Carlos Sainz jr. schon bei den Testfahrten bei der Musik. Allerdings hat Toro Rosso eine Einschränkung, die den Saisonverlauf beeinflusst: Der Vorjahresmotor wird nicht weiterentwickelt.

2. Ferrari

Die Scuderia verschleierte ihre Leistungsfähigkeit erfolgreich. Täglich gingen die Roten schon in der Morgensession mit den neueingeführten pinken Ultrasofts auf die Strecke. Ein paar schnelle Runden und schon sieht der unaufmerksame Beobachter keine Veränderung mehr auf dem Zeitendisplay. Was Ferrari damit verdeckte: Bei den Rennsimulationen am Nachmittag gingen Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen das Tempo der Silberpfeile mit.

Zwar gab es Probleme mit der Zuverlässigkeit, die sind durch den radikalen Umbau von Karosserie und Power Unit aber nachvollziehbar. Ferrari hat einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Auf einigen Kursen werden Räikkönen und Vettel mit Lewis Hamilton und Nico Rosberg mindestens auf Augenhöhe sein, auf einigen ein paar Sekunden zurückliegen. Sicher ist, dass sich Mercedes wesentlich wärmer anziehen muss als in den letzten beiden Jahren und dass Ferrari die Verfolger um Williams, Force India und Red Bull über den Winter abgehängt hat.

1. Mercedes

Der W07 ist die Reinkarnation seiner Vorgänger, aber keine wirkliche Weiterentwicklung. Der neue Mercedes hat sämtliche Stärken erhalten: stabiles Bremsverhalten, starke Beschleunigung und kaum zu erklärende Präzision beim Richtungswechsel. Doch unter der Haube und bei der Aerodynamik sind die Designer völlig neue Wege gegangen. Der Silberpfeil bleibt das Maß aller Dinge - auch weil die Aerodynamiker das überlegene Konzept wohl nochmals verbessert haben.

Der größte Pluspunkt ist aber die unglaubliche Zuverlässigkeit. Mercedes blieb bei seinem irren Marathonprogramm in Montjuic ein einziges Mal stehen: Hamilton stellte den W07 am letzten Tag nach Getriebeproblemen auf der Zielgerade ab. Sonst? Käfer'sche Dauerläufe. Sie rollten und rollten und... schafften am Ende 6233 Kilometer an acht Tagen. Die Distanz reicht, um 20 Formel-1-Rennen zu beenden. Ferrari schaffte sieben Renndistanzen weniger. Nur ein paar Stunden mehr und Mercedes hätte die gesamte Saison schon vor dem ersten GP abgefahren.

Mercedes versteckte seine wahre Leistungsfähigkeit noch, für das Qualifying probierte die Brackley-Truppe überhaupt nicht und verzichtete auf die Bestellung der beiden weichsten Pirelli-Mischungen. Der Fokus lag ausschließlich auf Distanzläufen. Das ist wenig verwunderlich, schließlich war der Quali-Modus der Mercedes-Hybridmonster schon im letzten Jahr herausragend. Im Renntrim hat Ferrari den Rückstand aber aufgeholt, das zeigten vergleichbare Runs im zweiten Barcelona-Test.

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