Der Unvollendete

Von Sebastian Schuch
John Watson gewann fünf Rennen in der Formel 1
© getty

John Watson war in den 1970ern und 1980ern einer der begnadetsten Fahrer der Formel 1. Dabei trotzte er allen Widrigkeiten, die ihm in den Weg gelegt wurden. Dennoch gilt er bis heute als einer der am meisten unterschätzten Racer aller Zeiten - weil ihm der große Wurf verwehrt blieb.

Cookie-Einstellungen

Die Formel 1-Saison 1977. John Marshall Watson war gerade zu Brabham gewechselt. Das neue Team sollte ihm zu seiner erfolgreichsten Saison in der bisherigen Karriere verhelfen und "Wattie" den Kampf um den Titel ermöglichen. Doch das Schicksal war dem Nordiren nicht hold.

Nach sieben Rennen war der Traum vom großen Wurf bereits ausgeträumt. Bis dato erblickte Watson lediglich beim dritten Saisonrennen in Südafrika als Sechster die Zielfahne. Die Gründe hierfür waren schnell gefunden und ein Abbild seiner kompletten Formel 1-Karriere: die Technik seines Autos machte ihm einen Strich durch die Rechnung und kostete ihn jeweils mindestens das Podium.

Anstatt um die WM zu kämpfen, konnte er nur zusehen, wie Niki Lauda seinem zweiten Titel entgegen fuhr. Noch bezeichnender als der Saisonbeginn waren die Rennen in Dijon und Silverstone. "Es hätte ein großartiger Sieg werden sollen. Ich habe einen harten Kampf mit Mario Andretti im Lotus 78 geführt und in der letzten Runde begann der Motor zu stottern. Spritmangel. Mario war auf und davon und ich wurde Zweiter", erinnert sich Watson bei motorsportmagazin.com zurück.

Hunt bringt es auf den Punkt

Bei seinem Heim-Grand-Prix in Silverstone sollte die Wiedergutmachung folgen. "Zwei Wochen später lag ich in Silverstone in Führung und es geschah schon wieder." Ihm war der Frust anzusehen. "Das waren zwei Rennen, die wir eigentlich gewonnen hätten."

Der Sieger hieß James Hunt. Dem Weltmeister des Vorjahres war sein Glück bewusst. "Ich wäre nie an ihm vorbeigekommen", sagte Hunt über das Duell mit Watson nach dem Rennen. Nach 50 Runden konnte er es dann selbst nicht fassen, Watson winkte ihn vorbei zum Sieg.

Lediglich neun Zähler konnte Watson in dieser Saison sammeln. Sein Rivale Hunt brachte es in seiner Biographie auf den Punkt: "Sein großes Problem war, nicht über das beständige Material zu verfügen, ohne das es in der Formel 1 nun einmal nicht geht." Anders ausgedrückt war der Nordire zu oft zur falschen Zeit im falschen Team.

Über Belfast in die Formel 2

Mit schlechtem oder veraltetem Material auskommen zu müssen, war für Watson nicht neu. Schon die ersten Schritte im Motorsport waren für ihn härter, als für manch andere. Der Traum, die eigenen Brötchen als Rennfahrer zu verdienen, reifte in Watson bereits als Neunjähriger.

1955 nahm ihn sein Vater Marshall mit zur Tourist Trophy auf den Hügeln hinter Belfast, an der er spaßeshalber teilnahm. "Das war so ein Familiending. Meine Mutter, meine Schwester und ich waren als Unterstützung dabei. Dann sah ich in Dundrod Fangio, Moss, Hawthorne, die Mercedes 300 SLR, die D-Types und Ferraris. Ab diesem Tag waren meine Träume glasklar."

Nachdem er alt genug war, startete Watson in verschiedenen nationalen Klassen und dominierte diese die meiste Zeit nach Belieben. "Das war nur irisches Racing. Ich habe für meinen Vater gearbeitet, aber meinen Traum niemals aus den Augen verloren." Für den Aufstieg in höhere Klassen fehlte jedoch schlichtweg das Geld.

Der Ostermontag 1969 entwickelte sich dann zu Watsons Glückstag. "Gerry Kinnane, ein lokaler Autohändler, hatte sich zwei gebrauchte Lotus 48 Formel-2-Autos gekauft. John Pollock, ein erfahrener irischer Rennfahrer, bekam ein Cockpit und mir wurde das zweite angeboten." Watsons Traum ging endgültig in Erfüllung.

Ein Traum wird wahr

In Thruxton feierte Wattie sein Debüt. "Ich war bis zum ersten Training kein einziges Mal im Auto gesessen. Außerdem hatte ich noch nie einen Renner mit Spoilern gefahren und die Formel 2 hatte damals diese riesigen Heckflügel", schildert er die ersten Erfahrungen im professionellen Formelsport.

"Ich fand es angsteinflößend, gemeinsam mit Rindt, Stewart, Courage, Siffert und all den Menschen, von denen ich jede Woche in der Zeitung las, gemeinsam auf der Strecke zu sein. Ich war paranoid und dachte, ich könnte ihnen im Weg sein", sagte Watson zurückblickend. "Doch dann wurde mein Traum wahr, ich konnte ihren Speed mitgehen und sogar einige überholen. Trotz eines Autos, das als nicht-konkurrenzfähig erachtet wurde."

Bereits sein erstes Rennen zeigte, dass er für Höheres bestimmt war. Von Platz 20 kämpfte er sich bis auf Rang fünf nach vorne. Nach 28 Runden war der Traum von Punkten zum Debüt ausgeträumt. Bei einem Crash verlor Watsons Lotus zwei Räder, doch er hatte eine erste Duftmarke gesetzt.

Im Ford Transit durch Europa

Um auch in der kommenden Saison starten zu können, legte Watson sich gemeinsam mit seinem Vater einen Brabham BT30 zu. Als privater Starter hatte er es nicht leicht und erlebte den ersten großen Rückschlag seiner Karriere. Im französischen Rouen wurde sein Auto bei einem Crash in der Streckenbegrenzung beinahe entzwei gerissen, Watson kam mit einem gebrochenen Bein sowie einem gebrochenen Arm davon.

Die Saison war gelaufen, doch für das kommende Jahr gelang es, das Auto wieder auf Vordermann zu bringen. "Wir haben den Brabham für die Saison 1971 hinbekommen, doch finanziell war es alles andere als eine leichte Zeit. Derek Bell bot mir an, nebenbei in seiner Werkstatt zu arbeiten und ich engagierte seinen Mechaniker George Brown. Es gibt einige unbesungene Helden im Rennsport und George ist einer von ihnen."

Gemeinsam mit Brown fuhr Watson in einem alten Ford Transit von Rennen zu Rennen. "Wir fuhren mit dem Brabham auf dem Hänger durch Europa. Jeder fuhr zwei Stunden, dann wurde gewechselt. Als Privatier geht es nur darum, das Rennen zu beenden, um das Startgeld für das nächste Rennen stellen zu können", erinnert sich Watson an die Zeit zurück.

Im Verlauf der Saison verwies er trotz des wiedermal veralteten Materials einige klangvolle Namen in die Schranken. Dennoch schien sein Traum zum Jahresende ausgeträumt. Wattie konnte sich den Formelsport doch nicht mehr leisten. "An Weihnachten musste ich George Brown sagen, dass ich ihn nicht mehr bezahlen konnte. Die neue 2-Liter-Formel-2 stand in den Startlöchern und ich konnte mir kein neues Auto leisten."

Die Sache mit dem "irischen Glück"

Während andere Fahrer von Tür zu Tür gegangen wären und beinahe um ein Cockpit für die kommende Saison gebettelt hätten, entsprach dies nicht seiner Natur. Unter unglücklichen Umständen kam dann das "irische Glück" zu ihm. "Leider verstarb Bert Hawthorne in Hockenheim. Alan McCall bot mir daraufhin an, für ihn zu starten."

So kam es auch, dass er 1972 für Chevron die Rothmanns 50.000 in Brands Hatch fahren durfte. Als mit Abstand Schnellster seiner Klasse bewies Wattie erneut sein Talent. "Eine Woche später hatte ich meine erste Fahrt in einem Formel-1-Auto." Bei den Testfahrten im Phoenix Park nahe Dublin gelangen ihm zwar nur 14 Runden, doch das genügte, um einen neuen Rundenrekord aufzustellen.

Bernie Ecclestone, damals noch einer von vielen Teamchefs in der Formel 1, verhalf ihm zum Start beim Race of Champions 1973 im taufrischen Brabham BT42, dem Premierenauto von Star-Designer Gordon Murray. In dem für damalige Verhältnisse unkonventionellen Wagen lernte Watson die zweite Seite des irischen Glücks kennen: Durch ein klemmendes Gaspedal konnte er den Einschlag in die Mauer nicht verhindern.

"Die Frontpartie des Autos war um etwa 90 Grad verbogen und ich war mit meinem gebrochenen rechten Bein gefangen. Ich war etwa eine Stunde in dem Wrack. Die Marshalls versuchten mich zu befreien, doch es ging einfach nicht. Hätte ich Feuer gefangen, wäre ich nicht rausgekommen."