Der Unvollendete

Sebastian Schuch
12. Mai 201614:27
John Watson gewann fünf Rennen in der Formel 1getty
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John Watson war in den 1970ern und 1980ern einer der begnadetsten Fahrer der Formel 1. Dabei trotzte er allen Widrigkeiten, die ihm in den Weg gelegt wurden. Dennoch gilt er bis heute als einer der am meisten unterschätzten Racer aller Zeiten - weil ihm der große Wurf verwehrt blieb.

Die Formel 1-Saison 1977. John Marshall Watson war gerade zu Brabham gewechselt. Das neue Team sollte ihm zu seiner erfolgreichsten Saison in der bisherigen Karriere verhelfen und "Wattie" den Kampf um den Titel ermöglichen. Doch das Schicksal war dem Nordiren nicht hold.

Nach sieben Rennen war der Traum vom großen Wurf bereits ausgeträumt. Bis dato erblickte Watson lediglich beim dritten Saisonrennen in Südafrika als Sechster die Zielfahne. Die Gründe hierfür waren schnell gefunden und ein Abbild seiner kompletten Formel 1-Karriere: die Technik seines Autos machte ihm einen Strich durch die Rechnung und kostete ihn jeweils mindestens das Podium.

Anstatt um die WM zu kämpfen, konnte er nur zusehen, wie Niki Lauda seinem zweiten Titel entgegen fuhr. Noch bezeichnender als der Saisonbeginn waren die Rennen in Dijon und Silverstone. "Es hätte ein großartiger Sieg werden sollen. Ich habe einen harten Kampf mit Mario Andretti im Lotus 78 geführt und in der letzten Runde begann der Motor zu stottern. Spritmangel. Mario war auf und davon und ich wurde Zweiter", erinnert sich Watson bei motorsportmagazin.com zurück.

Hunt bringt es auf den Punkt

Bei seinem Heim-Grand-Prix in Silverstone sollte die Wiedergutmachung folgen. "Zwei Wochen später lag ich in Silverstone in Führung und es geschah schon wieder." Ihm war der Frust anzusehen. "Das waren zwei Rennen, die wir eigentlich gewonnen hätten."

SPOXDer Sieger hieß James Hunt. Dem Weltmeister des Vorjahres war sein Glück bewusst. "Ich wäre nie an ihm vorbeigekommen", sagte Hunt über das Duell mit Watson nach dem Rennen. Nach 50 Runden konnte er es dann selbst nicht fassen, Watson winkte ihn vorbei zum Sieg.

Lediglich neun Zähler konnte Watson in dieser Saison sammeln. Sein Rivale Hunt brachte es in seiner Biographie auf den Punkt: "Sein großes Problem war, nicht über das beständige Material zu verfügen, ohne das es in der Formel 1 nun einmal nicht geht." Anders ausgedrückt war der Nordire zu oft zur falschen Zeit im falschen Team.

Über Belfast in die Formel 2

Mit schlechtem oder veraltetem Material auskommen zu müssen, war für Watson nicht neu. Schon die ersten Schritte im Motorsport waren für ihn härter, als für manch andere. Der Traum, die eigenen Brötchen als Rennfahrer zu verdienen, reifte in Watson bereits als Neunjähriger.

SPOX1955 nahm ihn sein Vater Marshall mit zur Tourist Trophy auf den Hügeln hinter Belfast, an der er spaßeshalber teilnahm. "Das war so ein Familiending. Meine Mutter, meine Schwester und ich waren als Unterstützung dabei. Dann sah ich in Dundrod Fangio, Moss, Hawthorne, die Mercedes 300 SLR, die D-Types und Ferraris. Ab diesem Tag waren meine Träume glasklar."

Nachdem er alt genug war, startete Watson in verschiedenen nationalen Klassen und dominierte diese die meiste Zeit nach Belieben. "Das war nur irisches Racing. Ich habe für meinen Vater gearbeitet, aber meinen Traum niemals aus den Augen verloren." Für den Aufstieg in höhere Klassen fehlte jedoch schlichtweg das Geld.

Der Ostermontag 1969 entwickelte sich dann zu Watsons Glückstag. "Gerry Kinnane, ein lokaler Autohändler, hatte sich zwei gebrauchte Lotus 48 Formel-2-Autos gekauft. John Pollock, ein erfahrener irischer Rennfahrer, bekam ein Cockpit und mir wurde das zweite angeboten." Watsons Traum ging endgültig in Erfüllung.

Ein Traum wird wahr

In Thruxton feierte Wattie sein Debüt. "Ich war bis zum ersten Training kein einziges Mal im Auto gesessen. Außerdem hatte ich noch nie einen Renner mit Spoilern gefahren und die Formel 2 hatte damals diese riesigen Heckflügel", schildert er die ersten Erfahrungen im professionellen Formelsport.

"Ich fand es angsteinflößend, gemeinsam mit Rindt, Stewart, Courage, Siffert und all den Menschen, von denen ich jede Woche in der Zeitung las, gemeinsam auf der Strecke zu sein. Ich war paranoid und dachte, ich könnte ihnen im Weg sein", sagte Watson zurückblickend. "Doch dann wurde mein Traum wahr, ich konnte ihren Speed mitgehen und sogar einige überholen. Trotz eines Autos, das als nicht-konkurrenzfähig erachtet wurde."

Bereits sein erstes Rennen zeigte, dass er für Höheres bestimmt war. Von Platz 20 kämpfte er sich bis auf Rang fünf nach vorne. Nach 28 Runden war der Traum von Punkten zum Debüt ausgeträumt. Bei einem Crash verlor Watsons Lotus zwei Räder, doch er hatte eine erste Duftmarke gesetzt.

Im Ford Transit durch Europa

Um auch in der kommenden Saison starten zu können, legte Watson sich gemeinsam mit seinem Vater einen Brabham BT30 zu. Als privater Starter hatte er es nicht leicht und erlebte den ersten großen Rückschlag seiner Karriere. Im französischen Rouen wurde sein Auto bei einem Crash in der Streckenbegrenzung beinahe entzwei gerissen, Watson kam mit einem gebrochenen Bein sowie einem gebrochenen Arm davon.

Die Saison war gelaufen, doch für das kommende Jahr gelang es, das Auto wieder auf Vordermann zu bringen. "Wir haben den Brabham für die Saison 1971 hinbekommen, doch finanziell war es alles andere als eine leichte Zeit. Derek Bell bot mir an, nebenbei in seiner Werkstatt zu arbeiten und ich engagierte seinen Mechaniker George Brown. Es gibt einige unbesungene Helden im Rennsport und George ist einer von ihnen."

Gemeinsam mit Brown fuhr Watson in einem alten Ford Transit von Rennen zu Rennen. "Wir fuhren mit dem Brabham auf dem Hänger durch Europa. Jeder fuhr zwei Stunden, dann wurde gewechselt. Als Privatier geht es nur darum, das Rennen zu beenden, um das Startgeld für das nächste Rennen stellen zu können", erinnert sich Watson an die Zeit zurück.

Im Verlauf der Saison verwies er trotz des wiedermal veralteten Materials einige klangvolle Namen in die Schranken. Dennoch schien sein Traum zum Jahresende ausgeträumt. Wattie konnte sich den Formelsport doch nicht mehr leisten. "An Weihnachten musste ich George Brown sagen, dass ich ihn nicht mehr bezahlen konnte. Die neue 2-Liter-Formel-2 stand in den Startlöchern und ich konnte mir kein neues Auto leisten."

Die Sache mit dem "irischen Glück"

Während andere Fahrer von Tür zu Tür gegangen wären und beinahe um ein Cockpit für die kommende Saison gebettelt hätten, entsprach dies nicht seiner Natur. Unter unglücklichen Umständen kam dann das "irische Glück" zu ihm. "Leider verstarb Bert Hawthorne in Hockenheim. Alan McCall bot mir daraufhin an, für ihn zu starten."

So kam es auch, dass er 1972 für Chevron die Rothmanns 50.000 in Brands Hatch fahren durfte. Als mit Abstand Schnellster seiner Klasse bewies Wattie erneut sein Talent. "Eine Woche später hatte ich meine erste Fahrt in einem Formel-1-Auto." Bei den Testfahrten im Phoenix Park nahe Dublin gelangen ihm zwar nur 14 Runden, doch das genügte, um einen neuen Rundenrekord aufzustellen.

Bernie Ecclestone, damals noch einer von vielen Teamchefs in der Formel 1, verhalf ihm zum Start beim Race of Champions 1973 im taufrischen Brabham BT42, dem Premierenauto von Star-Designer Gordon Murray. In dem für damalige Verhältnisse unkonventionellen Wagen lernte Watson die zweite Seite des irischen Glücks kennen: Durch ein klemmendes Gaspedal konnte er den Einschlag in die Mauer nicht verhindern.

"Die Frontpartie des Autos war um etwa 90 Grad verbogen und ich war mit meinem gebrochenen rechten Bein gefangen. Ich war etwa eine Stunde in dem Wrack. Die Marshalls versuchten mich zu befreien, doch es ging einfach nicht. Hätte ich Feuer gefangen, wäre ich nicht rausgekommen."

Sein Debüt in der Königsklasse musste Watson verschieben. 1974 war es dann soweit und bis zur Seuchensaison 1977 hatte er auch seinen ersten Sieg in der Tasche. Im Folgejahr wurde Niki Lauda zum ersten Mal sein Teamkollege. "Ende 1977 sagte mir Bernie, dass Niki zu Brabham wechseln möchte und fragte, was ich davon halte. Ich sagte, dass ich kein Problem damit habe, solange wir gleich behandelt werden."

Als frisch gebackener zweimaliger Weltmeister standen dem Österreicher alle Türen offen, doch er wollte zu Brabham. Welche Rolle dabei Watsons Hilfe bei Laudas schwerem Unfall 1976 auf dem Nürburgring spielte, ist allerdings nicht überliefert.

Für Watson war es eine ganz neue Erfahrung. "Lauda war wahrscheinlich mein erster wirklich taffer Teamkollege", erinnerte sich Watson. Lauda war der größere Politiker der beiden Fahrer und so gelang es ihm, das Team etwas mehr auf seine Seite zu ziehen. Für John eine wichtige Erfahrung.

Dennoch hatten beide fast ein freundschaftliches Verhältnis. "Nichtsdestotrotz kamen wir sehr gut miteinander aus und haben viel gelacht."

Good Boy im Bad Boy Business

Gegen Mitte der Saison 1978 besiegelte Watson dann selbst sein Aus bei Brabham. Auf die Frage seines damaligen Teamchefs Bernie Ecclestones, ob er Lauda den Sieg überlassen würde, um dessen Titelchance zu wahren, lautete die Antwort: "Nein, Bernie, das kann ich nicht machen." Diese Ehrlichkeit wurde ihm zum Verhängnis. Schon zu Formel-2-Zeiten zeigte sich Watsons etwas naive Einstellung. "Ich war schon immer schüchtern und bescheiden, aber ich habe Techniken entwickelt, um das zu überspielen."

In eine ähnliche Kerbe schlug auch Sir Jackie Stewart, der stets über Watson geschmunzelt hat: "Eigentlich ist Watson ein viel zu lieber Kerl um zu gewinnen." Aussagen wie diese und Watsons Pech mit dem Material führten dazu, dass er die meiste Zeit nicht die Aufmerksamkeit bekam, die er verdient gehabt hatte.

Erst mit dem Jahr 1982 änderte sich das zumindest teilweise. Auf die Frage, was er geändert habe, antwortete Watson: "Eigentlich nichts, ich fahre wie immer. Höchstens mit mehr Selbstvertrauen."

Ein Rekord für die Ewigkeit

Wiedervereint mit Lauda kämpfte Watson bis zum letzten Rennen um den Titel. Mit zwei Siegen und 39 Punkten seine erfolgreichste Saison. Doch für den großen Wurf sollte es nicht reichen.

Mitte der Saison gelang Watson bereits eine Aufholjagd, die ihm keiner zugetraut hätte. Beim Großen Preis von Detroit fuhr der Nordire von Startposition 17 zum Sieg. Am Ende hatte er über 15 Sekunden Vorsprung auf den Zweitplatzierten.

Beim finalen Rennen in Las Vegas war die Konstellation denkbar einfach: Watson musste gewinnen und Keke Rosberg durfte nicht in die Punkte fahren. "Es war so, dass ich nur Zweiter wurde - bis heute wissen wir nicht, warum Michele Alboreto an diesem Tag so schnell war - und Keke wurde Fünfter. Ich habe mein Bestes gegeben, aber es hat einfach nicht gereicht."

Im insgesamt weniger erfolgreichen Folgejahr gelang ihm eine bis heute unerreichte Aufholjagd. In Long Beach bekamen weder er noch Lauda die Reifen im Qualifying auf Betriebstemperatur. Mit den Startpositionen 22 und 23 schien das Wochenende gelaufen. "Als wir im Rennen die Gummis in das Temperaturfenster bekamen, fuhren wir im Tandem nach vorne. Niki voraus und ich klebte ihm am Getriebe. Am Ende der Geraden habe ich ihn mir geschnappt. Es gefiel ihm nicht, gewehrt hat er sich aber auch nicht und ich war auf und davon", erinnert sich Watson an seinen größten Triumph. Am Ende gab es nur einen Nicht-McLaren-Piloten, der bei dem Doppelsieg nicht überrundet wurde!

Unrühmlicher Abschied

Trotz famoser Rennen wie in Detroit und Long Beach stand John nach der Saison 1983 nicht zum ersten Mal ohne Vertrag da. Also kam es zum Poker mit Ron Dennis. Beide wussten, was sie aneinander hatten und Watson die Argumente auf seiner Seite. Nachgeben wollte allerdings weder der Eine noch der Andere. Es ging so weit, dass Lauda Watson anbot: "Den Betrag, der fehlt, geb ich Dir: nun unterschreib!"

Wahrscheinlich hätte Watsons Sturheit sogar zum Erfolg geführt, doch das Glück der Iren war ihm erneut nicht wohl gesonnen. Prosts Affäre mit der Frau des Renault-Entwicklungsleiters flog auf und der junge Franzose war plötzlich verfügbar. Das Schicksal spielte wie so oft gegen Watson und seine Formel-1-Karriere fand ein jähes, unrühmliches Ende.

Das Timing seines Karriereendes hätte dabei nicht schlechter sein können. McLaren fuhr die Konkurrenz in Grund und Boden. Zwölf von 16 Rennen gewann der Rennstall aus Woking, Lauda holte seinen dritten WM-Titel. Dennoch nahm es Watson wie ein Sportsmann. "Ich war nicht verbittert. Ich war 37 Jahre alt und hatte zehn Jahre in der Formel 1."

Für ein Rennen kehrte er dann aber doch noch einmal zurück. Aus Verbundenheit zu Niki Lauda übernahm er dessen Platz beim Europa-GP 1985 in Brands Hatch. Lauda hatte sich beim vorherigen Rennen in Spa am Handgelenk verletzt und durfte nicht starten. Bei seinem Kurz-Comeback ließ John noch einmal sein ganzes Können aufblitzen und verpasste nach einer abermals famosen Aufholjagd als Siebter die Punkteränge nur um eine Sekunde.

Neuer Beruf gleiche Entwicklung

Im Anschluss an seine aktive Rennfahrer-Karriere blieb Watson dem Motorsport erhalten. Unweit der Rennstrecke von Silverstone betrieb er eine Rennfahrer-Schule und einen eigenen Rundkurs. Von 1990 bis 1996 kommentierte er, damals noch auf Eurosport, als Experte die Formel 1. Im Folgejahr für den Privatsender ESPN.

Dabei machte er die gleiche Entwicklung durch, wie noch zu Rennfahrerzeiten. Am treffendsten wird sie wohl von der österreichischen Kommentatoren-Legende Heinz Prüller beschrieben: "Am meisten gesteigert finden alle, hat sich John Watson bei Eurosport. Anfangs total trocken, jetzt immer leidenschaftlicher, ein echter Profi geworden. Das ist kein Ex-Rennfahrer mehr, der jetzt plaudert, sondern ein echter TV-Supermann, der zufällig mal früher Rennen gefahren ist."

Deshalb hält er sich bis heute als Experte in den Rennsportübertragungen dieser Welt. Allerdings nicht mehr in der Königsklasse des Motorsports.

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