"WM verloren? Vettel ist trotzdem der Bessere!"

Lukas ZahrerDominik Geißler
28. November 201714:49
Sebastian Vettel und Lewis Hamilton in einem Rad-an-Rad-Duellxpb
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Die Formel-1-Saison 2017 ist Geschichte. Zeit, zurückzublicken und ein Auge auf die Themen des Jahres zu werfen. Ist Lewis Hamilton oder Sebastian Vettel der bessere Fahrer? Ist Valtteri Bottas der richtige Mann für Mercedes? Sind die 2017er-Autos ein Erfolg? Und tut Liberty Media der Königsklasse gut? Die SPOX-Redakteure Lukas Zahrer und Dominik Geißler debattieren.

Vettel ist trotz WM-Niederlage der bessere Fahrer

Dominik Geißler: Wenn es in diesem Jahr um den WM-Kampf zwischen Lewis Hamilton und Sebastian Vettel ging, sprach man lange Zeit von einem Duell auf Augenhöhe. Dass der Mercedes-Pilot am Ende dann doch eindeutig zum Titel fuhr, lag am Ferrari-Pech auf der Asien-Tour mit zwei Ausfällen und einem verkorksten Qualifying.

Von wegen! Natürlich hat die Seuche in Singapur, Malaysia und Japan die WM-Chancen von Vettel minimiert, doch ich wage zu behaupten: Der Heppenheimer hätte auch ohne die Misere den Kürzeren gezogen. Warum? Weil Hamilton einfach besser war. Wenn es drauf ankam, war der nun viermalige Champion da. Wenn mal nicht alles nach Plan lief, machte er das Beste aus seiner Situation.

Vettel aber patzte ein ums andere Mal. Ein paar Beispiele: Er ließ sich am Start von Mexiko von Max Verstappen abkochen und ramponierte sich an Hamiltons Wagen seinen Frontflügel. Beim US-GP wehrte er sich zu zaghaft gegen den Angriff von Hamilton - was dieser übrigens später selbst verwundert anmerkte. In Belgien stellte er sich wiederum bei der Attacke gegen seinen Rivalen nicht clever genug an. Und über den Rammstoß in Aserbaidschan muss man gar nicht erst reden.

Lukas Zahrer: Das kann ich so nicht unterschreiben. Vettel ist mindestens genauso talentiert wie Hamilton, ich wage sogar zu behaupten, dass er der bessere Fahrer ist. Beide haben nun vier Weltmeister-Titel auf dem Konto, beide starteten 2007 in ihre Formel-1-Karriere. Doch Vettel brauchte gerade einmal sieben Jahre für seine vier Weltmeisterschaften, während Hamilton elf Saisons fuhr, um mit dem Deutschen gleichzuziehen.

Vettel saß in diesem Jahr in einem leicht unterlegenen Wagen, wusste aber vor allem zu Beginn der Saison, absolut alles aus dem roten Flitzer rauszuquetschen. Drei Siege und drei zweite Plätze in den ersten sechs Rennen waren überragend, mit dieser Serie schaffte er es, das ganze Team zu Höchstleistungen anzuspornen.

Dass Hamilton am Schluss auf dem Stockerl ganz oben steht, lag an Technik-Pannen, die einem Hamilton erspart blieben, und an einem desaströsen Start in Singapur, bei dem die gesamte Scuderia nicht einmal durch die erste Kurve kam. Vettel out, Hamilton on top, ein 50-Punkte-Rennen, wenn man so will.

Bottas ist eben kein Rosberg

Lukas Zahrer: Mercedes weiß genau, was Valtteri Bottas drauf hat. Nach Nico Rosbergs überraschendem Rücktritt und Bottas' später Zusage zwei Monate vor dem Großen Preis von Australien lebte er sich gut beim britischen-deutschen Rennstall ein und kam auch mit dem neuen Auto immer besser zurecht.

Als es im Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Vettel und Hamilton richtig spannend wurde, fuhr der coole Finne zwischen Kanada und Ungarn so viele Punkte ein wie kein anderer Pilot. In Hälfte zwei kämpfte Bottas aber immer mehr mit Abstimmungsproblemen, fuhr mit einem unruhigen Auto seinem Teamkollegen hinterher und gab sein Bestes, den Roten so viele Punkte wie möglich wegzuschnappen.

Dass er sich immer mehr dem größeren Ziel der Hamilton-Weltmeisterschaft unterordnen musste, war Bottas bereits bei der Vertragsunterzeichnung klar. Deshalb ließ er sich mit der Zusage zu einem Wechsel von Williams auch Zeit, denn ewig will Bottas nicht hinter Hamilton herfahren. Er möchte selbst um die WM kämpfen, denn er hat das Zeug zum nächsten Rosberg. Das zeigte er nicht zuletzt mit einer absolut fehlerfreien Fahrt in Abu Dhabi.

Dominik Geißler: Fehlerfrei war sein Wochenende in den Vereinigten Arabischen Emiraten, ja. Gegen einen Hamilton zu gewinnen, der den Weltmeistertitel schon seit zwei Rennen sicher hatte, aber auch keine so ganz große Leistung.

Und Bottas der nächste Rosberg? Da musste ich beim Lesen laut lachen! Bevor das passiert, verpflichtet Ferrari eher noch Crash-Pilot Pastor Maldonado. Bottas ist kein Rosberg und wird es auch nie sein. Seine Verpflichtung war ein Fehler von Mercedes. Ich frage mich sowieso, warum Toto Wolff und Niki Lauda nicht ein bisschen mehr Risiko eingehen und lieber einen talentierten Jungfahrer wie Esteban Ocon verpflichten?

Klar, im ersten Halbjahr hat Bottas über weite Strecken überzeugt. Doch die zweite Saisonhälfte war ein reines Fiasko. Anstatt um die WM mitzufahren, mutierte er zu Hamiltons Wasserträger. Das ist nicht zu entschuldigen und ich sehe keine Anzeichen, warum Bottas im nächsten Jahr plötzlich auf Augenhöhe mit seinem Teamkollegen sein sollte.

Und um nochmal auf Rosberg zurückzukommen: Bottas hat bewiesen, dass der gebürtige Wiesbadener ein verdienter Champion war und zu den besten Fahrern im Feld gehörte. Immerhin konnte er fast drei Jahre lang mit Hamilton mithalten.

Die neuen Autos? Endlich wieder die schnellsten Maschinen

Lukas Zahrer: Ein Traum, diese neuen Boliden! Man sieht den Autos mit ihren "normalen" Heckflügeln und breiteren Reifen endlich wieder an, dass sie die schnellsten Rundkurs-Maschinen der Welt sind. Vorbei sind die Zeiten, in denen auf uralte Streckenrekorde geblickt wurde - stets mit dem Verweis, dass die Karren von früher viel stärker waren.

Die Piloten haben weniger Reaktionszeit - machst du bei dem Speed der 2017er-Autos einen Fehler, wird dieser härter bestraft. Zudem konnte man vor allem zu Beginn der Saison viele Fahrer nach der Ziellinie in ihre Funkgeräte schnaufen hören. Man hat endlich wieder das Gefühl: That's racing!

Dominik Geißler: Ja, die Formel-1-Autos der neuen Generation sehen - die Heckflosse und diesen komischen T-Flügel mal ausgenommen - schick aus. Das ist auch sehr wichtig für den Sport, keine Frage. Allerdings: Noch viel wichtiger als das Erscheinungsbild ist das Racing. Und da frage ich mich, lieber Lukas, wo du das siehst? In meinen Augen hat sich die Action durch die aerodynamischen Änderungen verschlechtert.

Mittlerweile muss man auf vielen Strecken zwischen einer und anderthalb Sekunden schneller als der Vordermann sein, um auch nur die Chance auf ein Vorbeikommen zu haben. Überholmanöver und enge Rad-an-Rad-Duelle sind somit Mangelware.

Es ist erfreulich, wenn man quasi an jedem Rennwochenende mit neuen Rekordzeiten beglückt wird, okay. Doch wahrnehmen tue ich das vor dem Fernseher oder an der Strecke nicht. Anstatt superschnelle Autos zu planen, hätte man lieber auf aerodynamisch simplere Boliden setzen sollen, die weniger radikal auf Luftverwirbelungen reagieren und das Überholen somit einfacher machen.

Liberty Media ist genau das, was der Formel 1 gefehlt hat

Dominik Geißler:Bernie Ecclestone hat die Formel 1 zu dem gemacht, was sie heute ist. Dafür muss man dem eigenwilligen Briten für immer dankbar sein. Doch Bernie Ecclestone ist alt, um genau zu sein, 87 Jahre alt. Da war es höchste Zeit, das Formel-1-Zepter weiterzugeben.

Und Neu-Eigentürmer Liberty Media holte direkt das nach, was der Königsklasse des Motorsports gefehlt hat: mehr Rahmenprogramm an den GP-Wochenenden, mehr Fan-Attraktionen an der Strecke und viel mehr Social-Media-Aktivitäten. Wenn ich mir jetzt die Renn-Highlights offiziell auf Facebook ansehen kann und Einblicke in Fahrer-Briefings erhalte, ist das nicht nur praktisch, sondern auch ziemlich spannend.

Lukas Zahrer: Die High Society war schon immer Teil des Formel-1-Zirkus, aber das ist mir alles zu viel Trubel. Eben klassisch amerikanisch: Es geht mehr darum, welcher Superstar am Ende des Rennens Schwarz-Weiß-Kariert schwenken darf oder welcher Fan-Liebling dem Sieger zuerst übers Team Radio gratuliert.

Klar, die Neuerungen auf Social Media sind top, da kann ich mir den fluchenden Alonso bis zum nächsten Rennen in Dauerschleife anhören. Aber mehr Fan-Attraktionen an der Strecke bringen auch herzlich wenig. Solange die Ticketpreise weiterhin hoch bleiben und Rennen an abgelegenen Orten steigen, werden auch in Zukunft kaum Familien zu den Wochenenden strömen.

Neue Eigentümer tun der Formel 1 sicher gut, zu eingerostet war das alte Management. Aber Liberty Media darf den Mythos der Königsklasse nicht ins Lächerliche ziehen!

Die Fahrertausche bei Toro Rosso waren völlig legitim

Dominik Geißler: Im Fußball gibt es zwei Transferperioden. Eine im Sommer vor der Saison und eine im Januar, wenn in den Ligen Halbzeit ist. Jetzt stellen wir uns mal vor, es würde diese Transferfenster nicht geben. Dann würde jeder Verein je nach Gemütslage Spieler kaufen und verkaufen. Vielleicht schon nach einem Spiel, vielleicht erst nach zehn Spielen. Völliges Chaos wäre vorprogrammiert und die Fans wüssten überhaupt nicht mehr, mit welcher Elf ihre Mannschaft am kommenden Wochenende auflaufen wird.

Genau dieser Fall trat in der Formel 1 ein. Dank Renault und Toro Rosso, das sich im Herbst dazu entschied, seine Fahrer plötzlich wild hin- und herzuschieben. Erst kickte man Daniil Kvyat für Malaysia und Japan aus seinem Cockpit und setzte stattdessen Pierre Gasly ins Auto, dann holte man den Russen für den US-GP wieder zurück. Neben ihm fuhr nun aber weder Gasly noch Carlos Sainz Jr., der bei Renault spontan Jolyon Palmer ersetzte, sondern Brendon Hartley. Kurz gesagt: Innerhalb von drei Rennen saßen vier verschiedene Fahrer in zwei Cockpits. Wer soll da noch durchblicken?

Lukas Zahrer: Da kommt der Wirtschaftler in mir durch. Es ist ein schlecht gehütetes Geheimnis, dass die Geldbörsen der Piloten über die Cockpits der Formel 1 mitentscheiden. Kvyat hatte ein gut gefülltes, aber seine Leistungen waren ab einem gewissen Zeitpunkt nicht akzeptabel. Das Team versucht an jedem Wochenende zwei starke Piloten in ihren Cockpits zu haben, die am besten aber noch eine Menge dafür zahlen, um Punkte und Preisgelder einfahren zu dürfen.

Im Falle von Toro Rosso - zur Erinnerung: dem Farm-Team von Red Bull - ist es nicht weiter schlimm, keine Stammfahrer im klassischen Sinn zu haben. Sie können so den Ernstfall testen, ob einer der Zöglinge ihrer Talenteschmiede für die Formel 1 bereit ist.

Für den Zuschauer ist es gewiss schade, dass dies keine Fahrer mit einer gewissen Identität sind. Aber wer bitte - abgesehen von russischen Fans - will sich unbedingt eine Kappe von Daniil Kvyat kaufen? Die Fahrer mit Temperament und Image sitzen in den fünf, sechs besten Teams. Der Rest ist austauschbar - und das ist legitim.