2017 war das Rennen im Land des Feuers das wohl verrückteste im ganzen Jahr. Und auch diesmal hat sich der Aserbaidschan-GP für diese fiktive Auszeichnung beworben. Das zeichnete sich schon am Start ab: Nach der zweiten Kurve kollidierten insgesamt sieben Fahrzeuge miteinander (Lance Stroll, Sergey Sirotkin, Sergio Perez, Nico Hülkenberg, Fernando Alonso, Kimi Räikkönen und Esteban Ocon) und legten damit den Grundstein für ein furioses Rennen.
Alonso wurde auf der Gegengeraden von Sirotkin weggedrückt, der wiederum hatte aber auf der anderen Seite mit Hülkenberg zu tun. Alonsos wütender Funkspruch "Ein dummer Kerl hat mir die Tür zugeschmissen" war also nicht gerechtfertigt.
Noch viel chaotischer ging es einige Meter weiter vorne zu. Da waren sich Räikkönen und Ocon nicht einig, der Iceman schlitterte in den Force-India-Piloten - und der damit in die Leitplanke. "Das war bescheuert", erboste sich Force Indias Sportdirektor Otmar Szafnauer über das Manöver, das als klassischer Rennunfall in die Notizbücher geschrieben wird.
Sebastian Vettel gibt den Sieg aus der Hand
Doch springen wir in der Geschichte etwas weiter. Um genau zu sein, von der ersten in die 48. Runde. Da nämlich war das Rennen nach der zweiten Safety-Car-Phase wieder freigegeben. Vettel saugte sich auf der 2,2 Kilometer langen Gerade im Windschatten an den führenden Bottas heran, setzte sich innen neben ihn - und verbremste sich. Statt Platz eins gab's Platz vier. Bitter! Und unnötig?
"Natürlich ärgert mich, dass es nicht geklappt hat, aber ich musst es einfach probieren", erklärte der Ferrari-Pilot später bei RTL: "Ich war nicht allzu spät dran, sonst hätte ich die Kurve ja gar nicht gekriegt. Ich habe nichts Außerirdisches probiert." Trotzdem quietschte und qualmte es bei Vettels Bremsmanöver gehörig. Er kann sogar von Glück sprechen, den vierten Rang hinter Mercedes und Sergio Perez ins Ziel gerettet zu haben.
Valtteri Bottas mit Reifenplatzer - Lewis Hamilton staubt ab
Apropos Glück: Das hatte Valtteri Bottas zuvor, als die beiden Red Bulls eine Safety-Car-Phase verursachten und er dadurch seine Führung trotz Boxenstopp behalten durfte. Leider, aus Sicht des Finnen gesprochen, hielt das Glück aber nicht bis zur karierten Flagge. Drei Umläufe vor Schluss fuhr er über ein herumliegendes Teil und schlitzte sich den rechten Hinterreifen auf.
Er sei "absolut untröstlich", klagte Bottas über sein Pech und verriet seinen (wohl nicht ganz ernst gemeinten) Masterplan, um aus dem Tief herauszuklettern: "Vielleicht brauche ich jetzt einfach zehn große Bier und lasse mich volllaufen." Immerhin: Mercedes befreite Bottas vom anschließenden Presse-Talk.
An diesem dürfte Hamilton mit Freude teilgenommen haben. Schließlich bekam er seinen ersten Sieg in dieser Saison quasi auf dem Silbertablett serviert. "Plötzlich war ich vorne. Da sind die Gefühle Achterbahn gefahren", fasste der amtierende Weltmeister das Holterdiepolter von Baku zusammen.
Eigentlich lag er, der in Baku mit einer neumodischen Zöpfchenfrisur auflief, nämlich nur auf dem dritten Rang, ohne echte Chance auf den Sieg. Dann patzte Vettel, dann zerriss es Bottas - der Rest ist Geschichte. "Es gibt immer Höhen und Tiefen und ich kann mich nicht darüber beklagen, dass ich gewonnen habe", stand Hamilton zu seinem Fortune: "Ich muss dankbar sein."
Aserbaidschan-GP: Die Positionsverschiebungen im Rennen
1. Platz | 2. Platz | 3. Platz | |
Runde 1 | Sebastian Vettel | Lewis Hamilton | Valtteri Bottas |
Runde 29 | Sebastian Vettel | Valtteri Bottas | Lewis Hamilton |
Runde 40 | Valtteri Bottas | Sebastian Vettel | Lewis Hamilton |
Runde 48 | Valtteri Bottas | Lewis Hamilton | Kimi Räikkönen |
Runde 49 | Lewis Hamilton | Kimi Räikkönen | Sergio Perez |
Toto Wolff zwiegespalten: "Ein bittersüßes Gefühl"
Bei Mercedes war die Stimmung am Sonntagabend zwiegespalten. Auf der einen Seite ein Hamilton, der zum ersten Mal in diesem Jahr auf dem Podest stand und nach vier Rennen zum ersten Mal überhaupt die WM-Wertung 2018 anführt. Und auf der anderen Seite ein Bottas, der den nächsten Schlag in die Magengrube verdauen muss. "Das war ein richtig brutales Rennen", wusste auch Motorsportchef Toto Wolff und sprach folgerichtig von einem "bittersüßen Gefühl".
Zudem lässt der Rennsieg nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich Hamilton nach wie vor nicht in Topform befindet. Zur Rennhalbzeit leistete er sich einen massiven Verbremser, und auch sonst war er streckenweise langsamer als Teamkollege Bottas.
Und: Vettel wäre ohne das Safety Car wohl souverän zu seinem 50. Sieg in der Formel 1 gefahren. Vor Bottas' Stopp lag er schließlich nur rund acht Sekunden hinter diesem, unter regulären Bedingungen hätte der Heppenheimer also wieder die Führung übernommen. Entsprechend sei es bis dahin ein sehr gutes und kontrolliertes Rennen gewesen, merkte Vettel an und zuckte mit den Schultern: "Aber manchmal ist es eben Lotterie."