Die Formel 1 gastiert beim Großen Preis von Monaco (ab Donnerstag im LIVETICKER) auf der wohl spektakulärsten Strecke des gesamten Kalenders. Eine Kurve hat dabei 2006 besonders Geschichte geschrieben: die Rascasse. Michael Schumacher nutzte die berüchtigte Stelle für ein vermeintliches Park-Manöver und versuchte so, die Pole Position von WM-Rivale Fernando Alonso zu verhindern. Die Folge: eine harte Strafe, Anfeindungen und ein eisener Schummel-Schumi. SPOX blickt auf den Skandal zurück.
"Michael hat unseren Sport heute mit Füßen getreten. Er soll sich schämen, dieser Drecksack! Glaubt er wirklich, dass wir alle Idioten sind? Es wäre ein perfekter Tag für ihn, um zurückzutreten", schimpfte Keke Rosberg an diesem 27. Mai des Jahres 2006.
Michael Schumacher nahm sich den wenig liebevoll vorgetragenen Rat nur bedingt zu Herzen und wartete mit der Verkündung seines (ersten) Karriereendes noch dreieinhalb Monate. Der besagte Tag aber sollte trotzdem als einer der schwärzesten in die Laufbahn des siebenmaligen Weltmeisters eingehen.
Und das, obwohl es einige davon gab: Zum Beispiel, als er beim Großbritannien-GP 1994 Rivale Damon Hill in der Einführungsrunde überholte, eine fällige Stop-and-Go-Strafe ignorierte und dafür die Disqualifikation für dieses und zwei weitere Rennen kassierte. Oder als er beim Saisonfinale 1997 WM-Kontrahent Jacques Villeneuve mit voller Absicht rammte, um die Krone an sich zu reißen.
Ja, dieser Michael Schumacher war nie ein Kind von Traurigkeit. Er war vielmehr jemand, der unbedingt gewinnen wollte. Jemand, der alles für den Sieg tat und dabei die Regeln gern einmal für sich auslegte. Oder anders gesagt: Der sich für grobe Unsportlichkeiten nicht zu schade war, wenn sie einen Nutzen für ihn hatten. Nicht umsonst schrieb die Presse schon in den 90er-Jahren neben Lobpreisungen wie "Wunder-Schumi" auch gerne mal vom "Schummel-Schumi" - ein Titel, wenig ehrenvoll und doch nicht von der Hand zu weisen.
Schumacher und das "Rascasse-Gate"
Mit den Jahren und der Dominanz seines Ferraris Anfang des neuen Jahrtausends legten sich etwaige Vorwürfe. Der Kerpener fuhr nicht nur von Rekord zu Rekord, sondern auch in die Herzen der ganzen Welt. Er war das Aushängeschild der Formel 1.
Umso dramatischer war dann das, was sich Ende Mai 2006 in Monaco abspielte: einer der größten Skandale der Motorsport-Geschichte - und die Rückkehr des "Super-Schurken" Schumachers, wie man in den englischen Medien lesen durfte.
Es war das siebte GP-Wochenende der Saison und Schumacher hatte bereits 15 Zähler Rückstand auf seinen Erben, Fernando Alonso. Eine Menge, wenn man bedenkt, dass es zum damaligen Zeitpunkt für einen Sieg lediglich zehn Punkte gab. Umso wichtiger war es also, die Lücke mit einem Triumph beim prestigeträchtigen Monaco-GP zu schließen.
Auf dem Stadtkurs kommt dem Qualifying eine besonders wichtige Rolle zu. Überholen ist in den engen Gassen des Fürstentums kaum möglich, nicht umsonst verglich der dreimalige Champion Nelson Piquet das Fahren in Monaco mit "Hubschrauberfliegen im Wohnzimmer".
Schumacher führte also vor dem letzten Quali-Run mit hauchdünnen 0,064 Sekunden vor Alonso. Dann, im finalen Versuch, erwischte der Ferrari-Pilot aber keine saubere Runde. Wollte er den nun schnelleren Alonso im Renault noch irgendwie von der Pole Position fernhalten, blieb ihm nur eine Möglichkeit: eine Gelbe Flagge provozieren und das Qualifying damit neutralisieren.
Wie gerufen verbremste sich Schumacher in der vorletzten Kurve. Das rechte Vorderrad blieb stehen und qualmte auf. Anstatt den Rechtsknick trotzdem zu nehmen, schwenkte Schumacher das Lenkrad einmal kurz nach links und parkte seinen Ferrari vor der Mauer. Alonso, einige Meter dahinter auf der Strecke, musste vom Gas und im Schleichtempo am roten Hindernis vorbei. Eine zeitliche Verbesserung war unmöglich, die Pole gehörte - zu diesem Zeitpunkt - Schumacher. Das "Rascasse-Gate" war geboren.
Schumacher verteidigt sich: "Das wäre eine Schande"
Versehen? Absicht? Die Diskussionen um das seltsam anmutende Manöver liefen heiß, noch während das Auto mit dem springenden Pferd von den Streckenposten Richtung Garage geschoben wurde. Auf der anschließenden Pressekonferenz verteidigte sich ein sichtlich angespannter Schumacher und erklärte, dass er sich lediglich verbremst habe: "Natürlich wird es wieder solche Leute geben, die mir nicht glauben. Aber das wäre eine Schande. Ich kann nur schildern, wie es wirklich war."
Glauben wollten dem vermeintlichen Übeltäter tatsächlich nicht viele. "Vorausgesetzt, dass wir nicht bei Schneewittchen und den sieben Zwergen sind, war das, was er getan hat, sehr unsportlich", sagte der damalige Renault-Boss Flavio Briatore: "Das dürfte er eigentlich nicht nötig haben." Villeneuve kommentierte die Szene süffisant: "Ich hoffe, das war Absicht. Denn wenn man so einen Fahrfehler macht, sollte man nicht in einem Rennauto sitzen."
Alonso wollte sich offenbar vor Schumachers Auto legen
Der Fall ging noch am Nachmittag zu den Rennkommissaren. Über sieben Stunden tagten sie, Schumacher und zahlreiche Teamchefs wurden verhört, bis um 22.50 Uhr schließlich die Entscheidung fiel: Schumachers Rundenzeiten wurden gestrichen. Statt von der Pole musste er vom letzten Startplatz aus ins Rennen gehen.
Ein Urteil, das Ferrari als ungerecht empfand. Schließlich habe man damit einen Präzedenzfall geschaffen, bei dem künftig jeder Fahrfehler bestraft werden könne, hieß es aus dem italienischen Lager. Alonso hingegen empfand die Strafe als "nicht hart genug" - noch am Samstagabend soll er mit kuriosen Konsequenzen gedroht haben: "Wenn er keine Strafe bekommt, steige ich nach der Aufwärmrunde aus und lege mich vor sein Auto."
So zitiert zumindest Mark Webber, damals Dritter bzw. Zweiter im Qualifying, den Spanier in seinem 2015 erschienenen Buch. In diesem schreibt er auch davon, wie er Schumacher beim anschließenden Großbritannien-GP auf das "Rascasse-Gate" angesprochen hat. "Das war die Situation, in der mich Michael am meisten enttäuscht hat", erzählt Webber: "Im Wissen, wie Michael tickt, dachte ich mir: 'Ich konfrontiere ihn irgendwann damit, nur wir zwei, und dann sage ich ihm, was ich denke.' Also tat ich das."
gettyWebber: Schumi gestand mir seine Schuld
Schumacher stellte sich dem Gespräch und gab laut Webber zumindest indirekt ein Fehlverhalten zu: "Mark, manchmal schlägst du einen bestimmten Weg ein, und dann kannst du nicht mehr umdrehen." Eine Reaktion, wie sie der Australier hören wollte - und die auch ein Stück weit überrascht. Immerhin hat sich Schumacher in dieser Geschichte nie öffentlich schuldig bekannt.
Ganz im Gegenteil sogar: Als der 91-malige GP-Sieger Jahre später sein Comeback für Mercedes feierte und nach Monte Carlo zurückkehrte, plädierte er immer noch auf Unschuld. "Ihr habt diesen Tag zu einem Tiefpunkt gemacht, ihr Journalisten, einige von euch", schimpfte Schumacher: "Lasst uns nach vorn schauen und nicht zurück. Ihr langweilt mich."
Dem besagten Tiefpunkt ist Schumacher gut entkommen. Immerhin zeigte er schon einen Tag nach der Rascasse-Posse, was für ein herausragender Rennfahrer er war. Während Jetzt-Polesitter Alonso das Rennen gewann, fuhr Schumi vom Ende des Feldes aus mit einer Ein-Stopp-Strategie auf den fünfen Platz und lieferte damit eine der überragendsten Aufholjagden seiner Karriere ab.
Michael Schumachers Karrierestatistiken:
Kategorie | Anzahl |
GP-Teilnahmen | 308 |
GP-Siege | 91* |
Podiumsplätze | 155* |
Pole Positions | 68 |
Schnellste Rennrunden | 77* |
Punkte | 1.566 |
WM-Titel | 7* |
*Rekord