Formel 1 - Ricciardos Wechsel zu Renault: Was steckt hinter der Sensation des Jahres?

Dominik Geißler
06. August 201809:51
Daniel Ricciardo fährt seit 2014 für Red Bull in der Formel 1.getty
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Daniel Ricciardo hat mit seinem Wechsel von Red Bull zu Renault für einen regelechten Paukenschlag gesorgt. Warum wagt der Australier diesen überraschenden Schritt? Und was bedeutet das für die Teams, Nico Hülkenberg und den Formel-1-Fahrermarkt? SPOX beleuchtet die wichtigsten Fragen.

Warum wechselt Daniel Ricciardo zu Renault?

Die Vertragsverlängerung von Daniel Ricciardo bei Red Bull galt eigentlich als reine Formsache. Selbst wenn man Motorsportchef Helmut Marko nach dem Großen Preis von Ungarn so reden hörte, hatte man das Gefühl, der 29-Jährige müsse seinen Füller nur noch auf das vor ihm liegende Arbeitspapier drücken und einmal kurz seinen Namen niederschreiben.

Am Ende kam - zur Überraschung der meisten im Formel-1-Zirkus - alles anders. Nach zehn Jahren im Kreise der Red-Bull-Familie verabschiedet sich Ricciardo und zieht sich künftig den gelb-schwarzen Renault-Rennanzug über.

Es ist ein Schritt, der nicht nur einem regelrechten Knalleffekt gleichkommt, sondern auf den ersten Blick auch verwunderlich scheint. Warum gibt einer der besten Fahrer eines der besten Cockpits auf und geht zu einem Team, das in der aktuellen Saison froh sein kann, nicht überrundet zu werden? Und das auch noch freiwillig.

Offiziell spricht Ricciardo davon, einen Tapetenwechsel angestrebt zu haben. "Es war an der Zeit, eine frische und neue Herausforderung anzugehen", so der 141-malige GP-Teilnehmer. Tatsächlich dürfte die Entscheidung aber einen deutlich vielschichtigeren Hintergrund haben.

Zum einen prallten bezüglich der künftigen Vertragsdauer zwei nur schwer vereinbare Wünsche aufeinander. Weil Red Bull 2019 mit den oft kritisierten Honda-Motoren an den Start geht, wollte Ricciardo die Entwicklung im kommenden Jahr erst einmal beobachten und im Fall der Fälle für einen Wechsel 2020 frei sein. Eine Planung, die Marko und Co. offenbar zu kurzfristig war.

Daniel Ricciardo im Schatten von Max Verstappen

Darüber hinaus forderte Ricciardo dem Vernehmen nach eine saftige Gehaltserhöhung. Ausschlaggebend dafür dürfte der deutlich besser dotierte Vertrag von Teamkollege Max Verstappen sein. Der Eindruck, dass Red Bull den jungen Niederländer mehr schätzt und im Zweifel auf ihn setzt, machte sich schließlich nicht nur im Paddock, sondern wohl auch bei Ricciardo selbst breit.

Für die Verhandlungen hatte der Aussie-Boy dabei bis vor wenigen Wochen noch zwei Trümpfe in der Hand: Mercedes und Ferrari. Immerhin beschäftigten sich beide Topteams mit dem Überholkönig der Formel 1, wenn man verschiedenen Medienberichten glauben schenken mag.

Allerdings: Bei der Scuderia setzte anscheinend Sebastian Vettel sein Veto (immerhin wurde er 2014 von Ricciardo geschlagen), während Mercedes am Ende lieber auf das harmonische Hamilton-Bottas-Doppel setzte und mit beiden Piloten verlängerte.

Die beste Alternative neben Red Bull war und ist somit Renault. Mit Nico Hülkenberg trifft Ricciardo auf einen starken Fahrer, den Nimbus eines Verstappens hat der Emmericher jedoch nicht. Sorgen um fehlende Anerkennung sollte es in Zukunft also keine mehr geben.

Und: Mit dem Weltmeisterteam von 2005 und 2006 weiß er eine Mannschaft um sich, die das Siegen durchaus noch im Blut hat: "Renault hat jedes Mal Rennen gewonnen, wenn sie in der Formel 1 engagiert waren. Ich hoffe, dass ich ihnen auf dieser Reise helfen kann - auf und neben der Strecke."

Daniel Ricciardos Bilanz in der Formel 1

DebütGroßbritannien-GP 2011
GP-Starts141
Siege7
Pole Positions2
Schnellste Rennrunden13

Was bedeutet der Wechsel für Red Bull?

Red Bull rühmte sich seit dem Aufstieg von Verstappen immer wieder mit der besten Fahrerpaarung der Formel 1. Wäre man in den letzten zwei Jahren nicht nur um vereinzelte Siege, sondern um die Weltmeisterschaft mitgefahren, Teamchef Christian Horner hätte zwei wirklich heiße Eisen im Kampf um den Titel gehabt.

Mit Ricciardos Abgang könnte sich dieser Luxus in französische Luft aufgelöst haben. Einen gleichwertigen Ersatz wird man auf die Schnelle nicht finden, zumal ein externer Fahrer - Fernando Alonso wäre beispielsweise auf dem Markt - das Nachwuchsprojekt der Bullen ad absurdum führen würde. Schließlich werden vielversprechende Junioren in den Kader berufen und gefördert, um eines Tages für Red Bull Racing in der Formel 1 zu starten. Entsprechend kommen für das vakante Cockpit eigentlich nur zwei Kandidaten in Frage: Pierre Gasly und Carlos Sainz Junior.

Ersterer fährt für Toro Rosso aktuell seine erste komplette F1-Saison. Er überzeugte unter anderem mit einem vierten Platz in Bahrain oder zuletzt mit Rang sechs beim Ungarn-GP. Die mangelnde Erfahrung des jungen Franzosen wird den Verantwortlichen jedoch zu denken geben. Mit Daniil Kvyat hat man schon eine ungewollte Blaupause für eine zu schnelle Beförderung ins Hauptteam. Der Russe stieg nach Vettels Wechsel zu Ferrari zu Red Bull auf, wurde nach vielen Querelen jedoch nur anderthalb Jahre später wieder zu Toro Rosso degradiert. Mittlerweile steht er gänzlich ohne festes Cockpit da.

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Die wahrscheinlichere Wahl ist daher Sainz. Der Spanier ist aktuell an Renault ausgeliehen und könnte 2019 entsprechend problemlos zu Red Bull wechseln. Der Sohn von Rallye-Legende Carlos Sainz ist zweifelsohne talentiert, bekommt im Teamduell mit Hülkenberg aktuell aber auch seine Grenzen aufgezeigt. Die 1A-Lösung dürfte Sainz somit auch nicht sein.

Außer: Red Bull stellt seinen jüngsten Ansatz um und fokussiert sich noch mehr auf Verstappen. Dann könnte ihm Sainz ein guter Helfer in einem möglichen Titelkampf sein, der konsequent Punkte für das Team sammelt, ohne Verstappen solche wegzunehmen. Es wäre die selbe Schiene, die Ferrari mit Räikkönen und Mercedes mit Bottas fährt.

Die gemeinsame Zeit bei Toro Rosso hat jedoch gezeigt, dass die Rivalität zwischen Verstappen und Sainz ein derartige Handhabe schwierig gestalten könnte ...

Was bedeutet der Wechsel für Renault?

Renault hat seinen Weg für die Zukunft genau skizziert: Vom Mittelfeldteam will man sich zum regelmäßigen Podiumskandidaten und schließlich zum Titelanwärter entwickeln - innerhalb der nächsten paar Jahre.

Aktuell fehlt dem gelben Renner zwar teilweise über eine Sekunde pro Runde auf die Topteams, doch der Richtungspfeil zeigt in der Tat nach oben. So wurde Renault in der Comeback-Saison 2016 Neunter der Konstrukteursmeisterschaft, ein Jahr später Sechster und ist heute als "Best of the Rest" Vierter.

Mit der Verpflichtung von Ricciardo soll der Marsch an die Spitze nun zusätzlich beschleunigt werden, wie Teamchef Cyril Abiteboul erklärte: "Daniels unzweifelhaftes Talent und Charisma sind ein großer Gewinn für das Team und ein Statement. Seine Unterschrift unterstreicht unsere Entschlossenheit."

Ricciardo bringt dabei nicht nur die Erfahrung von sieben Grand-Prix-Siegen mit und gehört zu den sportlich Besten, er ist mit seiner positiven Ausstrahlung auch marketingtechnisch ein echter Coup für die Franzosen.

Entsprechend dürfte sich die teure Investition, ein Jahresgehalt von zehn Millionen Euro plus erfolgsabhängige Prämien stehen im Raum, in den Strahlemann trotz aller Kosten lohnen. Man kann es nicht anders sagen: Renault ist der große Gewinner des Deals.

Was bedeutet der Wechsel für Nico Hülkenberg?

Wäre die Formel 1 ein Film, Hülkenberg hätte wohl die Rolle des tragischen Helden sicher. Hochtalentiert bewies er immer wieder sein Können, überzeugte Zuschauer und Experten - und schaffte trotzdem nie den Sprung zu einem Topteam.

"Ich bin skeptisch, dass es mit mir und einen der drei Großen noch klappen könnte", gestand Hülkenberg unlängst: "Da muss man realistisch bleiben. Man bekommt in seiner Karriere nur eine gewisse Anzahl an Chancen. Ich habe auch nicht wirklich den Eindruck, dass sie besonders scharf auf mich sind."

Leider, muss man aus Hülks Sicht sagen, haftet ihm der Ruf an, im entscheidenden Moment nicht das Fortune auf seiner Seite zu haben. 147 GP-Starts ohne Podestplatz sprechen schließlich eine klare Sprache, kein anderer Pilot verpasste die Pokale bei so vielen Versuchen.

Dass Hülkenberg trotzdem zu den Besseren seiner Zunft gehört, zeigt die aktuelle Saisonbilanz. Hinter den Top sechs hat er die meisten Zähler gesammelt und steckt Sainz mit 52 zu 30 Punkten locker in die Tasche.

Mit Ricciardo wird der 30-Jährige da schon mehr Probleme haben. Gegen einen stärkeren Teamkollegen ist er vermutlich nie gefahren und es ist nicht auszuschließen, dass der "Honey Badger" ihm seine Grenzen aufzeigt. Sollte Hülkenberg den teaminternen Kampf jedoch bestehen, wird sein Name wohl wieder öfter in den Köpfen der Roten und Silbernen herumschwirren.

Ricciardos Verpflichtung ist für den Le-Mans-Sieger von 2015 somit Chance und Risiko zugleich. Der Negativ-Stempel könnte fester aufgedrückt werden, oder aber es öffnen sich schon längst verschlossene Türen. Wenn die Formel 1 im Jahr 2021 mit gravierenden Regeländerungen auffährt, sind die meisten Cockpits nämlich unbesetzt. Kein Top-Pilot möchte sich vorschnell in eine Richtung bewegen.

Welche Folgen hat der Deal für den Fahrermarkt?

Stand jetzt ist es wie beschrieben am wahrscheinlichsten, dass Ricciardo und Sainz ihre Cockpits bei Renault und Red Bull tauschen. Sollte es aber doch anders kommen, würde das große Stühlerücken beginnen.

Sainz könnte Red Bull endgültig verlassen und im McLaren Platz nehmen. Er würde dann entweder Alonso, der mit einem Abschied Richtung IndyCar Series kokettiert, ersetzen oder aber an der Seite seines spanischen Landsmannes sitzen und den schwächelnden Stoffel Vandoorne verdrängen. Auch über ein mögliches Engagement für Force India oder Haas wird gemutmaßt, wenngleich diese Optionen als unrealistisch gelten.

Gasly würde in diesem Fall wohl zu Red Bull aufsteigen und McLaren-Junior und Formel-2-Pilot Lando Norris die Chance auf ein Cockpit bei Toro Rosso geben. Brendon Hartley wäre dann trotz durchwachsener Leistungen auch 2019 Teil der Königsklasse.

Alternativ könnte Red Bull Sainz zurück zu Toro Rosso beordern, um einen anerkannten Fahrer im Schwester-Team zu haben. Wie begeistert Hülkenbergs aktueller Teamkollege von dieser Idee wäre, lässt sich aber leicht erahnen: sehr, sehr wenig.

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Ein weiterer Kandidat für das TR-Cockpit: Dan Ticktum. Der Youngster ist einer der Titelaspiranten in der Europäischen Formel 3 und hat laut Autosport Helmut Marko als Befürworter auf seiner Seite. Die Formel 1 könnte für den 19-Jährigen jedoch einen Tick zu früh kommen. Zumal er erstmal genug Punkte für den F1-Führerschein, die sogenannte Superlizenz, verdienen muss.