Norbert Haug kennt Lewis Hamilton aus seiner Zeit als Mercedes-Motorsportchef. Im Interview spricht der 65-Jährige über den alten und neuen Formel-1-Weltmeister und erklärt, was Sebastian Vettel im Titelkampf gefehlt hat.
Außerdem nennt Haug Gemeinsamkeiten von Hamilton und Michael Schumacher und äußert sich zu dessen vielleicht bald gebrochenen Rekorden.
SPOX: Herr Haug, Lewis Hamilton ist zum fünften Mal Formel-1-Weltmeister. Haben Sie ihm oder Mercedes schon gratuliert?
Norbert Haug: Das wird in aller Ruhe passieren, nachdem sich der erste Ansturm gelegt haben wird. Lewis und die Mercedes-Formel-1-Verantwortlichen haben nach dem erneuten Titelgewinn noch zwei Rennen vor sich - und bei denen wollen sie garantiert besser aussehen als bei den letzten beiden. Gelingt dies, kommen herzliche Glückwünsche für eine erneut großartige Saison viel besser an.
SPOX: Während Hamilton in der ersten Saisonhälfte mehr zu kämpfen hatte, lief es nach der Sommerpause wie am Schnürchen. Wie erklären Sie sich seinen Höhenflug?
Haug: Lewis ist sicher zum Maßstab aller Formel-1-Fahrer gereift. Er gewinnt Rennen, die er nicht gewinnen sollte, und verliert andere nicht, die schon verloren erscheinen. Ich glaube nicht, dass in der Saison 2018 ein anderer Formel 1-Fahrer in Lewis' Auto seine Leistungen und Ergebnisse geschafft hätte. Sein Mercedes-Formel 1-Team leistet perfekte Arbeit und wird bestens geführt. Lewis und seine Mannschaft sind eine Einheit, 2018 mehr denn je. Gemeinsam haben sie Motorsportgeschichte geschrieben, Lewis alleine hat seit 2014 in fünf Jahren genau so viele Rennen gewonnen wie all seine Wettbewerber zusammen - 49 Siege bei 98 Rennen, 50 Prozent aller möglichen Siege gingen also an Hamilton, dazu vier Weltmeistertitel.
SPOX: Was hat Sebastian Vettel in diesem Jahr gefehlt?
Haug: Es gab einige Fahrfehler, das weiß Sebastian selbst am besten. Er machte sich selbst sehr viel Druck, musste oft aufholen und deshalb höheres Risiko gehen. Und nicht immer agierte sein Ferrari-Team so treffsicher wie das Lewis' Mercedes-Mannschaft meistens tat. Bei sehr viel Druck kann auch dem Besten mal das Talent ausgehen - und anschließend die Straße.
SPOX: Ist Hamilton im Kopf stärker als Vettel?
Haug: Das kann man sicher so nicht behaupten. Und treffsicher beurteilen kann man zwei Fahrer sowieso nur, wenn sie mit gleichem Material und gleicher Betreuung in einem Team fahren.
Norbert Haug: "Ferrari unterstützt Vettel nach besten Kräften"
SPOX: Kritik gibt es auch immer wieder an Ferrari, das Vettel zu wenig unterstützt haben soll. Wie sehen Sie solche Vorwürfe?
Haug: Das ist mir zu platt. Natürlich unterstützt Ferrari Vettel nach besten Kräften. Sie haben ein hervorragendes Auto gebaut und erstklassige Rennen gezeigt. Man muss kein Hellseher sein, um zu behaupten, dass ohne den hervorragenden Hamilton wohl weniger Fehler bei Ferrari und Vettel passiert wären: Hamilton macht den Unterschied, holte das Allerbeste aus seinem technischen Paket und wurde deshalb verdient Weltmeister.
SPOX: Wagen wir eine kleine Prognose: Wird Hamiltons Dominanz auch im nächsten Jahr weitergehen?
Haug: Alles kann 2019 ganz anders aussehen. Die letzten beiden Rennen in den USA und in Mexiko haben gezeigt, dass der Silberpfeil und Hamilton nicht unschlagbar sind. Aber wie ich die Mercedes-Formel-1-Mannschaft kenne, kommen sie aus solchen Situationen nur noch stärker zurück. In der Teambasis wird jedenfalls derzeit garantiert nicht der erneute Titelgewinn gefeiert, sondern härter denn je gearbeitet, um 2018 auf der Strecke auf einem Hoch, also auf der höchsten Stufe des Podiums abzuschließen.
norberthaugNorbert Haug: Hamilton kann Schumachers Rekorde knacken
SPOX: Sie kennen Michael Schumacher sehr gut und haben mit Hamilton zusammengearbeitet. Welche Gemeinsamkeiten und welche Unterschiede haben Sie festgestellt?
Haug: Beide haben den unbändigen Willen zum Sieg, analysieren sich selbstkritisch, sind nie zufrieden oder gar eingebildet, und steigern sich fortlaufend. Dazu sind beide Teamplayer, sie wissen, dass alleine nichts geht und gemeinsam alles. Und genau das vermitteln sie ihrer Umgebung im Team.
SPOX: Kann Hamilton Schumachers Rekorde knacken?
Haug: Ein konkurrenzfähiges Auto und ein erstklassiges Team vorausgesetzt - ja. Lewis kann sicher noch über ein halbes Jahrzehnt lang eine fahrerische Messlatte sein, wenn er dazu motiviert ist und so lange weitermachen will.