Arrivabene-Entlassung: Die Hintergründe des Ferrari-Bebens

Von Christian Guinin
Mattia Binotto übernimmt das Amt des Teamchefs von Maurizio Arrivabene.
© getty

Am Ende war es wohl unausweichlich. Die Ära Maurizio Arrivabenes bei Ferrari ist nach vier gemeinsamen Jahren endgültig Geschichte. Am vergangenen Montagabend gab die Scuderia die Trennung mit dem 61-Jährigen Italiener bekannt.

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Nachfolger soll der bisherige technische Direktor Mattia Binotto werden, mit dem sich Arrivabene über die zukünftige Ausrichtung des Traditions-Rennstalls zuletzt nicht mehr einig gewesen sein soll. Die daraus resultierende Meinungsverschiedenheit soll nach Informationen der Gazetta dello Sport der Hauptgrund für die Ablösung auf der Position des Teamchefs sein.

Wer sich mit den vergangenen Jahren der Scuderia Ferrari jedoch näher befasst, wird erkennen, dass es ein langsamer, aber stetiger Niedergang Arrivabenes bei Ferrari war.

Was führte zu Arrivabenes Entlassung?

Nach einer katastrophalen Saison 2014, als Ferrari das erste Mal seit 1993 ohne Sieg geblieben sowie in der Konstrukteurs-WM nicht über einen enttäuschenden vierten Platz hinausgekommen war, startete die Scuderia eine personelle Qualitätsoffensive.

Für den damaligen Teamchef Marco Mattiacci, der selbst kaum sieben Monate im Amt war, kam Arrivabene - ein zu dieser Zeit noch relativ unbeschriebenes Blatt in der Motorsport-Szene. Die ersten radikalen Änderungen unter der Führung des neuen starken Mannes ließen aber nicht lange auf sich warten. Mit Chefingenieur Pat Fry und Chefdesigner Nikolas Tombazis mussten die ersten großen Namen nach nur wenigen Wochen ihre Koffer packen. Profiteure des eingeleiteten Umbruchs waren der mittlerweile zu Mercedes abgewanderte, neue Technik-Direktor, James Allison - unterstützt von einem gewissen Mattia Binotto.

Darüber hinaus sicherte sich das Team die Dienste des viermaligen Weltmeistes Sebastian Vettel, der Fernando Alonso ersetzte und zusammen mit dem Finnen Kimi Räikkönen die Fahrerpaarung für die Saison 2015 bildete. Einem Umbruch mit frischen Gesichtern sowie einer "schlankeren und effizienteren Struktur", wie Allison beschrieb, stand nichts mehr im Weg.

Arrivabene schafft es, ein Team zu formen

Die ersten Erfolge im neuen Jahr ließen nicht lange auf sich warten. Bereits beim zweiten Grand Prix von Malaysia fuhr Vettel auf den ersten Platz und löste bei den Tifosi eine schon fast vergessene Welle der Euphorie aus. "Da steht alles Kopf, denn die Italiener waren im vergangenen Jahr die Gedemütigten", merkte Niki Lauda nach dem Rennen an.

Schon nach kurzer Zeit schien es, als habe es Arrivabene in nur wenigen Monaten geschafft, den tief gespaltenen Rennstall wieder zu einer Einheit zu formen: "Ich hatte den Luxus, für eine große Firma zu arbeiten, und ich habe viel gelernt in vielen Bereichen. Das Wichtigste ist es, den Leuten eine Richtung zu geben." Mit Erfolg: Das lässige, unkonventionelle und bescheidene Auftreten des Mannes aus dem norditalienischen Brescia schlug ein.

Am Ende der Saison übertraf Ferrari die Erwartungen mit drei Saisonsiegen und einem soliden zweiten Platz in der Konstrukteurs-WM. Primus Mercedes war zwar nach wie vor mit 250 Punkten Vorsprung außer Reichweite, die Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr aber bemerkenswert. Auf das Übergangsjahr 2015 sollte 2016 der Angriff auf Mercedes folgen.

Erste leise Erinnerungen an die Goldene Ära der Scuderia unter Jean Todt und Ross Brawn waren geweckt. Vorbei schienen die Zeiten, in denen die Roten als graue Maus in der Versenkung zu verschwinden. Vorbei schienen die Zeiten unter Teamchefs wie dem zuweilen zu liebenswert wirkenden Stefano Domenicali oder dem völlig überforderten Marco Mattiacci.

Lockerheit geht zunehmend verloren

Die ersten kleineren Risse am Heilsbringer-Image Arrivabenes taten sich zu Beginn der neuen Saison auf. Nach den ersten vier Umläufen ohne Sieg fing die Gerüchteküche an zu brodeln.

Italienischen Medien berichteten von einer Ablösung durch Allison, was bei Arrivabene sichtlich Spuren hinterließ. Während der 61-Jährige in der Vorsaison noch dauerlächelnd durch den Paddock gelaufen war und sich bei Medienrunden offen und zuvorkommend den Fragen der Journalisten gestellt hatte, wirkte es nun, als hätte er seine Lockerheit verloren.

Hinzu kamen erste strategische Fehler wie bei den Rennen in Kanada und Singapur, als Ferrari durch falsche Entscheidungen an der Boxenmauer mögliche Siege und Podestplätze aus der Hand gegeben hatte.

Den absoluten Saison-Tiefpunkt erreichen Arrivabene und Ferrari jedoch nach dem überraschenden Rücktritt von Technik-Direktor Allison. Dieser wurde zwar kurze Zeit später intern durch Binotto ersetzt, das Versprechen Allisons, ein Auto zu bauen, das "um vier Sekunden schneller" als sein Vorgänger ist, konnte jedoch nicht eingehalten werden. Das Jahr 2016 endete ohne einen einzigen Sieg auf einem enttäuschenden dritten WM-Platz. Die Tage von Arrivabene schienen gezählt.

WM-Enttäuschung trotz konkurrenzfähigem Auto

Dass der Italiener sich dennoch im Sattel halten konnte, lag in erster Linie an den guten Testergebnissen zu Beginn der Saison 2017 sowie einer starken ersten Saisonhälfte. Zum ersten Mal unter der Ära Arrivabene schien Ferrari ein konkurrenzfähiges Auto zu besitzen.

Bis zum Großen Preis von Ungarn hielt Vettel gar die WM-Führung inne, ehe die Saison in Singapur ihren Wendepunkt fand. Auf einer Strecke, die aufgrund ihres Layouts als eine der stärksten Ferrari-Strecken eingeschätzt wird, kollidierten die beiden Teamkollegen Vettel und Räikkönen am Start und mussten aufgeben. Hamilton holte sich die 25 WM-Punkte.

Als dann in Japan und Malaysia aufgrund eines defekten Einlasskrümmers weitere wichtige Punkte verloren gingen und sich Hamilton bereits drei Rennen vor Schluss die WM-Krone aufsetzte, schossen erneut die Kritiker aus dem Boden.

Sowohl die Qualitätskontrolle der einzelnen Teile als auch das mangelhafte Briefing der beiden Piloten vor dem Start in Singapur falle letztendlich unter den Verantwortungsbereich eines Teamchefs. Wieder drohte Arrivabenes Stuhl zu kippen, wieder schaffte er es, Ferrari-Boss Sergio Marchionne von einem Verbleib zu überzeugen.

Wohl auch, weil sich seine Fahrer nach wie vor schützend vor ihn stellten: "Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber Ferrari war 2014 miserabel! Maurizio ist der Hauptverantwortliche dafür, dass sich das geändert hat", sagte Vettel.

Grobe taktische Fehler kosten erneut die WM

Die ersten Gerüchte um Binotto als Arrivabene-Nachfolger tauchten Anfang 2018 auf. Eine Intimfeindschaft wurde den beiden schon damals nachgesagt. Dennoch betonte der Scuderia-Teamchef mit dem Schweizer an einem Strang zu ziehen: "Er vertritt den Standpunkt der Ingenieure, ich habe eine andere Sichtweise, aber dennoch finden wir meist zusammen."

Ungeachtet dessen wirkte der 61-Jährige jedoch immer stärker angeknockt. Wieder schlichen sich Strategiefehler in China und Singapur ein. In Monza verpasste es Ferrari, mit einer klaren Stallorder wichtige Punkte zu sammeln und in Japan traf man im Qualifying eine katastrophale Reifenwahl. Neben den vielen Fehlern der Teamführung kamen zu allem Überfluss auch ungewohnt viele individuelle Schnitzer von Vettel hinzu. Erneut waren Mercedes und Hamilton am Ende die lachenden Sieger.

Arrivabene: "Ich bin eher ein Freund der Evolution"

Letztlich verpasste es Arrivabene auch im vierten Anlauf, einen Titel nach Maranello zu holen. Mit Sicherheit trug er nicht die alleinige Verantwortung für die teilweise verpatzen Jahre bei der Scuderia, insgesamt war es aber zu wenig, um den ambitionierten Zielen der Italiener gerecht zu werden.

Der letzte Versuch Arrivabenes, die Meldungen über einen Streit mit Nachfolger Binotto als Fake News zu relativieren, scheiterten: "In dieser Saison hat es mehrere Versuche gegeben, die Mannschaft zu destabilisieren", aber "das Team ist gut und kompakt. Ein funktionierender Rennstall braucht keine Revolution, ich bin sowieso eher Freund einer Evolution."

Diese Meinungsverschiedenheiten waren letzten Endes wohl der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen brachte.

Wer ist Mattia Binotto?

Nun soll es also der Schweizer Mattia Binotto richten. Statt eines Quereinsteigers aus der Zigarettenindustrie will es Ferrari mit internem Technik-Know-How auf der Führungsposition versuchen. Im Gegensatz zu Arrivabene ist der neue Mann nämlich jemand, der die Formel 1 kennt und als ausgewiesener Technik-Guru gilt.

Binotto kam 1995 zur Scuderia und durchlief dort sämtliche Stationen im Team, ehe er 2014 zum Leiter des Motorenbereichs und 2016 zum technischen Direktor ernannt wurde. Schon 2017 wurde er von Mercedes-Aufsichtsratschef Niki Lauda als "Schlüsselfigur" im Traditionsrennstall bezeichnet.

Was bedeutet der Wechsel für Ferrari?

Ob eine erneute personelle Veränderung Ferrari zurück an die Spitze führen kann, lässt sich kaum voraussagen. Schon in der vergangenen Saison hakte es bei der Scuderia eher weniger am technischen Material - für das Binotto hauptverantwortlich war, sondern vielmehr an sauberen taktischen Strategien und Abläufen sowie fahrerischen Einzelleistungen.

Sollte Binotto aus den Fehlern der Vergangenheit lernen, hat er neben einem solidem Grundpaket eine der stärksten Fahrerpaarungen des gesamten Formel-1-Feldes zur Verfügung. Dennoch muss er, trotz der aufkeimenden Euphorie, vorsichtig sein. Schon einmal ging in den letzten Jahren eine Ferrari-Revolution gehörig schief.

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