Formel 1 - Erkenntnisse zum Aserbaidschan-GP: Vettel streift die letzten Zweifel ab - Hamilton verliert die Nerven im Titelkampf

Christian Guinin
07. Juni 202109:18
Sebastian Vettel wurde bei der letzten Ausgabe des Großen Preises von Aserbaidschan Zweiter.imago images / HochZwei
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Während Lewis Hamilton in einem für ihn ungewohnt engen WM-Titelkampf die Nerven zu verlieren scheint, bestätigt Sebastian Vettel mit einem starken zweiten Platz beim Großen Preis von Aserbaidschan seine gute Form und streift die letzten Zweifel ab. Gesprächsthema sind nach dem Rennen in Baku aber vor allem die Reifenplatzer von Lance Stroll und Max Verstappen, bei denen Hersteller Pirelli erneut nicht gut aussieht. Die Erkenntnisse zum Aserbaidschan-GP.

Titelkampf treibt Lewis Hamilton in ungewohnte Fehler

Bis zur 50. Rennrunde verlief der Große Preis von Aserbaidschan für Lewis Hamilton eigentlich voll nach Plan. WM-Konkurrent Max Verstappen (Red Bull) war nach einem Reifenschaden kurz zuvor aus dem Rennen ausgeschieden, seinerseits steuerte der amtierende Weltmeister trotz des insgesamt schwachen Gesamtpaketes des Mercedes auf dem Baku City Circuit auf Podestplatz zwei zu.

Dann aber kam jene 50. Runde und der stehende Restart nach der Rennunterbrechung. Hamilton kam eigentlich gut vom Fleck und hatte Sergio Perez im zweiten Red Bull schon nach wenigen Metern ausbeschleunigt. Dann aber aktivierte der Brite offenbar versehentlich einen Knopf, der die Bremsbalance verstellt. "Es gibt einen Knopf, der uns hilft, die vorderen Bremsen auf Temperatur zu bekommen. Und als Perez rübergezogen ist, habe ich reagiert und dabei versehentlich den Schalter verstellt, weshalb die Bremsen blockierten und ich geradeaus gefahren bin", erklärte er im Anschluss.

Teamintern wird der Knopf als "magischer Knopf" bezeichnet und dient vor allem dem Aufwärmen der Reifen und Bremsen in Einführungsrunden und während der Safety-Car-Phasen. Noch am Funk entschuldigte sich der siebenmalige Weltmeister bei seinem Team: "Habe ich den Magischen so gelassen? Ich hätte schwören können, dass ich ihn abgeschaltet habe."

Umso skurriler wirkte die Szene vor dem Hintergrund, dass Hamilton noch vor dem Restart über Funk mitteilte, nicht zu viel riskieren zu wollen. Die WM sei "ein Marathon, kein Sprint". Zustimmung bekam er dafür umgehend von Mercedes-Teamchef Toto Wolff.

Lewis Hamilton verbremste sich in Kurve eins und schmiss seinen zweiten Platz weg.imago images / HochZwei

Hamilton patzt schon zum wiederholten Male

Es ist nicht das erste Mal in dieser Saison, dass Hamilton derart offensichtliche und folgenschwere (Fahr)Fehler unterlaufen. Schon in Imola rutschte der 36-Jährige auf nasser Fahrbahn ins Kiesbett. Damals rettete ihn noch eine späte Safety-Car-Phase, die ihn sich auf Platz zwei zurückkämpfen ließ. Fehler, die man vom Mercedes-Piloten in der Vergangenheit so nicht gewohnt war.

Wie kaum ein anderer Fahrer schaffte es Hamilton in den vergangenen Jahren, seine PS optimal auf die Straße zu bringen. Er mag im Vergleich zu Verstappen in Sachen rohem Speed den Kürzeren ziehen. Was Konstanz und Balance angeht, kann ihm aber nach wie vor kaum einer im Feld das Wasser reichen.

Nun also der nächste Fehler. Zum ersten Mal seit 2017 ist der WM-Kampf derart offen. Verstappen und Red Bull bewegen sich seit Saisonbeginn auf Augenhöhe zu den Silberpfeilen, in Monaco und Aserbaidschan hatten die Österreicher gar das schnellere Paket. Das scheint an Hamiltons Nervenkostüm zu nagen.

Sebastian Vettel streift die letzten Zweifel ab

Was wurde Sebastian Vettel in den vergangenen Monaten und Jahren kritisiert. Die dabei oft gestellte Frage: Werden wir den "alten" Sebastian Vettel jemals wiedersehen? Den Vettel, der in seiner unbekümmerten Art zu vier Weltmeistertiteln fuhr und der sich an guten Tagen vor den besten Piloten dieses Sports nicht verstecken musste.

Beim Großen Preis von Aserbaidschan fuhr Vettel mit Platz zwei nicht nur das beste Saison-Ergebnis ein, es war auch seine persönlich beste Platzierung seit mehr als anderthalb Jahren (damals ein zweiter Platz beim Mexiko-GP 2019). "Ich habe mich das ganze Wochenende über gut gefühlt, aber ich habe sicher nicht Platz zwei erwartet", sagte Vettel nach der Siegerehrung. Als Elfter war er ins Rennen gegangen, hatte über die 51 Runden neun Plätze gut gemacht. Nur Sergio Perez im Red Bull sah vor Vettel die schwarz-weiß-karierte Zielflagge. Als Belohnung für die starke Leistung bekam Vettel sogar die Fan-Auszeichnung des Fahrers des Tages verliehen.

In dieser Auszeichnung steckt natürlich Anerkennung für eine bemerkenswerte Leistung auf einem fordernden Stadtkurs wie dem Baku City Circuit. Vielmehr erhielt der vierfache Weltmeister aber diesen Zuspruch, weil solche Auftritte zuletzt selten geworden waren. Weil er solche Leistungen viel zu oft schuldig geblieben war. Leistungen, wie sie eines vierfachen Weltmeisters würdig wären.

Denn auch wenn es letztlich das Unglück der vor ihm Fahrenden war, dass ihn aufs Podest brachte - den WM-Führenden Max Verstappen beförderte ein Reifenplatzer ins Aus, den WM-Zweiten Lewis Hamilton ein Verbremser ans Ende des Feldes -, so war es Vettels Verdienst, überhaupt in der Position zu sein, um davon zu profitieren. Und in eine solche Position vermag sich der 33-Jährige nun allem Anschein wieder bringen zu können.

Vettel: P2 "bedeutet mir unheimlich viel"

"Das alles bedeutet mir unheimlich viel, weil wir so einen schweren Start zusammen hatten", so der 33-Jährige, der in den ersten vier Rennen der laufenden Saison nicht über Platz 13 hinausgekommen war. Zu wenig für die Ansprüche von Vettel selbst und auch von Aston Martin. Der ambitionierte Rennstall hatte ihn schließlich als Hoffnungsträger und Aufbauhelfer verpflichtet, der das ehemalige Racing-Point-Team perspektivisch nachhaltig siegfähig machen sollte.

Der "schwere Start" aber ließ die Kritik, vorrangig die von außen, wachsen. Vielleicht waren die miserablen Leistungen im letzten Ferrari-Jahr ja doch nicht allein dem schwachen Auto geschuldet, so die Argumentation, vielleicht wäre das Karriereende doch die bessere Wahl gewesen. Vettel ließ sich davon zumindest nach außen nicht beunruhigen.

Schon in Monaco zeigte er sich deutlich verbessert, fuhr als Fünfter sein bestes Ergebnis ein - und legte nun in Baku nach. Zwar machen zwei gute Rennen auf den engen und anspruchsvollen Stadtstrecken die wechselhaften Auftritte davor nicht vergessen. Trotzdem war dem vierfachen Weltmeister in den Interviews nach dem Podium in Baku anzumerken, dass er eine gewisse Erleichterung empfindet.

Dank zweier Platzierungen in den Punkten zeigt die Kurve nun wieder nach oben. "Ich hoffe, dass wir jetzt regelmäßiger in die Punkte fahren", blickte der Heppenheimer optimistisch in die Zukunft. Die letzten Zweifel, ob wir den "alten" Sebastian Vettel jemals wiedersehen werden, scheinen beseitigt.

Pirelli macht erneut einen unglücklichen Eindruck

Als bei Max Verstappen in Runde 47 der linke Vorderreifen seinen Geist aufgab und der Niederländer mit über 300 km/h in die Begrenzungsmauer einschlug, wurden bei vielen Formel-1-Fans mit Sicherheit Erinnerungen an den Großen Preis von Großbritannien 2020 wach.

Damals platzten kurz vor Rennende und innerhalb weniger Umläufe bei Valtteri Bottas, Carlos Sainz und Lewis Hamilton nacheinander die Reifen. Damals schloss Reifenhersteller Pirelli ein strukturelles Problem der Pneus aus, eine spätere Untersuchung gab keinen Aufschluss.

Am gestrigen Sonntag ereignete sich ein identischer Vorfall. 15 Runden vor dem angesprochenen Verstappen-Abflug krachte auch Aston-Martin-Pilot Lance Stroll an quasi identischer Stelle mit identisch aufgeschlitztem Reifen in der Barrikade.

Das wäre an sich noch nicht weiter problematisch, wären die Reifen aufgrund von zu hohem Verschleiß in die Knie gegangen. Beide Teams bestätigten jedoch bereits kurze Zeit nach den Unfällen, dass keines ihrer Parameter auf ein derartiges Einbrechen der Reifen hingewiesen hätte.

Max Verstappens Reifen platze bei über 300 km/h auf der Start- und Zielgeraden.imago images / HochZwei

Verstappen: "Pirelli wird es auf Carbonteile schieben"

"Ich habe nichts bemerkt", analysierte Verstappen im Anschluss bei Sky die Szene. "Der Reifen ist einfach von der Felge geflogen. Das ist ein ziemlich gefährlicher Ort für einen Reifenschaden bei den Geschwindigkeiten. Mir geht es gut, dem Auto nicht so." An einen äußeren Einfluss, der auf den Pneu gewirkt haben könnte, glaubt er nicht. "Am Ende wird Pirelli wieder sagen, dass da irgendein Teil vom anderen Crash war oder so. Aber das kann nicht immer so sein", übte er Kritik an Pirelli.

"Wir fahren jede Runde die gleiche Linie, weil alle im Windschatten sein wollen. Es ist sehr seltsam, dass mir das passiert ist. Sie haben die Strecke gesäubert (von den Trümmerteilen von Lance Stroll; Anm.d.Red.), aber vermutlich wird es Pirelli trotzdem auf Carbonteile schieben. So war es auch in Imola (2020; Anm.d.Red.), und dagegen kann man dann nichts sagen", so Verstappen.

Sollten die weiteren Untersuchungen die Einschätzung Verstappens bestätigen, wonach die Reifen durch keinen äußeren Einfluss zum platzen kamen, steht Pirelli eine weitere Welle an Kritik bevor. Schließlich hat der Reifenhersteller einen einwandfreien Zustand der Reifen zu garantieren. Daran hängen nämlich nicht nur wichtige WM-Punkte und -Platzierungen, in den Fällen von Stroll und Verstappen, mit über 300 km/h auf der Geraden, steht auch die Gesundheit der Piloten auf dem Spiel. Und das kann und darf keineswegs akzeptiert werden.

Formel 1: Die WM-Wertung nach 6 von 23 Rennen

  • Fahrerwertung:
PlatzFahrerTeamPunkte
1Max VerstappenRed Bull105
2Lewis HamiltonMercedes101
3Sergio PerezRed Bull69
4Lando NorrisMcLaren66
5Charles LeclercFerrari52
6Valtteri BottasMercedes47
7Carlos SainzFerrari42
8Pierre GaslyAlphaTauri31
9Sebastian VettelAston Martin28
10Daniel RicciardoMcLaren26
  • Konstrukteurswertung:
PlatzTeamPunkte
1Red Bull174
2Mercedes148
3Ferrari94
4McLaren92
5AlphaTauri39
6Aston Martin37
7Alpine25
8Alfa Romeo2
9Williams0
10Haas0