Giancarlo Minardi hat die F1 aufgeschreckt. Während sich alle Konkurrenten zuletzt die Zähne an Sebastian Vettel ausbissen, hat der frühere Teambesitzer eine Theorie entwickelt, warum Red Bull aktuell haushoch überlegen ist.
"Der Renault-Motor im Wagen des Deutschen hörte sich wie kein anderer französischer Motor auf der Strecke an - auch nicht wie Marks", beschrieb Minardi seine Beobachtungen in Singapur: "Der Sound war ähnlich jenen Geräuschen, als in den letzten Saisons die Traktionskontrolle einsetzte."
Die Gerüchteküche brodelt seitdem. Verhindert Red Bull durch ein illegales System das Durchdrehen der Räder beim Beschleunigen? "Er ist mindestens 20 Meter vor allen anderen auf Vollgas, das ist ein riesiger Vorteil", sagt Mercedes-Pilot Lewis Hamilton: "Das letzte Mal, als ich das Gaspedal so schnell durchtreten konnte, war damals im Jahr 2007 oder 2008, als wir die Traktionskontrolle hatten."
Allerdings kommt die Aufregung überraschend, weil der Klang des Red Bull sich seit Monaten nicht verändert hat. "Schon bei den Wintertests in Barcelona standen wir in den Kurven und haben uns die Gegner angeschaut", erklärt Vizeweltmeister Fernando Alonso: "Bereits damals hatte der Red Bull einen ganz anderen Sound."
Vettel reißt Witze
Vettel reagierte auf die Vorwürfe der Traktionskontrolle deshalb mit trockenem Humor. "Die hat super funktioniert in Singapur", sagt der Weltmeister vor dem Südkorea-GP: "Wir haben den ganzen Freitag und Samstag getüftelt und am Sonntag hat es erstmals richtig funktioniert. Ich denke, dass es bei den nächsten Rennen auch so weitergeht und dass wir dann noch mehr von dem System profitieren können."
Obwohl Motorsportberater Helmut Marko die Anschuldigungen als "absoluten Blödsinn" abtat, fühlte sich selbst der Automobilweltverband FIA zu einer Klarstellung berufen: Der Red Bull entsprach in Singapur dem Reglement, weil alle Teams eine Einheitselektronik nutzen müssen.
Trotzdem gibt es einen Trick. Selbst Dauerrivale Alonso ist überzeugt, dass das Team aus Milton Keynes ein System hat, das der Konkurrenz fehlt. "Aber ich denke auch, dass es absolut in Ordnung und regelkonform ist", so der WM-Zweite.
So funktioniert Red Bulls Trick
Derzeit rätseln die F1-Insider, wie das Red-Bull-Geheimnis genau funktioniert. Beim Blick auf die Onboard-Aufnahmen in Singapur wird deutlich, dass das auffällige, tieftönige Geräusch in der Mitte der langsamen Kurven und somit weit vor dem Durchtreten des Gaspedals auftritt. Es hört sich an wie zahlreiche Fehlzündungen, durch deren Abgase Red Bull offenbar wieder den Effekt eines Blown Diffusors herstellt.
Als Technikdirektor Adrian Newey 2010 beim RB6 den Abtrieb verstärkte, indem der Diffusor durch die etwa 400 Stundenkilometer schnellen Abgasströme gegen seitlich eindringende Luft abgedichtet wurde, fuhr Vettel seinen ersten Titel ein. Schon ein einfacher Diffusor macht durch die Erzeugung von Unterdruck unter dem Fahrzeug mehr als 40 Prozent des Gesamtabtriebs eines Formel-1-Autos aus, wobei der Luftwiderstand anders als durch Flügel nicht erhöht wird.
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In der Saison 2012 wurde das direkte Anblasen zwar verboten, Renault versuchte aber schon beim Deutschland-GP durch die Anpassung des Motormappings einen ähnlichen Effekt zu kreieren. Die FIA verbot die geänderten Einstellungen und behielt die Entscheidung bei, als Red Bull bei den Wintertests 2013 wieder mit neuen Konfigurationen anrückte.
Jedes Team musste schon vor der Saison 2013 ein Motorenkennfeld festlegen, von dem es im Verlauf des Jahres nur um zwei Prozent abweichen darf. Weil Red Bull und Renault ihr Mapping schon damals perfekt auslegten, ist der aktuelle Trick mit dem ungesunden Klang vollkommen legal.
Pirelli-Desaster verschleierte Überlegenheit
Dabei wurde der Effekt wahrscheinlich durch die anfangs der Saison eingesetzten weicheren Gummimischungen verschleiert. Sie bestraften das hohe Abtriebsniveau mit massivem Reifenverschleiß. Seit der Rückkehr zu den 2012er Pirelli-Mischungen in Ungarn hat Vettel aber drei von vier Rennen gewonnen.
Die neuerliche Überlegenheit von Red Bull beruht wohl auf dem sogenannten Vierzylindermodus, bei dem in den Schaltpausen nur in der Hälfte der acht Verbrennungsräume nicht 50 Millisekunden nachgezündet wird. Die übrigen Zylinder bekommen weiterhin Benzin, produzieren somit Abgase und dichten den Diffusor ab.
Beim Verlassen der Kurve funktioniert das System laut "Auto Motor und Sport" ähnlich: Der Fahrer tippt kurz voll aufs Gas und fordert danach beim normalen Beschleunigen weniger als 50 Prozent des Drehmoments an. Dadurch darf der Motor wieder in den Vierzylindermodus versetzt werden. Vettel hat seinen Fahrstil im Gegensatz zu Teamkollege Mark Webber optimal angepasst.
Weil der ungesunde Klang selbst bei den anderen Renault-Teams nicht auftritt, besteht der eigentliche Trick aber darin, die richtigen Zylinder abzuschalten. Werden etwa drei Verbrennungsräume auf der kurveninneren Seite weiter befeuert, strömen mehr Abgase auf die durch die Kurvenneigung höhere Ecke des RB9-Diffusors, wo sonst die Luft eindringen würde.
Red-Bull-Vorteil in Südkorea geringer
Ins Singapur wirkt sich der Vorteil durch dieses System extrem aus, weil die meisten der 23 Kurven mit weniger als 130 Stundenkilometern durchfahren werden. Auf dem 5,615 Kilometer langen Korea International Circuit in der Provinz Yeongam fällt der Nutzen an diesem Wochenende aber geringer aus.
"Die Strecke in Korea hat ein etwas ungewöhnliches Layout. Die langen Geraden kommen alle am Anfang und die Kurven am Ende", beschreibt Vettel den Kurs. Im ersten und dritten Sektor dürfte sich der Diffusor-Effekt abermals einstellen. Dagegen zählt im zweiten Sektor während der schnellen Kurven vor allem eine gute Balance, die Mercedes schon in Singapur hatte.
Weil der Asphalt zudem verhältnismäßig glatt ist und die Strecke nur selten genutzt wird, droht durch Graining ausgelöstes Untersteuern. Dadurch würden Ferrari und Lotus wieder näher an die Spitze rücken. Sie haben mit dem Rutschen der Autos bisher am wenigsten Probleme.
Starke Regenfälle am Sonntag erwartet
Vor allem beim Rennen am Sonntag drohen deftige Überraschungen. Der koreanische Wetterdienst hat seine Warnung vor dem Tropensturm Fitow zwar zurückgenommen. Nachdem der Taifun abgedreht ist, bleiben Windgeschwindigkeiten von mehr als 150 Stundenkilometern aus, starke Regenfälle soll es trotzdem geben.
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Das erwartete Wasser motiviert vor allem Fernando Alonso, den nahezu aussichtlosen Kampf in der Fahrer-WM trotz 60 Punkten Rückstand auf Sebastian Vettel weiter fortzuführen. "Wie beim America's Cup: Die Amerikaner lagen 1:8 zurück und sie haben noch 9:8 gewonnen ", erklärt der amtierende Vizeweltmeister.
Bei trockenen Bedingungen rechnet er sich kaum Chancen aus, weil Ferrari kaum noch neue Teile für das aktuelle Auto entwickelt: "Wir wissen, dass es schwierig wird. Aber wenn wir zwei gute Rennen haben, können sich die Dinge schnell ändern. Wir brauchen auch Glück, das wissen wir."
Der Stand in der Fahrer- und Konstrukteurs-WM