Das Piratenparadies ist erwachsen geworden. Seitdem sich Alkohol- und Zigarettenindustrie aus der Sportwerbung zurückziehen mussten, sind die Hafenpartys fast verschwunden. Glamour ja, Ausschweifungen nein. Nur Force-India-Teamchef Vijay Mallya hält wacker die Stellung, seitdem auch Red Bull hochprofessionell aufs Feiern verzichtet.
Grund zur Freude gibt es dennoch: Lächelnd erinnert sich Nico Rosberg an das letzte Rennen in Monte Carlo zurück. Er, der im früheren Piratenparadies aufgewachsen ist, feierte die große Erlösung. 2013 schlichen die Mercedes im Fürstentum fast schon quälend vor dem Feld her und blockierten alle Überholversuche erfolgreich ab, um so die Reifen zu schonen.
"In der Vergangenheit konnten wir auf einer Strecke mit wenig Grip wie Monaco die Reifen einfach am Leben halten. Aber das ist kein Problem mehr", sagte Motorsportdirektor Toto Wolff vor dem prestigeträchtigsten Wochenende im Formel-1-Kalender. Stattdessen scheint das Werksteam uneinholbar vorne zu liegen. Besonders Lewis Hamilton packt immer wieder ein Quäntchen drauf, wenn sein Vorsprung schmilzt.
Lauda: "Lewis ist im Moment unschlagbar"
"Lewis ist im Moment unschlagbar", sagt selbst Aufsichtsratschef Niki Lauda und lässt keinen Zweifel daran, welchem Fahrer aktuell seine Sympathien gelten. Er empfahl Hamilton, sich am Rennwochenende auf die Formel 1 zu konzentrieren. Seitdem lässt sich Pussycat Nicole Scherzinger maximal bei Testfahrten sehen, seitdem müssen seine Bulldoggen Roscoe und Coco zu Hause bleiben.
Der Brite ist keineswegs zufrieden mit den vier Siegen, die er zuletzt in Folge holte. Er will die Serie fortsetzen, womit die WM statistisch schon entschieden wäre. Nur sechs weitere Fahrer gewannen in der Formel-1-Geschichte fünf oder mehr Grands Prix in Folge - alle krönten sich im selben Jahr zum Weltmeister.
Um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen, kündigte der 28-Jährige an, die Telemetriedaten seines Teamkollegen zu studieren. "Ich weiß, was ich kann. Es hätte mir nicht so schwer fallen sollen", sagte Hamilton über seine knappen Siege in Bahrain und Spanien und wiederholte sein Mantra: "Es hätte nicht so knapp sein dürfen."
Es ist ein kleiner, aber klarer Tiefschlag gegen den eigenen Teamkollegen. Hamilton ist überzeugt, dass er überlegen ist, sofern er am Limit fährt. Doch wer hat ihm gesagt, dass Rosberg am Limit war, als er in Malaysia und China erst mit Abstand über die Linie kam?
Berger: "Rosberg hat den längeren Atem"
"Rosberg wird trotz allem den längeren Atem haben", sagt etwa Gerhard Berger: "Der Druck, den er schon in Barcelona ausübte, war immens. Man konnte an den Funksprüchen hören, wie nervös Hamilton war. Auf Dauer wird er dem nicht standhalten und mehr Fehler machen."
Den Deutschen kümmert die Breitseite seines Teamkollegen zumindest nicht. "Ich ändere nichts an meiner Herangehensweise. Ich brauche nur einen kleinen Funken, um es herumzudrehen", blockt Rosberg den verbalen Angriff ab: "Der WM-Kampf ist sehr eng und es wäre fantastisch, wenn ich bei meinem Heimrennen zurückschlagen könnte."
Der Wahlmonegasse hat zuletzt seinerseits an seinen Schwächen Start und Bremsverhalten gearbeitet. Doch so siegessicher sich die Silberpfeil-Piloten auch geben, ihr Erfolg an diesem Wochenende ist keineswegs gesichert. Die Führung des Mercedes-Teams zeigt erstmals kleine Sorgenfalten. Was passiert im engen Kurvengeschlängel mit 5.000 Schaltvorgängen, wenn plötzlich nicht mehr das Zusammenspiel der Komponenten der Powerunit wichtig ist?
Das Hybridsystem fällt aus
Weil die Piloten nur 30 Prozent jeder Runde Vollgas geben, wird thermische Energie am Turbolader von der MGU-H kaum umgewandelt. Es kommt plötzlich und einmalig nur auf den V6-Motor an, bei dem Vergleiche unter den Herstellern noch ausstehen. "Monaco ist immer anders. Klar gibt es ein Team mit einem Vorteil, aber auf einem Straßenkurs kann alles anders sein", sagt auch Motorsportdirektor Wolff.
Mercedes ist mit seinen Befürchtungen nicht allein. "Wir können nicht nach Monte Carlo und Kanada fahren und denken, der dritte Platz sei unser Ziel", blies Vizeweltmeister Fernando Alonso zur Attacke: "In diesem Jahr ist Monte Carlo eine der wenigen Gelegenheiten, um Mercedes anzugreifen - vor allem für Red Bull."
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Alonso: "Red Bull kann Mercedes angreifen"
Nicht die eigene Scuderia soll also den Kampf aufnehmen, sondern das Weltmeisterteam um Sebastian Vettel und Daniel Ricciardo. "In den Kurven sind sie schnell, aber auf den Geraden scheinen sie viel Zeit zu verlieren", führt Alonso aus: "In Monte Carlo gibt es keine Geraden. Also kann Red Bull dort Mercedes angreifen."
Die Argumentation scheint auf den ersten Blick schlüssig. Allerdings lag Ricciardo als erster Verfolger in Barcelona 50 Sekunden zurück. "Nico und Lewis sind keine Nasenbohrer, also sind sie auch hier wieder als Favoriten gesetzt", erklärt Vettel, der in Monte Carlo zum 100. Rennen für Red Bull antritt: "Aber wir versuchen natürlich möglichst bald, sie kräftig zu ärgern."
Vielleicht ist es am Ende der Vierfachweltmeister, der Alonsos Vorhersage erfüllt. Schon nach dem letzten Rennen hatte Hamilton sein Team eindringlich gewarnt, weil er sich vor dem Kontakt mit den Leitplanken fürchtete: "Wir müssen viel vorsichtiger sein. Wir hatten massives Übersteuern. Ich habe keine Ahnung was ich dort erwarten soll."
Red Bull ist da wesentlich entspannter und hat den Kampf wieder angenommen. "Dafür bekommen wir die große Kohle, richtig? Ich denke, wir bekommen das hin", sagt Ricciardo. Der Plan seines deutschen Teamkollegen: "Eine gute Quali und ein Start von vorn." Nur einmal in den letzten zehn Jahren gewann nicht der Polesetter - es war Lewis Hamilton in seinem Weltmeisterjahr 2008.
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