Manchmal helfen nur noch Schnapsideen, um einen langsam fortschreitenden Niedergang aufzuhalten und zurück zu alter Stärke zu finden. Spätestens nach der Saison 2013 war es bei Williams soweit. Der neunfache Konstrukteursweltmeister, der nebenbei sieben Fahrern den Titel beschert hatte, war endgültig am Boden.
Ganze fünf WM-Punkte hatten Pastor Maldonado und Valtteri Bottas in 19 Rennen eingefahren und Williams damit die schwächste Saison in der seit 1977 währenden Teamgeschichte beschert. Nur Marussia und Caterham waren noch schlechter.
Ungarn-GP: The Kingdom of Hamilton
"Es war ein schwieriges Jahr für das Team. Ich hätte nicht erwartet, dass es so eine Herausforderung für uns wird", sagt Claire Williams. Die 38-Jährige ist ein zentraler Bestandteil im Comeback-Puzzle des dritterfolgreichsten Teams der Formel-1-Geschichte.
Auch wenn sie erst seit März 2013 die stellvertretende Teamchefin ist und ihren Vater Frank Williams Schritt für Schritt ablöst, hat die studierte Politikwissenschaftlerin Benzin statt Blut in den Adern. Von frühester Kindheit war die Fabrik ihr zweites Wohnzimmer. Schon mit vier Jahren lernte sie auf den Knien der väterlichen Sekretärin Schreibmaschine schreiben.
Vom Teekocher zum Teamchef
"Ich kann im Zehnfingersystem schreiben. Das macht mein Leben um einiges einfacher", sagt Claire lächelnd, wenn sie an ihre Kindheit zurückdenkt: "Ich bekam kleine Jobs, etwa den Schrank mit Büromaterial zu sortieren oder Tee zu kochen und ihn durch die Fabrik zu tragen."
Mit zunehmendem Alter wurden die Aufgaben größer. Während ihrer Schulferien half sie, Flüge, Hotelzimmer und Autos für die Rennwochenenden zu buchen. Trotzdem verließ sie den einzigen Familienbetrieb der Formel 1, für den auch ihr Bruder Jonathan arbeitet, nach ihrem Studium und arbeitete für den Silverstone Circuit. Ihre Eltern wollten, dass sie sich selbst durchschlägt.
Als sie der Marketing-Leiter zurückholen wollte, reagierte ihr Vater auf die ihm typische Art: "No bloody way." Vier Monate lang wurde Frank bearbeitet, bis er den Verdacht der Vetternwirtschaft aufgab und der erfolgreichen Zusammenarbeit zustimmte.
Claire Williams half das Team kommunikativ für die Zukunft zu rüsten. "Wir sind ein Teamsport und haben Millionen von Fans, die wissen wollen, was passiert - nicht nur auf der Strecke, sondern auch hinter den Kulissen", erklärt sie. Fast 600.000 Facebook-Likes und 300.000 Twitter-Follower rechtfertigen den Aufwand.
Spitzenteam im Marketing
Überhaupt ist das Team mittlerweile aus Marketingsicht eines der Spitzenteams. Frauen erzeugen aufgrund ihrer geringen Anzahl in der Formel 1 stets für Aufsehen und bei Williams sitzt nicht nur an der Spitze eine, sondern auch im Auto: Susie Wolff.
"Das ändert sich", sagt Williams. 50 Prozent der Neueinstellungen seien mittlerweile weiblich: "Aber weil sie hinter den Kulissen arbeiten, sieht das Publikum sie nicht. Die Zuschauer am Fernseher sehen während eines Grand Prix nicht, dass unser Sport vielfältiger ist als viele andere Branchen."
Von außen mögen zwei Frauen als öffentliche Repräsentanten wie eine Schnapsidee wirken und bis zu einem gewissen Punkt sind sie das auch. Vor der Saison 2014 war kaum abzusehen, dass Williams zur Halbzeit vor Ferrari auf Platz drei der Konstrukteurswertung liegt. Trotzdem war dem Team durch die Einsätze von Wolff im Freitagstraining mediale Aufmerksamkeit sicher.
Aufmerksamkeit dank Martini
In dieselbe Kategorie fällt die Entscheidung, Martini die Stellung als Titelsponsor unter Wert zu verkaufen. 13 Millionen Dollar bezahlt der Aperitivhersteller laut "Formula One Black Book" - ein echtes Schnäppchen, zahlt doch Johnny Walker für wesentlich weniger Fläche bei McLaren rund 20 Millionen. Trotzdem rentiert sich der Deal.
Kaum ein anderer Sponsor ist so bekannt im Motorsport, Martini-Designs haben Legendenstatus: Porsche in Le Mans, Lancia in der Rallye-WM, Brabham und Lotus in der Formel 1 - blau-rote Streifen sichern auch den Teams Aufmerksamkeit, die nicht um Siege kämpfen.
"Die Partnerschaft ist ein Meilenstein in unserer Geschichte und wir freuen uns auf eine enge Zusammenarbeit in den kommenden Jahren", sagte Teamgründer Frank Williams, als er im März die neue Lackierung mit seiner Tochter und den vier Fahrern präsentierte.
Der Rollstuhlgeneral mag sich selbst an der Strecke zunehmend rar machen, dass er den Grundstein für den Aufschwung gelegt hat, ist aber kein Geheimnis. 2009 holte er mit dem heutigen Mercedes-Motorsportdirektor Toto Wolff neues Kapital ins Team, 2011 wurden Williams-Aktien erstmals an der Frankfurter Börse gehandelt.
Paydriver sind Geschichte
Doch auch sportlich stellte der 72-Jährige die Weichen: 2013 beförderte er Valtteri Bottas zum Einsatzfahrer. Der Finne hatte nach seinem GP3-Titel 2011 ein Jahr mit dem Rennfahren ausgesetzt, um sich auf die Formel 1 vorzubereiten. Eine weitere Schnapsidee, die sich auszahlte. Der erfahrenere Maldonado konnte schon in Bottas' Debüt-Saison nicht mithalten und durfte anschließend trotz gültigem Vertrag mitsamt seines venezolanischen Sponsors zu Lotus wechseln.
"Wegen der Liebe zum Team, der Liebe zu den loyalen Fans und unserem Familienerbe mussten wir ein paar eindrückliche Veränderungen vornehmen", erklärte Williams seine Entscheidungen entgegen aller Trends. Sportliche Kriterien statt dem größten Geldbeutel beeinflussen die Fahrerwahl wieder. Der Erfolg gibt ihm Recht.
Felipe Massa hat bisher als Zehnter der Fahrer-WM nur 30 Punkte gesammelt hat und damit 61 weniger als sein Teamkollege. Doch die Kollisionen mit Kamui Kobayashi, Sergio Perez, Kimi Räikkönen und Kevin Magnussen lassen Ferraris ehemalige Nummer zwei schlechter aussehen, als er eigentlich ist. "Wir würden in der Teamwertung sogar vor Red Bull Racing liegen, wenn mir nicht diese ganzen Unfälle widerfahren wären", verteidigt sich Massa, der vor fünf Jahren in Ungarn den schlimmsten Unfall seiner Karriere erlebte.
"Felipe macht einen großartigen Job. Er hatte einfach viel Pech", gibt Claire Williams dem fünf Jahre jüngeren Brasilianer mit Vertrag bis 2017 auf der offiziellen Formel-1-Seite Rückendeckung: "Felipe gibt dem Team genau, was wir von ihm erwartet haben: die Erfahrung, die er in der F1 hat. Er hat einen riesigen Arbeitsaufwand mit dem Ingenieursteam betrieben, um das Auto zu entwickeln. Es ist für alle im Team eine echte Inspiration, jemanden seines Kalibers einzubeziehen."
Top-Personal im Hintergrund
Trotz des vergleichsweise geringen Budgets von rund 115 Millionen Euro - Ferrari investiert mehr als das Doppelte - ist das Team derzeit ganz klar die Nummer zwei hinter Mercedes. Das liegt auch an Branchengrößen wie Pat Symonds, der nach seiner fünfjährigen Sperre in Folge des Singapur-Crashs von Nelson Piquet Jr. nur kurz bei Marussia arbeitete, und Rob Smedley, die im Hintergrund die Fäden ziehen.
"2014 wird eine fantastische Saison mit Regeländerungen, die die Startaufstellung durcheinander würfeln und für die Teams die Gelegenheit zu Fortschritten schaffen", sagte Frank Williams schon vor dem Saisonauftakt.
"Wir zwicken uns manchmal immer noch: 'Stehen wir da jetzt wirklich?' Das ist aufregend", sagt seine Tochter: "Jeder im Team ist enorm stolz. Wir sind durch dick und dünn gegangen und kriegen jetzt endlich den Lohn für die harte Arbeit. Hoffentlich segeln wir in eine erfolgreiche Zukunft."
Frank Williams im Rausch
Die Konkurrenz ist gewarnt. "Man kann sie nicht mehr ignorieren. Sie haben ein schnelles Auto. Bottas ist bisher sehr beeindruckend", lobt Red-Bull-Teamchef Christian Horner. "Ich bin überzeugt, dass wir da einen zukünftigen Weltmeister an der Hand haben", sagt Claire Williams. "Ja, definitiv. Genau das ist mein Ziel", gibt sich der WM-Vierte Bottas kämpferisch.
Dreimal in Folge stand der 24-Jährige zuletzt auf dem Podium. Das war Williams seit der Saison 2005 mit Heidfeld und Webber nicht mehr gelungen. Selbst der mürrische Haupteigner ist scheinbar berauscht.
"Jedes Team träumt davon, dass der Himmel einen jungen Mann schickt, der geboren wurde, um Rennen zu fahren. Ayrton Senna war so einer, Emerson Fittipaldi und Vettel vielleicht auch", sagt Frank Williams: "Wir hoffen wirklich sehr, dass Valtteri auch einer von der Sorte ist."
Stand in der Fahrer- und Kontrukteurs-WM