"Shanghai ist eine großartige Strecke für mich. Dort habe ich 2012, in meiner dritten Saison mit den Silberpfeilen, meine erste Pole und meinen ersten Sieg geholt", schwelgt Rosberg in Erinnerungen an seinen 111. Grand Prix. 57 sind seitdem dazugekommen, sieben Mal stand der 29-Jährige ganz oben. Doch für den großen Coup hat es nicht gereicht.
Als Hamilton sich beim Abu-Dhabi-GP 2014 zum Doppelweltmeister krönte, gab sich Rosberg als fairer Verlierer und kündigte einen noch härteren Kampf um den Titel in der Saison 2015 an. In den ersten beiden Läufen hat er davon entweder nichts gezeigt oder zu viel gewollt. Zwei Mal startete sein härtester Konkurrent vor ihm, zwei Mal konnte Rosberg nicht zu einem Überholmanöver ansetzen.
Sicher, in Malaysia verlor er viel Zeit, als er in der Safety-Car-Phase an der Box stand und warten musste. Doch von einem teaminternen Kampf um den Titel zu sprechen, wäre aktuell eine Übertreibung. Selbst die Tatsache, dass die Vertragsverlängerung Hamiltons zur Hängepartie geworden ist, bremst den Engländer nicht. Rosberg braucht eine Leistungssteigerung - auch weil ihm eine ganz andere Gefahr aus dem eigenen Team droht.
Rosberg zum Wasserträger degradiert?
Zwei Wochen ist es her, dass Sebastian Vettel die Formel 1 aufrüttelte. Der Ferrari-Sieg in Malaysia brachte das beste Team der Königsklasse ins Wanken. Motorsportchef Toto Wolff dachte öffentlich darüber nach, künftig die eigene Herangehensweise zu ändern und seine Fahrer mit verschiedenen Strategien ins Rennen zu schicken.
Opfert Mercedes also den freien Kampf seiner beiden Silberpfeile, damit die Nummer zwei nach dem Qualifying die Konkurrenz abblockt? Weil Hamilton im Jahr 2015 bisher in einer eigenen Liga fährt und Rosberg am Samstag plötzlich nicht mehr mithält, würde diese Entscheidung den Deutschen zum Wasserträger degradieren. Schon jetzt hat er in der Gesamtwertung zehn Punkte Rückstand. Gewinnt Hamilton am Sonntag, sind es 18.
"Wir werden unseren Ansatz, wie wir die Piloten fahren lassen, nicht ändern", sagt der Österreicher mittlerweile. Rosberg auf die Frage nach einer möglichen Stallorder: "Das wird definitiv nicht der Fall sein. Wir werden einen intensiven Kampf haben und die Rivalität wird sich fortsetzen."
Auch Hamilton stellt sich in den Dienst der Mannschaft. "Unser Job ist es, die Konstrukteurs-WM zu gewinnen und dafür gemeinsam so viele Punkte wie möglich zu holen. Gleichzeitig wollen wir uns aber auch gegenseitig schlagen. Man gerät also ständig in einen Gewissenskonflikt mit den Regeln", gab Hamilton in der Clare Balding Show im britischen Fernsehen zu: "Es ist ein wenig komisch, dass man uns Teamkollegen nennt."
Mercedes zieht Lehren aus Malaysia
Vettels Triumph in Malaysia hat Spuren hinterlassen. Die Auswertung des Rennens ins Sepang im eigenen Werk dauerte lange. Die Köpfe rauchten, doch sie hat offenbar bestätigt, was viele vermuteten: Die heißen Temperaturen bevorteilten Vettels Ferrari.
"Wir haben daraus definitiv unsere Lehren gezogen. Jetzt ist es in China an der Zeit, das auf der Strecke umzusetzen", so Rosberg. Zusammen mit Hamilton besprach er sich in Brackley mit den Ingenieuren. Sie analysierten, legten einen Schlachtplan zurecht und flogen anschließend zu zweit mit Hamiltons Privatjet ab.
Das öffentlichkeitswirksam bei Twitter verbreitete Foto verdeutlicht, dass sich beide Fahrer sehr wohl bewusst sind, dass derzeit Teamarbeit zählt. Die herannahende Konkurrenz in Rot muss auf Distanz gehalten werden. Bei kühlerer Strecke wie in China wähnt sich Mercedes weiter im Vorteil.
Neue Flügel für Rosberg und Hamilton
Welche Lehren das Weltmeisterteam aus seiner ersten Niederlage seit der Einführung des neuen Reglements zog, verriet niemand. Erst als in Shanghai die beiden W06 zusammengebaut wurden, offenbarte Mercedes, dass man zuletzt ein paar Entwicklungen zurückhielt. Ein komplett neuer Front- und ein überarbeiteter Heckflügel sollen das Polster wieder herstellen. Die standen zwar auch in Malaysia zur Verfügung, eine Notwendigkeit zum Einsatz sahen die Ingenieure aber nicht.
Besonders vorn sind die Änderungen offensichtlich. Zwischen den inneren und den äußeren Blechen des Flügels findet sich eine nach außen gebogene Kerbe. Sie soll die Luft zusammen mit den neu gestalteten Kaskaden im äußeren Bereich besser an den Reifen vorbeileiten und damit den Widerstand auf der Geraden verringern, gleichzeitig mehr Abtrieb erzeugen.
"Die Updates sollen uns weiter nach vorne bringen", sagt Rosberg: "Ich erwarte uns hier als das stärkste Team, weil wir ein stärkeres Auto haben werden." Das stimmt zwar, weil es in Shanghai noch kälter sein wird als beim Saisonauftakt. Die letztjährige Dominanz ist damit aber nicht wiederzuerlangen.
Mercedes kann nicht mehr dominieren
"Unsere Fortschritte sind echt. Wir sind nicht nur dann stark, wenn es so heiß ist wie in Malaysia", betont Kimi Räikkönen: "Bei einem normalen Rennverlauf wären wir schon in Australien viel näher an den Silberpfeilen dran gewesen."
Das gilt nicht nur für den in Melbourne ausgebremsten Finnen, sondern auch für Vettel. Der vierfache Weltmeister startete dort als Vierter hinter Felipe Massa und konnte deshalb selbst seine Stärke nicht ausspielen. Er steckte hinter dem auf den Geraden pfeilschnellen Williams fest. Ferrari braucht also für einen Angriff auf Rosberg und Hamilton die ersten Startplätze hinter den Silberpfeilen.
Ferrari hat sich für die Saison 2015 auf seine Kernkompetenz besonnen und ein Auto gebaut, das die Stärken des überholten Motors ausspielt. Maximaler Abtrieb wurde zugunsten von hoher Geschwindigkeit auf den Geraden geopfert. Der Vorteil: Durch die geringere Geschwindigkeit in schnellen Kurven werden die Reifen im Rennen weniger belastet.
Ferrari braucht gute Startplätze
Dieses Konstruktionsprinzip wirkt sich im Qualifying kaum aus, Mercedes wird überall schneller sein. Wenn es aber heiß ist, hat die Scuderia am Sonntag ebenso einen Vorteil wie bei Strecken, die weniger Abtrieb fordern. Shanghai wird deshalb wohl ein Übergangsrennen, das Mercedes in alter Form dominieren kann. Schon in Bahrain aber könnten Vettel und Räikkönen für die nächste Überraschung sorgen.
"Sepang hat bestätigt, dass unsere Richtung stimmt. Aber ich gehe davon aus, dass wir in Shanghai ein ganz anderes Mercedes erleben werden", bestätigt Vettel: "In Shanghai sind die äußeren Bedingungen wieder ganz anders."
Der Formel-1-Kalender 2015 im Überblick